Interview: Die Preise müssen runter!
Die Preise müssen runter! Doch wie soll das eigentlich gehen, was macht das Bremer Bündnis gegen Preiserhöhungen und wie sind sie als antiautoritäre Kommunist*innen dazu gekommen sich gegen die Preiserhöhungen zur Wehr zu setzen? Diese und viele andere Fragen durften zu ihrer großen Freude die Basisgruppe Antifaschismus aus Bremen den Genoss*innen der Plattform Radikale Linke aus Wien in einem Interview beantworten. Doch lest am besten selber:
Die Preise müssen runter! Im Interview mit der Basisgruppe Antifaschismus Bremen
Die Preise werden immer höher. Viele Menschen fürchten schon diesen Winter ihre Miete, die Strom- und Gasrechnung, die hohen Sprit- und Lebensmittelkosten nicht mehr bezahlen zu können. Von einem „heißen Herbst“ und einem „Wutwinter“ ist bereits die Rede. Während sich Rechte und Rechtsextreme bereits wieder in Stellung bringen, bleibt die spannende Frage, wie die gesellschaftliche Linke und linksradikale Gruppen reagieren. Erste Organisierungsversuche gibt es bereits in vielen Städten, am weitesten ist man aber sicher in Bremen. Wie ist es dazu gekommen, seit wann beschäftigt ihr euch intensiv mit der Thematik?
Bremen ist das Bundesland mit der in Deutschland höchsten Armuts- und Erwerbslosenquote. In einem Teil Bremens der auch geografisch ein bisschen vom Rest getrennt ist, Bremen-Nord, befindet sich das Solidarische Zentrum Bremen. In dem bietet der Bremer Erwerbslosenverband (BEV) fast täglich Beratung gegen „Arbeit, Miete und Ämter“ an. Hier wohnen besonders viele arme Menschen. Die Beratung wird seit vielen Jahren jährlich von mehreren tausend Menschen in Anspruch genommen. Linke gibt es dort nicht weiter, aber dafür Nazis, Islamisten, „Graue Wölfe“ und andere Rechte. Wir stehen mit den dort arbeitenden Genoss*innen in einem engen Austausch und haben deswegen bereits im Mai dieses Jahres erfahren, dass es in der Beratung dort eigentlich vor allem nur noch ein Thema gab: Die Preiserhöhungen. Das deckte sich mit unseren eigenen Erfahrungen beim Einkaufen, in unserem Leben und so beschlossen wir dazu zu arbeiten.
Wo habt ihr in eurer Arbeit angesetzt? Was waren erste Schritte? Wie haben diese ausgesehen?
Zu Beginn haben wir uns erstmal selber mit dem Thema auseinandergesetzt. Und zwar in öffentlichen Veranstaltungen. Wir haben uns eingelesen und gegenseitig geschult. Denn für uns waren und sind manche Zusammenhänge natürlich auch nicht gleich klar. Dabei wollten wir von Anfang an interessierte Personen dabeihaben. Die Gruppe „Solidarisch in Aktion“ (SoliA), eine mit uns verbündete, offene Gruppe, ebenfalls aus dem Solidarischen Zentrum in Bremen-Nord, hat mit Plakaten öffentlich zu den Veranstaltungen eingeladen. Die Plakate waren sehr populär gehalten, über dem Bild einer Flasche mit Bratöl stand „Öl für 3,30 Euro? Es reicht!“ 3,30 Euro, aus heutiger Perspektive natürlich ein Schnapper. Zu den Veranstaltungen, bei denen wir uns konkret am Beispiel der norddeutschen Butter und der italienischen Tomaten mit Preisbildung und -entwicklung auseinandergesetzt haben, ist dann erstmal kaum jemand gekommen aber die Kombination aus berichteter und eigener Erfahrung sowie der politischen Analyse, hat uns dann motiviert weiter zu machen. Weil wir überzeugt waren politisch am richtigen „Ort“ zu sein. Stattdessen haben wir überlegt, wo und wie wir mehr Leute werden und entschieden, kleine Aktionen zu machen. Wir haben Plakate vor Supermärkten verklebt, Flyer vor S-Bahnhöfen verteilt und immer offen zu Treffen im Solidarischen Zentrum eingeladen. Diesen Ort, das Solidarische Zentrum, haben wir dafür bewusst weiter gewählt, gerade weil es dezentral und nicht in einem hippen, linken Stadtteil ist. Ende Juni waren wir dann soweit das unser Kreis soweit gewachsen war, dass nicht mehr zu Treffen der Genoss*innen von SoliA eingeladen wurde, sondern zum Bremer Bündnis gegen Preiserhöhungen.
Ihr konntet bereits erste Kundgebungen und offene Treffen durchführen. Wie sind diese bei den Menschen angekommen? Wie sehen solche offenen Treffen aus?
Unsere Treffen müsst ihr euch maximal offen vorstellen und dürft ihr nicht mit einem „typisch“ linksradikalen Bündnis, bei dem lauter schick gekleidete Leute sich bedeutsam anschweigen und in einem möglichst konspirativen Ort ohne Handys sitzen, vorstellen. Bei schönem Wetter bauen wir eine lange „Tafel“ aus Tischen auf dem Platz hinter dem Zentrum auf. Es gibt verschiedene Getränke, Snacks, eine große Runde an Stühlen und eine Stellwand mit einer Tagesordnung. Vor dem Zentrum, an der Straße, stehen Aufsteller die für das Treffen werben. Die Treffen sind vorbereitet, auf einem flipchart stehen die möglichen Tagesordnungspunkte, es gibt eine Moderation und eine Person das Protokoll schreibt.
Anfang Juli haben wir dann unsere erste Kundgebung durchgeführt. Ausgesucht haben wir uns dafür den Stadtteil Vegesack, das ist ein zentraler Stadtteil in Bremen-Nord und als Ort für die Kundgebung einen Platz in einer Einkaufspassage direkt vor einem Supermarkt. Die Kundgebung war mit ca 120 Teilnehmer*innen, die Mehrzahl aus dem Stadtteil, aus unserer Sicht mehr als gut besucht. Trotzdem hatten wir auch viel Kritik an uns. Zu passiv, und zu vortragend fanden wir die Kundgebung. Ein erster Versuch mit einem „offenen Mikro“ war nicht erfolgreich und war nicht angenommen worden. Trotzdem, eine Folge der Kundgebung war, unser Bündnis war wieder gewachsen. Auf unserem letzten Treffen mussten wir sogar zeitweilig auf eine Lautsprecherbox mit Mikros zurückgreifen damit die Sprechenden gut verstanden werden konnten.
Ebenfalls eine Folge der Kundgebung: Kurz vor Beginn des folgenden Bündnistreffens erschien die Bereitschaftspolizei mit einem Wagen auf dem Grundstück des Solidarischen Zentrums. Das sei aber nur eine Art Servicebesuch um uns über Recht und Ordnung aufzuklären, teilten sie uns mit. Wir verwiesen sie gleich vom Gelände.
In der Nachreflexion der Kundgebung in Vegesack einigten wir uns nicht nur auf leicht veränderte Kundgebungsformen sondern auch auf eine Strategie für die kommenden Monate. Gezielt wollen wir in den Bremer Stadtteilen, vor ausgewählten Betrieben und an der Uni und den Hochschulen, nicht nur in den nächsten Monaten Kundgebungen durchführen. Wir wollen eine dezentrale Struktur von selbstorganisierten Treffen schaffen, miteinander vernetzt und organisiert als Bremen-weites Bündnis.
Jede Kundgebung soll dabei eine intensive Mobilisierung in den Stadtteilen vorangehen mit Verteilaktionen und ähnlichen, getragen vor allem von vor Ort aktiven, unterstützt aus ganz Bremen. Unsere Wette ist, dass wir im Herbst dann stark und verankert genug sind, als dass uns sowohl die Parteien, großen Gewerkschaften und Verbände mit ihren Showveranstaltungen auf dem Marktplatz nicht mehr einmachen können, als auch, dass wir bereits vor den Rechten die Straße haben. Denn auch darauf haben wir keine Lust: Wieder unseren Winter damit zu verbringen den Rechten die Straße zu nehmen. Deswegen holen wir sie uns lieber jetzt schon.
Bisher scheint dieser Plan ganz gut anzulaufen. Letzte Woche haben wir eine zweite Kundgebung in einem anderen Bremer Stadtteil, in Gröpelingen durchgeführt. Gröpelingen hat eine ähnliche Sozialstruktur wie Vegesack. Aber diesmal war unsere Kundgebung anders. Es gab weniger Redebeiträge, dafür Übersetzungen in viele Sprachen. Es gab Parolen, viel Musik, Wut und auf Kochgeschirr wurde geschlagen. Die Stimmung war laut und kämpferisch, mehr als 150 Personen aus dem Stadtteil waren da. Ein voller Erfolg. Das sahen übrigens wohl auch die beiden filmenden Querdenker so, die uns wütend von der anderen Straßenseite aus beobachteten. Ein paar Tage zuvor hatten wir mit vielen anderen zusammen mit einer Blockade erfolgreich ihren Versuch vereitelt ihrerseits selber eine Demo zu diesem Thema zu veranstalten. Obwohl sie überregional mobilisiert hatten, waren sie weniger als wir in einem Stadtteil. Wir sind deswegen mehr als nur optimistisch und freuen uns bereits auf die nächsten Aktionen und Kundgebungen vom und mit dem Bündnis gegen Preiserhöhungen. Für die nächsten Monaten haben wir uns einen ambitionierten Arbeitsplan gesetzt.
In Wien wehrt man sozialgesellschaftliche Probleme oft schnell ab, schließlich verfüge die Stadt doch über so viele Gemeindewohnungen, sei weltweit ein Vorzeigebeispiel. Tatsächlich ist das „rote Wien“ aber mittlerweile mehr Mythos. Wie gestaltet sich die Situation denn in Bremen? Gibt es möglicherweise Faktoren, die man in anderen Städten sehr ähnlich vorfindet oder aber auch grundlegende Unterschiede?
Fast 40 Prozent aller Bremer*innen leben direkt oder indirekt von staatlichen Transferleistungen, Bremen ist Deutschlands Hauptstadt der Zeitarbeit und der Bremische Staat ist hoch verschuldet, abhängig vom Länderfinanzausgleich. Das war aber nicht immer so. Bis Ende der 80er Jahre, Anfang der 90er Jahre, dem sog. „Werftensterben“ war Bremen vor allem im Bereich der Schwerindustrie, prosperierend. Seitdem sind große Teile der Stadt, vor allem der Bremer Westen und Nord, stark verarmt. Übrig geblieben sind neben den Resten der Häfen und ihrer Logistik vor allem die Stahlwerke, Daimler, Boing und die Rüstungsindustrie als große Unternehmen mit vielen Arbeitsplätzen. Dazu kommt eine für die Stadt relativ große Uni und ein paar Hochschulen. Politisch ist Bremen seit je her geprägt von sowohl einer starken sozialdemokratischen und zeitweise auch starken kommunistischen Linken auf der einen und einem liberalen Bürgertum auf der anderen Seite. Die SPD regiert Bremen in Folge seit 1949, die liberalen Grünen überwanden hier als erste die 5%-Hürde und die DKP hatte bis 1989 fast 1000 Mitglieder. Bis heute ist von alle dem eine überproportional große radikale Linke und ein liberal-sozialdemokratisches Bremisches Selbstverständnis geblieben. Rechte gibt es hier auch, haben auch bei Wahlen Erfolge über 5 %, leiden aber traditionell an einem Kadermangel und sind auch deswegen chronisch erfolglos. Regiert wird Bremen von einer rot-grün-roten Landesregierung, der einzigen Regierungsbeteiligung der Linkspartei in Westdeutschland. Eine Art sozialdemokratischen Mythos gibt deswegen hier auch. Er besteht aber in der Erzählung, eigentlich selber bereits die linkeste Sozialpolitik zu machen. Jedenfalls verbal spielen Teile der Bremer Landesregierung weit links außen. Dabei geht die SPD aber geschickt vor und fordert vor allem Dinge von denen sie sicher sein kann das sie sie nicht bekommt. So hat die Bremer Landesregierung sich bundesweit für die Einführung einer Übergewinnsteuer stark gemacht- wohlwissend das es dazu nicht kommt. So vollbringt Bremen das Kunststück, abgesichert von vermeintlichen Sachzwängen, nichts gegen die wachsende Verarmung der Mehrheit der Bremer*innen zu unternehmen – und das gleichzeitig schärfstens zu verurteilen.
Als Basisgruppe Antifaschismus seid ihr am Bremer Bündnis gegen Preiserhöhungen beteiligt. Wie sieht denn dieses Bündnis aus? Wer ist an diesem Bündnis beteiligt?
Das Bremer Bündnis gegen Preiserhöhungen ist ein breiter Zusammenschluss von linken Gruppen, Beratungsstellen, Stadtteilgruppen und vor allem vielen Einzelpersonen. Es ist ein Mix aus Delegierten und betroffenen Einzelpersonen, weiter oben haben wir euch ja schon einiges erzählt wie so ein „typisches“ Bündnistreffen aussieht. Perspektivisch soll das Bündnistreffen aber einer Bremen-weiten Delegiertenstruktur weichen in der Vertreter*innen aus den jeweiligen Stadtteilen und ähnlichem sitzen. Auch für uns als Basisgruppe Antifaschismus sind das herausfordernde und aufregende Zeiten, bedeutet das doch auch für uns wenigstens etwas mit den von uns sonst gewohnten Politikformen und Strukturen zu brechen. Auch das Finden der eigenen Rolle als kommunistische Gruppe in solch einem breiten Bündnis ist vor allem ein Prozess in dem wir uns immer wieder aufs Neue daraufhin untersuchen müssen, ob wir uns nicht mit unseren Inhalten darin opportunistisch verloren haben, oder politisch ultralinks eingemauert. Ob und wie wir dieses Spannungsfeld, als antiautoritäre Kommunist*innen in einem breiten, gesellschaftlichen Bündnis um und für radikale Reformen zu kämpfen, gelingen wird, wird und kann uns nur die Zukunft zeigen.
Welche Forderungen und Ziele verfolgt ihr als Gruppe und Bündnis? Den Kapitalismus würden wir natürlich alle gern am liebsten morgen abschaffen. Aber -um es ganz wirtschaftlich auszudrücken- was können wir den Menschen in dieser schwierigen Situation anbieten? Wo können wir konkret helfen? Wie umgehen mit reformistischen Forderungen?
Wir als Bündnis fordern Preisgrenzen für Lebensmittel, Wohnen und Mobilität. Mit dem Preisgesetz müssen Preisgrenzen festgesetzt werden. Lebensmittel und Hygieneartikel müssen auch mit geringen Löhnen und Hartz IV bezahlbar sein. Auch ein Mieten- und Energiepreisdeckel muss her. Obergrenzen für Spritpreise und einen kostenlosen ÖPNV für alle. Außerdem müssen die Regelsätze von Hartz IV und der Mindestlohn erhöht werden! Das Preisgesetz finden wir, ist für all das ein ganz spannender strategischer Hebel. Als Gesetz Teil des Grundgesetzes, aber seit Jahrzehnten nicht mehr angefasst, bietet es eigentlich die Möglichkeit staatlicherseits, Preise oder Preisobergrenzen festzusetzen. Es ist damit direkt ein Mittel um die Möglichkeiten der Kapitalseite zu unserem Nutzen zu begrenzen ohne den Staat, wie es bei der sogenannten Übergewinnsteuer der Fall ist, groß zu stärken. Es ist insoweit „realistisch“, als dass es dieses Gesetz gibt, dass es die Leute einleuchtend finden, dass wenn die Lebensmittel zu teurer sind, die Unternehmen zu zwingen das die Preise sinken. Und gleichzeitig, obwohl mal kurzfristig vom Parteivorstand der Linkspartei angesprochen, ist es keine Forderung einer der großen Parteien, weil es eine offensive sozialdemokratische Politik die sich tatsächlich mit den Unternehmen anlegt und die Hand ganz grundsätzlich an den Markt legt, bedeuten würden. Wir hoffen damit eine ganz gute Forderung gefunden zu haben die sowohl effektiv geeignet ist Verbesserungen durchzusetzen, überzeugt und gleichzeitig offen ist für weitergehende Kämpfe und Analysen.
Schon jetzt versuchen auch Corona-Rechte und Rechtsextreme Proteste zu organisieren. Wie geht ihr damit um?
In Bremen beobachten wir die Proteste der Corona-Rechten sehr genau. Der erste Versuch der Rechten letzte Woche durch die Innenstadt zu laufen, wurde von Antifaschist*innen erfolgreich durch eine Blockade verhindert. Auch im vergangenen Winter sind wir den kontinuierlichen Versuchen von Querdenken und Co entschieden entgegengetreten und konnten zusammen mit vielen anderen verhindern das sie in Bremen Demos durchführen konnten. Durch offensive Massenmilitanz haben wir sie in konspirative Kleinaktionen gezwungen. Querdenken ud ähnliches als Struktur existiert in Bremen heute nur auf Kleingruppenniveau, politisch sind sie in Bremen besiegt.
Als Bündnis wollen wir uns vorranging auf den Kampf gegen die hohen Preise konzentrieren und unsere Kräfte dafür nutzen eine breite Bewegung aufzubauen. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass wir in unserer Wachsamkeit gegenüber den Rechten nachlassen werden.
Nach ersten Erfolgen: wie sehen eure nächsten Schritte aus? Wird es weitere Kundgebungen geben? Ergeben sich aus den offenen Treffen bereits erste konkrete Ansätze?
Wir planen monatlich Kundgebungen in einem weiteren Stadtteil von Bremen durchzuführen. Dabei wollen wir möglichst auf bestehende Strukturen und vor Ort bestehende Gruppen zurückgreifen. Wir erhoffen uns dadurch eine Kontinuität in den Stadtteilen herstellen zu können. Wir wollen nicht nur einmalig eine Kundgebung durchführen und dann verpufft die Aufmerksamkeit wieder, während unsere Betroffenheit bleibt. Wir wollen eine Bewegung werden und sehen gute Chancen, dass wir im Winter eine große stadtweite Demonstration aufgebaut haben.