Nur die Gewalt der Polizei trübt das positive Fazit
Am Sonntag, dem 23.1.22 waren insgesamt etwa 1500 Menschen in Herrenberg auf der Straße, um gegen eine AfD Kundgebung zu demonstrieren. Dazu aufgerufen hatte die VVN-BdA Stuttgart, die Gruppe ArbeiterInnenmacht,die Seebrücke Kreis Böblingen, Ende Gelände Tübingen,das Wombat-Bündnis: Solidarität statt Autorität, die Antifa Calw, die Antifaschistische Aktion Herrenberg, Aufstehen gegen Rassismus Stuttgart,Widersta_NT aus Nürtingen,ROSA Reutlingen und die Fantifa Herrenberg.
Dem Aufruf folgten insgesamt gut 500 Antifaschist*innen aus so gut wie allen linken Zusammenhängen der Region. An einer Menschenkette, die von dem bürgerlich geprägten Bündnis Herrenberg bleibt bunt organisiert wurde, beteiligten sich außerdem gut 1000 Menschen. Der AfD gelang es, um die 300 ihrer Anhänger nach Herrenberg zu mobilisieren, darunter bekannte Rechte wie den ehemaligen Landesvorsitzenden der NPD Janus Nowak und den deutschlandweit agierenden und eng mit der rechten Szene vernetzten Impfgegner Hans Tolzin (Fotos auf dem Insta Kanal @antifa_herrenberg).
Geschützt wurden Weidel und Co dabei von einem martialisch anmutenden Aufgebot der Staatsmacht, die sich an allen Ecken und Enden der Stadt positionierte, darunter auch BFE Einheiten aus Göppingen.
Unsere Kundgebung vor der Alten Turnhalle, direkt gegenüber der AfD Veranstaltung und in Hör- und Sichtweite zu dieser, begann mit einer Rede der AfA Herrenberg. Im weiteren Verlauf sprachen die Gruppen Wombat-Bündnis: Solidarität statt Autorität und die Gruppe ArbeiterInnenmacht. Eine Rede der Alboffensive wurde stellvertretend vorgetragen. Alle Beiträge hängen wir unten an und können auf Indymedia.org.... nachgelesen werden.
Im Verlauf der Kundgebung stießen vom Bahnhof kommend zwei große Demozüge mit jeweils um die 70 Antifaschist*innen zur Kundgebung.
Dabei muss erwähnt werden, dass die Menschen, die aus Richtung Tübingen/Reutlingen mit dem Zug anreisten von der Polizei massiv behindert wurden. Nach unseren Informationen hat die Staatsgewalt Menschen, die für sie offensichtlich links aussahen, aus dem Zug geworfen und kurzzeitig an der Weiterfahrt gehindert.
Die erste vom Bahnhof kommende Gruppe verteilte sich auf unserer Kundgebung und störte mit Parolen und Lärm die AfD Veranstaltung. Die zweite Gruppe versuchte eine Zufahrtsstraße zur AfD zu blockieren, was ihr auch kurzzeitig gelang.
Dann wurde es turbulent. Ein Teil der Blockade wurde von der Staatsgewalt eingekesselt und bis zum Ende unserer Kundgebung festgesetzt. Eine andere Gruppe von Riot Cops angegriffen und zu Boden getreten. An anderer Stelle fuhr die Polizei mit einem Auto in Demoteilnehmer*innen, wodurch betroffene junge Menschen einen Schock erlitten und leicht verletzt wurden. Eine (antifaschistisch aktive) an der Gegendemo teilnehmende Person wurde mit einem Knüppel bewusstlos geschlagen und schwer verletzt. Demosanitäter der Sanitätsgruppe Süd-West konnten die Verletzen bis auf die schwerverletzte Person, die im Krankenhaus behandelt werden musste,vor Ort versorgen. (Vielen Dank an dieser Stelle für euren Einsatz!)
Zum Abschluss des Tages formierte sich, wie es in Herrenberg mittlerweile gute Tradition ist, eine Demonstration, an der sich rund 200 Personen beteiligten. Die übermäßig große Polizeipräsenz verhinderte diesmal ein gehen auf der Straße. Die schiere Größe der Demonstration setze dennoch ein starkes Zeichen gegen Faschismus und für eine solidarische Gesellschaft.
Heute titelt die Kreiszeitung Böblingen: „Nur die Gewalt der Antifa trübt das positive Fazit". Auch im Gäubote, dem SWR und den Stuttgarter Nachrichten war Antifas die Rede, die tätlich die Polizei angegriffen hätten. Im Polizeibericht steht das auch, aber dort wird zusätzlich erwähnt, dass keine Polizisten verletzungen davon trugen. Angesichts der Verletzen Antifaschist*innen über, die in den genannten Medien keine Erwähnung finden, sollte die Schlagzeile ehrlicherweise lauten: "Nur die Gewalt der Polizei trübt das positive Fazit". Den ein positives Fazit können wir durchaus ziehen. Es ist uns gelungen, die Veranstaltung der AfD massiv zu stören. Die verschiedenen Protestformen haben sich gut ergänzt und für alle die Möglichkeit geschaffen sich auf ihre Weise gegen die Rechten zu positionieren. Die Masse an Menschen war überwältigend und für alle die dabei waren empowernd. Zeitweise herrschte eine Stimmung wie auf einem Festival gegen Rechts, dann wieder verbreitete sich unter vielen Teilnehmenden Wut gegen das Vorgehen der Polizei und den Auftritten der AfD. Zwei Stimmungen, die uns stärken und zuversichtlich in die Zukunft blicken lassen. Denn wir haben wieder einmal gespürt, dass wir gemeinsam viel erreichen können. In Herrenberg und überall, heute und morgen, mit Herz und Verstand!
Alle Reden:
***Wombat Bündnis*"
Rede Herrenberg – Gegen die AfD für eine soziale Alternative
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter für ein diskriminierungsfreies Zusammenleben
Ich stehe hier heute für das Wombats-Bündnis aus Tübingen. Wir setzen uns für ein soziales und soziales Krisenmanagement ein.
Zuallererst möchte ich mich für die Einladung hier zu sprechen bedanken. Manchmal wird man heutzutage ja auch in Linken-Kreisen schräg angeschaut, wenn man die Stimme gegen von der Regierung beschlossene Maßnahmen erhebt.
Dabei gibt es regelmäßig Beschlüsse, die unsere Kritik verdienen – ohne dabei auf ein naives Leugnen des gefährlichen Virus oder antisemitische Verschwörungstheorien zurückgreifen zu müssen.
Und genau deshalb sind wir hier richtig. Die Schwurbler*innen und Peudo-Vitalitäts-überzeugten behaupten, wir seien „Schlafschafe“ weil wir
Zahlen in Relationen setzen können und wissen wie Impfungen uns vor weit schlimmerem schützen können.
Sie denken tatsächlich sie seien revolutionär, wenn sie der Propaganda aus dummen Sprüchen und Werbung für Spaziergänge mit Nazis folgen.
Wirklich revolutionär wäre es gewesen, wenn wir es geschafft hätten unsere Politiker*innen dazu zu bewegen, die Patente für die Impfstoffe freizugeben sodass die Produktion auf allen Kontinenten hätte anlaufen können, sodass alle schnell Zugang gehabt hätten – auch wenn unser neuer Stern >Biontech< auf ein paar Millionen oder Milliarden hätte verzichten müssen.
Dann hätte es jetzt vielleicht kein Omikron gegeben, vielleicht auch schon kein Delta.
Denn die ganze Geschichte hat sich im Sand verlaufen. Die Länder im globalen Norden – wo sich seit Jahrhunderten die Kapitalanhäufung aus der Ausbeutung anderer Regionen zentralisiert, haben sich wieder durchgesetzt.
Imfdosen kommen erst im globalen Süden an, wenn sie hier unverimpft fast abgelaufen sind, und können dort wegen fehlender Infrastruktur nicht mehr rechtzeitig verimpft werden.
Die Gewinne bleiben bei uns und die Impfdosen auch erstmal. Europa wie die USA sicherten sich direkt ein vielfaches der für ihre Bevölkerung benötigten Impfdosen.
Derweil sind auf dem afrikanischen Kontinent immer noch nur 7% der Menschen geimpft.
Und die Menschen dort bekommen kein Kurzarbeitergeld, wenn sie nicht zur Arbeit können, oft haben sie keinen Zugang zur notwendige Intensivbetreuung.
Und das kommt auf uns zurück, wenn sich in der dortigen, ungeschützten Bevölkerung gegen Impfungen resistente Virusvarianten entwickeln.
Und genau das ist nun mit Omikron geschehen.
Würden die Schwätzer*innen von der AfD sich wirklich so für „ihr Staatsvolk“ interessieren hätten sie sich für so etwas eingesetzt. Aber in deren sozialdarwinistischen Weltsicht geht es gar nicht darum Leben zu schützen.
Nein, um das eigene Image der „Protestpartei“ zu erhalten verschweigt man teilweise sogar die Todesursache eigener Politiker wenn sie an Corona sterben – wie zuletzt bei dem badenwürtembergischen Landtagsabgeordneten Bernd Grimmer geschehen. Auch er war mit 71 Jahren ungeimpft.
Die AfD schert sich auch nicht um unsere Freiheit.
Was ist es für eine Einschränkung beim Einkaufen eine halbe Stunde eine Maske zu tragen?
Hätten wir, wie in der ZeroCovid Kampagne gefordert, zu Stoßzeiten für wenige Wochen einen harten Lockdown durchgezogen, inklusive der Schließung aller nichtessentieller Produktion, hätten wir wohl alle weit mehr Freiheiten gehabt in den letzten zwei Jahren.
So legen es jedenfalls Statistiken aus Ländern wie Neuseeland nahe.
Aber wo sich die damals regierende CDU und auch die SPD nicht trauten, auch mal die Unternehmen und ihre reichen Aktionäre in die Verantwortung zu nehmen, da forderte die AfD auch nur noch mehr Freiheiten zu wirtschaftenund arbeiten zu lassen – als gäbe es keine Risikogruppe.
Doch auch wir als Bewegung müssen uns an der Nase packen. Die rechten Schwurbler konnten während der Pandemie Massen mobilisieren und sich als Verteidiger der Freiheit und beispielsweise der Selbstständigen inszenieren.
Wir haben sicher alle oft die Nerven verloren, wenn der Nachbar oder die Bekannte aus Kritik an Big Pharma oder den immensen Rettungspaketen für irgendwelche Unternehmen die große Lüge oder Verschwörung herbei faselten.
Wir von Wombats glauben es ist wichtig diese Leute abzuholen. Zu zeigen,wir schauen „den da oben“ wirklich auf die Finger und übernehmen nicht nur die Meinungen der SpitzenPolitiker.
Denn das kapitalistische Krisenmanagement, wo nun mit Karl Lauterbach einer der Verantwortlichen für die Schließung tausender Kliniken im Chefsessel sitzt, hat oft genug gezeigt, dass ihnen Profite wichtiger sind als ein wirklich effektives Beenden der Pandemie.
- Sei dies das skandalöse Horten von Impfstoffen, sei das der Maskenskandal oder die lächerliche materielle Würdigung der Kraftakte der Pflegekräfte - und überhauptder Erhalt dieses kaputt-rationalisierten Gesundheitssystems.
Für all sowas hat die AfD keine Lösungen.Denn die AfD hat keine Lösungen für keine unserer gesellschaftlichen Probleme.
Sie propagiert einen entfesselten Turbokapitalismus von dem nur die Reichsten profitieren. Die Bedürfnisse der Schutzbedürftigen, sei es weil sie vor Krieg oder den Folgen des Klimawandels flüchten oder weil sie einer Risikogruppe angehören,werden einfach ignoriert.
Dafür brauchen wir keine Politik. Das können die Lobbyisten der CDU auch allein.Die Alternative für Deutschland bietet keine Alternativen. Und auch keine Lösungen.
Danke sehr.
***Rede ArbeiterInnenmacht**"
Rede zum AfD-Gegenprotest in Herrenberg der Gruppe ArbeiterInnenmacht
Die Infektionszahlen schießen in diesen Tagen in die Höhe, und scheinbar geht auch einigen Leuten dabei im Kopf die Sicherung durch. Zu der Omikron-Welle kommt jetzt zu allem Unglück noch eine Spaziergangswelle von Verwirrten, die mit hohlen Freiheitsphrasen um sich schmeißen.
Für diese Leute ist die Verweigerung des Maskentragens der letzte Hort der Freiheit. Sie halten sich nicht an den Infektionsschutz und denken, das sei ein Widerstandsakt. Die AfD fühlt sich berufen, diesen Spinnern eine Stimme zu geben.
Die AfD fordert Freiheit für das egoistische Individuum. Die ganz reale Unfreiheit – der Lohnabhängigen, von rassistisch Unterdrückten, von Frauen oder LGBTQ-Personen – verteidigt sie als Gesetz der Natur.
Wir wollen diesen reaktionären Haufen nicht mehr sehen!
Der gemeinsame Nenner der sogenannten SpaziergängerInnen ist Wissenschaftsleugnung und Ablehnung des Infektionsschutzes. Asoziales und gemeingefährliches Verhalten wird zur Protestkultur einer Bewegung der vermeintlich Fitten, die denken, Corona könne ihnen nichts anhaben.
Woher kommt dieser absurde Möchtegernprotest?
Den Nährboden für diese reaktionäre Bewegung haben die Regierungen mit ihrer gescheiterten Pandemiepolitik selbst gelegt. Deren Ziel war nie der Schutz von Leben und Gesundheit, sondern die kapitalistische Profitmaschine am Laufen zu halten. Es gilt als Erfolg, dass schwerkranke PatientInnen einen Beatmungsplatz bekommen – dass sie an einer vermeidbaren schweren Krankheit leiden, wird als unvermeidbarer Kollateralschaden verbucht, damit die die kapitalistische Wirtschaft weiterlaufen kann.
Das ist menschenverachtende Politik im Interesse des Kapitals!
Letzten Sommer wurde das baldige Ende der Pandemie angekündigt und es wurden daher auch keine Vorbereitungen für die vierte Welle getroffen. Mittlerweile ist das faktische Ziel der Bundesregierung die Durchseuchung der gesamten Bevölkerung. Karl Lauterbach rechnet selbst mit mehreren hunderttausend Neuinfektionen pro Tag und rechnet das vor, als wäre es die Wettervorhersage!
Die Regierung versucht die Durchseuchungspolitik zu verschleiern und stellt sie so dar, als sei sie im Einklang mit der Wissenschaft. Das ist sie natürlich nicht. ExpertInnen warnen davor, Ungeimpfte egal welchen Alters einer Infektion mit der Omikron-Variante auszusetzen. Auch zweifach Geimpfte haben ein Erkrankungsrisiko. Solange die Hälfte der Bevölkerung keine dritte Impfung erhalten hat und sogar 3 Millionen über-60-Jährige ungeimpft sind, ist das Laufenlassen der Pandemie zynisch. Diese Politik nimmt den Tod von Tausenden in Kauf und Long Covid für Millionen, und sie macht die Entstehung neuer Virusvarianten wahrscheinlich.
Dabei gäbe es eine Alternative: Konsequenter Infektionsschutz, der keine Rücksicht auf Profitinteressen nimmt, Aussetzung von Tätigkeiten mit hohem Infektionsrisiko, systematische Umsetzung, Kontrolle und Verbesserung der Maßnahmen in allen Betrieben, Schulen und Unis.
Einen solidarischen Umgang mit der Pandemie müssen wir erkämpfen – gegen Regierung und Kapital!
Die Politik hat die Gefahr durch Corona systematisch verharmlost und die Verantwortung für den Gesundheitsschutz dem Individuum übertragen. Die Rechten denken diese Politik konsequent zu Ende, und verbinden sie mit Verschwörungstheorien und Wissenschaftsleugnung.
Diesen Verschwörungsglauben können wir nicht mit Aufklärung besiegen.
Wir müssen den Rechten die Straße nehmen!
Wir müssen ihnen aber auch eine progressive Antwort auf Pandemie und Krise entgegensetzen, damit klar wird, wie systemkonform ihr lächerlicher Protest eigentlich ist!
Das heißt, wir müssen den Kampf gegen Rechts verbinden mit dem Kampf für eine solidarische Pandemiebekämpfung, gegen Entlassungen, für mehr Personal in den Krankenhäusern, für mehr Gehalt für PflegerInnen!
Gegen den rechten Spuk hilft nur die Mobilisierung der organisierten ArbeiterInnenklasse, die für eine rationale Lösung der Pandemie kämpft – also mit antikapitalistischer Politik gegen die Auswüchse kapitalistischer Krise und Pandemiepolitik!
***Rede Alboffensive***
Mehr linke Landarbeit wagen!
Dieser Beitrag kommt von der „Alboffensive“, einer kleinen antifaschistischen Organisation, die im Zollernalbkreis aktiv ist. Uns ist es ein Anliegen andere kleine Gruppen in ihrem Widerstand, zum Beispiel gegen die AfD, zu unterstützen. Da wir seit 2008 im ländlichen Kreis politisch aktiv sind, wollen wir kurz für mehr linke Landarbeit werben.
Wir vermuten dass die Ausrichter dieses Protests gegen die AfD mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben wie wir im Folgenden ansprechen.
Stadt, Land, alles ist im Fluss
Die außerparlamentarische Linke vernachlässigt leider häufig den ländlichen Raum bzw. die Kleinstädte. Man konzentriert sich auf Universitätsstädte und liberale Großstädte wie Berlin, Frankfurt oder Leipzig.
Dabei kommen viele Linke selber aus kleinen Orten, die sie oft als „Käffer“ bezeichnen, bevor sie in die „große Stadt“ gezogen sind. Auch aus real gemachten schlechten Erfahrungen trifft man bei vielen Linken häufig auf eine grundsätzliche Verdammung des ländlichen Raums. Im Gegensatz dazu idealisieren Konservative und Rechte ihn.
Es ist nachvollziehbar dass viele junge lebens-begierige Menschen der Tristesse und engen sozialen Kontrolle der Provinz in die Stadt entfliehen. Sobald man einen Abschluss hat und einen Führerschein hat, ist man weg. Links oder feministisch eingestellte Personen haben noch einmal verstärkte Motive in größere Städte zu ziehen, genauso wie Personen die nicht heterosexuell begehren und lieben oder die trans* sind.
Diese nachvollziehbaren Punkte für die Entscheidung wegzuziehen, können aber nicht der Grund sein den ländlichen Raum in Analyse und Engagement generell zu vernachlässigen.
Es bleiben ohnehin auch immer Menschen in der Provinz, die hier für die 'gute Sache' kämpfen. Diese sollten nicht alleine gelassen werden.
Mehr Differenzierung
Der Stadt-Land-Unterschied ist enorm wichtig in der politischen Analyse und Arbeit. Wir wünschen uns deshalb mehr Aufmerksamkeit für den ländlichen Raum.
Das Bild von Provinz und Land im Kontrast zur Metropole ist sehr klischee-behaftet. Die Realität sieht aber anders aus als ein „Landlust“-Cover. Deswegen muss hier mehr differenziert werden. Die linke Grundannahme lautet meist, dass der ländliche Raum weniger divers und stärker konservativ ist. Der ländliche Raum stelle damit eine gute Anbaufläche für rechte Wahlerfolge dar. Doch ganz so einfach ist es nicht. In Baden-Württemberg zeigen die Beispiele der AfD-Wahlhochburgen Heilbronn, Mannheim oder Pforzheim dass es auch Ausnahmen von dieser Regel gibt.
Es gibt weder 'die' Stadt noch 'den' ländlichen Raum, sondern verschiedene Ausformungen davon. Hinterland ist nicht gleich Hinterland. Beispielsweise liegen zwischen der brandenburgischen Uckermark und dem schwäbischen Zollernalbkreis nicht nur hunderte Kilometer sondern auch halbe Welten. Auch was die Zusammensetzung der Bevölkerung angeht. Der Zollernalbkreis hat einen deutliche wahrnehmbaren Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund, während dieser in der Uckermark weitgehend fehlt.
Arbeitslosigkeit, Demografie, politische Vorherrschaften oder konfessionelle Bindungen sind wichtige Faktoren, die in einer Analyse berücksichtigt werden müssen. Ebenso wie Grenznähe oder Verkehrsanbindung.
Wenig beachtet ist auch, das einige ländliche Regionen einen besonderen Charakter aufweisen. So gibt es etwa im niedersächsischen Wendland eine jahrzehntelange Protestkultur mit hoher Akzeptanz in der Bevölkerung.
Allerhand Probleme
Bei aller notwendiger Differenzierung, gibt es doch Eigenschaften, die häufiger - aber nicht zwingend - im ländlichen Raum zu finden sind, als in der Metropole:
* In ländlichen Räumen sind konservative Präge- und Beharrkräfte meist stärker als in den Städten. Diese Prägekräfte sind überaus wirkmächtig und funktionieren auch generationsübergreifend.
Die Pluralisisierung und Modernisierung der Gesellschaft ist in den westdeutschen Städten zumeist deutlich weiter vorangeschritten als in der Provinz oder in Ostdeutschland.
* Obwohl es auch in den Metropolen beachtet werden sollte, muss daher in der Provinz noch mehr auf die Vermittelbarkeit geachtet werden. Von der Kenntnis postkolonialer, feministischer oder antirassistischer Diskurse kann hier noch weniger automatisch ausgegangen werden. Wird das nicht beachtet, kommt es schnell zu einer Art von Kulturkonflikt zwischen akademisch geprägter Linker und nichtakademischer Provinzbevölkerung.
* Eine konservative Hegemonie führt zu einem erhöhten sozialen Druck auf Linke, der sich bis zur soziale Ächtung steigern kann. Da werden dann aus antifaschistisch Engagierten schnell „Nestbeschmutzer“ und im schlimmsten Fall folgt darauf eine Isolation und die Flucht aus dem Ort.
* Eine tendenziell rechte Hegemonie ist auch häufiger unter Jugendlichen zu finden. Besonders auf dem Land existiert unter manchen Jugendlichen eine rechts-offene Jugendkultur. Hier wird in den Bauwägen „Frei.Wild“ gehört und in der Dorfkneipe die Onkelz-Nacht besucht. Die politische Ausrichtung ist eher diffus und im eigenen Verständnis unpolitisch. Doch bieten ein bürgerlicher Arbeitsethos, traditionelle Geschlechterrollenbilder und ein familiär vermittelter Nationalismus, Rassismus und Homophobie Einfallstore für die organisierte extreme Rechte.
* Ländliche Räume haben allgemein mit Strukturverarmung und Strukturmängeln zu kämpfen. Daraus resultiert z.B. eine schwierige Verkehrsanbindung. Das wiederum führt zu einer stärkeren Abhängigkeit von privaten Fahrzeugen und erhöhten Kosten. Ohne Führerschein und Fahrzeug ist in einigen Teilen der Provinz ein Fortkommen kaum möglich.
* Linke Organisierungen und Projekte im ländlichen Raum haben zudem seit Jahrzehnten mit einer Art 'brain drain' von der Provinz in die Metropolen oder wenigstens in die nächstgrößere Universitätsstadt zu kämpfen.
Immerhin gibt es auch eine gegenläufige Tendenz, nämlich Metropol-Linke, die aufs Land ziehen. Nicht selten in Verbindung mit eigenen Projekten, besonders Landkommunen.
… und Chancen
Genauso wie die Städte ist auch der ländliche Raum zuallererst einmal ein Gestaltungsraum mit sehr unterschiedlichen Bedingungen.
Es existieren durchaus Vorteile von linker Politik in der Provinz wie die schnelle Wahrnehmung, günstige Immobilien und kurze Wege innerhalb der Zivilgesellschaft und die Unmittelbarkeit in kleineren Orten.
Linke Schwerpunkte im ländlichen Raum sind oft Landkommunen oder kleinere selbstverwaltete Projekte.
Auch geschichtspolitische Interventionen sind ein linkes Themenfeld in der Provinz. Das riesige NS-Lagersystem hat an fast jedem Ort für einen Tatort gesorgt, von dem auch Spuren materieller Art oder im Gedächtnis zurückblieben sind. Standorte ehemaliger NS-Lager befanden sich auch in der Provinz. In Westdeutschland begannen ab den 1980er Jahren häufig Linke die Erinnerungs- und Gedenkarbeit zu etablieren, in Ostdeutschland beginnt diese nichtstaatliche Form des Aufarbeitens erst jetzt. So sind sind heutige Gedenkstätten in der Provinz nicht selten das Ergebnis harter Kämpfe weniger gegen die Erinnerungsabwehr der Bevölkerungsmehrheit.
Andere linke Polit-Themen wie z.B. Gentrifizierung spielen kaum eine Rolle. Dabei könnten hier Großstadt-Themen durchaus angepasst werden. Aus 'Recht auf Stadt' würde dann beispielsweise 'Recht auf Kleinstadt'.
Dann ist da noch das Thema Antifaschismus. Ohne aktive Provinz-Antifas wird der ländliche Raum schnell zum ungestörten Rückzugs- und Ruheraum schnell für extreme Rechte. Hier können sie ungestört agieren, sich verankern und sich so eine Basis und ein ruhiges Hinterland schaffen. Das ist in zahlreichen ostdeutschen Kommunen bereits geschehen.
In den letzten Jahren entstand mit der AfD ein neuer Akteur. Trotz ihres extrem rechten Charakters erfährt diese Partei weitaus mehr Akzeptanz als die neonazistische NPD. Das gilt auch für westdeutsche Kommunen. Bisher ist die Partei noch zu zerstritten, um sich flächendeckend in der Provinz erfolgreich zu verankern und zu verwurzeln. Die fortschreitende Gründung von Kreis- und Ortsverbänden, die Wahl in die Kommunalparlamente, sowie die Eröffnung von Bürgerbüros, sorgen aber für eine zunehmende Verankerung und Akzeptanz.
Dieser muss entgegen getreten werden!
Fazit: Holen wir uns die Provinz zurück!
Eine linke Politik in der Provinz bietet sowohl Schwierigkeiten als auch Chancen. Sie muss aber geleistet werden. Es kann und wird sowieso nicht jede/r in die Groß- oder Universitätsstadt ziehen und nur dort Politik machen. Wer einen echten und tiefgreifenden Wandel der Gesellschaft anstrebt, die/der kann die Provinz nicht außen vor lassen. Eine andere, bessere Gesellschaft ist aber in Anbetracht der derzeitigen Lage eine ziemlich utopische Zukunftsmusik. Zurzeit geht es vielmehr um Abwehrkämpfe als um große Schritte nach vorn. So verständlich die 'Flucht' aus der Provinz auch sein mag, es bleiben immer auch Linke da bzw. zurück und versuchen hier weiter unter den erschwerten Bedingungen politisch zu arbeiten und Wirkung zu entfalten. Diese müssen unterstützt werden – langfristig und nachhaltig. Eine Verwurzelung kann u.a. über die soziale Einbindung und Akzeptanz durchaus gelingen.
Holen wir uns die Provinz zurück!
***Rede AfA Herrenberg***
Liebe Genoss*innen, liebe Passant*innen, Es ist immer noch Corona, wir sind alle genervt. Viele fragwürdige Entscheidungen wurden getroffen und immernoch haben wir damit zu tun. Während die AFD hier heute über Impfpflicht oder nicht, Über Normalität und Notstand sprechen möchte, möchte ich mich heute einigen anderen Punkten widmen, die uns noch immer in dieser pandemischen Notlage halten.Die neue Omikron Variante konnte sich nur entwickeln, da viele Länder mit geringen Einkommen kaum für den Impfstoff bzw die Impfstoffpatente aufkommen können. Hier in Deutschland wurden mehr als dreimal so viele Boosterimpfungen verabreicht (33,8%) wie in den Low-Income Ländern Erstimpfungen (8,87%). Um einen global agierendem Virus Einhalt zu bieten braucht es auch globale Aktionen - Zum Beispiel sollten die Impfstoffpatente endlich aufgehoben werden! So könnte das Risiko für weitere Virusmutationen erheblich gesenkt werden, und das erreichen eines sogennanten "Normalzustandes" wäre greifbarer. Das egoistische Denken, das in vielen anderen Fragen sich häufig auch bei der AFD findet, man müsse zuerst nach der eigenen Nation schauen, wird uns nicht global aus der Krise holen. Der neue Gesundheitsminister, Karl Lauterbach, lässt uns an dieser Stelle jedoch nur wenig Hoffnung. Er stimmte im letzten Frühjahr gegen die Freigabe der Impfstoffpatente. Denn ihm ist, so wie den meisten Akteuren der kapitalischtischen Gesellschaft, der Profit der Pharmaunternehmen wichtiger als Menschenleben und eine weltweit Effektive Pandemiebekämpfung.Ein weiterer Punkt, der in all den Debatten rund um Corona immer wieder fehlt: warum sind die Krankenhauskapazitäten zu gering? Warum sind die Pflegekräfte am Ende? Warum sind die Arbeitsbedingungen in den neuerdings sogenannten "Systemrelevanten" Berufen so, dass immer mehr Leute diesen Berufen den Rücken kehren?Die wirtschaftsnahe Berthelsmann Stiftung, die schon seit Jahren daran arbeitet Sozial- und Gesundheitswesen weiter zu schrumpfen und zu privatisieren, kam 2019, ein Jahr vor Beginn der aktuellen Pandemie, in einder Studie zu dem Ergebnis, dass für eine bessere Patientenversorgung ca. 1000 derzeitig in DE bestehende Kliniken geschlossen werden sollten, und die verbleibenden ca. 600 Kliniken größer gebaut werden sollten. Kliniken schließen für bessere Patientenversorgung? klingt erstmal paradox, ist es bei genauerem Hinsehen auch. In einem Gesundheitssystem, das Profite generieren muss sind leere Krankenhausbetten ein Kostenfaktor. Wer hätte denn ahnen können, dass nur ein Jahr später eine weltweite Pandemie ausbricht, und wir diese Krankenhausbetten dringend benötigen könnten?Die Finanzierung von Krankenhausversorgungen läuft heutzutage über ein System aus Fallpauschalen. Für jeden Erkrankungsfall gibt es gewisse Pauschalen, die den Kliniken von den Krankenkassen zur Behandlung des jeweiligen Patienten gezahlt werden. Dadurch entsteht die Möglichkeit Profite oder Verluste zu generieren. Kostet die Behandlung eines Patienten weniger als die Pauschale, so gewinnt der Krankenhausbesitzer. Kostet die Behandlung mehr, entstehen Verluste.Immer mehr Unfallkliniken, Geburtskliniken und Kinderkliniken müssen schließen, da sich die Unberechenbarkeit von Unfällen, Geburten, oder der Behandlung von Kindern, nicht von rigiden Fallpauschalen auffangen lassen. Warum muss überhaupt mit Gesundheit Profit generiert werden? Gesundheit wird zum Fast-Food gemacht und die Behandlungsqualität sinkt immer weiter, das das Gesundheitspersonal gar keine Zeit hat individuell auf Patienten einzugehen. "Selfcare" und "Selbstfürsorge" sind neue Trendworter, deren Ziel es ist Gesundheit zur persönlichen Aufgabe zu machen. und wer doch im Laufe der Zeit erkrankt sprengt bitte hoffentlich nicht die Pauschale oder muss die Kosten für eine adäquate Behandlung, die über den Pauschalwert geht, selbst tragen. Die AFD ist übrigens dafür, noch mehr Krankenhäuser zu privatisieren. Gut 20% mehr Krankenhäuser als derzeit sollten ihrer ansicht nach in Privathand sein. Privatisierung wird das Gesundheissystem weiter ausbluten lassen. Schon heute bestimmt das Einkommen über die Lebenserwartung - Menschen mit weniger Geld haben eine geringere Lebenserwartung in der deutschen Gesellschaft. Gesundheit ist kein Privileg. Zugang zu guter Gesundheitsfürsorge steht allen zu. Keine weiteren Privatisierungen im Gesundheitswesen! Mehr Personal, Mehr Kliniken, und vor allem: nieder mit den Fallpauschalen!Mit einem System wie dem Selbstkostendeckungsprinzip, das es Von 1973 bis 1985 in Deutschland gab, wäre es wieder verboten Gewinne im Gesundheitswesen zu erwirtschaften, wodurch die privaten Krankenhauskonzerne keinen Anreiz mehr hätten die Kosten auf Rücken der Patient*innen und Beschäftigten zu senken.Die AFD steht hier heute und möchte sprechen über Freiheit und Normalität, doch was soll denn Freiheit und Normalität bedeuten?Wir möchten keine Normalität wenn es bedeutet zurück zu kehren zu dem klassistischen, privatisiertem Gesundheitssytem, das dort arbeitende Personen kaputt macht und seinen Patienten nicht hilft. Wir möchten keinen Normalzustand wenn es bedeutet nur nach dem eigenen nationalen Vorteil zu sehen, während das Leben und Sterben anderer ignoriert wird. Wir möchten ein gutes Leben, für Alle. Für Alle Menschen, die Teil der Gesellschaft sind.