Und sie drehen sich weiter im Kreis - Versuch einer Diskussion

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Nun gibt es sie also endlich: Die linksradikale Antwort auf die Corona-Pandemie und auf alles andere sowieso. Sie kommt unter dem Namen EN COMMUN daher – was das heißt interessiert eh keine_n, bzw. muss eh niemand verstehen. All das läuft unter dem Label Kampagne und deckt so ziemlich alles ab, was im post-autonomen Milieu so dazugehört...

 

 

 

Die radikale Linke will die Probleme dieser Welt durch staatliche und kapitalistische Intervention lösen. Die radikalen Parolen und die militanten Aktionen sind nur ein Fetischismus, der als eine Rauchwand wirkt, damit man das inhaltslose Sein nicht erkennt. Man muss nur Geschichtsbücher aufschlagen, um zu sehen, dass der Reformismus sich auch real bewaffnet hat, nun dies wäre auch nichts Neues.1

 

 

 

Nun gibt es sie also endlich: Die linksradikale Antwort auf die Corona-Pandemie und auf alles andere sowieso. Sie kommt unter dem Namen EN COMMUN daher – was das heißt interessiert eh keine_n, bzw. muss eh niemand verstehen. All das läuft unter dem Label Kampagne und deckt so ziemlich alles ab, was im post-autonomen Milieu so dazugehört – inklusive schicker Homepage und ordentlicher Social-Media Bespielung. Das nette Logo – ein Kreis – will ich hier mal als Ausgangspunkt einer Kritik nehmen, da ich finde, dass wenigstens das sehr treffend gewählt ist, schließlich drehen sich die Themen und Aktionsformen im Kreis. Ach ja, eine erste Aktion gab es natürlich auch schon – eine „Besetzung“ – war aber auch so schnell wieder vorbei, wie wahrscheinlich der Rest dieses Luftschlosses auch bald wieder weggeblasen ist (schließlich sind wir ja in Wien, da gibt es nur symbolische Besetzungen, die sich nach ein paar Stunden räumen lassen).

 

 

 

Politik ist die Kunst der Rekuperation. Die effizienteste Methode um jegliche Rebellion, jeglichen Wunsch nach wirklicher Veränderung zu entmutigen, ist den Staatsmann als Subversiven auszugeben, oder noch besser, den Subversiven in einen Staatsmann zu verwandeln. […] Die Realität – das wissen sie gut – ist immer komplexer als irgendwelche Aktion. Wenn sie also eine totale Theorie entwerfen, ist das nur, um sie im Alltag völlig zu vergessen. Die Macht benötigt sie – wie sie es selbst uns beibringen –, denn wenn keine Kritik an der Macht ausgeübt wird, wird die Macht als solche kritisiert.2

 

 

 

Eine Kampagne also. Es macht in diesem Fall durchaus Sinn sich die Kampagnenpolitik (verkürzt) anzuschauen bzw. die Entwicklung dieser in autonomen oder radikalen Kreisen und die Perversion dieser, an und für sich konfrontativen und zielgerichteten Taktik, durch post-autonome Strukturen. Kampagnen im heutigen Sinne haben ihren Ursprung in den Kämpfen aktivistischer Kreise gegen einzelne Themen. Klassische Beispiele sind etwa Kampagnen gegen einzelne Unternehmen der Tierversuchsbranche, in Österreich die Aktionen gegen Kleider Bauer oder die Kämpfe militanter feministischer Zusammenhänge gegen Pornoläden und Sextourismus. Gemein ist diesen, dass es ein gemeinsames Ziel gab, das aber von einer Diversität von Gruppen und Taktiken angegangen wurde. Das Ausrufen bzw. Initiieren einer Kampagne diente also vielmehr als Plattform zum Erreichen des konkreten Ziels. Und eben dieses konkrete Ziel ist etwas, das diese Form der Kampagnenarbeit ausmachte – ich will genau das erreichen und dann widme ich mich dem nächsten Thema. All das aber nicht als abstraktes Etwas (wie mehr Aufmerksamkeit erreichen) sondern als konkreter materieller Bezugspunkt. Diese Form der Kampagnenarbeit wurde auch bereits ausführlich von Anarchist_innen und anderen radikalen Kräften kritisiert, da es letztlich zu keiner radikalen Veränderung der Verhältnisse führen kann, auch wenn natürlich die Beteiligten wichtige Erfahrungen der Selbstermächtigung und der Anwendung von diversen Aktionsformen gewinnen können und es natürlich auch einen gewissen Unterschied macht, wenn etwa ein Tierversuchslabor in Schutt und Asche liegt. Nichtsdestotrotz wurde die Kampagnenarbeit in den 90ern adaptiert und führte zu Kampagnen gegen „den Kapitalismus“. Ein möglichst abstraktes Ziel, mit wenig konkreter Gestaltungsmöglichkeit. Die Problematiken dieser Form von Aktivismus und Kampagnentätigkeit lassen sich gut in den kritischen Reflexionen zu den J18 Protesten nachlesen3. Genau an diese abstrakte Form knüpfen die post-autonomen „Medienkampagnen“ der letzten Jahre an. Es geht nicht mehr darum konkrete Ziele zu erreichen, sondern nur noch Aufmerksamkeit zu generieren. Im konkreten Fall lässt sich jetzt fragen: Aufmerksamkeit für was? Dass es den Pflegekräften beschissen geht? Längst bekannt und breit von den Zeitungen abgedeckt. Dass Österreich eine überdurchschnittlich hohe Femizidrate hat? Wird seit Jahren thematisiert. Das lässt sich natürlich für die anderen Themen ähnlich spielen.

 

 

 

Die wichtigeste Frage der Aufmerksamkeit ist - wofür die Aufmerksamkeit? Dass es einem selber scheiße geht in diesen Zuständen? Wohl eher nicht wenn doch am einzigen (zumindest scheinbar) inhaltlichen Punkt der Kampagne zu Zwangsräumungen beinahe schon darum gebettelt wird, dass sich doch endlich jemand meldet der zwangsgeräumt wird. Wofür also die Aufmerksamkeit? Bei der „Besetzung“ sehen wir doch gut worum es geht: um die Aufmerksamkeit für einen selber unter dem Vorwand der sozialen Konfliktlinien...selbst nicht betroffen4 aber trotzdem professionell da stehend im Blitzlichtgewitter. Die Aufmerksamkeit ist also auf einen selbst bezogen - selbstreferentiell und nur im allerbesten Fall zumindest nicht auf die einzelne Person sondern auf die eigene geile Szenen-Gruppe. Anscheinend gibt es aber doch Dinge, die den Leuten selber wirklich am Herzen liegen. Zumindest betonen sie doch in ihrem Selbstverständnis ausdrücklich wie schlimm und ironisch eine verfrühte Sperrstunde ist. Nach über zwei Jahren intensivstem Klassenkampf von Oben in Bezug auf die Pandemie ist es bestimmt auch mein schlimmster Verlust nach Mitternacht keine 4,50€ für ein Bier ausgeben zu können (entschuldigt die Übertreibung: ich habe auch vor der Pandemie selten 4,50€ für ein Bier zusammenbekommen - also ist es nicht ganz der schlimmste Verlust).

 

 

 

Warum reicht es nicht mehr aus „bloß“ wütend zu sein? Warum werden Kämpfe um gesellschaftliche Anerkennung geführt, indem die Aufmerksamkeit auf die Unterdrückung gelenkt wird? Wieso bemüht man sich „um die gesellschaftliche Anerkennung einer Gesellschaft, die wir doch eigentlich mal zerschlagen wollten?“5 Ist die eigene Wut über die eigene Betroffenheit und die Ausbeutung (auch der anderen) nicht der Auslöser für das eigene Handeln? Wenn dem so ist und nicht das parareligiöse Herunterbeten von Privilegien der Grund für das eigene Handeln ist, dann stell sich doch die Frage, wie handle ich entsprechend? Es stellt sich die Frage, ob die Wut in kontrollierende Bahnen gefasst wird (durch Plena, schöne Transpis, Fotos, gezielte Pyro, antrainierte Handlungen) oder ob sich direktere Ausdrücke finden lassen. Wenn ich wütend bin, will ich nicht, dass meine Wut zuerst durch lange Plena ermüdet wird, nicht dass ihr Ausdruck in Arbeit ausartet. Ein direkter Ausdruck von Wut braucht keine Vermittlung, keine Pressearbeit. Er wird verstanden, denn die Straßen sind voll von Wütenden, die die Faust in der Tasche geballt haben. Fragt einfach mal einen Menschen um 7 Uhr am Bahnhof, ob es gerade geil ist Arbeiten zu gehen und wie die Chefs so drauf sind. Jede Person, die eine Zeit lang Frühschichten geschoben hat, weiß wie beschissen das ist.6 Es stellt sich viel mehr die Frage, wie vorhandene Wut entfesselt werden kann, denn gleichzeitig sehen wir auf den Straßen auch eine große Apathie. Vielleicht macht es mehr Sinn die Menschen auf die eigene Unterdrückung und unterdrückte Wut hinzuweisen, als auf die der anderen, denn es ist „wenig schlüssig, denen vom Unglück anderer zu erzählen, die schon genug eigenes Übel zu lösen haben.“7 Und wenn ich dann schon aus meiner eigenen Wut heraus handle, ist das gemeinsame Handeln aus einer geteilten Wut nur noch ein kleiner Schritt. Wie und ob sich das in der Realität umsetzten lässt, ist ein Thema für eine andere Diskussion.

 

 

 

Nach 2 Jahren Pandemie sowie erschreckender Taten- und Ideenlosigkeit hat eine sog. „linksradikale“ Kampagne keinerlei Gewinnpotential für eine revolutionäre Perspektive, vor allem nicht, wenn sie sich auf das reine Generieren von Aufmerksamkeit reduziert. Diese Art von Kampagne reiht sich ein in die fehlende Betrachtung der eigenen Betroffenheit durch den kapitalistischen Verwertungsprozess, die letztlich nur dazu führt mit symbolischen Aktionen auf Irgendetwas aufmerksam zu machen, zu dem man nicht wirklich selbst Bezug hat. Wenn man das will, dann ist das auch in Ordnung. Dann braucht man sich aber nicht als „linksradikal“ labeln und muss sich gefallen lassen als NGO mit schwarzen Outdoor-Jacken betrachtet zu werden. Für diese Ideenlosigkeit hilft dann auch nicht eine aufgebügelte Social-Media Kampagne mit Logo und allem drum und dran8, die dann eher als die Xte neue Gruppe daherkommt, denn als Intervention in gesellschaftliche Spannungsverhältnisse.

 

 

 

Gesellschaftliche Spannungsverhältnisse wurden zum Teil ja erkannt und benannt, auch wenn sie zwischen dem sklavischen Herunterbeten von Hygienenotwendigkeiten – bloß ja nicht wie die „Schwurbler“ wirken – unterzugehen drohen. Neben dem wichtigen Aufzeigen der problematischen Zustände in den Medizineinrichtungen, lässt der Teil zur Gesundheit aber eine klaffende Lücke zu den nicht-organischen Folgen der Pandemie. Die psychische Belastung während der Pandemie ist ein Thema, was tatsächlich nur wenig thematisiert wurde – eine schmerzliche Lücke für eine „Medien-Kampagne“. Kapitalismus macht krank – ja. Aber noch viel mehr macht Kapitalismus den Kopf kaputt. Dass es in Österreich genügend Therapeut_innen gäbe, aber die bezahlten Kassenplätze nur unzureichend vorhanden sind ist ein Problem, dass in einer Aufzählung der Missstände nicht fehlen darf. Dass die psychischen Belastungen genau mit den „notwendigen“ Maßnahmen und dem „extremen Rückwurf ins Private“ einhergehen, lässt sich so gut verschweigen. Dass das Maßnahmenregime des Staats zwiespältig – gar schizophren – war, liegt auf der Hand. Ebenso die Beschränkungen der Testmöglichkeiten auf die verwaltbare Staatsbevölkerung, die mit ELGA und E-Card in Daten verwandelt wird. Dass eine aufklärerische, rationalistische und in den letzten 2 Jahren scheinbar zur Pandemieexpertin gewordene Linke von Notwendigkeiten spricht, ist dann schon sehr gruselig. Notwendigkeiten führen, als moralische Rechtfertigung – wie wir in der Pandemie gesehen haben – zu Pflichten und Zwang. Ob ich das jetzt unter dem Label des Staates oder des der „Solidarität“ laufen lasse, funktioniert mit einer antiautoritären Perspektive schlicht nicht. Mich währender einer durch den globalisierten Kapitalismus (dem einzigen Superspreader) hervorgerufenen Pandemie impfen und testen zu lassen, tue ich, weil ich es für mich sinnvoll finde und es töricht fände es nicht zu tun – aber nicht, weil es eine Notwendigkeit ist. Eine erleuchtete Linke, die im Namen der Rationalität einem Notwendigkeitsdiskurs aufsitzt, macht sich zu guter Letzt dem Gutheißen eines Zwanges schuldig. Differenziertere Positionen lassen sich durchaus finden – um es reduziert mit den Worten griechischer Anarchist_innen zu sagen: „Ja zum Impfen – Nein zur Pflicht“. In einer Zeit, in der wir einen nie gesehenen (versuchten) Eingriff und Zugriff des Staates auf den Körper des Individuums gesehen haben, muss die Wortwahl vorsichtig und bedacht gewählt werden – sonst verliert die eigene Position jeglichen Wert.

 

 

 

Die viel berufene Einheit von Theorie und Praxis hat eine Tendenz, in die Vorherrschaft von Praxis überzugehen. Manche Richtungen diffamieren Theorie selber als eine Form von Unterdrückung; wie wenn nicht Praxis mit jener weit unmittelbarer zusammenhinge. […] In der verabsolutierten Praxis reagiert man nur und darum falsch. Einen Ausweg könnte einzig Denken finden, und zwar eines, dem nicht vorgeschrieben wird, was herauskommen soll, wie so häufig in jenen Diskussionen, bei denen feststeht, wer recht behalten muss, und die deshalb nicht der Sache weiterhelfen, sondern unweigerlich in Taktik ausarten.9

 

 

 

Wir wollen Solidarität mit anderen im Kampf aufbauen, um gegenseitige Hilfe als einen Impuls für den Kampf zu erfahren. Weil es eine Frage der realen Notwendigkeit ist, es war schon immer, es war nie ein idealistischer Kreuzzug, revolutionäre Solidarität ist eine Notwendigkeit für diejenigen, die sich entscheiden, dieser Welt des Elends die Stirn zu bieten.10

 

 

 

Gerüchte besagen, dass es abseits von Marx-Lesekreisen und theoriefeindlichem Aktivismus eine ganze Welt von häretischen, aufstachelnden und rebellischen Gedanken gibt und sogar Theorie. In dieser Welt der befremdlichen Ideen geht es oft um den Begriff der Solidarität. Da sich die Kommunen-Gruppe die Solidarität auf die Fahnen – Pardon: natürlich Instagram-Posts – geschrieben hat und auch Regierungen von (nationaler) Solidarität sprechen, möchte ich dieser ein paar Zeilen widmen. Der schöne Begriff der Solidarität ist leider in den letzten Jahren seines Inhalts beraubt worden. Solidarität ist mehr als „eine symbolische Haltung, die der Kirche würdig ist, es aber erlaubt unser Gewissen zu beruhigen.11 Eigentlich bezeichnet Solidarität die „Verbindung mit Gleichgestellten12, denjenigen, die sich auf Augenhöhe begegnen, gemeinsame Haltungen teilen und letztlich auch gemeinsame Kämpfe führen. Es ist die direkte Unterstützung von Individuen und Kollektiven, die meine Analysen teilen und denen ich mich dadurch verbunden fühle – es ist aber keine einseitige Handlung, sondern basiert auf Gegenseitigkeit. Es ist daher auch eine Form der Gegenseitigen Hilfe. Ich handle also nicht aus einem moralischen Pflichtgefühl heraus, sondern aus einem gegenseitige Erkennen ineinander.

 

 

 

Das Problem, wenn ich alles als Solidarität label, ist, dass sie ihren Inhalt verliert. Genauso wenn ich in ihrem Namen zur Unterstützung von diffusen (gesellschaftlichen) Gruppen aufrufe, die ich nicht einmal klar benennen kann. Wer sind diese „vulnerablen Gruppen“ und wer ordnet die Individuen dieser Gruppe zu? Wenn ich „solidarisch“ mit diffusen Gruppen bin, mit denen ich keine gemeinsamen Kämpfe oder Betroffenheit teile und auch keinen Bezug habe, begebe ich mich auf das Feld der Charity - genau in dem Bereich der Wohlfahrtsspezialist_innen der Religion oder Sozialdemokratie. Dass diese keinen revolutionären Anspruch haben und auch kein Interesse daran das Bestehende zu überwinden, muss nicht ausgeführt werden. Letztlich reiht man sich mit dem „solidarischen“ Versuch „den Ausgebeuteten“ mehr Präsenz zu geben nur ein in die reformistische Agenda von Liberalen, die die Lösung der Probleme in Quoten und Beteiligung sehen. Es kann nicht darum gehen für Andere etwas mehr Krümel vom Brot zu fordern13, sondern es muss um die eigene Befreiung, den eigenen Kampf aus der eigenen Betroffenheit durch dieses Scheißssystem gehen. Wie und mit wem dieser zu führen ist, ist natürlich Allen selbst überlassen, er muss aber in der eigenen konkreten Lebenssituation eingebunden sein und kann nicht für „die Anderen“ oder durch „die Anderen“ geführt werden.

 

 

 

Wir Anarchist_innen sind gegen die Institutionen, denn sie sind die ideologischen Ursachen für die Ausbeutung, den Hunger, des Diebstahls mittels des Eigentum, der Lügen, der Degenerationen, der Repressionen und der Massaker an Tausenden von Menschen auf der ganzen Welt. Wir sind davon überzeugt (im Gegensatz zu jeder anderen Ideologie), dass die Gesellschaft, die menschliche Gemeinschaft, so organisiert werden kann, dass das Individuum allein die Freiheit der Selbstbestimmung hat, sich selbst zu regieren, alle seine Möglichkeiten zu entwickeln und zu bereichern, seinen eigenen existenziellen Weg zu wählen, mit der Sensibilität, die es auszeichnet. Dies ist die reine Essenz der Ideen, die vom revolutionären Standpunkt aus nicht in Frage gestellt werden können.14

 

 

 

Österreich ist eine Friedhofsgesellschaft, die nichts mehr liebt als ihre Ruhe. Die soziale Befriedung kann erschlagend wirken. Viele von uns blicken mit traurigen Auge auf die Konflikte in anderen Ländern oder entscheiden sich unsere Region zu verlassen. Da ich davon überzeugt bin, dass es in jeder (kapitalistischen) Gesellschaft Spannungsverhältnisse gibt, möchte ich noch kurz auf zwei Aspekte der eigenen Verortung eingehen, die die sich immer wiederholende Selbstreferenz aufbrechen könnten. Beide Vorschläge beinhalten das Verlassen der bequemen Szenekontexte und Konfrontationen auf unterschiedlichen Ebenen. Es geht hier nicht um die 200 Jahre alte, langweilige und im Kern auch autoritäre Idee die Arbeitenden bilden und erziehen zu müssen. Das ist insofern bedeutend, da diese „Kampagne“ durch die Inhaltslosigkeit, den Reduktionismus und letztlich auch den inhärenten Bezug auf den Staat bereits zum Scheitern verurteilt ist. Es ist fraglich, ob ein autonomes, antiautoritäres Projekt sich auf die Ebene des „Marktplatzes der Ideen“ begeben muss und kann. Das heißt die Frage zu stellen, ob es wirklich darum geht die Bevölkerung von den eigenen Ideen zu überzeugen, durch bessere Verkaufsstrategien oder was auch immer und ob es in diesem Wettstreit der Ideen überhaupt einen „fairen“ Wettstreit gibt – in Anbetracht der staatlichen Propaganda und den einfachen Antworten der Rechten eher fraglich.

 

 

 

In meinen Augen muss es eher darum gehen einen lebbaren Anarchismus zu praktizieren. Das heißt die Selbstorganisierung und -ermächtigung der Menschen in den Fokus zu rücken. Es gab ja zu Beginn der Pandemie zaghafte Versuche Nachbarschaftsnetzwerke zur gegenseitigen Hilfe aufzubauen, die leider auch wieder im Sand verliefen. Es ist ein generelles Manko antiautoritärer Kräfte, dass sie nicht fähig zu sein scheinen in Krisensituationen, wenn sich der Griff des Staates etwas lockert, weil er kurz das Gleichgewicht verloren hat – einzugreifen und mit radikalen Ideen präsent zu sein. Netzwerke der gegenseitigen Hilfe hören sich trivial an, können aber für, in der Nachbarschaft verankerten, regionale Gruppen eine Möglichkeit der Vernetzung und Agitation sein. Dem liegt aber die generelle Abgekoppeltheit der Aktivist_innen zu wider. Die eigene Umgebung wird nicht als Aktivitätsfeld gesehen und die eigene Verankerung in dieser Gegend ist nicht wichtig, da man ja sowieso seine Szenenetzwerke hat und in seinem Grätzel nur wohnt oder maximal ein Bier im Beisl trinkt. Das ist aber ein generelles Problem, das nicht durch eine verspätete Kampagne gelöst werden kann, sondern mit der eigenen Verortung in Szenekontexten und der Abkoppelung der eigenen politischen Praxis von der eigenen Lebensrealität bzw. Betroffenheit zu tun hat. Es geht dabei nicht primär darum das Grätzel zu organisieren und zu agitieren (wobei letzteres ein netter Nebenaspekt sein kann), sondern um die Schaffung von solidarischen Bedürfnissgemeinschaften. Das Ziel muss sein eine dauerhafte sozial-emotionale und ökonomische Beziehung zueinander aufzubauen, in welchen die Beteiligten als Individuen mit all ihren Stärken, Schwächen, Ängsten, Bedürfnissen und Hoffnungen sowie der individuellen Verstrickung in Herrschaftsverhältnisse sichtbar werden. Das ist viel Arbeit, welche nicht für spektakuläre Aktionen zur Verfügung steht. Dennoch können so Beziehungen entstehen, welche Menschen in einer kollektiven, bewussten und politisierten Form die sozial-emotionale Sicherheit, Fähigkeiten und auch materielle Ressourcen und konkrete Solidarität geben können um ihren ganz spezifischen Alltag in herrschaftsförmigen Verhältnissen zu bestreiten, sich gegen diese aus ihrer individuellen Position heraus zur Wehr zu setzen und in gewissen Maße auch innerhalb dieser Gruppen Beziehungen zu politisieren und vorwegzunehmen, welche eher an die Ansprüchen an eine befreite Gesellschaft heranreichen.“15

 

 

 

Die Revolte braucht alles, Zeitschriften und Bücher, Waffen und Sprengsätze, Überlegung und Blasphemie, Gifte, Dolche und Brandstiftungen. Die einzige interessante Frage ist, wie sie kombinieren?16

 

 

 

Auch wenn ich als antiautoritäre Person das Primat meiner eigenen revolutionären Perspektive bin, heißt das nicht, dass ich mich nicht auf die mich umgebenden gesellschaftlichen Verhältnisse beziehe. Es muss immer auch um die Verbreitung und Ausweitung antiautoritärer Haltung und Praxis gehen. Die letzten Jahre kam in Wien vermehrt der Versuch auf „gemeinsam“ Handlungsfähigkeit zu gewinnen. Das sind wichtige Versuche, nur beginnen sie vom falschen Punkt. Handlungsfähigkeit beginnt nicht durch das Kollektiv, sondern durch das Individuum. Wenn Rebell_innen nicht fähig sind selbst bzw. in ihren Affinitätsbeziehungen zu agieren, führt der kollektive Versuch zu einer Deskillung, arbeitet also gegen die Selbstorganisation. Es wird die Verantwortung an die größere Gruppe oder die Expert_innen innerhalb der Gruppe abgegeben, wodurch sich offenkundige Hierarchien bilden. Dem gegenüber steht die Organisierung in „kleinen, selbstständigen und namenlosen Grüppchen17, die eigene Akzente setzten können. Aus diesen Zusammenhängen lassen sich eigene Interventionen zu eigenen Themen (z.B. Knastneubau) oder in soziale Kämpfe (z.B. wilde Streiks) beginnen. Gleichzeitig braucht es auch öffentlich auftretende Strukturen und Gruppen als Anlaufstelle, Referenzpunkte und Vernetzungsorte. Formalisierte Gruppen können aber nur ein Mittel unter vielen sein und niemals der reine Zweck. Die inhärente Hierachisierungstendenzen innerhalb von Gruppen sind ein weiters Problem für antiautoritäre Versuche, denn „große Organisationsstrukturen bergen immer auch das Risiko der Trägheit und Unbeweglichkeit und damit die Tendenz wichtige Entscheidungen an Führungspersonen abzugeben.“18

 

 

 

 

 

Wenn wir keine radikalen Ideen formulieren und entsprechend handeln bleibt es eine Szene.

 

 

 

En Marche!

 

1Soligruppe für Gefangene: Zero-Covid ist eine Nullnummer und über das Sein oder Nichtsein der sozialen Revolution

 

2Il Pugnale: Zehn Dolchstiche gegen die Politik

 

3Teile der Texte finden sich auf Deutsch in der Broschüre „Routine und Langeweile – Textsammlung zur Rolle des Aktivismus und deren Kritik“

 

4Nehm ich jetzt einfach mal an, sonst würde eine tatsächliche Besetzung doch viel sinnvoller sein - so eine ganze ohne Mediengeilheit aber dafür mit Wohnraum, Grätzl-Verbindungen und Perspektive.

 

5Anonym: Von (linken) Gemütlichkeiten und anderen Wegen

 

6Aber auch, wie kräftezehrend es ist.

 

7Machete: An wen richten wir uns?

 

8Bitte auch die Pressesprecher_innen nicht vergessen!

 

9T.W. Adorno: Resignation

 

10Anonym: Maschinerie der Wohltätigkeit oder revolutionäre Solidarität?

 

11Daniela Carmignani: Einleitung. In: Revolutionäre Solidarität – Schriften für den sozialen Krieg

 

12Anonym: Maschinerie der Wohltätigkeit oder revolutionäre Solidarität?

 

13Konkrete Reformen bedeuten natürlich eine Verbesserung der Lebensverhältnisse – ergeben sich aber eher aus dem Versuch des Staates Kämpfe zu befrieden.

 

14Claudio Lavazza und Giovanni Barcia: Kritik und Analyse des Anarchismus heute.

 

15Rascal: Die politischen Gruppen sind nicht die Lösung, sie sind das Problem! - Ein Plädoyer gegen politische Gruppen und für eine Organisierung und Politik mit Bezug zu Alltag, Betroffenheit und Bedürfnissen.

 

16Anonym: In offener Feindschaft mit dem Bestehenden, seinen Verteidigern und seinen falschen Kritikern

 

17Aufruhr: Über die Frage der Organisation

 

18Revolte: Die subversive Kleingruppe - Einführung in eine antiautoritäre Methode

 

 

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