Antikoloniale Straßenaktion in Essen
In der Nacht zum 06.12.2020 haben Aktivist*innen in Essen insgesamt acht kolonial-rassistische Straßennamen korrigiert. An ihre Stelle setzten sie die Namen bekannter Schwarzer Menschen und antikolonialer Widerstandsbewegungen.
Im Zentrum der Aktion stand die 1939 errichtete Krupp-Siedlung im Essener Stadtteil Gerschede. Die Nationalsozialist*innen hatten die Benennung der neu gebauten Straßen genutzt, um den deutschen Kolonialismus zu romantisieren und die Unterwerfung anderer Länder zu verherrlichen.
Manche Straßen sollten Wegbereiter des deutschen Kolonialismus ehren, wie den Unternehmer Adolph von Hansemann oder den „Afrikaforscher“ Gustav Nachtigal. Andere sind nach vermeintlich glorreichen Kolonialkriegen benannt, wie der Schlacht von Tanga 1914. Wieder andere Straßen erinnern an kolonisierte Länder und Städte, etwa an Kamerun, Samoa oder Windhoek.
Von einer kritischen Auseinandersetzung mit diesen Straßennamen und ihrem nationalsozialistischen Ursprung fehlt in Essen – wie so oft in Deutschland – jede Spur. Einzig die nach dem Kolonialverbrecher Carl Peters benannte Straße (ebenfalls Teil der Krupp-Siedlung) wurde 2003 umbenannt. Der neue Namensgeber, Bischof Franz von Wolf (1876-1944), war aber selbst als Missionar in (ehemaligen) deutschen Kolonien aktiv.
In Essen-Gerschede haben die Aktivist*innen deshalb über 20 Hinweisschilder mit neuen Straßennamen angebracht. Damit machen sie auf antikoloniale Widerstandsbewegungen aufmerksam und erinnern an Schwarze Menschen und People of Colour aus Wissenschaft, Kultur und Politik. Von der Stadt Essen fordern sie die Umbenennung der acht Straßen auch offiziell vorzunehmen.
In derselben Nacht tauchten rund um das wenige Kilometer entfernte Schloss Borbeck weitere Hinweisschilder auf. Sie erinnern an Ignatius Fortuna, der um 1730 in der damaligen niederländischen Kolonie Suriname in Sklaverei geboren wurde. 1735 wurde er den Essener Fürstäbtissinnen „geschenkt“ und lebte fortan als Diener im Schloss Borbeck. Als sogenannter „Kammerm***“ sollte er den Reichtum des Haushalts repräsentieren. Während die einflussreichen Fürstäbtissinnen im kollektiven Gedächtnis der Stadt einen großen Raum einnehmen, gibt es an Ignatius Fortuna kaum eine Erinnerung.
Daran zeigt sich: Es ist überfällig, die Verbrechen des deutschen Kolonialismus aufzuarbeiten und ein Bewusstsein für die historischen Wurzeln des Rassismus zu schaffen. Das Wiedererstarken von Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und anderen menschenverachtenden Ideologien zeigt, dass eine verantwortungsbewusste, tiefgreifende Aufarbeitung der Geschichte in Deutschland nie wirklich stattgefunden hat. Die weiße Vorherrschaft muss einer Geschichte des Widerstands und der Dekolonialisierung weichen – in Essen und in ganz Deutschland!