Statement des Bündnis Chemnitz Nazifrei zum Angrif der Bullen auf die Blockade gegen Querdenken

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Statement des Bündnis Chemnitz Nazifrei zum Angrif der Bullen auf die Blockade gegen Querdenken
Gestern sind Coronaleugner*innen von "Chemnitz steht auf" mal wieder mit einem "Spaziergang" durch Chemnitz gelaufen, um öffentlich die Gefährdung der Gesundheit Anderer zur Schau zu stellen. Dass das nicht unwidersprochen bleibt, zeigten einige autonome Gruppen, die diesmal mithilfe von Absperrband und Parolen den Aufmarsch sabotierten und ihn in der Webergasse blockierten, bis die Bullen die Blockade brutal räumten. Währenddessen konnten Corona-Leugner*innen unter minimaler Polizeibegleitung und netten Gesprächen mit dieser, entspannt an ihren Ausgangspunkt zurückkehren.

Erfahrungsericht

„Solidarisch Handeln statt Querdenken - Gegen Coronaleugner*innen und rechte Hetze“ steht auf einem Transparent, welches von Personen in einem Parkhaus in der Innenstadt aufgehangen wurde. Die Innere Klosterstraße ist auf Höhe der Börnichsgasse mit Absperrband versperrt worden, was die Coronaleugner*innen anscheinend dazu brachte abzubiegen. Man hörte bereits das Pfeifen und Trommeln der Coronaleugner*innen und als sie in die Webergasse einbogen, positionierte sich eine größere Gruppe von ca. 40 Menschen vor diesen, um sie vom Weiterlaufen abzuhalten.
Es wurden Regenschirme aufgespannt und Sprechchöre wie "Schwurbler verpisst euch, keiner vermisst euch!" gerufen. Die Polizei war von Anfang an präsent und stand zwischen den beiden Gruppen. Als die Coronaleugner*innen weiterliefen, löste sich die Blockade auf und die beteiligten Menschen versuchten in die entgegengesetzte Richtung die Gasse zu verlassen. Dies wurde von den Polizist*innen, welche sich bereits hinter der Blockade positioniert hatten, direkt aggressiv unterbunden. Ein paar Menschen konnten noch entkommen, mehrere wurden von der Polizei auf den Boden geworfen und mit Knien auf deren Nacken, Beinen und Köpfen fixiert. Dafür erntete die Polizei lauten Applaus von den Schwurbler*innen. Ein Versuch die Polizeikette zu durchbrechen, wie es die Polizei in ihrer Meldung darstellt, geschah dabei nicht, wie auch ein Video aus einem Stream der Schwurbler*innen deutlich zeigt, in dem die einzige Bewegung im Zurennen auf die Gegendemonstrant*innen durch die Polizei besteht.
Daraufhin wurden ungefähr 25 Menschen in einem Polizeikessel festgehalten und einer Identitätsfeststellung unterzogen. Der Vorwurf war die Teilnahme an einer unangemeldeten Versammlung. Diese Maßnahme dauerte ungefähr eine Stunde. Personen, die das Ganze beobachten wollten, wurden aggressiv von der Polizei daran gehindert und weggeschickt. In dieser Zeit durften die ca. 300 Coronaleugner*innen unbehelligt weiter laufen. Trotz zehnfacher Teilnehmer*innenzahl und einem offensichtlichen Demozug der sich unter Rufen von Parolen durch die Stadt bewegte sahen die Polizist*innen hier komischerweise wohl keine unangemeldete Versammlung. Sie bekamen von der Polizei lediglich die Aufforderung "friedlich" zu bleiben.
Dass dies absolut leichtsinnig war, zeigte sich darin, dass einige Minuten später vier Menschen, bei dem Anfangs genannten Parkhaus, von einer Gruppe aus 12-15 Jungfaschisten angegriffen worden. Dabei wurde einer Person von diesen mehrere Male gegen Kopf, Bauch und Beine geschlagen. Die selbe Gruppe fällt seit Wochen am Rande solcher Veranstaltungen auf, bei welchen sie versuchen Andersdenkende oder Journalist*innen anzugreifen. Polizei war keine in Sicht, auch nicht, als vermutlich die selbe Gruppe weiter durch die Stadt lief und Menschen, welche Masken trugen, bedrohte.
Auch wenn die unangemeldete Demonstration der Coronaleugner*innen von "Chemnitz steht auf" durch uns nicht verhindert werden konnte, mussten sie sowohl dank des Absperrbandes, als auch durch unsere Blockade, ihre Route verändern und einkürzen. Auf welcher Seite die Sympathie der Polizei liegt, wurde gestern Abend daran deutlich, wie unverhältnismäßig deren Vorgehen war. Während "Chemnitz steht auf" keineswegs von der Polizei am weiterlaufen gehindert wurde, gab es auf Seiten der Gegendemonstrant*innen mehrere Verletzte durch Polizeigewalt und Fascho-Angriffe. Außerdem durften angemeldete Mahnwachen von Aufstehen gegen Rassismus, der Seebrücke Chemnitz oder der Partei die Linke nicht durchgeführt werden, um die unangemeldete Route der Coronaleugner*innen zu gewähren.
Genügend Einsatzkräfte wären vor Ort gewesen, um dies zu verhindern, scheinbar führten diese allerdings lieber Smalltalk mit Schwurbler*innen.

Rechte Hegemonie als eigentliches Problem?

Eine Impfquote bei nur knapp über 50% und jeden Montag „Spaziergänge“ von Coronaleugner*innen in Sachsen sind kein Zufall. Sie sind die Folgen einer rechten Hegemonie, die die gesamte Gesellschaft durchzieht. Ähnlich wie in den rassistischen Ausschreitungen 2015 und 2016 liegt hier die Ursache für das Aufkommen faschistoider Bewegungen. Vor allem staatliche Stellen und explizit die Polizeiorgane sind hiervon betroffen. Wobei, wie wir in dutzenden „Einzelfällen“ sehen, letztere durch ihre gesamte Konzeption rechte Strukturen in den eigenen Reihen fördern und das gesamte Konzept „Polizei“ hinterfragt werden muss. Dass wir von der Polizei, die täglich rassistisch motivierte Kontrollen in Chemnitz durchführt, kein Unterbinden rechter Umtriebe zu erwarten haben, ist daher vollkommen klar. Genauso was die grundlegenden Ursachen hinter Querdenken und anderen Coronaleugner*innen darstellt. Der Staat ist hier Teil des Problems und kann daher nicht die Lösung sein.
Kein noch so autoritärer Zwang, kein Niederknüppeln oder Strafzahlungen werden diesen rechten Sumpf, aus dem heraus auch Querdenken und andere Organisationen von Coronaleugner*innen entstandenen sind, trockenlegen. Um das tief in der Gesellschaft verwurzelte rechte Gedankengut zu überwinden, braucht es eine starke progressive Zivilgesellschaft. Die Verschwörungsideologien von Corona-Leugner*innen haben sich weniger auf ihren Demos, als viel mehr am Arbeitsplatz, im Familienchat oder am Stammtisch verbreitet und genau hier hätten sie bereits auf Widerstand stoßen müssen. Vor allem lässt sich solch eine Zivilgesellschaft aber nicht von oben verordnen. Sie entsteht von unten, indem wir uns selbst organisieren und vernetzten. Dazu brauchen wir finanzielle Mittel, Räumlichkeiten und Menschen, die sich Vollzeit diesem Thema widmen können. Das ist das einzige, was wir hier vom Staat verlangen könnten. Zudem muss vor allem aber auch die Kriminalisierung linker Politik, in Sachsen explizit antifaschistischer Politik, aufhören.

Corona-Maßnahmen sind scheiße, vor allem wenns die falschen sind.

Dass viele Menschen mit einem erneuten Lockdown und Einschränkungen unzufrieden sind, ist vollkommen verständlich. Neben der Impfung gibt es eine Vielzahl von konkreten Maßnahmen, um uns vor dem Virus zu schützen. Diese werden jedoch politisch nicht umgesetzt oder gefördert, stattdessen wird jetzt wieder mit autoritären Vorschriften zu spät auf die nun explodierenden Fallzahlen reagiert. Darunter leiden vor allem bereits jetzt marginalisierte Gruppen, die sich keinen Lockdown leisten können. Egal ob materiell oder psychisch. Gegen einen Teil der Maßnahmen, die unserer Auffassung nach, keine Pandemie eindämmenden Grundlagen haben, protestieren zu wollen, finden wir begreiflich. Uns geht es jedoch darum, gemeinsam in Solidarität mit den am meisten Betroffenen, diese Pandemie bestmöglich zu bewältigen. Ohne einen autoritären Staat oder die antisemitischen Verschwörungserzählungen und extrem rechten Akteur*innen, welche das reale Leid vieler in den letzten 20 Monaten leugnen.

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