Aus Anstand und Moral

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Das Gezerre um ein Mahnmal zur Beihilfe der Bremer Spedition Kühne & Nagel beim deutschen Judenmord zeigt: In Bremen gibt es auffällig viele Meister der Erinnerungskultur. Die AntifaRecherche Bremen (ARB) über Anstand und Moral des vergangenen und aktuellen Bremer Standortmarketings.

 

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Ich, der unterzeichnete Jude, bestätige hiermit, ein Feind der deutschen Reichsregierung zu sein und als solcher kein Anrecht auf das von mir zurückgelassene Eigentum, auf Möbel, Wertgegenstände, Konten oder Bargeld zu haben. Meine deutsche Staatsbürgerschaft ist hiermit aufgehoben und ich bin vom … November ab staatenlos.“

 

 

 

Diesen infamen Wisch mussten Bremer Juden am 18. November 1941 unterschreiben, bevor 450 von ihnen ins Ghetto Minsk deportiert wurden. Nur Monate später wurden dort die meisten von ihnen in einer ‚Säuberungsaktion‘ ermordet. Vollstreckungsbeamte machten sich gleich nach der Deportation über ihr Hab und Gut her. Die Bremer Privatwirtschaft hatte sich schon zuvor besonders findig gezeigt, um aus der Vernichtungspolitik Kapital zu schlagen. Traditionspedition F.W. Neukirch etwa sorgte 1939 für Aufregung in der nationalsozialistischen Presse, als sie erwischt wurde, bei der Terrorisierung, Verfolgung und Entrechtung der Juden proaktiv mitverdienen zu wollen. Sie hatte Reklamematerial an Adressen, „die vielleicht auf einen jüdischen Ursprung schließen ließen“ verschickt, um gütigst Hilfe bei der Ausreise anzubieten. Einige volksdeutsche Empfänger wandten sich daraufhin empört an den Stürmer, sodass der Leiter des Amtes für Handel und Handwerk einen „alten Parteigenossen“ von der Spedition zur Unterredung einbestellen musste: „Wenn sich Neukirch diese Arbeit recht tüchtig bezahlen lässt (…), so ist dies ja nur zu begrüßen“, vermeldete der eine Schelm anschließend über den anderen an Partei-Kreisleitung und Stürmer-Redaktion.

 

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Auch in einer anderen Bremer Traditionsfirma wusste man die Zeiten zu nutzen. Nachdem Werner und Alfred Kühne im April 1933 die Firmenanteile des väterlichen Speditionsunternehmens „Kühne & Nagel“ höchstpersönlich arisiert hatten, gingen Karriere und Gewinn in Nazideutschland für die beiden steil nach oben. Den jüdischen Miteigentümer Adolf Maass, der später in Auschwitz mit seiner Frau Käthe ermordet wurde, drängten sie dazu erpresserisch hinaus. Werner Kühne trat nur Tage später in die NSDAP ein. Die Firma ist heute unter den zehn größten Logistikunternehmen der Welt, mit einem Jahresumsatz von über 20 Milliarden Schweizer Franken. Der Hauptsitz ist nun in der Schweiz, da Alfred Kühnes Junior, Klaus-Michael, die deutsche Unternehmenskontrolle für das Traditionsunternehmen fürchtete. Fragte man nach der monströsen Beihilfe zur Verschickung geraubten jüdischen Eigentums von Deportierten und Geflohenen, zum Beispiel im Rahmen der sogenannen „M-Aktion“ zwischen 1942 und 1944, stellte man sich jahrelang routiniert ahnungslos. Kühne Junior, der sich dafür feiern lässt, mit einem vaterlandstreuen Konsortium an der ‚Hamburger Lösung‘ mitgewirkt und die Übernahme von Hapag-Lloyd ‚an Asiaten‘ (WiWo, 16.7.12) verhindert zu haben, ließ lange Zeit gänzlich abwiegeln. Erst zum 125. Jubiläum, das 2015 pompös auf dem Bremer Marktplatz gefeiert wurde, fand sich ein etwas längerer Abschnitt in der Firmenchronik. Auch in einer nur auf Deutsch einsehbaren Stellungnahme auf der Firmenwebseite macht man sich nun in ganz ähnlichen Textbausteinen ehrlich: „Wie andere Unternehmen, die bereits vor 1945 bestanden, war Kühne + Nagel in die Kriegswirtschaft eingebunden und musste in dunklen und schwierigen Zeiten seine Existenz behaupten. Schon im Ersten, aber erst recht im Zweiten Weltkrieg war dies eine grosse Herausforderung. […] Kühne + Nagel ist sich der schändlichen Vorkommnisse während der Zeit des Dritten Reiches bewusst und bedauert sehr, dass es seine Tätigkeit zum Teil im Auftrag des Nazi-Regimes ausgeübt hat. Zu berücksichtigen sind die seinerzeitigen Verhältnisse in der Diktatur sowie die Tatsache, dass Kühne + Nagel die Kriegswirren unter Aufbietung aller seiner Kräfte überstanden und die Existenz des Unternehmens gesichert hat.“

 

Den zynischen Zeilen ist die seinerzeitige Propaganda abzulesen. „Alleinstehende Frauen und Mädchen machen es sich in ihrem Frauenheim gemütlich“ hieß es im NS-Propagandafilm Theresienstadt komplementär. Dorthin wurde Adolf Maass deportiert, während Kühne & Nagel das Kunst-Raubgut für den ‚Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg‘ lieferte.

 

Dunkel und schwierig waren die Zeiten indes für Werner und Alfred nicht. Ein Entnazifizierungsbericht sagt über die beiden, was jeder weiß, nämlich dass sie „große Nazis“ (Taz, 25.7.15) gewesen sind. Im nationalsozialistischen Deutschland kam ihre Firma erst richtig zum Blühen und nach dem Krieg ging es umso erfolgreicher bergauf. Traditionsbewusst gibt sich dabei auch noch Kühne Junior. 2008 bekundete er während eines Podiums, dass eine dänische Reederei als Investor für Hapag-Lloyd nicht erwünscht sei. „Wir wollen das Unternehmen möglichst reinrassig deutsch halten“, sagte er wörtlich (SPON, 12.11.08).

 

 

 

Bremer ‚Wiedergutmachung‘

 

 

 

Im Sommer 1946 übernahm der Sozialdemokrat Josef Wanschura in Bremen die Leitung der „KL-Betreuungsstelle“, die in ihren ersten Jahren weitgehend ohne verwaltungstechnische Durchführungsverordnungen ehemaligen KZ-Häftlingen unbürokratisch und für den deutschen Staat nicht unvorteilhafte Entschädigungen gewährte. Die Bremer Finanzverwaltung sah das allerdings gar nicht gerne. „[A]ußerordentlich hoch“ erschienen ihr die gezahlten und bewilligten Summen. Wem es etwa als Jude gelungen sei, sich als Zwangsarbeiter auszugeben, dem stehe weniger Geld zu: „Die Zwangsarbeit in Deutschland könne nur als eine mittelbare Verfolgung angesehen werden, weil sie zu dieser Zeit nicht mehr als Jüdinnen erkannt worden seien“ heißt es im Protokoll einer Besprechung zwischen Vertretern des Landesinteresses und der Entschädigungsbehörde zu einem konkreten Fall zweier überlebender Jüdinnen.

 

Ganz genau wollte man es auch beim Bremer Rechnungshof wissen. Im Einzelfall sollte geprüft werden, ob die Betroffenen tatsächlich wegen „Rassenschande“ einsaßen – natürlich vom Rechnungshof so geschrieben wie kurz zuvor noch offen gemeint – oder ob zur Lagerhaft etwa nicht doch wie bei den „Asozialen“ und „Vaganten“ kriminelle Handlungen vorgelegen hätten. Die Bremer Finanzbehörde hielt es umgekehrterweise zunächst ohnehin noch mit der nationalsozialistischen Praxis, ‚Arisierungen‘ von unzugänglicherem ‚Feindvermögen‘ nur so weit voranzutreiben, wie aus dem Ausland nicht Gleiches widerfahre. 1946 las sich die analoge Strategie so: „Auskünfte über beschlagnahmtes oder verfallenes Vermögen sind mit besonderer Sorgfalt zu behandeln. Namen und Anschriften der Erwerber solcher Vermögenswerte sind jedoch dem früheren Eigentümer oder dessen Erben zur Erhaltung des Rechtsfriedens vorerst nicht mitzuteilen.“ Vorerst kassierte schließlich auch die Staatskasse alle Einnahmen, die die Objekte abwarfen. Josef Wanschura jedenfalls wurde der Bremer Verwaltung lästig. Er flog raus und entkam knapp einer für ihn ruinösen gerichtlichen Anklage aufgrund angeblich falscher und betrügerischer Amtsführung.

 

Auch beim Bremer Weser-Kurier wurden in Sachen ‚Wiedergutmachung‘ ein paar Kapitel geschrieben. Wie dem deutschen Zeitungswesen allgemein – „Wiedergutmachtung. Forderungen ohne Ende?“ (DIE ZEIT, 18.12.58) – war der deutsche Massenmord auch dem Bremer Stadtblatt auffällig oft anlässlich gemeingefährlich hoher Entschädigungssummen und angeblicher Bereicherungen „jüdischer Rechtsbeistände“ (SPIEGEL, 15.5.63) Skandal-Schlagzeilen wert. „Der Anklageschrift zufolge sind riesige Summen durch einen wilden Handel mit Feststellungsbescheiden in falsche Kanäle geflossen“ (WK, 16.4.52), hieß es zur Affäre um Philipp Auerbach. Der „Cäsar der Wiedergutmachung“, wie der SPIEGEL (4.2.51) höhnte, war Holocaust-Überlebender, Mitglied des ersten Direktoriums des Zentralrats der Juden und Leiter des bayrischen Landesentschädigungsamtes. Er wurde in München Opfer verschiedener abstruser Vorwürfe in einem von der bayrischen Landesregierung von langer Hand geplanten und von Ex-Nazis geführten Prozess, in dem er unter anderem wegen vermeintlicher Veruntreuung von Entschädigungsgeldern angeklagt wurde. „Schluss mit der Entnazifizierung!“ (WK, 20.7.51) fiel dem Weser-Kurier dazu ein und kolportierte im gleichen Artikel, Auerbach habe laut Zeugenaussagen im Konzentrationslager Mitgefangene misshandelt und getötet.

 

„Bayrischer Staat um 5,3 Millionen Mark geschädigt“ (5.7.52) titelte das Blatt dann ein Jahr später zum „ungekrönte[n] König von Bayern“, wie Ex-Nazi-Staatsanwalt Wilhelm Hölper dem Angeklagten im Plädoyer nachsagte (6.8.52), was ebenso wie das psychologische ‚Sachverständigenurteil‘: „Undiszipliniert fast wie ein Säugling“ (5.7.52) ganz im Sinne journalistischer Wertfreiheit im Untertitel zitiert wurde. Nach seiner Verurteilung, die ihm nur noch einen winzigen Bruchteil der einstigen Vorwürfe nachzuweisen behauptete, beging Auerbach Selbstmord, später wurde er rehabilitiert. Immer wieder hatte der Weser-Kurier zuvor direkt aus dem Prozess zitiert. Etwa den damaligen Staatssekretär im bayrischen Finanzministerium Dr. Ringelbach mit der Aussage, das Landesentschädigungsamt sei lange Zeit „Tummelplatz für Kriminelle, Betrüger und Geisteskranke“ gewesen, wo sich vornehmlich „organisierte Zigeuner und Leute, denen das Messer locker in der Tasche steckte“ herumgetrieben hätten. (WK, 24.8.51) Rückblickend sinnierte dann Chefredakteur Otto Bothe: „Trotzdem ist es notwendig, sich so unsentimental wie möglich die Kette der Unzulänglichkeiten – persönlichen wie formalistischen – zu vergegenwärtigen, die hier den schier unlösbaren Knoten des Schicksals geknüpft haben. (…) Man sollte ihn nicht zum Märtyrer eines neuen semitischen Abwehrkampfes machen. Das wäre ein schwerer Rückschlag für alle Bemühungen, die noch immer unter der Oberfläche schwelenden Reste des Antisemitismus auszutreten.“ (WK 19.8.52)

 

Der Weser-Kurier blieb auch in den folgenden Jahren sehr bemüht. Zum Beispiel im Fall des Wehrdienstverweigerers Georg Bock. Dieser hatte für internationale Empörung gesorgt, weil sein Antrag auf Entschädigung bei der Bremer Entschädigungsbehörde abgelehnt und dies vom Bundesgerichtshof bestätigt wurde. Wehrdienstverweigerung sei kein Widerstand. Nachdem die Bremer Behörden dem Kläger doch noch nachweisen konnten, dass er sich einige Geschichten rund um seine Dienstverweigerung ausgedacht hatte, überschlug man sich im Weser-Kurier vor Freude über die „sensationelle[n] Enthüllungen“ (9.2.62), die endlich die Ehre der Stadt wieder herstellten. Für die benötigte man nämlich echte Widerstandskämpfer und keine Betrüger: „Wie die Ehefrau so charakterisierte auch ein 73jähriger Nervenarzt, der Anfang des Krieges ein Gutachten über Bock geliefert hatte, den Angeklagten als ‚schwächliche Natur und als Psychopathen von konstitutioneller und moralischer Minderwertigkeit.‘ Seine Magenbeschwerden seien rein nervöser Art gewesen“, ließ man in aller journalistischen Distanz einen Artikel zum Prozess ausklingen (4.2.65).

 

Nicht nur die Skandale, angeblichen Betrugsfälle und vermeintlich horrenden Entschädigungssummen wurden vom Weser-Kurier eifrig aufgegriffen. Besonders gerne beschäftigte sich die linksliberale Presse auch mit der Globalentschädigung, die die Bundesrepublik mit Israel aushandelte: „Jüdische Forderungen: 13 Milliarden Mark“ hieß es im April 1952. Von der Propgandamachart, heute im unschuldigen Berichtsjargon Stimmung zu machen, um morgen in aller moralischer Betroffenheit noch einmal alles differenziert zu kommentieren, hat sich der Weser-Kurier nie wieder frei gemacht, wenngleich sich immer wieder auch halbwegs aufmerksame Artikel zu den deutschen Verbrechen aus seinen Anfangstagen finden.

 

Bremer ‚Erinnerungskultur‘

 

Wir stehen in der Pflicht, uns unserer Vergangenheit zu erinnern – natürlich aus Anstand und Moral, aber vor allem aus der Verantwortung heraus, nicht zuzulassen, dass die Vergangenheit beschönigt wird.“ (Christian Weber, SPD)

 

Gute Sitten haben in Bremen Tradition. Das beweist auch das Schmierentheater um ein von der Taz um Henning Bleyl dankenswerterweise initiiertes Mahnmal, das an die tätige Beihilfe von Kühne & Nagel beim Raub jüdischen Eigentums erinnern soll. Trug die Diskussion darum zwar zeitweise auch etwas von jenem zivilgesellschaftlichen Flair, dem es um die toten Juden vor allem deswegen gelegen ist, damit einem die lebenden und etwaige Entschädigungen umso egaler sein können, muss man zweifellos anerkennen, dass die Raub-Mord-Firma Kühne & Nagel sich dieses Mahnmal mehr als redlich vor der eigenen Haustür verdient hat. – Hätte. Wäre es nur recht und billig die gesamte Firma zu enteignen und zwar mit besonderem Augenmerk auf Entschädigungszahlungen, wird es dazu nicht kommen. Dass auch das Mahnmal an einem immer noch nicht fixen „Kompromissstandort“, wahrscheinlich 180 Meter flussaufwärts gebaut werden soll, ist insbesondere dem „Mittelweg“ der SPD in der „Stadt der kurzen Wege“ (WK, 29.3.17) zu verdanken. Dort hatte man sich zunächst mit findigen Vorschlägen hervorgetan, wie man das Mahnmal möglichst weit in die Bremer Peripherie, zum Beispiel ins vorstädtische Huchting verfrachten und dabei die Mahnmal-Idee am standorttauglichsten vergemeinschaften kann. Das Mahnmal solle als „ein Gemeinschaftswerk der bremischen Gesellschaft“ (WK, 8.2.17) gesehen werden, verkündete etwa Bürgerschaftspräsident Christian Weber und gab damit den schlimmsten Ahnungen Recht, dass mit der ‚Erinnerungskultur‘ im postnazistischen Gedenken vor allem die kollektive Selbstbeweihräucherung gepflegt wird.

 

Wie sich ein solches Bedürfnis nach geläuterter Volkserbauung durch die Stadtgemeinschaft zieht, sieht man deutlich an dem Hofberichtserstattungston, den Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz (SPD) im Weser-Kurier-Interview (29.3.17) genießen durfte. In der Vergemeinschaftung von Moral und Anstand kann die Bremer Politik mitunter noch vom Stadtblatt lernen. „Sie wollen nicht so dastehen, als hätten Sie sich am Gängelband der Wirtschaft beweg“ nimmt ein gewisser Frank Hethey wohlwollend vorweg; „[d]as Mahnmal als Herausforderung für die ganze Stadt“, denkt er kongenial mit. Dass Frau Emigholz zuvor zugab, was jeder ahnte, nämlich dass das Erinnern bloß dem Standort-Marketing dienen soll und diesem unterzuordnen ist, focht den Weser-Kurier nicht an. Nach der lobenden Einleitung Hetheys, dass nun „schneller als gedacht […] ein Kompromisstandort für das Mahnmal zur Erinnerung an die Ausplünderung und letztlich auch die Ermordung der Juden gefunden worden“ sei, ließ es sich Frau Emigholz nicht nehmen ‚letztlich auch‘ mit der ganzen Wahrheit herauszurücken: „Und darüber sind wir sehr froh. Nichts wäre schädlicher gewesen als keine Einigung bei einem solch sensiblen Vorhaben. Aber es geht eben nicht nur um das Mahnmal an sich, es geht auch um ein zivilgesellschaftliches Projekt, das die Stadt bewegt. Um die Chance, historische Aufarbeitung gemeinsam anzupacken und zu bewältigen. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass wir auch eine Verantwortung für den Wirtschaftsstandort haben.“flussaufwärts gebaut werden soll, ist insbesondere dem „Mittelweg“ der SPD in der „Stadt der kurzen Wege“ (WK, 29.3.17) zu verdanken. Dort hatte man sich zunächst mit findigen Vorschlägen hervorgetan, wie man das Mahnmal möglichst weit in die Bremer Peripherie, zum Beispiel ins vorstädtische Huchting verfrachten und dabei die Mahnmal-Idee am standorttauglichsten vergemeinschaften kann. Das Mahnmal solle als „ein Gemeinschaftswerk der bremischen Gesellschaft“ (WK, 8.2.17) gesehen werden, verkündete etwa Bürgerschaftspräsident Christian Weber und gab damit den schlimmsten Ahnungen Recht, dass mit der ‚Erinnerungskultur‘ im postnazistischen Gedenken vor allem die kollektive Selbstbeweihräucherung gepflegt wird.

 

Wie sich ein solches Bedürfnis nach geläuterter Volkserbauung durch die Stadtgemeinschaft zieht, sieht man deutlich an dem Hofberichtserstattungston, den Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz (SPD) im Weser-Kurier-Interview (29.3.17) genießen durfte. In der Vergemeinschaftung von Moral und Anstand kann die Bremer Politik sogar mitunter noch vom Stadtblatt lernen. „Sie wollen nicht so dastehen, als hätten Sie sich am Gängelband der Wirtschaft beweg“ nimmt ein gewisser Frank Hethey wohlwollend vorweg; „[d]as Mahnmal als Herausforderung für die ganze Stadt“, denkt er kongenial mit. Dass Frau Emigholz zuvor zugab, was jeder ahnte, nämlich dass das Erinnern bloß dem Standort-Marketing dienen soll und diesem unterzuordnen ist, focht den Weser-Kurier nicht an. Nach der lobenden Einleitung Hetheys, dass nun „schneller als gedacht […] ein Kompromisstandort für das Mahnmal zur Erinnerung an die Ausplünderung und letztlich auch die Ermordung der Juden gefunden worden“ sei, ließ es sich Frau Emigholz nicht nehmen ‚letztlich auch‘ mit der ganzen Wahrheit herauszurücken: „Und darüber sind wir sehr froh. Nichts wäre schädlicher gewesen als keine Einigung bei einem solch sensiblen Vorhaben. Aber es geht eben nicht nur um das Mahnmal an sich, es geht auch um ein zivilgesellschaftliches Projekt, das die Stadt bewegt. Um die Chance, historische Aufarbeitung gemeinsam anzupacken und zu bewältigen. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass wir auch eine Verantwortung für den Wirtschaftsstandort haben.“

 

Geht es um den Standort, werden manche Bremer ganz besonders sensibel. Notorisch schlechtreden würde man Bremen, beschwert sich Bürgermeister Carsten Sieling nur Tage später im Plenarsaal. Die Debatte um das Mahnmal habe nach seinem „Empfinden“ einen „übergroßen Raum eingenommen“. „Neben der Ernsthaftigkeit der Erinnerungskultur“ sei es ihm vor allem „sehr darum“ gegangen, dass „wir in Bremen aus der Erinnerungskultur [keine] Anklagekultur machen.“ Vielmehr bräuchten „wir“ etwas, „das würdig ist“; „nicht einzelne Menschen, einzelne Firmen sind hier zu brandmarken, sondern das Gesamtproblem ist zu sehen“. Das ‚Gesamtproblem‘ allerdings ist neben der Nazi-Kollaboration von Kühne & Nagel und allen anderen Volksgenossen vor allem, dass die regionale Standortkonkurrenz einer Stadt mit echter Tradition scheinbar in Fleisch und Blut übergeht. So sind Sozialdemokraten nicht einmal mehr in der Lage zu erinnerungspolitischen Phrasen, deren Oberflächlichkeiten sich immerhin bemühen würden, das eigentliche Interesse zu verdecken. So wie man es bei der Linkspartei macht, die heute von der „angemessenen Erinnerungskultur“ schwafelt und morgen mit den Antizionisten vom Bremer Friedensforum paktiert.

 

Was Bürgerschaftspräsident Christian Weber meint, wenn er von „Widerstand gegen den Antisemitismus“ (Radio Bremen, 6.11.16) spricht, bewies er vor kurzem, als eine Hakenkreuz-Schmiererei am jüdischen Friedhof publik wurde. „Das Hochhängen solcher Vorfälle bestärke nur Nachahmungstäter“ wird seine Sprecherin in der Taz (25.4.17) wiedergegeben und man wird die Ahnung nicht los, dass das nicht der einzige Fall sein könnte, in dem sich das Bremer Establishment mit Leisetreten begnügt. Dass mit Erinnern zumeist politische Sorge ums Gemeinwohl und weniger praktische Solidarität mit Juden gemeint ist, gibt vor allem im Hinblick auf den grassierenden islamischen Antisemitismus in der Stadt zu denken. Für den Bürgerschaftspräsidenten gehen Anstand und Moral so: „Es macht mich traurig und zornig, dass jüdische Kinder hierzulande ihre Schule verlassen, weil sie sich nicht mehr einschüchtern und beleidigen lassen wollen wegen politischer Entwicklungen im Nahen Osten.“ Statt in Sachen Antisemitismus und Alltagsislam einmal einen wenigstens halbwegs ehrlichen Blick in die Bremer Schulen zu werfen, wird der Vernichtungsantisemitismus, der Israel entgegenschlägt, schlankerhand zur ‚politischen Entwicklung‘ im Nahen Osten verniedlicht. Könnte jeder wissen, dass es sich bei den Bremer Islamverbänden um islamfaschistische (Erziehungs-)Organisationen handelt, werden diese von der Bremer Politik hofiert, statt beobachtet, um bloß keine schlafenden Hunde zu wecken. Wer bereit ist, die toten Juden im Plauderton dem Standort unterzuordnen, hat auch für die lebenden nichts als feige und verlogene Worte übrig.

 

 

[Nicht ausgewiesene Zitate aus: „Raub von Amts wegen“, Jaromír Balcar (Hg.), Edition Temmen, 2014]

 

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