Geldstrafe für Poster-Protest
Menschen wurden beim Adbusting erwischt. Die Erlanger Cops haben sie mit Samthandschuhen angepackt. Das ist für die Aktionsform unüblich. Kommt jetzt die Trendwende?
Sie waren nicht zu übersehen: Im Juni 2020 hingen deutschlandweit in Werbevitrinen Plakate mit den Gesichtern von Jens Spahn und Julia Klöckner. Auf den Plakaten, die auf den ersten Blick offiziell aussahen, warben die Bundeslandwirtschaftsministerin und der Bundesgesundheitsminister für die Vorteile pflanzlicher Ernährung für die Gesundheit und das Klima. Doch die Polizei in Erlangen erwischte die Täter:innen.
Die Plakate waren gefälscht und unerlaubt aufgehängt worden. Mit Hilfe von 8mm-Vierkantschlüsseln aus dem Baumarkt wurden die Werbeschaukästen an Bushaltestellen leicht geöffnet und die darin befindlichen Plakate überhängt. Hinter der irritierenden Aktion steckte die Tierrechts- und Umweltgruppe Animal Rebellion. Ziel der Aktion war, die betroffenen Ministerien zu einer Stellungnahme zu bringen. „Die Behauptungen auf den Plakaten sind wissenschaftlicher Konsens, aber die Politik orientiert sich nicht daran“, erklärt Simon Reisch, ein Sprecher der Ortsgruppe. „Animal Rebellion wollte einen Diskurs anstoßen und das Thema der pflanzlichen Ernährung in den Fokus der Öffentlichkeit rücken.“ Dieser Mix aus Kunst und politischem Protest nennt sich Adbusting.
Bei der Aktion im Sommer wurden zwei Aktivist:innen von der Polizei an den Werbevitrinen vor dem Siemens-Tor erwischt. Sie waren gerade damit beschäftigt gewesen, eigene Poster über die bereits vorhandenen in den Werbevitrinen zu hängen. Die Beamt:innen hätten die Personalien aufgenommen und die Steckschlüssel beschlagnahmt. „Dabei gibt es die in jedem Baumarkt“, wundert sich Simon. Dafür erhielten die beiden Tierrechtsaktivist:innen aus Erlangen nun Bußgeldbescheide. 103,50 Euro wegen eines Verstoßes gegen die Plakatierungsverordnung zahlt man in Erlangen für Adbusting.
In vielen anderen Fällen wird das Überhängen von Plakaten deutlich schlimmer bestraft. So wollte die Staatsanwaltschaft in einigen Fällen schon im bloßen Öffnen der Vitrinen Sachbeschädigung gesehen haben – eine Straftat. Auch der Vorwurf des versuchten Diebstahls ist nicht unüblich. Dabei legen Tipps in Workshops und Anleitungen nahe, die Plakate nicht aus den Schaukästen zu entfernen, um eine Anzeige wegen Diebstahls zu vermeiden. Insofern ist es ein Novum, dass die Erlanger Polizei nur Anzeige wegen einer Ordnungswidrigkeit erstattet hat. Expert:innen aus Berlin erkennen hierin eine Tendenz. Bayern wäre nach Berlin, Hamburg und Thüringen das vierte Bundesland innerhalb der letzten Jahre, in dem Städte eine Entkriminalisierung der Kunstform anstreben.
„Wir werten die Aktion trotzdem als Erfolg“, betont Simon Reisch weiter. Adbusting wurde deshalb als Aktionsform gewählt, weil die Kernaussagen auf Plakaten verständlicher seien und eine breitere Öffentlichkeit erreichten, als das beispielsweise bei einem Banner der Fall gewesen wäre. "Außerdem ist die Resonanz in der Bevölkerung auf Adbusting tendenziell positiv. Die Leute werden dadurch mit weniger Werbung bombardiert und können Adbusting oft etwas Positives abgewinnen."
Inzwischen haben engagierte Bürger:innen in Erlangen das Adbustingkollektiv AdblockArt gegründet. Die Gruppe lädt zu digitalen Workshops ein, in denen die Grundlagen des Adbustings beigebracht werden. Im Anschluss finden offene Treffen statt, in denen das Erlernte mit eigenen Ideen angewandt werden kann. Wer seine Plakatideen in Erlanger Werbeschaukästen hängen sehen möchte und Gleichgesinnte sucht oder sich ausprobieren möchte, ist bei AdblockArt willkommen. Interessierte können sich mit einer Email an adblockart@riseup.net für die Workshops anmelden. Informationen, wie man die Gruppe anderweitig unterstützen kann, gibt es auf adblockart.blackblogs.org.
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