Fragen der Organisation. 31 aufständische Thesen
Hier ein bedeutsamer Text aus den 1990ern aus dem spanischen Staat, der sich mit aufständischen Anarchismus befasst.
Fragen der Organisation. 31 aufständische Thesen
Einleitung und ein paar Bemerkungen zu dem Text31 aufständische Thesen
Wir veröffentlichen diesen Text im Rahmen der kritischen Textreihe zu Organisation, Militanz und Militante, aber auch nicht nur. Dieser Text erschien in den späten 1990ern im spanischen Staat und war einer der ersten bemerkenswerten Texte, nicht der erste – aber auch nicht der letzte -, der eine Diskussion, die die anarchistische Bewegung sehr notwendig hatte, stark beeinflusste, was auch später als die Geburtsstunde des sogenannten aufständischen Anarchismus, innerhalb des spanischen Staates, bezeichnet wurde. Wir wollen damit natürlich nicht meinen, dass die anarchistische Bewegung im spanischen Staat nicht aufständisch gewesen sei, Beispiele gibt es wie Sand am Meer, vor allem von 1880 bis in die 1980er, sondern wir meinen die aus Italien stammenden Ideen, die für eine Erneuerung und Überprüfung des Anarchismus unserer Zeit gedient haben.
Denn die Auseinandersetzung innerhalb der anarchistischen Bewegung im spanischen Staat kann nur durch ihre eigene Geschichte verstanden werden, daher ist in diesem Punkt dieser Text im deutschsprachigem Raum völlig nutzlos, dennoch sehr interessant, auch wenn dieser Text Mängel aufweist und einige Fehler auffallen. Wie z.B., die manchmal erscheinende, soziologische Betrachtung auf das Proletariat und die etwas naive Sicht auf die Folgen der Repression, es wären einige mehr, aber wir lassen dies mal vorerst dabei.
Was heißt dies alles nun konkret? Im Gegensatz zu dem deutschsprachigen Raum, wurde im spanischen Staat eine Diskussion/Auseinandersetzung unter Anarchist*innen geführt, wo einige mit den historischen Organisationen brechen mussten, vor allem trifft dies auf die CNT der 1990er zu – aber nicht nur – weil diese ihnen im Weg standen. Genaueres dazu steht in einem Text, den wir übersetzt haben und der auf unserem Blog – hier oder hier – zu finden ist. In diesem, wenn auch mit vielen Fehlern, lassen sich viele Sachen erklären die wir hier meinen.
Dieser Gegensatz zum deutschsprachigem Raum, wo eine Diskussion/Auseinandersetzung unter einer radikalen Linken des Kapitals geführt wurde und wird, prägt alle Faktoren dieser Gleichung. Dies sehen wir im Bezug auf die sozialen Revolution von 1936, auf die ML (Moviemiento Libertario – Libertäre Bewegung) und auf die Arbeiter*innen-Autonomie ab den 1960ern bis Anfang der 1980er. Die ML, oder MLE (Movimiento Libertario Español – Spanische Libertäre Bewegung) – je nach Fall -, gilt als Begriff, der alle historischen Organisationen umfasst (CNT, FAI, Mujeres Libres und auch FIJL1), die bis in die 90er nicht von einer anarchistischen Bewegung zu trennen waren. Dies hat sich mittlerweile sehr verändert.
Und genau der Einfluss all dieser Organisationen spielt im Laufe des Textes ein riesige Rolle, vor allem in der Verwendung von Begriffen. Die Kritik an formellen Organisationen, ist nicht nur eine Kritik an ihrer Form (bürokratisch, schwer, unbeweglich, ideologisch, usw.), sondern an deren Ausdruck, nicht nur in Form der abwesenden Praxis, sondern dem Ausdruck selbst, der verwendeten Sprache. Viele der im Originaltext verwendeten Begriffe sind eben jene Begriffe, die nur innerhalb der CNT, zumindest früher, verwendet wurden. Jedem Menschen, dem das entgeht, oder nicht weiß, verleiht diese Sprache im Text einen sehr rigiden Eindruck, dies wurde natürlich mit Absicht gemacht, denken wir zumindest, weil es auch logisch klingt.
Nun umso bizarrer erscheint es mittlerweile, dass die Kritik an dem formellen Fetischismus auch durch einen informellen Fetischismus ersetzt wurde, beim dem sich auch ein internes Vokabular entwickelt hat, der nach denselben Prinzipien (Qualität als Negation und Quantität als Bestätigung) fungiert, der ja kritisiert wurde und aufgehoben werden sollte.
Es ist nutzlos Vergleiche zwischen einer Entwicklung der anarchistischen Bewegung im spanischen Staat mit denen im deutschsprachigen Raum herzustellen, aber gerade dieses historische Kontinuum, welches die Auseinandersetzung innerhalb der anarchistischen Bewegung im spanischen Staat immer beeinflusste, existiert so nicht im deutschsprachigem Raum, weil eben der Bruch nicht innerhalb einer anarchistischen Bewegung stattfinden konnte, sondern nur innerhalb einer radikalen Linken des Kapitals. Eine radikale Linke des Kapitals, die immer noch nach Beispielen gafft, zu denen sie hinaufschauen kann, oder nach denen sie nacheifern kann, vor allem anderswo, und obwohl es sehr interessante historische Bezüge hierzulande gibt, auf denen antiautoritäre und revolutionäre Bezüge aufgebaut werden könnten, interessieren sie nicht.
Der Vorteil und der Nachteil anarchistischer Debatten in, z.B., Italien, Frankreich und Spanien, liegt an ihrer Geschichte selbst.
Während der aufständische Anarchismus im spanischen Staat vonnöten war (1990er), um der orthodoxen und dogmatischen CNT eine sehr notwendige Kritik zu verpassen, vor allem in Sinne dass auch außerhalb ihr es viele anarchistische Gruppen gab und sie in alter bolschewistischer Manier nicht alles unter ihrem Schirm kontrollieren konnte, war in Italien der aufständische Anarchismus (1970er) eine ähnliche Erneuerung der anarchistischen Ideen, die auch außerhalb der alten Fossilien leben konnte (FAI-USI z.B.) und einen antiautoritären Beitrag für die damaligen Revolten und Aufstände des Proletariats, aber auch als Kritik an die emporkommenden leninistischen Avantgarden, leistete.
Die Gründe, warum und weshalb, um die historische Lage zu analysieren, um die Gegenwart zu verstehen, wären interessant, aber sprengen hier jeglichen Rahmen. Vielleicht ein anderes mal.
Viel Spaß mit dem Text
Fragen der Organisation. 31 aufständische Thesen.
[Anonymer Text]
An die Gefangenen Gefährten des sozialen Krieges und vor allem an diejenigen, die neben dem Leiden im Gefängnis auch das Geschwätz pseudorevolutionärer Ideologen ertragen müssen, die sie ihren eigenen Beschränkungen unterwerfen möchten.
Vorwort
Der folgende Text zielt darauf ab, die Debatte über Organisation aus anarchistischer Perspektive neu zu eröffnen. Ein altes Thema, immer präsent, nie geklärt, obwohl es diejenigen gibt, die in diesem oder jenem Modell Gewissheit gefunden haben.
Lass dich nicht täuschen, du wirst auf den kommenden Seiten, die folgen, keine Neuigkeiten (verdammtes Marketingwort) finden, die bereits im letzten Jahrhundert in ähnlicher Weise debattiert wurden, noch Zauberrezepte, die uns vor dem Denken und Handeln, dem Hinterfragen, Kritisieren und Experimentieren bewahren, wenn etwas versucht wird, ist es gerade dazu da, genau dies zu fördern. Uns fehlen Debatte und Kommunikation, Aktion und Experiment, und wir haben zu viel und überflüssige Monotonien, Gewissheiten und Modelle.
Diese „organisatorischen Fragen“ sind absichtlich subjektiv und kritisch.
Dieser Text, der bereits im Titel als aufständisch definiert wird, weil er Partei ergreift, entspringt dem Wunsch, das Bestehende zu zerstören, und versucht, die Wege zu erforschen, die die Materialisierung dieses Wunsches ermöglichen, indem er aus dem Wort die Begegnung, in Wort und Tat, mit all jenen aufständischen Individuen sucht, die die verheerende Leidenschaft der Freiheit am Leben erhalten.
I. In der Arbeiterbewegung hat es immer zwei sichtbare Tendenzen gegeben. Die eine ist eine etapistische2 Tendenz, die zwar partielle „Siege“ bewahrt, aber versucht, sie als aufsteigende Schritte zur Eroberung des Himmels zu fixieren. Eine andere ist eine aufständische Tendenz, die den gegenwärtigen Moment selbst zu einem Moment revolutionärer Möglichkeit macht. In der Praxis gab es keine genauen Abgrenzungen zwischen beiden Tendenzen. Beide Tendenzen finden ihre Gleichgesinnten in der libertären Bewegung.
II. Die etapistische Tendenz wird in der Praxis der Rechtfertigung als ein graduelles Mittel zur Erreichung globaler Veränderungen definiert. Sie übernimmt Verhandlungen mit der Macht und stellt die direkte Konfrontation mit ihr zurück. Indem sie ihre revolutionären Zukunftsperspektiven festlegt, versucht sie, in der Gegenwart möglichst viele Anhänger zu gewinnen, die sie so lange sensibilisieren kann, bis die Voraussetzungen/Bedingungen (?3) für einen idealen Angriff auf die Winterpaläste gegeben sind. Quantitatives Wachstum ist daher ihr erstes Ziel.
Diese Tendenz hat sich historisch in klassischen Strukturen (Parteien, Gewerkschaften usw.) organisiert. Die klassische Struktur ist insofern repräsentativ, als sie als materieller oder geistiger Repräsentant nicht nur ihrer Mitglieder, sondern des gesamten Kollektivs der Ausgebeuteten steht und sich zur Achse der „echten“ proletarischen Bewegung verwandelt.
Von hier aus wird das „Organisationsbewusstsein“ gefördert und angeregt, die Zugehörigkeit zu einer homogenen Gruppe, die über dem Individuum stehen kann und mit der man sich identifiziert und identifiziert wird.
Die klassische Struktur ist eine schwere Struktur4, die bürokratische Apparate produziert und reproduziert. Es hat seine Entscheidungsfindungs-, Vertretungs- und Exekutivausschüsse und ein Netzwerk von Protokollen, Abhängigkeit (Süchten) und Vorschriften5.
Sie wird symbolisch als Hüterin des Blutes der Märtyrer, der glorreichen Vergangenheit, der unbeweglichen Prinzipien verstanden. Sie stimuliert den Personenkult, entweder des toten Helden/Heldin oder des herausragenden lebenden Gefährten.
Die schweren Organisationen sind selbst konservativ und neigen dazu, sich in der Zeit zu erhalten, auch wenn sich die Umstände, die zu ihren Enstehen geführt haben, geändert haben. Aus diesem Grund widmet sie ein wichtiger Teil ihrer Zeit der „Analyse“ und den Gesten, die die unaussprechliche Notwendigkeit der „Aktualität“ des Organisationsmodells aufzeigen. Der Rest ihrer Zeit teilt sich auf in konkrete Forderungen als eine Form des Proselytismus6; das Organisieren der Organisation, wobei die größtmöglichste Komplexität und ideologische Reproduktion erreicht wird; so wird in den Referenzen/Bezügen auf die Vergangenheit eine Überprüfung der eigenen Existenz vorgenommen7.
Die etapistische Tendenz und die organischen Formen8, die sie annimmt, zeigen uns die Durchlässigkeit in der Arbeiterbewegung für systematische Werte; die Bürokratisierung, die der schweren Organisation innewohnt, die Delegation des Individuums im Kollektiv, die Errichtung diffuser oder regulierter Hierarchien, die Rentabilität der Aktion als Tauschwert, die Aktion als Ware, die Übernahme von Schranken und Mindestprogrammen, die Anerkennung der Macht als Vermittler durch führen von Verhandlungen…
III. In der libertären Bewegung gibt es, als Spiegelbild der Arbeiterbewegung, die etapistische Tendenz.
Diese Tendenz kristallisiert das klassische Organisationsmodell heraus, das sich aus der Massenorganisation, den spezifischen Organisationen und den Schirmorganisationen der Jugend, der Frauen, der Kultur usw. zusammensetzt.
Dieses Modell, das sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts herausgebildet hat, hat zum Zeitpunkt seines Erscheinens eine logische Bedeutung, nämlich die der Krise und der kapitalistischen Umstrukturierung. In ihr verbinden sich die Notwendigkeit und der Wunsch nach proletarischer Selbstorganisation und die Spiegelung der laufenden Veränderungen, die zu einem neuen Modell der kapitalistischen Akkumulation, in Form eines Widerspruchs, führen.
Bei der Entwicklung dieses Modells werden die beiden angekündigten Tendenzen gegeneinander gestellt und ergänzt. Auf der einen Seite gibt es die fordernde Praxis9 der etapistischen Tendenz, die die schwere Struktur und die entstehenden Bürokratien festigt. Auf der anderen Seite gibt es aufständische Explosionen, die den Etapismus brechen und die schwere Organisation im positiven Sinne überwinden.
Die historische Konjunktur der kapitalistischen Krise begünstigt einen solchen Widerspruch. Dies lässt sich an der spanischen Revolution ablesen. Während die von der CNT-FAI ermutigten proletarischen Massen eine nie dagewesene Revolution entfesseln, indem sie ihre eigenen selbstverwalteten Organismen schaffen, werden diese wiederum von der Bürokratie der CNT-FAI selbst gestoppt und erwürgt, die keine Schwierigkeiten haben wird, sich mit den anderen „Arbeiter“-Bürokratien in klassenübergreifenden Organismen zu verbünden, was als „historische Notwendigkeit“10 gerechtfertigt wird. Der Epilog ist die Niederlage der unzureichend starken und autonomen Arbeiterbewegung, die ihre eigenen repräsentativen Organisationen in der aufständischen Praxis aufhebt und überwindet.
IV. Die aufständische Tendenz der Arbeiterbewegung identifiziert sich nicht mit geregelten Organisationsformen, sondern vielmehr mit der Praxis direkter Angriffe auf die Macht, ohne Verhandlungen, Dialog oder Vermittler mit ihr zuzulassen11. Sie findet ihre Daseinsberechtigung und theoretische Extraktion in der kollektiven oder individuellen Aktion des bewussten Proletariats, das sich gegen die Herrschaftsapparate auflehnt.
Ihr gegenwärtiges und unmittelbares Ziel ist die Zerstörung dieser Apparate.
Die Materialisierung dieser Tendenz in der Massenbewegung entsteht in allen Momenten des direkten Kampfes, die über die bloße Forderung hinausgehen und Meister ihres eigenen Lebens und ihres historischen Aufbaus werden.
Sie werden in und aus der Konfrontation geboren und haben in ihrem Sinne konkrete Situationen der Zerstörung dessen, was existiert, und der Schaffung selbstverwalteter Realitäten hervorgebracht.
Die Organisationen, die aus der massenhaften aufständischen Bewegung hervorgegangen sind, haben ihre Daseinsberechtigung erst im konkreten Moment des generalisierten/allgemeinen Aufstands. Ihr Aufbau a priori oder ihre spätere Aufrechterhaltung führt nur zur einer Praxis der Forderung und/oder zur systematischen Rekuperation12.
Von den Ludditen13 bis zum albanischen Aufstand14 finden wir die Zeichen der Identität dieser Tendenz, wo wir die immer vorhandenen Möglichkeiten ihrer gegenwärtigen Materialisierung erforschen können.
V. Die aufständische Tendenz der Arbeiterbewegung hat unter den Libertären (darunter in diesem Begriff alle nominierten oder namenlosen Bewegungen, die eine antiautoritäre und revolutionäre Praxis entwickelt haben) ihre größten Fürsprecher und Förderer gehabt. Die direkte Konfrontation mit der Macht und der Wunsch nach ihrer unmittelbaren Zerstörung sind dem libertären Denken und der libertären Praxis inhärent, die „Politik der Phase“ und symbolische Darstellungen ablehnt.
Auch wenn die Ausprägung dieser Tendenz in der libertären Bewegung nicht die „spektakulären“ Auswirkungen hatte, die die etapistische Tendenz haben könnte, so ist sie doch in der gesamten libertären Geschichte mit einer sichtbaren Praxis präsent, die Spannungen innerhalb der libertären Bewegung und der Arbeiterbewegung erzeugt. Ihre greifbarsten Neuausgaben verlaufen parallel zur Entwicklung der aufständischen Arbeiterbewegung und finden durch revolutionäre Katharsis15 ihre Verschmelzung mit ihr.
Die Tatsache, dass die libertäre aufständische Bewegung nicht das spektakuläre Ausmaß der etapistischen-anarchistischen Bewegung hat, liegt an ihren Charakteristiken selbst. Die libertäre aufständische Bewegung unterhält weder schwere Organisationsformen, noch basiert sie ihre Aktion auf eine quantitative Akkumulation, noch erhebt sie sich selbst als Repräsentant von irgendjemandem ein. Sie besitzt daher keine greifbaren strukturellen Bezüge, und ihre Identitätszeichen folgen dem Verlauf der direkten und spontanen Konfrontation des Proletariat, so lange dieses nicht in die Manipulation und Rekuperation16 der bürokratischen Apparate der klassischen Strukturen verfällt. Es handelt sich also um eine diffuse Bewegung, die meist auf dem Höhepunkt des Massenaufstandes greifbar ist, die aber in den Zeiten der revolutionären Ebbe in tausendundeiner Form der Revolte (Sabotage, Enteignung, Absentismus17,…) fortbesteht.
Diese Tendenz beschränkt sich nicht nur auf die gewaltsame Tatsache der direkten Aktion, sondern als etapistische anarchistische Bewegung rüstet sie sich auch mit formalen Propagandamitteln aus, aber im Gegensatz zu den anderen sind solche Mittel nur Werkzeuge, um zur Konfrontation voranzuschreiten und den aufständischen Kampf der Massen zu vertiefen.
VI. Zwei Phänomene sind bemerkenswert:
1. Dass die etapistische Tendenz in der libertären Bewegung die Existenz der anarchistischen aufständischen Bewegung als eine Gefahr empfindet. Revolverhelden, Kriminelle, Abenteurer, Provokateure, Spione, Psychopathen sind einige der Begriffe, die sowohl die Macht als auch die „revolutionären“ Etapisten den Aufständischen widmen, und obwohl die Etapisten den fernen Aufstand (in Zeit oder Raum) zugeben und ihm sogar applaudieren mögen, werden sie ihn im Hier und Jetzt nicht akzeptieren.
Ihre Befürchtungen sind berechtigt. Die praktische Verifizierung der aufständischen Tatsache bringt die eigene konservative Struktur des etapistischen „Revolutionärs“ in Gefahr, die vor der Konfrontation in seiner ideologischen Festung sicher ist, von wo aus es möglich ist, die „radikale“ Pose zu zeigen, ohne Gefahr zu laufen, sie zu sein/praktizieren, und gleichzeitig kleine und erbärmliche, in Form von natürlichen Hierarchien, reproduzierte Machtschübe aufrechtzuerhalten.
2. Es gibt keine exakten Grenzen mehr zwischen den beiden Tendenzen, die Verschärfung und das Abklingen der Kämpfe führt dazu, dass es häufig zu einem Zusammenfließen und Vermischen kommt.
Die Geschichte zeigt uns, dass der/die aufständische AnarchistIn seine Logik in der revolutionären Arbeiterbewegung findet, wenn er sich von den Rekuperatoren18 befreit, während der/die etapistische AnarchistIn in der Vergangenheit seine Fähigkeit bewiesen hat, Bündnisse mit den klassischen Organisationen der Arbeiterbewegung einzugehen.
VII. Das aufständische Etikett, das von den einen verliehen und von den anderen selbst für sich beansprucht wird, ist nichts anderes als das, ein Etikett, das Gefahr läuft, sich in Pseudo-Ideologie zu versteinern, wenn es nicht tiefer in das theoretische und praktische Feld der aufständischen Intervention eindringt. Jenseits der möglichen Modeerscheinung, die diese „Neuheit“ (welche Neuheit?) für diejenigen darstellen könnte, die ihre morbidesten und fiktivsten Aspekte idealisieren (hauptsächlich die Anwendung von Gewalt als revolutionäre Strategie) und die auf der Grundlage einer unbegründeten freiwilligen Unmittelbarkeit die Rolle der Kritik missachten. Wenn wir von den Debatten, die sich aus den Praktiken der Aufstände ergeben, nur die Formen schätzen, wird es nicht lange dauern, bis diejenigen auftauchen, die sich einem neuen -ismus anschließen, der sie vor dem Denken bewahrt.
VIII. Von dem, was (nicht) vorhanden ist, finden wir in dem armen gegenwärtigen libertären Panorama eine wachsende Zahl (die aufgrund der Spaltungsdynamik wächst, in die sie verwickelt ist, was ihre Schwäche beweist) von schweren Organisationen, die aus sehr unterschiedlichen Bereichen behaupten, libertär zu sein. Einige stehen dem Reformismus näher als andere und andere suhlen sich ungebührlich in ihm, während einige in dem absoluten Ostrazismus19 schwimmen, der nirgendwohin führt.
Von den verschiedenen anarchosyndikalistischen Familien bis hin zu den „organisierten Autonomisten“ wird uns ein Regenbogen verlorener Möglichkeiten in den Bahnen der etapistischen Forderungspolitik angeboten.
Ihre theoretischen Differenzen vor einem nicht existierenden Publikum zeigen nur ihr gemeinsames Elend, die Unmöglichkeit, das real existierende Elend zu zerstören oder zur Zerstörung beizutragen, und ihren unbewussten Beitrag dazu.
Ohne dass eine revolutionäre Bewegung in Sicht ist, beabsichtigen sie, diese durch ein quantitatives Wachstum zu verdrängen, das sie zur führenden Organisation der Massen macht und alles auf eine nicht existierende Zukunft verschiebt, in der die „objektiven Bedingungen“ einer mystifizierten Vergangenheit wieder hergestellt werden. Die Konfrontation mit der Realität wird dadurch unmöglich.
Weder 1917, noch 1936, noch 1968, noch 1977 werden zurückkommen, egal wie sehr wir die Organisationen kopieren, die es damals gegeben hat, eine Tatsache, die zeigt, dass wir, anstatt aus historischen Fakten zu lernen, nur ihre Kadaver nachahmen konnten.
Es gibt zu viele orthopädische Mythologien und selbstgefällige Lügen, und es mangelt an Selbstkritik, Aktion und konkreten Zielen für die Gegenwart, aus denen all jene frustrierten Wünsche nach Rebellion projiziert werden können, die vorhanden sind und in der Fäulnis der „alten und neuen“ Strukturen ertrinken.
IX. Drei Affirmationen über die Gegenwart:
1. Das Proletariat ist nicht abgeschafft worden. Es hat sich im Zuge der kapitalistischen Umstrukturierungen in seiner Zusammensetzung verändert und ist als Subjekt weniger wahrnehmbar und unkenntlicher geworden. Doch die Existenz einer ausgebeuteten Mehrheit, die jeglicher Entscheidungsgewalt über ihr Leben beraubt ist, nimmt ebenso zu wie ihre Zersetzung als einheitliches Subjekt.
2. Der Kapitalismus entwickelt seine Entfremdungen weiter. Diese sind nicht mehr nur dem Produktivmodell unterworfen, das seine Achse in der Fabrik und der zentralisierten Arbeit hat. In dem Moment, in dem der Kapitalismus die gesamte menschliche Aktivität in eine Ware verwandelt hat, ist die repressive Arbeit über die Mauern der Fabrikumzäunung hinausgegangen und umfasst alle Aspekte des sozialen Überlebens. Die Entfremdung ist jetzt global.
3. Die Möglichkeit einer Revolution ist eine gegenwärtige Möglichkeit. Das theoretische Problem, das vor einigen Jahrhunderten durch den Sozialismus aufgeworfen wurde, ist nicht gelöst, sondern nur umstrukturiert worden, wodurch sich der dem kapitalistischen System innewohnende Widerspruch vertieft hat.
X. Das revolutionäre Ziel besteht darin, diesen Widerspruch so zu beeinflussen, dass wirkliche Bewegungen entstehen, die in der Lage sind, den gegenwärtigen Zustand zu überwinden.
Greifen wir durch subversive Praxis die alltägliche Realität an, die wir alle der kapitalistischen Herrschaft unterworfen sind, empfinden wir, auch wenn eine große Mehrheit sieht, dass diese Realität durch die Reduktion des Systems auf ein Spektakel verzerrt wird.
Lasst uns die kontinuierliche Konfrontation als Strategie einsetzen. Wo und wann die aufständischen Individuen entscheiden, aus einer globalen Perspektive, die keinen Dialog mit der Macht zulässt.
Auf die Straße zu gehen, um die elende und brutale Ordnung der Dinge zu stören und die systematische Brutalität sichtbar zu machen, die wir alle im Wesentlichen wahrnehmen.
Die Entfesselung unserer Wut ist ein mögliches Ziel im Hier und Jetzt, die Vereinigung unserer Wut mit der unserer Mitmenschen wird eine unvermeidliche Notwendigkeit sein.
XI. Der Angriff ist die kollektive oder individuelle Aktion gegen das Alltagsleben, ohne dass es dafür Entschuldigungen in Form von Medienereignissen bedarf, die von der Macht ferngesteuert werden.
Für einen Angriff ist kein im Fernsehen übertragenes Massaker erforderlich. Proteste, die sich gegen dieses oder jenes Teilphänomen richten, zeugen nur von deren folkloristischer Manipulation, die sich der Globalität der Konfrontation entzieht und den Protest auf ein einvernehmliches leeres Ventil reduziert.
Der Angriff zeigt seinen zerstörerischen Anspruch auf das Ganze, denn das angegriffene Objekt ist nur ein Vorwand, um das Vorhandene in Frage zu stellen. Es ist folglich nicht rekuperierbar20.
XII. Gewalt ist ein sekundärer Aspekt des Angriffs, nicht seine Daseinsberechtigung. Der Angriff ist jede Form der Zerstörung des Bestehenden, von der die Möglichkeit ausgeht, neue Knotenpunkte der Kreativität zu schaffen.
Die Zerstörung-Schöpfung ist ein Prozess, der auf den Verlauf des Kampfes zurückgreift/rückkoppelt.
XIII. Die informelle Organisation ist ein optimaler Weg für die Organisation des anarchistischen Angriffs. Die informelle Organisation basiert nicht auf klassischen und schwerfälligen Strukturen, sondern ist dem Moment und dem Handlungswillen der Aufständischen angepasst und ordnet ihre Wünsche nicht der Struktur und ihrem Programm unter.
Informelle Organisation entsteht durch die Affinität zwischen Individuen und Gruppen, die in ihr, und nur in ihr, ihren Nexus21 der Vereinigung und die Bildung eines organischen Gewebes hat, das nie fertig ist, immer in Bewegung.
Die informelle Organisation findet auf dem Territorium statt und kann so weitreichend sein wie die Affinität selbst, wobei ihre Mitglieder keinen größeren Verpflichtungen unterliegen als denen, die sie freiwillig eingegangen sind, und ihr Zusammenhalt so stark ist wie die gemeinsame Leidenschaft, die Macht zu zerstören.
Da sie weder über Gremien noch über Wahlen zur Entscheidungsfindung verfügt, wird sie von der Versammlung, der Kommunikation, der Debatte und der Aktion aus erreicht. Die Fakten geben uns den Schlüssel zur Affinität mit Gleichgesinnten.
Es besteht kein Zweifel, dass wir all jenen Gruppen und Einzelpersonen begegnen müssen, mit denen wir, auch ohne es zu wissen, den gleichen Weg gehen.
XIV. Militanz22 ist die Antithese zur individuellen Verantwortung. Die erste ist die Unterwerfung unter Ideologie und Organisation, sie ist Märtyrertum, vom Leben getrenntes Handeln, Entfremdung. Das zweite ist gelebtes und gemeinsames Handeln, ein Bruch mit der Entfremdung, die Befreiung vom Begehren.
Wir überwinden die Militanz, wenn wir die Verantwortung für unser Handeln übernehmen, ganz gleich, wie viel Mühe es kostet.
Die informelle anarchistische Organisation ist die Organisation von verantwortungsbewussten Individuen, nicht von Militanten.
XV. Die informelle Organisation hat ein extremes Bedürfnis nach Autonomie, weil ihre eigene Zusammensetzung autonom ist, vom Individuum zur Gruppe, von der Gruppe zum Netzwerk.
XVI. Die informelle Organisation hat ein Bedürfnis nach ständiger Kommunikation als ein unpräzises Ganzes, das denkt und handelt, das gleichzeitig entscheidet und kämpft. Eine Einigung unter ihren Mitgliedern kommt auf natürliche Weise zustande und ist das Ergebnis empfundener Bedürfnisse und individueller Verantwortung.
XVII. Die informelle Organisation hat ein unerbittliches Bedürfnis nach Selbstkritik. Da ihre bloße Existenz eine praktische Kritik an dem Elend ist, welche durch den falschen sozialen Frieden auferlegt ist, wird es unerlässlich, ihre Taten zu analysieren, ohne nach Selbstgefälligkeit zu streben, um eine Fossilierung23 und systematische Rekuperation zu vermeiden, eine Rekuperation, die die erste repressive Form des Systems gegen revolutionäre Potentiale darstellt.
Alles ist fragwürdig und kritikwürdig, es gibt keine Zauberrezepte. Von diesem Punkt an bestätigt die Praxis, oder nicht, die Theorie und umgekehrt, wobei vermieden wird, in die Reproduktion von Stereotypen und ideologischen Modellen zu verfallen, und alles im Vorhinein und jede Mystifizierung und Apriorismus in Frage zu stellen.
XVIII. Die informelle Organisation hat die Notwendigkeit auf selbstverwaltete Räume auf dem Territorium, von denen aus Einzelpersonen, Gruppen und aufständische Initiativen operieren, experimentieren und sich treffen können. Räume, die in sich selbst einen Bruch und einen Angriff gegen das System bedeuten und aus denen reale Situationen libertärer Selbstverwaltung aufgebaut werden.
XIX. Die informelle Organisation hat die Notwendigkeit, Netzwerke der Kommunikation, der Debatten und der Verbreitung von Ideen zu fördern. Netzwerke, die das Bedürfnis nach direkter Kommunikation zwischen den Aufständischen und den verschiedenen laufenden Kämpfen decken, ohne in Gegeninformation (Interpretation und Übermittlung von Nachrichten ohne weiteres) und/oder ideologische Übermittlung (Verkauf eines Modells zur Nachahmung) zu verfallen, die das Gegenteil der Information und/oder der offiziellen ideologischen Übermittlung (in winzigem Maßstab) wären, aber in ihren gleichen entfremdenden Parametern verlaufen.
XX. Informelle Organisationen müssen sich mit materiellen Mitteln ausstatten, um die Repression zu bekämpfen. Die Solidarität mit den von Repression Betroffenen muss eine konstante Priorität sein, da sie die einzige Verteidigung des Revolutionärs ist. Solidarität mit unterdrückten Gefährten darf keine Pose und kein zufälliger Umstand bleiben.
XXI. Im Einklang mit dem oben Gesagten vermeidet und bekämpft die informelle Organisation die Reproduktion der kapitalistischen sozialen Beziehungen in ihrem Schoß und ist ein Erzeuger der kommunistischen sozialen Beziehungen und der latenten Realität im Hier und Jetzt der libertären Gesellschaft.
XXII. Die Notwendigkeiten der informellen Organisation sind kein vorher festgelegter Katechismus, der Punkt für Punkt erfüllt werden muss. Es handelt sich um Notwendigkeiten, die sich im Laufe des Kampfes ergeben und die vielfältige und variable Formen annehmen können, obwohl sie im Wesentlichen für die positive Entwicklung des Prozesses von wesentlicher Bedeutung sind. Keine wirkliche Notwendigkeit entsteht auf provozierte Art und Weise und keine ist der anderen überlegen, aber diese erscheinen durch die eigentliche Dynamik der Konfrontation als notwendig.
XXIII. Die informelle Organisation ist keine von den Kämpfen getrennte, noch ist sie ihnen überlegen oder ein Wegweiser dieser. Sie ist ein bewusster Teil der aufständischen Tendenz der Bewegung der Ausgebeuteten und beteiligt sich an sozialen Kämpfen. Sie verzichtet in Zeiten von Ebbe und falschem sozialem Frieden nicht auf Konfrontation und verschmilzt auf natürliche Weise mit den autonomen Klassenbewegungen, wenn diese sich in eine aufständische Richtung entwickeln.
XXIV. Trotz derer, die etwas anderes behaupten, die informelle Organisation ist Organisation. Von den organisationistischen Etapisten, für die jede Aktion erst die Vollendung der immer unvollendeten perfekten Organisation durchlaufen muss, bis zu den Individualisten, die unfähig sind, irgendeine Aktivität in der Gesellschaft anderer zu artikulieren und folglich in der Kritik und im Ghetto ihrer eigenen Illusionen verankert sind, reicht die Spanne der theoretischen und praktischen Vielfalt der Entwicklung der informellen Organisation als Organisation und nicht als bloße Formalität von ihren entschiedensten Gegnern bis zu ihren theoretischsten Vorgängern.
XXV. Quantitative Mystifizierung geht nun durch die zwei Seiten derselben Medaille. Einmal derer, die die beträchtliche Anhäufung von Mitglieder ihrer Kirche brauchen, um sich zu entscheiden, etwas zu tun, das über die symbolischen Routinen hinausgeht, und diejenigen, die nur von den Gruppenkapellen aus „handeln“ können, in der Annahme, dass diese die Garantien dafür sind, die Übel zu verhindern, derer die schweren Organisationen beschuldigt werden. Wenn die ersteren in ihrer geistigen Abwesenheit stecken bleiben, gehen auch die letzteren nicht weiter, denn die Beschränkungen, die sie dem kollektiven Handeln auferlegen, führen sie unwiderruflich weg von der sozialen Intervention und den hypothetischen Massenbewegungen und nehmen allmählich das Bewusstsein einer voluntaristischen Avantgarde an, und ich beziehe mich bewusst auf die Massenbewegungen, weil einige Leute vor einem solchen Begriff Angst haben.
Wenn die informelle Organisation keine eigenständige Organisation ist, muss sie in der Bewegung der Ausgebeuteten beginnen, suchen und in der Bewegung der Ausgebeuteten enden und ihre Praxis-Theorie in und aus der Realität der Kämpfe erweitern und nicht aus illusorischen Barrikaden und ausgedachten Klandestinitäten mit ebenso verdienstvollen wie selbstmörderischen Begierden. Die informelle Organisation sollte der Klebstoff sein, der die aufständische Tendenz der Bewegung der Ausgebeuteten in ihrer eigenen Mitte bindet, und nicht ein weiterer Faktor der Zerstreuung sein.
Auf jeden Fall impft die kleine Anzahl nicht gegen die Übel, die der schweren Organisation zuzuschreiben sind (Delegationismus, Organisationismus, Bürokratisierung,…). Als Beweis reicht es, einen Blick auf die kleinen Gruppen um uns herum zu werfen, die immer in ihre erstickende Dynamik involviert sind.
XXVI. Autonome soziale Bewegungen sind populäre Organisationen, die auf gefühlte Bedürfnisse reagieren. Sie entwickeln sich außerhalb des Apparats der Rekuperation der Macht und manifestieren sich in den Praktiken der Selbstverwaltung und der direkten Aktion.
XXVII. Autonome soziale Bewegungen entstehen als Negation der konkreten und alltäglichen Aspekte der kapitalistischen Ausbeutung. Ihr Ziel ist es, diesen Aspekt zu zerstören, einen Machtapparat anzugreifen. Folglich haben sie eine räumlich-zeitliche Begrenzung.
XXVIII. Wenn die autonome Bewegung den Angriff und die aufständische Praxis beeinflusst, neigt sie dazu, sich zu radikalisieren und eine weltanschauliche Sicht der Realität zu erwerben, Verbindungen zu anderen ähnlichen Bewegungen zu suchen und zu einem globalen Denken und Handeln zu gelangen.
XXIX. Die Schaffung diffuser aufständischer Situationen durch die autonomen Bewegungen, ihre Verbindung, ihr Zusammenhalt, ihre Verstärkung und Radikalisierung verwandeln die flüchtigen Momente der Revolte in Momente der Revolution und der allgemeinen Selbstverwaltung. Die autonomen Bewegungen werden durch den aufständischen Weg in eine revolutionäre Bewegung verwandelt.
XXX. Soziale Bewegungen unterscheiden sich von reformistischen sozialen Bewegungen dadurch, dass letztere ihr Handeln auf eine partielle Forderung stützen, die die kapitalistische Herrschaft nicht leugnet; sie fordern von ihr lediglich eine Übertragung der Macht, eine konkrete unbefriedigte Leistung.
In der Praxis ist es nicht leicht, zwischen dem einen und dem anderen zu unterscheiden, und es ist in vielen Fällen ihre eigene Entwicklung und die sie umgebenden Umstände, die uns den Schlüssel geben um diese entlarven/erkennen.
XXXI. Wir müssen unterscheiden zwischen der autonomen Bewegung als einer autonomen Praxis des Proletariats und der autonomen Organisation als einer ideologisierten Struktur, die versucht, die Bewegung zu verdrängen, indem sie sie mystifiziert und inhaltlich entleert.
Ideologie ist nicht autonom, sie unterliegt ihren eigenen Beschränkungen, sie ist eine Verfälschung der Realität.
Nur Kritik und Handeln können autonom sein.
Epilog.
Was in diesen Thesen exponiert wird, versucht nicht, den Wunsch nach einem Organisationsmodell auszudrücken. Sie versuchen, aus der Kritik heraus die allgemeinen Linien zu untersuchen, die zur Überwindung des gegenwärtigen Zustands der Dinge beitragen. Wie bereits gesagt wurde, ist dies kein Katechismus. Es gibt disparate Formen des Handelns und Tuns und verschiedene Wege, die man beschreiten und die man nicht im Voraus festlegen kann, ohne in ideologische Fiktionen zu verfallen.
Aber es stimmt zwar, dass es unterschiedliche Handlungsweisen und unterschiedliche Erfahrungswege gibt, aber es gibt nur einen Weg, die Dinge nicht zu tun, und das kennen wir bereits.
Herbst 1999.
Dieser Text wurde von Ediciones Piratillas (Alicante) im März 2001 veröffentlicht.
1Die FIJL, Federación Iberica de la Juventudes Libertarias – Iberische Föderation der Libertären Jugend, war eine 1932 gegründete anarchistische Organisation die bis Mitte der 2000er existierte. Oft wird der Fehler begangen, diese Organisation als die Jugendgruppe der CNT zu sehen. Die FIJL waren eine autonom agierende Organisation die sich als ein Teil der Libertären Bewegung sah.
2A.d.Ü., etapistisch Adjektiv von Etapismus, in diesem Falle die soziale Revolution in Form von Etappen zu sehen, Stück für Stück sich hocharbeiten, bis die perfekten Voraussetzungen und Bedingungen vorhanden sind, die aber letztendlich in Reformen zerfallen und dadurch ein Stütze des Kapitalismus werden. Das von Eduard Bernstein 1899 veröffentlichte Buch „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“ ist dafür ein Paradebeispiel.
3A.d.Ü., im Originaltext ist genau an der Stelle ein Fragezeichen, zu entnehmen ist die Frage welche die Voraussetzungen und Bedingungen die für die soziale Revolution notwendig sind. Gibt es sie überhaupt? Können sie überhaupt festgelegt werden? Oder wird die soziale Revolution einfach gemacht?
4A.d.Ü., in diesem Fall wird schwer als ein Synonym für bürokratisch, unbeweglich, ideologisch, usw. verwendet. Dieser Begriff wird im Verlauf des Textes noch mehrmals auftauchen.
5A.d.Ü., es ist nicht in unserem Sinne eine kommentierte Ausgabe dieses Textes zu veröffentlichen, aber bei diesem Absatz gehört eine Erklärung hinzu, wenn nicht der Kontext klar ist. Es könnte nämlich bei der Beschreibung die Idee entstehen, dass hier, sagen wir mal, eine klassische marxistisch-leninistische Avantgarde beschrieben wird. Es ist nicht unbedingt der Fall, sondern richtet sich eher an die klassische Struktur anarchistischer Organisationen, wie in diesem Fall der CNT, die eben viele Parallelismen zu marxistisch-leninistischen Avantgarden aufweist.
6A.d.Ü., Proselytismus bedeutet das Bekehren, das Abwerben von Gläubigen aus anderen Glaubensrichtungen, aber nicht unbedingt auf die nette Art.
7A.d.Ü., als Erklärung: die CNT verdeckt ihren Reformismus, indem sie auf ihre revolutionäre Vergangenheit verweist, die aber auch nicht immer unbedingt revolutionär war.
8A.d.Ü., unter organische Formen werden die internen Abläufe verstanden und gemeint.
9A.d.Ü., im Originaltext steht reivindicativo was wortwörtlich zurückfordernd bedeutet. Dieser Begriff besitzt aber einen kämpfenden Charakter, als Beispiel: una reivindicación bedeutet eine Forderung, aber auch zugleich ein Bekennerbrief.
10A.d.Ü., hiermit wird gemeint dass anstatt die soziale Revolution 1936 bis zur letzten Konsequenz durchgeführt wurde, verlieh man dieser einen staatlichen Charakter, wie die Institutionalisierung der Kollektivierungen, der Teilnahme an der Regierung, bis hin zu den Mai Tagen 1937.
11A.d.Ü., sprich hier wird auch jegliche Form der Repräsentation gemeint.
12A.d.Ü., das Wort, auch im Originaltext recuperación, begleitet uns seit jeher bei den Übersetzungen aus dem Spanisch. Sehr oft haben wir diese versucht zu beschreiben, hier ein weiteres mal.
Der Begriff der Rekuperation, oder Zurückgewinnung, Wiedererlangung, usw., wurde vor allem von der Situationistischen Internationalen beeinflusst und entnommen. Es erklärt den Moment, wo revolutionäre Ideen ihrer Inhalte entleert werden und zur Ideologie verkommen, bzw. von jeglicher herrschenden Ideologie übernommen werden. Im konkreten bedeutet dies, als Beispiel, als der Kommunismus (oder eher der Marxismus-Leninismus) zur Staatsform (sowie in der UdSSR praktiziert), zu einer herrschenden Ideologie wird, verlor dieser automatisch seinen Ursprung und wurde zum Instrument der Herrschaft einer Partei gegen die Arbeiter*innen.
13A.d.Ü., die Ludditen oder der Luddismus, auch bezeichnet als Maschinenstürmer,war eine Bewegung englischer Arbeiter*innen, vor allem Handwerker, die Anfang des 19. Jahrhunderts (1811-1816) existierte. Durch das voranschreiten der Industrialisierung des Kapitalismus verloren viele Handwerker ihre altertümlichen Berufe, weil sie mit ihrer Arbeitsweise nicht denen der Fabriken stand halten konnten. Dadurch wurden sie gezwungen selber in die Fabriken zu gehen. Um dagegen zu kämpfen bewaffneten sich viele dieser Handwerker/Arbeiter*innen mit schweren Werkzeug (Hammer und Schlüsseln), stürmten die Fabriken und zerstörten diese neuen Produktionsstätten. Höhepunkt dieser Bewegung waren die Jahre der napoleonischen Kriege, bei der die Armee des Empires zusätzliche Truppen nach England verschiffen musste um diese aufständische Bewegung niederzustrecken.
14A.d.Ü., gemeint wird der Bürgerkrieg, oder auch als Aufstand bezeichnet, in Albanien von 1997. A.M. Bonanno veröffentlichte dazu eine Broschüre, die noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde, hier auf Englisch.
15A.d.Ü., eine Katharsis ist das Sehen, Nachempfinden, sprich ein indirektes Erleben (z.B., eine Theateraufführung), einer Tragödie, bei der man alle möglichen Affekte erlebt (Trauer, Mitleid) und diese durch diese nicht erlebte Erfahrung reinigt.
16Siehe Fußnote Nr.8
17A.d.Ü., Absentismus bedeutet die gewohnheitsmäßige körperliche Abwesenheit oder das Fernbleiben von diversen Ereignissen/Aktivitäten,in diesem Fall nicht nur von demokratischen Wahlen, sondern auch von der Arbeit.
18A.d.Ü., siehe Fußnote Nr.8, diesmal wird die Rekuperation personifiziert.
19A.d.Ü., Ostrazismus bedeutet Scherbengericht, Verbannung, wurde in der Antike in Athen verübt und aus der Zeit stammt dieser Begriff. Öffentliche Figuren, meistens Politiker, wurden aus der Stadt vertrieben und beim verlassen der Stadt wurde der Name des Verbannten auf Tonwaren geschrieben und diesem vor ihm die Füße geworfen.
20A.d.Ü., die Herrschenden können es nicht rekuperieren, siehe Fußnote acht.
21A.d.Ü., Nexus bedeutet Zusammenhang, Verbindung und Verflechtung.
22A.d.Ü., wir verwenden hier wie im Originaltext den Begriff des Militanten/Militante(Spanisch) und der Militanz/Militantismo(Spanisch). Im deutschsprachigem Raum werden diese Begriffe vor allem in Bezug auf die Haltung, in diesem Fall eine bejahende, zur Gewalt verwendet. Nun dies ist auf der restlichen Welt etwas anders, weil der/die Militante, sowie die Militanz, nicht unbedingt eine Frage der Gewalt ist, sondern es handelt sich hier um eine politische Haltung, egal welcher Idee. Militant sind jene die sich mit rigoroser Disziplin ihrer Sache widmen. Darin wird aber, in diesem Falle, eine entfremdete Haltung kritisiert, die überwunden werden soll. Daher wäre als Beispiel der Antagonismus des Militanten ein/e Revolutionär/e. Wir werden zu dieser Debatte noch mehrere Texte veröffentlichen.
23A.d.Ü., zum Fossil werden oder verkommen.