[HRO] Vom "Volkstrauertag" und anderen Zumutungen
Rostock – Erneut konnte in der Hansestadt eine städtische Gedenkveranstaltung zum „Volkstrauertag“ unter Beteiligung von Neonazis stattfinden. Antifaschistischer Widerstand gegen die Geschichtsrelativierer*innen von bürgerlich bis rechtsaußen blieb aus. Unter Antifaschist*innen aus der Hansestadt herrscht ein fragwürdiger Umgang mit dem Thema.
Am sogenannten Volkstrauertag kommt in trauernder Eintracht zusammen, was zusammen gehört. Bürgerliche und konservative Patrioten, Abgeordnete des Militärs, Verbindungsstudenten, Rechtskonservative, Revisionisten und stramme Neonazis. Eine Melange aus all jenen, deren geistige Vorfahren 1933 schweigend bis euphorisch in die faschistische Barbarei marschierten und sie 13 Jahre aufrecht hielten. Da wundert es nicht, dass auch auf der alljährlichen Gedenkveranstaltung auf dem Rostocker Neuen Friedhof eine Krähe der anderen kein Auge aushackt und Bürgermeister, Land- und Bundestagsabgeordnete Rücken an Bauch mit den Neonazis aus der örtlichen Aktionsgruppe den Toten von „Krieg und Gewaltherrschaft“ gedenken. Anstatt dass die bürgerlichen Demokraten ihre freiheitlich-demokratische Grundordnung so konsequent verteidigten, wie sie es noch im Hamburger Sommer gegen die Anhänger*innen einer besseren Welt vornahmen, ließen sie nun zu, dass ihre steuerfinanzierten Kränze direkt neben jenen der bereits genannten Menschenfeinde Platz fanden. Es marschierte keine Hundertschaft auf, als die etwa zwei Dutzend Faschisten und Faschistinnnen aus dem Kreise des selbsternannten Rostocker Aktionsblog – ein bisweilen unterschätztes Webphänomen, dass im erneuerten Gewandt alte Kameradschaftsbräuche in die virtuelle und reale Welt kotzt – im Anschluss an die offizielle Gedenkveranstaltung sich in geordneten Reihen über den Friedhof in Marsch setzten, um ein separates „Heldengedenken“ abzuhalten.
Auch die proletarischen Hundertschaften, deren Anhänger sich heute dank elterlichem Bildungsbürgertum, umfassender Bildungsbiographie und anvisiertem Studienabschluss eher auf den Wechsel der Barrikadenseite vorbereiten, anstatt auf die antifaschistische Verteidigung der republikanischen Errungenschaften und des Klassenkampfes vor seinen Feinden von Rechts, konnten sich an einem Sonntagmittag nicht dazu durchringen, Widerstand gegen das rechte Volk auf dem Friedhof zu leisten. Und das, obwohl sich bereits in doppelter Form ankündigte, dass zweierlei widerwärtige Veranstaltungen am vergangenen Sonntag auf dem Ruhehain von statten gehen würden. Es kündigte sich an, weil erstens der „Volkstrauertag“ nun einmal jedes Jahr von staatlicher Seite öffentlich begangen wird. Zweitens, weil oben genannte Neonazis bereits in der Vorwoche zum großen Wisch mit dem Opfermob ausholten und die Grabflächen für die gefallenen deutschen Mörder aus deutschen Welt- und Vernichtungskriegen säuberten.
Auch die Rezeption der Geschehnisse lässt kritisch aufhorchen. Der, der – ehemaligen – sozialdemokratischen Partei nahestehende Webblog Endstation Rechts, der sich vornehmlich um die Berichterstattung über Neonaziaktivitäten in der Bundesrepublik bemüht, veröffentlichte einen Artikel zu neonazistischen Aktionen zum Volkstrauertag in Mecklenburg-Vorpommern. Dabei erwähnte er neben einer Aktion versprengter Warener NS-Fans und einem – oh Wunder – von der Polizei bei Bad Kleinen aufgelösten Gedenkmarsch von Neonazis auch die Vorgänge auf dem Rostocker Neuen Friedhof. Allerdings ist dem Autor Oliver Cruzcampo wohl partei- und staatsgemäß der Blick auf den „extrem rechten Rand“ etwas wichtiger, als die kritische Reflexion des Ritus „Volkstrauertag“. In einem ausführlichen und bebilderten Artikel stellt er die Geschehnisse dar und verweist auch auf das gemeinsame und einträchtige Gedenken diverser bürgerlicher „Würdenträger“ mit den Neonazis. Kritische Worte über diese auch von den anwesenden Staatsdemokraten mitgetragene Eintracht sucht mensch leider vergebens. Doch die inkonsequente Anti-Nazi-Haltung, die in derlei Art der Berichterstattung anklingt, verdeutlicht sich noch massiver in der Art und Weise, wie der „Volkstrauertag“ im Artikel charakterisiert wird:
„Wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Volkstrauertag eingeführt, anfangs um der gefallenen deutschen Soldaten zu gedenken, heute wird generell an Kriegstote erinnert, zunehmend wird der Tag auch als Mahnung zu Versöhnung und Frieden verstanden. Lediglich in der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Volkstrauertag zum Heldengedenktag verklärt und zum staatlichen Feiertag ernannt. Trauer und Mahnung mussten Heldentum und Kampfbereitschaft weichen.“
Dass der Tag nach dem ersten Weltkrieg allein zur Erinnerung an die gefallenen deutschen Soldaten eines vom Deutschen Reich vom Zaun gebrochenen Weltkrieges eingeführt wurde, zeigt schon seinen nationalistischen Charakter und bereits damals revisionistischen Charakter. Auch die inhaltliche Erweiterung des Tages zu einem an dem „generell an Kriegstote“ erinnert wird macht es nicht besser. Tatsächlich werden durch diese Generalisierung Täter und Opfer in einen Topf geschmissen und dadurch eine Relativierung sondergleichen vorgenommen. Ermordete Jüdinnen, Sinti und Roma, Partisanen u.a. werden in eine Reihe gestellt mit ihren Mördern. Die Bundesrepublik hat es nach ihrer Gründung bewusst nicht geschafft, einen „Tag der Opfer des Faschismus“ einzuführen, sondern stattdessen den „Volkstrauertag“ zum offiziellen stillen Feiertag wiederbelebt. Denn so lässt sich geräuschlos die eigene Schuld an zwei Weltkriegen durch die Trauer verwischen. Der Tod als großer Gleichmacher soll den Enkeln und Urenkeln der Nationalsozialisten die Verantwortung zur Erinnerung an die Schuld ihrer Vorfahren nehmen und die zentrale Verantwortung Deutschlands und seiner Geschichte für den NS aus dem Fokus rücken. Der „Volkstrauertag“ ist lediglich Teil einer Strategie, deutsche Alleinschuld an Weltkrieg und Vernichtung nicht einzugestehen, wie auch die mangelnde Opferentschädigung und die weitgehend ausbleibende Verfolgung von NS-Tätern Teil dieser waren und sind. Der Sinn dahinter ist offensichtlich, denn nur mit diesem Schlingerkurs kann es der Volksgemeinschaft recht gemacht und gleichzeitig zum alten Platz an der Sonne zurückgekehrt werden. Und dann die ersehnte Versöhnung und der Frieden. Wer soll sich denn mit wem versöhnen und Frieden schließen? Die Ermordeten mit ihren Mördern? Die Aufgeklärten und die Humanistischen mit dem Faschismus und seinen Anhängern? Die Welt mit dem deutschen Imperialismus? Schon allein der Begriff „Volkstrauertag“ sollte aufgeklärten, links denkenden Menschen die Haare zu Berge stehen lassen. Er rückt die ganze Volksgemeinschaft unter Aufhebung von Klassengegensätzen und Herrschaftsverhältnissen in einem Volk zusammen und legt so den Grundstein neuen Übels. Die am vergangenen Sonntag auf dem Friedhof Versammelten haben es schon mal eingeübt, das Zusammenrücken.
Das man von einem SPD-nahen Internetmedium diese zu Berge stehenden Haare nicht erwarten kann, ist nicht weiter verwunderlich. Dass aber ein sich zumindest als diffus linksradikal und konsequent antifaschistisch verstehendes Subkulturmedium einen derartigen Bericht kritiklos verlinkt, zeigt deutlich den politischen und geistigen Niedergang der lokalen antifaschistischen Bewegung. Vielleicht, und das ist zu hoffen, ist es nur das mangelnde Bewusstsein, das zu füllen zumindest aussichtsvoll erscheint. Immerhin hat mensch auch in Mecklenburg-Vorpommern bereits einen wesentlich fortschrittlicheren, konsequenteren und kritischeren antifaschistischen Umgang mit dem „Volkstrauertag“ und seinen Opfernden erleben dürfen. Lichtblick ist zumindest, dass sich wenigstens im Nachgang noch geschichtsbewusste Antifaschist*innen fanden, die den rechten Volksfreunden ihren Kranz in angemessener Form zurück brachten. Denn bekanntermaßen lässt mensch Müll nicht auf Friedhöfen liegen!