[Kolumbien] Die Waffe als Sicherheitsgarantie
Während in Havanna die Friedensgespräche zwischen den Aufständischen der FARC-EP und der kolumbianischen Regierung geführt werden und wie zuletzt die Vereinbarungen, auch zur politischen Teilhabe, veröffentlicht werden, sind die Garantien für politische oppositionelle Arbeit immer noch prekär im Land.
Vor wenigen Tagen wurden einige Dokumente der Vereinbarungen der Friedensgespräche zwischen der FARC-EP und der Regierung unter Santos veröffentlicht. Darin sind auch einige Verpflichtungen beider Seiten zum Thema politische Partizipation vorhanden. Klar, nicht nur die aufständische Bewegung beansprucht das Recht auf eine legale und sichere Ausübung von politischen Aktivitäten. Und der Punkt der Garantien für eine politische Opposition gilt als einer der wichtigen Punkte, gerade auch im historischen Kontext betrachtet. Immerhin führte dies unter anderem zur Gründung der FARC-EP, aber auch zum Scheitern des Friedensprozesses von 1984 mit dem Exodus und Tod Tausender Mitglieder der Unión Patriótica. Wie also soll dieser Punkt in der Realität aussehen und wie soll man darauf vertrauen die Waffen niederzulegen, wenn das Klima für eine politische Arbeit nicht gegeben ist?
Die letzten Wochen haben gezeigt, wie schwer dieses Thema wiegt. Angefangen von Bedrohungen und Einschüchterungen gegen die beiden großen Kongresse der geschützten Agrarzonen (ZRC) im September oder der Studierenden der FEU letztes Wochenende, bis hin zu Morden gegen lokale und überregionale Menschenrechtsbeobachter und Gewerkschafter oder Anführer der populären Bewegungen auf dem Land. Diese Drohungen, Einschüchterungen und Morde waren auch immer Teil des bestehenden politischen Systems und seiner weitverzweigten Netze in staatliche Sicherheitsbehörden, paramilitärische Organisationen oder rechtsextreme Gruppierungen. Dort müssten die Sicherheitsgarantien beginnen, bei der Zerschlagung dieser Kräfte und Verbindungen in den angesprochenen Institutionen und Gruppen.
Momentan erinnert für die politischen und sozialen Aktivisten in Kolumbien nicht viel daran, dass die Regierung Muße zeigt, um dieses politische Klima zum positiven zu verändern. Warum also sollen die Guerilleros der FARC-EP, die politischen Gefangenen und die Mitglieder und Sympathisanten der sozialen und politischen Bewegungen also in Freude verfallen? Erst vor drei Tagen berichtete das große Nachrichtenmagazin Semana von 160 Fällen von Bedrohungen in den letzten 30 Tagen gegen politisch engagierte Kolumbianer durch paramilitärische Gruppen und Organisationen. Ihr Ziel ist es, den Friedensprozess zum Scheitern zu bringen sowie die Linke, die Menschenrechte, die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit zu beschneiden. Alle die gegen das neoliberale System und gegen die Machenschaften der extremen Rechten agieren, werden zum militärischen Ziel erklärt.
Derzeit kann man in Kolumbien einzig und allein sehen, dass die Regierung ihren Diskurs über die demokratische und politische Öffnung nur unzureichend führt. Die Realität sieht anders aus und die Repression, die Militäroperationen, die Bedrohungen und Morde stehen für die klassische kolumbianische Politik, nämlich die Proteste der Menschen nach Gerechtigkeit und politischer Partizipation mit Tränengas und Blei zu beantworten. Wir erinnern uns nicht nur an die bereits dargestellten Beispiele, sondern auch an den großen nationalen Agrarstreik von 2013, bei dem 15 Personen getötet und 485 verletzt wurden. Bis heute wurden viele Forderungen nicht erfüllt, obwohl die Regierung sich zu Verhandlungen und Lösungen bereit erklärt hatte. Stattdessen beuten weiterhin transnationale Konzerne die natürlichen Ressourcen aus und hinterlassen Umweltschäden, Vertreibung, ausgeblutete Landschaften und ausgeblutete Menschen.
Andererseits ist klar, dass sich die Realität nicht ändern wird, wenn nicht dafür gekämpft wird. Dieser Kampf wird derzeit in Havanna am Verhandlungstisch, in den sozialen und politischen Bewegungen und in den Bergen und Wäldern Kolumbiens ausgetragen. Für eine politische Partizipation braucht es grundlegende Veränderungen in den staatlichen Sicherheitsbehörden und im politisch-ökonomischen System. Um dies zu erreichen, die Verbindungen der Para-Politik zu kippen und um die Bevölkerung am Regieren und Mitbestimmen teilhaben zu lassen bedarf es einer nationalen konstituierenden Versammlung sowie struktureller Reformen. Die anhaltenden Operationen und Strafverfolgungen gegen die FARC-EP oder auch gegen den Marcha Patriótica lassen keinen positiven Glauben an die Regierung aufkommen. Seit der Entstehung im März 2010, der Konsolidierung im Jahr 2012 und bis heute sind 60 Mitglieder getötet worden. Mehr als 400 Verhaftete hat der Marcha Patriótica zu beklagen.
Zwar ist die Realität des Marcha Patriótica noch weit von derjenigen der Unión Patriótica entfernt, doch es zeigt symbolisch, wie es um die oppositionelle Arbeit und Politik in Kolumbien bestellt ist. Das Misstrauen unter Guerilleros, unter den politisch Aktiven, aber auch unter der Bevölkerung ist groß. Wie soll auch Vertrauen in einem über 50jährigen sozialen und bewaffneten Konflikt aufgebaut werden, wenn sich eine Regierung beharrlich weigert, einen bilateralen Waffenstillstand zuzustimmen, für eine Verbesserung der miserablen Haftbedingungen zu sorgen und Sicherheitsgarantien für die sozialen und politischen Bewegungen zu erlassen? Solange dies nicht geschieht, werden auch die Waffen nicht ruhen! Sie sind wie seit über 50 Jahren die einzige Sicherheit für die Opposition…