[Bln] Militaristische Straßennamen überklebt

Themen: 
Regionen: 

In der Nacht zum 20. Juli 2014 wurden in Berlin zahlreiche Straßennamen überklebt, die sich auf Personen beziehen, die für Krieg, Militarismus und Nationalismus stehen. Damit soll ein Zeichen gegen militaristische Traditionen gesetzt werden, die im Berliner Straßenbild weiterhin präsent sind. Straßennamen dienen nicht allein der Orientierung, sondern sind ein Spiegelbild der in der Gesellschaft dominierenden Erinnerungspolitik. Anlass der Aktion ist das „feierliche Gelöbnis“ der Bundeswehr, welches am 20. Juli in Berlin stattfindet und ein zentrales militaristisches Ritual in der BRD darstellt. Gelöbnisse und Zapfenstreiche dienen der Legitimierung deutscher Kriegspolitik und stellen einen Teil der Militarisierung der Gesellschaft dar. 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges ist Militarismus und Krieg nicht überwunden. Die Bundeswehr ist an weltweiten Kriegen beteiligt und die deutschen Waffenexporte boomen.

Das „feierliche Gelöbnis“ in Berlin findet immer am 20. Juli, dem Tag des 1944 gescheiterten Hitler-Attentats des Kreises um Wehrmachtsoffizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg statt. Die Bundeswehr will sich damit in die Traditionslinie des militärischen Widerstandes stellen. Im Verschwörerkreis befanden sich allerdings auch Antisemiten und Kriegsverbrecher, die ein völkisch-nationalistisches Weltbild vertraten. In Äußerungen Stauffenbergs lassen sich beispielsweise Berührungspunkte mit nationalsozialistischem Gedankengut finden: „Der Gedanke des Führertums (…) verbunden mit dem einer Volksgemeinschaft, der Grundsatz ‚Gemeinnutz geht vor Eigennutz‘ und der Kampf gegen die Korruption, der Kampf gegen den Geist der Großstädte, der Rassegedanke und der Wille zu einer neuen deutschbestimmten Rechtsordnung erscheinen uns gesund und zukunftsträchtig.“ Die elitäre und antidemokratische Ausrichtung Stauffenbergs findet sich auch in dem 1944 entworfenen Eid der Verschwörer, in dem gegen die „Gleichheitsslüge“ Stellung bezogen und eine Anerkennung der „naturgegebenen Ränge“ gefordert wird. Einige Straßen in Berlin tragen die Namen dieser Offiziere, die keineswegs Antifaschisten, sondern selbst Anhänger nationalsozialistischer Ideen waren und sich vor allem aufgrund der drohenden Kriegsniederlage gegen Hitler wandten.

Ein Viertel mit besonders vielen kriegsverherrlichenden Straßennamen befindet sich in Tempelhof. Dort lassen sich viele von den Nazis nach „Jagdfliegerhelden“ des ersten Weltkriegs benannte Straßen finden, zum Beispiel nach Manfred von Richthofen. Der 21. April, der Todestag Richthofens, wurde 1936 offiziell zum „Tag der deutschen Luftwaffe“ ernannt. Zu diesem Anlass wurden 16 Tempelhofer Straßen durch die Nazis umgetauft. Initiator dieser Umbenennungen war der „Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe“, Hermann Göring.

Symbole des Militarismus und Nationalismus einreißen! Kriegsverherrlichung und Heldenkult sabotieren! Krieg beginnt hier!

 

 

Folgende Straßennamen wurden überklebt und mit einem Hinweis bestückt:

 

 

Tempelhof:

Bäumerplan benannt nach Paul Wilhelm Bäumer (1896-1927). Er gilt mit 43 von ihm abgeschossenen Flugzeugen als einer der erfolgreichsten deutschen Jagdflieger im Ersten Weltkrieg. Die Straße wurde am 21. April 1936 von den Nazis nach ihm benannt.

Boelckestraße benannt nach Oswald Boelcke (1891-1916). Er war ein deutscher Jagdflieger im Ersten Weltkrieg, der als „Kriegsheld“ gilt, da er 40 Flugzeuge abschoss. Das Kampfgeschwader 27 „Boelcke“ war ein Verband der Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg. Auch die Luftwaffe der Bundeswehr hat mit dem Taktischen Luftwaffengeschwader 31 „Boelcke“ eine Einheit nach ihm benannt. Die Straße wurde am 21. April 1936 von den Nazis nach ihm benannt.

Hoeppnerstraße benannt nach Ernst Wilhelm Arnold von Hoeppner (1860-1922). Er war ein preußischer Offizier sowie von 1916 bis 1918 als Kommandierender General Befehlshaber der deutschen Luftstreitkräfte im Ersten Weltkrieg. Die Straße wurde am 21. April 1936 von den Nazis nach ihm benannt.

Manfred-von-Richthofen-Straße benannt nach Freiherr Manfred Albrecht von Richthofen (1892-1918). Er war ein deutscher Jagdflieger im Ersten Weltkrieg, der mit 80 Abschüssen als der „erfolgreichste“ Jagdflieger gilt. Die Luftwaffe der Bundeswehr hat mit der Taktischen Luftwaffengruppe „Richthofen“ eine Einheit nach ihm benannt. Die Straße wurde am 21. April 1936 von den Nazis nach ihm benannt.

Rumeyplan benannt nach Fritz Rumey, der mit 45 Abschüssen als der „sechsterfolgreichste“ Jagdflieger des Ersten Weltkrieges gilt. Die Straße wurde am 21. April 1936 von den Nazis nach ihm benannt.

Siegertweg benannt nach Wilhelm Siegert (1872-.1929). Im Ersten Weltkrieg war Oberstleutnant Siegert Inspekteur der Flieger- und Luftschifftruppen. Die Straße wurde 1930 nach ihm benannt.

Werner-Voß-Damm benannt nach Werner Voß (1897–1917), der mit 48 Abschüssen als „Fliegerheld“ des Ersten Weltkrieges bezeichnet wird. Die Straße wurde am 21. April 1936 von den Nazis nach ihm benannt.

Wintgensstraße benannt nach Kurt Wintgens (1894 1916). Er war ein deutscher Jagdflieger im Ersten Weltkrieg, der mit 22 Abschüssen als „Fliegerheld“ gefeiert wurde. Die Straße wurde 1930 nach ihm benannt.

Wüsthofstraße benannt nach Kurt Wüsthoff (1898-1926). Er war ein Jagdflieger im Ersten Weltkrieg. Die Straße wurde 1930 nach ihm benannt.

 

 

Charlottenburg:

Friedrich-Olbricht-Damm benannt nach Friedrich Olbricht (1888-1944). Olbricht machte als Militär Karriere im NS-Staat. Am Polenfeldzug nahm Olbricht als Kommandeur der 24. Infanteriedivision teil und wurde nach Beendigung zum General der Infanterie befördert und erhielt das Ritterkreuz. Ab 1940 war er Chef des Allgemeinen Heeresamtes. Er beteiligte sich an den Plänen und Vorbereitungen für den 20. Juli 1944.

Goerdelerdamm benannt nach Carl Friedrich Goerdeler (1884-1945). Goerdeler war von 1930 bis 1936 Oberbürgermeister von Leipzig. Die Weimarer Republik lehnte er ab. Er gratulierte Hitler im Sommer 1934 zur „Beseitigung der Parteienherrschaft“. Goerdeler wandte sich zwar gegen den Antisemitismus der Nazis, er vertrat jedoch selbst antisemitische Positionen, wie sie sich beispielsweise in seinen 1944 verfassten „Gedanken eines zum Tode Verurteilten“ zeigen: „Wir dürfen nicht bemänteln wollen, was geschehen ist, müssen aber auch die große Schuld der Juden betonen, die in unser öffentliches Leben eingebrochen waren in Formen, die jeder gebotenen Zurückhaltung entbehrten.“ Er sollte nach dem Attentat vom 20. Juli 1944, an dessen Planung er maßgeblich beteiligt war, das Amt des Reichskanzlers übernehmen.

Klausingring benannt nach Friedrich Karl Klausing (1920-1944). Klausing trat im Herbst 1938 in die Wehrmacht ein. Er war zunächst in Polen und Frankreich eingesetzt und nahm im Winter 1942/1943 an den Kämpfen bei Stalingrad teil. Er begleitete Stauffenberg beim ersten Attentatsversuch am 11. Juli als dessen Adjutant.

Bilder: 
webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Ergänzungen

in Berlin Dahlem gäbe es auch die Taku- Lans- bzw. Iltisstraße, welche an die "ruhmreichen" Taten des Hr. Lans in Taku mittels Kanonenboot Iltis erinnern sollen, der sich dort 1899 an der Niederschlagung antiimperialistischer Aufstände beteiligte.

Linker Protest in Berlin: Schildbürgerstreich in historischer Nacht

Tagesspiegel vom 24.07.2014 // Seite 11 // von Nantke Garrelts

Aktivisten überklebten am 20. Juli Schilder in Tempelhof und Charlottenburg – als Aktion gegen Militarismus. Die betroffenen Bezirke halten die Kritik für unangebracht.

In der Nacht zum 20. Juli waren sie hellwach: Unbekannte Aktivisten überklebten Straßenschilder im sogenannten „Fliegerviertel“ in Tempelhof und an mehreren Straßen in Charlottenburg. Ziel in Tempelhof waren die Schilder am Bäumerplan, in der Boelckestraße, Hoeppnerstraße, Manfred-von-Richthofen-Straße, Rumeyplan, am Siegertweg, Werner-Voß-Damm, in der Wintgensstraße und der Wüsthoffstraße. Sie alle sind nach Jagdfliegern aus dem Ersten Weltkrieg benannt. Kontrovers an der Benennung ist unter anderem, dass sie durch die Nationalsozialisten vorgenommen und seitdem nicht geändert wurde.

In ihrer Bekanntmachung auf der linken Nachrichtenplattform „Indymedia“ und auf einem Plakat, das unter jedem überklebten Schild angebracht wurde, kritisieren die Überkleber unter dem Decknamen „StaßennamendemilitarisiererInnen“ diese Namensgebung und bezeichnen sie als „kriegsverherrlichend“.
Nicht alle zufrieden

In Charlottenburg überklebten die Aktivisten Schilder am Friedrich-Olbricht- Damm, Goerdelerdamm und Klausingring, allesamt Straßen, die nach Mitgliedern des Widerstands des 20. Juli benannt sind. Auch diese Persönlichkeiten sind für die Militarismusgegner problematisch, denn schließlich hätten selbst die Widerstandskämpfer die Nationalsozialisten unterstützt und teilweise auch antisemitisches Gedankengut gehabt, so die Argumentation der Aktivisten.

Zu Carl Friedrich Goerdeler etwa schreiben sie in ihrer Bekanntmachung, dass er judenfeindliche Positionen vertreten habe, und zitieren einen Aufsatz von 1944, in dem er schreibt, man müsse „aber auch die große Schuld der Juden betonen, die in unser öffentliches Leben eingebrochen waren in Formen, die jeder gebotenen Zurückhaltung entbehrten“. Die Stadträtin für Hochbau im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, Dagmar König (Grüne), weist solche Vorwürfe zurück.

Die studierte Historikerin nennt den Vorfall „ärgerlich“. „Man muss die Personen aus ihrer Zeit heraus interpretieren“, so ihre Meinung zu der Kritik von links, den sie erst für einen Anschlag rechter Aktivisten hielt. Natürlich hätten viele Widerstandskämpfer einen militärischen Hintergrund gehabt und damit die Nazis zunächst unterstützt. „Das kann man auch differenziert diskutieren, aber solche Formen sind indiskutabel.“ Das Tiefbauamt beseitigte die Aufkleber am Dienstag. Der Bezirk erwägt eine Strafanzeige. In Tempelhof wurden die Aufkleber bis Mittwoch beseitigt. Der Bezirk beauftragte eine Vertragsfirma mit der Überprüfung und Entfernung. Eventuell müssten einige Schilder wegen nicht entfernbarer Silikonreste ganz ausgetauscht werden, heißt es aus dem Bezirksamt. Der Bezirk hat bereits Strafanzeige gegen unbekannt erstellt.
Aktion mit Tradition

Überklebeaktionen haben Tradition in Berlin: Manchmal sind sie politisch-kritisch, wie im Afrikanischen Viertel in Wedding, wo 2010 die Namen afrikanischer Länder, Städte und deutscher Kolonialherren mit Namen afrikanischer Persönlichkeiten wie etwa des ersten kongolesischen Präsidenten Patrice Lumumba überklebt wurden. Oder sie sind kreativ-verspielt, wie bei der „Neuschwabenberg-Aktion“ 2013, als Unbekannte Straßen in Prenzlauer Berg in „Sträßle“ und „Gässle“ umbenannten.

Der Pankower Baustadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) findet solche Aktionen „pubertär“, kann aber sonst über überklebte Straßenschilder nicht klagen. Im früheren Ost-Berliner Bezirk wurden viele Namen nach dem Krieg und später nach der Wende geändert.

Bilder: