Kritik am Speziesismuskommentar im DA-Kalender 2015

 

 

 

Es gibt für 2015 wieder einen Direct Action Kalender vom Seitenhiebverlag. Wir sehen den Kalender als eine großartige Möglichkeit Gesellschafts- und Herrschaftskritik sowie Wissen rund um Direkte Aktionen zu verbreiten und finden ihn auch weiterhin schön und empfehlenswert.

Leider hat uns einen Text im neuen Kalender (milde gesagt) nicht gut gefallen.

Der Kalender enthält einen Text in dem die Thematik Speziesismus (Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Spezies, analog zu Rassismus, Sexismus) aufgeschlüsselt und erklärt wird. Den Text finden wir auch super so. An den Artikel ist aber ein Redaktionskommentar angehängt in dem sich von einem Redaktionsmitglied kritisch zum vorangegangen Artikel geäußert wird. Und diesen Kommentar finden wir nicht sehr gelungen.

Wir möchten diesen nicht unkommentiert stehen lassen und mit unserer Kritik eventuell einen Diskurs anregen.

 

Texte aus dem DA Kalender:

 

Speziesismus

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Milliarden von nichtmenschlichen Tieren immense Gewalt durch Menschen

erfahren: Zur Produktion von Nahrungsmitteln wie „Fleisch“, Milch und Eiern werden allein in Deutschland etwa 750 Millionen sogenannte „Nutztiere“ jährlich in elenden Bedingungen gefangen gehalten, verletzt und getötet; unzählige weitere Tiere werden als Versuchsobjekte,

Sportgeräte und zu Unterhaltungszwecken ausgebeutet, als „Schädlinge“ ausgerottet oder bei menschlichen Aktivitäten wie bei Baumaßnahmen oder in der Landwirtschaft vertrieben und getötet.

Der Ausdruck „Speziesismus“ bezeichnet in Analogie zu „Rassismus“ und „Sexismus“ die Einstellung, dass nichtmenschliche Tiere generell weniger Rücksicht verdienen als Menschen. Konkret heißt das zum Beispiel, dass „Nutztiere“ als bloße Waren oder Produktionsmaschinen betrachtet werden oder dass die Interessen von nichtmenschlichen Tieren in individuellen und politischen Entscheidungen keine Rolle spielen. Die gesamte Struktur der Gesellschaft ist in sofern speziesistisch, als ihre Institutionen so strukturiert sind, dass sie nichtmenschliche Tiere systematisch der Verdinglichung und grenzenlosen Ausbeutung ausliefern.

 

Lange wurde diese Realität mithilfe religiöser und philosophischer Systeme gerechtfertigt: Es wurde behauptet, dass nichtmenschliche Tiere sich in bestimmten Eigenschaften von Menschen unterscheiden und deshalb weniger als Menschen oder gar nichts wert seien. Es ist allerdings mittlerweile einerseits von mehreren dieser Eigenschaften gezeigt worden, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen Menschen und den anderen Tieren nicht gibt: Viele Tiere sind empfindungs- und erlebensfähig, haben eine komplexe Gefühlswelt,

faszinierende kognitive Fähigkeiten und Kommunikationsvermögen. Andererseits wird seit langem und besonders in der neueren tierethischen Debatte darauf hingewiesen, dass die Unterschiede zwischen Menschen und den anderen Tieren keine so unterschiedliche Behandlung rechtfertigen: Ob ein Wesen rational denken oder selbst moralisch handeln kann, ist schlicht irrelevant für die Frage, ob wir ihm ohne Not Leid zufügen oder das Leben nehmen dürfen.

Die gängige Praxis der Ausbeutung von Tieren lässt sich also nicht rechtfertigen.

Die antispeziesistische Tierrechts- oder Tierbefreiungsbewegung fordert daher eine Befreiung von Tieren aus dem gegenwärtigen Ausbeutungsverhältnis: Durch politische Kampagnen und Proteste, konkrete Tierbefreiungen sowiedirekte Aktionen gegen tierausbeutende Institutionen setzen sich AktivistInnen für das Wohl einzelner Tiere und für eine grundlegende Transformation unseres Verhältnisses zu nichtmenschlichen Tieren ein. Viele sehen dabei einen direkten Zusammenhang zwischen der Ausbeutung von Tieren und anderen Unterdrückungsverhältnissen innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaft und begreifen sich als Teil einer antikapitalistischen und herrschaftskritischen Bewegung.

 

 

Kommentar zum Speziesismus-Text

Dieser Text hat bei uns (dem Redaktionsteam) eine sehr lange Diskussion ausgelöst, weshalb ich als Teil dessen ihn nicht unkommentiert stehen lassen möchten, sondern hoffe, Diskussionen und Gedanken zu diesem Thema anzuregen.

Ich kann mir eine Welt ohne Rassismus und Sexismus vorstellen, aber ganz ohne Speziesismus? Denn wenn ich als schreibende Person wirklich ehrlich zu mir bin, bringe ich nur wenigen nichtmenschlichen Tieren genauso viel Respekt entgegen, wie z.B. meinen Mitbewohner_innen. Und Frage mich, ob dieses überhaupt möglich ist.

 

Dass Mastanlagen, Jagen und die Pelzindustrie kacke sind, steht außer Frage. Aber was mache ich mit der Maus in meinem Keller? Klar, ich kann vorher Maßnahmen treffen, dass erst gar keine kommen mag, aber wenn sie dann da ist? Dass sie meine Haferflockenvorräte auffrisst und irgendwann eine Großfamilie im Keller wohnt ist irgendwie auch keine Option. Allerdings ist es mir nun mal nicht möglich, mit der Maus zu kommunizieren und gleichberechtigt auszuhandeln, wer wie viel Haferflocken bekommt, und ihr zu sagen, dass sie da schon wohnen kann, ich aber eine Großfamilie irgendwie doof fände. Aber gehört nicht genau dieser Teil zu herrschaftsfreien Theorien, gemeinsam, gleichberechtigt Lösungen für Probleme zu finden?

Ich entschließe mich also, sie mit einer Lebendfalle zu fangen. Und dann? Fahre ich in den Wald und setze sie aus kann ich davon ausgehen, dass ihre

Chancen zu überleben gering sind. Vor allem bei -10°C. Setze ich sie noch

irgendwo im Dorf aus, sucht sie sich ein neues Haus und läuft dort früher

oder später in eine Falle. Also entscheide ich allein über das Wohl oder nicht

Wohl eines Lebewesens.

Und dann tauchen immer weiter Fragen auf: Ist die vegane Margarine aus Palmöl wirklich vegan? Zwar steckt kein Tier in den Inhaltsstoffen, aber die Palmölproduktion raubt dem Orang-Utan seinen Lebensraum und rodet Kilometer von Regenwald. Sterben nicht bei der jetzigen Getreideproduktion Millionen von Kleinsttieren?

Was ist mit den Umweltauswirkungen bei der Aluproduktion, in der das vegane Tomatenmark verpackt ist? Ist Sojamilch

aus dem Tetrapack, welche einmal um die halbe Welt ver-

schifft wurde und mit Sicherheit aus Sojamonokulturen aus

Lateinamerika stammt nicht eigentlich auch großer Blödsinn? Ist es verwerflich, wenn sich Inuit eine Robbe jagen, wenn die Alternative der Sojaimport wäre?

Und wenn ich durch den Wald gehe? Ich will vielleicht

lieber gar nicht wissen, wie viele Lebewesen ich zertrete oder ungefragt in ihren Lebensraum eindringe.

Aber wie könnte meine Lebensrealität ohne all dies

aussehen? Geht es nicht eigentlich um eine Abwägung? Und sollte diese nicht auch andere Faktoren, wie Produktion, Auswirkungen und Ausbeutung jeglicher Art mit einbeziehen?

 

Kritik am Kommentar:

Zuerst finden wir's gut, dass die Thematik Speziesismus und wohl in weiten Teilen des Textes auch Veganismus von der Redaktion des DA-Kalenders kontrovers diskutiert wurde.

Auch ziemlich gut finden wir, dass die schreibende Person sich offen eingesteht, dass für sie eine Welt ohne Diskriminierung von Tieren nicht vorstellbar ist. Entgegen dem können wir uns, zugegebenermaßen nach längerer Beschäftigung mit der Thematik, eine Welt ohne Diskriminierung aber durchaus vorstellen. Unabhängig davon, ob eine Welt gänzlich ohne Diskriminierung vorstellbar ist oder eben nicht, ändert das nichts daran, dass Missstände benannt, bekämpft und Lösungen gesucht werden sollten. Unrecht ist unserer Meinung nach nicht durch einen Mangel an Lösungen rechtfertigbar. Wir sehen uns nicht in der Position oder Pflicht dazu, die endgültige Lösung zur Überwindung sämtlicher Diskriminierung zu liefern. Vielmehr sehen wir das Ganze als einen laufenden Prozess der Verminderung von Diskriminierung bei dem das utopische Ideal genau wie in vielen anderen Aspekten sehr schwer erreichbar sein wird. Eine Welt gänzlich ohne Sexismus ist wohl ebenso wie eine Welt gänzlich ohne

Sepziesismus letztlich nie zu erreichen. Das ist für uns aber kein Argument gegen Sexismus nicht vorzugehen. Ebenso wie wir darin kein Argument sehen nicht gegen Speziesismus vorzugehen.

Von der schreibenden Person wird durchaus anerkannt, dass Mastanlagen,

Pelzfarmen usw. inakzeptabel sind. Besonders deshalb ist für uns aber wenig

verständlich, wieso ein konsequenter Abbau jeglicher Diskriminierung nicht als notwendiges Ziel angesehen wird und warum das Erarbeiten praktischer

Lösungen aus Angst vor Komplexität vermieden wird. Das Auflösen von

Diskriminierung wird jegliches Zusammenleben immer komplexer und vielfältiger gestalten. Probleme sind nicht mit Standardproblemlösungsschablonen lösbar, sondern bedürfen immer eines individuellen Lösungsprozesses. Wir erachten z.B. auch Standardproblemlösungsschablonen in Form von Gesetzen als

kontraemanzipatorisch. Festgefahrene Lösungsabläufe können auf Dauer zu

keiner Lösung von Problemen und so auch nicht zu einer besseren Gesellschaft führen. Ob diese Schablonen jetzt zwischen Menschen oder zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren angewendet werden, macht dabei keinen Unterschied.

Besonders ersichtlich wird für uns diese Legitimation der Diskriminierung in der Textpassage mit der Maus. Wir sind uns darüber im Klaren, dass Speziesismus für viele sehr schwer zu erkennen ist und haben uns daher dazu entschlossen die Textstelle auf eine andere Diskriminierungsform (die auf Grund des Konstrukts der Rassenzugehörigkeit) umzuschreiben. Wir hoffen, dass unsere Kritikpunkte dran so leichter nachvollziehbar werden.

„Aber was mache ich mit [den Flüchtlingen] in [Europa]? Klar, ich kann vorher

Maßnahmen treffen, dass erst gar keine kommen, aber wenn sie dann da [sind]? Dass sie [unsere wirtschaftliche Grundlage rauben] und irgendwann eine Großfamilie [bei uns] wohnt ist irgendwie auch keine Option."

Wir sehen durchaus, dass Menschen weniger gut mit Mäusen als mit Flüchtlingen kommunizieren können. Allerdings ist die Notwendigkeit mit Mäusen einen Konsens zu finden auch nicht gegeben. Es gibt Möglichkeiten einer mäusesicheren Nahrungsmittellagerung und Mäuse sind für ihr Überleben auch nicht auf die Nahrungsvorräte der Menschen angewiesen. Einer Koexistenz steht somit absolut nichts im Wege.

Des weiteren gibt es auch Menschen mit denen durch diverse Einschränkungen eine herrschaftsfreie Kommunikation nicht möglich ist. Dennoch wird hier, teilweise unter extremen technischem Aufwand, berechtigterweise versucht eine (herrschaftsfreie) Kommunikation zu ermöglichen. Das einzige, für uns nachvollziehbare Argument dies nicht auch bei Tieren als moralisch notwendig zu erachten, ist Speziesismus.

Wir erkennen an, dass es ein komplexes Problem ist, dass menschliche und

nichtmenschliche Tiere Lebensräume teilen und in diesen Lebensräumen

unterschiedliche und teilweise auch entgegengesetze Bedürfnisse haben. Aber wie bereits beschrieben, ist das kein Grund sich einer individuellen Lösung zu verweigern um den bestmöglichen herrschaftsfreien Umgang zu erzielen. Jede Entscheidung eines Einzelnen hat immer Auswirkungen auf sein Umfeld. Dass negative Auswirkungen nicht vermieden werden können, rechtfertigt nicht die komplette Verweigerung das Problem anzugehen. Gerade, dass Einzelne als Alleinentscheider*innen über das Leben oder Sterben eines Anderen dastehen zeigt, dass ein Herrschaftsverhältnis vorliegt. Wir stimmen dem Text auch in dem Punkt zu, dass eine vegane Lebensweise nicht das Einzige ist, was mensch gegen die vorherrschenden Misstände tun sollte. Ebensowenig wie das Beziehen von regenerativen Energien alleine alle Probleme löst, ist eine vegane Lebensweise die Antwort auf die Frage der Frage (die Antwort darauf ist 42). Dies jetzt aber als Argument gegen regenerative Energien an zuführen ist Unsinn. Also ja, Alu wird nicht gut nur, weil darin Veganes verpackt ist, aber Fleisch in Alu zu verpacken macht des Problem nun auch nicht besser. Veganismus unter Ausblendung der Produktionsauswirkungen auf Umwelt und Menschen ist kein ganzheitlicher Ansatz. Je mehr moralische Abwägungen in die Entscheidungen einfließen, desto mehr Schaden kann vermieden werden. Das Beziehen von regenerativen Energien machen die in Solarplatten verbauten seltenen Erden, die von Kindern geschürft werden ja auch

nicht besser. Es sollte immer versucht werden eine Konsumentscheidung zu

treffen, die unter Einbeziehung aller bekannten Aspekte den geringsten Schaden anrichtet. Veganismus ist für uns in diesem Zusammenhang ein wichtiger Aspekt.

Desweiteren ist es uns wichtig zu betonen, dass es einen Unterschied zwischen Veganismus und Antispeziesismus gibt. Antispeziesismus ist die Ablehnung von Diskriminierung auf Grund des Konstrukts der Spezies. Daraus folgt für den/die Antispeziesist_In natürlich, dass keine Produkte konsumiert werden, die die speziesistische Logik bedienen. Da Antispeziesmus aber auch angewandte Herrschaftskritik ist, beinhaltet Antispeziesmus auch die Ablehnung sämtlicher anderer Herrschaftsformen. Konkret: Antispeziesist*innen ist es egal, ob Kinder in Mienen oder Hähnchen in Mastanlagen zu Tode gequält werden. Beides ist, so gut es für uns möglich ist, zu vermeiden. Veganismus hingegen existiert inzwischen abgelöst von seinen eigentlichen Wurzeln (dem Antispeziesismus) und ist folglich keine komplette Herrschaftskritik. Der Fokus liegt lediglich auf dem Leid, das nichtmenschlichen Tieren widerfährt. Andere Folgen von Herrschaft werden ausgeblendet. Veganismus losgelöst ist daher wie Leute, die regenerative Energien beziehen und in den Urlaub fliegen. Schon besser als auch noch Atomstrom beziehen, aber eben auch kein wirklich ganzheitlicher Ansatz. Und natürlich ist Herrschaft auch irgendwie, wie beispielsweise Sexismus durch vegane Diäten, mit Veganismus vereinbar. Mit Antispeziesismus hat das dann aber überhaupt nichts mehr zu tun.

 

Und dann tauchen auch für uns ebenso auch andere Fragen auf:

 

•Wie können Lock-ons ohne umweltschädlichen Zement produziert werden?

•Auch beim Trampen steigt durch eine höhere Nutzlast der Kraftstoffausstoß

des PKW

 

•Autos für Politaktion scheinen uns gänzlich nicht mehr rechtfertigbar

 

•Können Windräder ohne Aluleichtbaurotoren gebaut werden?

 

•Solarzellen ohne seltene Erden aus Krisenregionen mit Kinderarbeit?

 

•Wasserkraft ohne Eingriffe in Flussläufe?

 

Das ist jetzt alles kein Argument gegen Lock-ons, Trampen, Autos auf Aktionen oder regenerative Energien. Zeigt aber, dass sich an absolut allem Fehler finden lassen. Es wird in der Realität kein Leben ohne Diskriminierung geben.

 

 

Facts, die wir mal gesagt haben wollten:

 

•Soja aus Monokulteren wird in großen Mengen zur Tierernährung

verwendet (übrigens auch genmanipuliertes)

 

•Sojaprodukte werden aus PR-Gründen nicht aus Regenwaldsoja hergestellt

 

•Soja für den menschlichen Verzehr wird überwiegend in Europa hergestellt

(z.B. Österreich) / Sojamilch in Europa produziert

 

•Das Palmöl verwendet wird, hat nichts damit zu tun, dass es ein veganes

Nahrungsmittel ist, noch findet es sich ausschließlich in veganen

Nahrungsmittel. Es ist einfach das billigste Öl auf dem Markt und dank

Kapitalismus ist billig das Argument für alles.

 

•Ein Großteil der Tomatenmarkkonsument*innen sind Nicht-Veganer*Innen

(was die Aluverschwendung aber halt auch nicht besser macht)

 

 

Wir stimmen dem letzten Satz voll und ganz zu. Es geht um eine Abwägung, die

möglichst alle Faktoren berücksichtigt.

 

 

 

 

 

 

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