[RMK] Nachtrag 9. November: Gedenkkundgebung in Welzheim
Heute organisierten wir in Zusammenarbeit mit der VVN-BdA Rems-Murr zum dritten Mal in Folge die Gedenkkundgebung vor dem ehemaligen KZ in Welzheim. Die Kundgebung bewarben wir im Vorfeld mit Flugblättern und persönlichen Gesprächen auf dem Wochenmarkt, als auch mit Plakaten im Stadtbild, sodass mit 50 TeilnehmerInnen die Besucherzahlen der letzten Jahre deutlich übertroffen wurde.
Ein Kollege des DGB Rems-Murr eröffnete die Kundgebung mit einer ausführlichen Rede zu den geschichtlichen Hintergründen des KZ Welzheims und insbesondere zu dem Widerstandskämpfer, nachdem der Platz vor dem ehemaligen Standort benannt ist: Der Kommunist Hermann Schlotterbeck. Zum 75. Jahrestag der Räumung, fasste der Gemeinderat in Welzheim unter dem Eindruck jahrzehnterlanger Arbeit der VVN-BdA, des Historischen Vereins Welzheim und unseren Gedenkkundgebungen den Entschluss der Umbennung. Unsere Rede thematisierte die Kontinuität von Antisemitismus in der heutigen Gesellschaft und wies explizit auf die starken antisemitischen Tendenzen in der verschwörungstheoretischen Querdenkenströmung hin, unsere ganze Rede findet ihr unten.
Im Nachgang zur Kundgebung besuchten wir mit den TeilnehmerInnen die Friedhofsgedenkstätte, an der wir mit Blumen- und Kerzenniederlegung nach einer Schweigeminute das würdige Gedenken gemeinsam abschließen konnten.
Wenn auch du Interesse an antifaschistischer Gedenkkultur und Aktionen gegen Rechts hast, komm zum Offenen Antifaschistischen Treffen Rems-Murr am 2. Dienstag des Monats um 19 Uhr in die Fronackerstraße 60 in Waiblingen und bring dich ein!
Für eine antifaschistische Gedenkkultur!
Erinnern heißt kämpfen!
Nie wieder Faschismus!
Liebe Welzheimerinnen und Welzheimer,
Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
Wir sind heute hier, um den Opfern eines Verbrechen zu gedenken, das sich heute vor genau 82 Jahren ereignet hat. Am 9. November 1938 kam es zur sogenannten "Reichspogromnacht", einem Verbrechen gegen die jüdische Bevölkerung mit einem bis dahin ungekannten Ausmaß an Brutalität. Es kam zu massenhaften Übergriffen in vielen Deutschen Städten, unter anderem auch Stuttgart, bei denen jüdische Geschäfte geplündert und Synagogen angezündet wurden. Ein Beispiel hierfür ist die Synagoge in Bad-Canstatt, die in dieser Nacht zerstört wurde. Allerdings blieb es nicht bei Sachbeschädigungen, sondern es gab auch viele Angriffe auf Menschen, in deren Folge viele jüdische Mitbürger zunächst in sogenannte "Schutzhaft" genommen wurden, unter anderem auch hier in Welzheim, um später in Tötungslager wie beispielsweise Dachau oder Auschwitz deportiert zu werden. Dieses Pogrom war nicht Ausdruck des "Volkszorns", wie die Nazis behaupteten, sondern ein organisiertes, befohlenes und von der SA, der SS und auch der Polizei ausgeführtes Verbrechen, das den Übergang zum offenen Terror gegen die jüdische Bevölkerung darstellte. Antisemitismus ist ein Instrument der Mächtigen um unbewussten Zorn auf das System auf Sündenböcke umzuleiten und so die eigene Macht zu festigen.
Neben der NSDAP, die mit dem Pogrom dem viel gepredigten Antisemitismus Taten folgen ließ, profitierten auch wirtschaftliche Konkurrenten der deportierten Juden, die die nun leerstehende Geschäfte übernehmen konnten, oder auch Intellektuelle, deren Aufstiegschancen sich durch das Pogrom verbesserten. Das waren die Grundlagen für das größte und widerwärtigste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, dem industriellen Massenmord von Millionen von Menschen. Die NSDAP griff auf den bereits bestehenden Antisemitismus des Kaiserreiches zurück und trieb ihn auf perverse Art auf die Spitze. Nach 1945 ermöglichen die Zumutungen des kapitalistischen Alltags, das Entstehen verschiedenster Verschwörungstheorien. In diesem Milieu kann auch antisemitische Hetze vorgeben einfache Antworten auf komplexe Fragen zu liefern.
So begünstigendie derProfitlogikuntergeordneten Antworten der Bundes- und Landesregierung auf die aktuelle Corona-Pandemie die Verbreitung von Verschwörungstheorien in der Gesellschaft. Weil lieber in Kauf genommen wird, dass beispielsweise die kulturellen und gastronomischen Wirtschaftszweige vor die Hunde gehen, anstatt endlich mal das kaputt gesparte Gesundheitssystem wieder auf Vordermann zu bringen, können Gefährder wie Attila Hildman die Faktenlage umdeuten. Egal ob die Bill-Gates-Chip-Lüge, die angebliche 5G-Verschwörung oder Märchen vonsatanistischenRitualenin der Berliner Museumsinsel verbreitet werden, das Problem heißt nicht Masken-, sondern Profitzwang! Antisemitische Parolen gehören bei Querdenken zum guten Ton und führen auch dazu, dass Anschläge verübt werden. So bekennen sich Querdenker zu einem Brandanschlag auf ein Gebäude des RKI und immer wieder tauchen Anleitungen zum Bombenbau sowie Aufrufe zu Morden in ihren Chatgruppen auf.
Wie gefährlich antisemitische Hetze ist zeigte sich auch letztes Jahr im Oktober in Halle. Dort versuchte ein schwer bewaffneter Faschist, am höchsten jüdischen Feiertag Yom Kippur eine vollbesetzte Synagoge zu stürmen und ein Massaker anzurichten. Nur aufgrund der Unfähigkeit des Faschisten, die Tür zu überwinden, kam es nicht dazu. Angesichts der zahlreichen faschistischen Terrorgruppen in der BRD wie z.B. Combat 18, Revolution Chemnitz, Gruppe Freital oder Oldschool Society oder die vielen neueren Gruppierungen, die in erschreckender Regelmäßigkeit bekannt werden, wie z.B. die Gruppe S., die sich im Frühjahr in Alfdorf gründete, ist die Frage nach dem nächsten rechten Massakers keine Frage des Obs mehr, sondern des Wann.
Es liegt an uns, die Verhältnisse zu bekämpfen, die rechten Terror erst möglich machen: Rassistische Politik ist lang kein Alleinstellungsmerkmal isolierter Splitterparteien mehr, sondern erfreut sich in Form der AfD einer Plattform in den Parlamenten, massiven finanziellen Förderungen und Polizeischutz bei ihren Veranstaltungen. Sie ist der Stichwortgeber der faschistischen Mörder.
Wollen wir erneute antisemitische Pogrome oder faschistische Terroranschläge verhindern, dann müssen wir jetzt aktiv werden: Egal ob in der Nachbarschaft, im Freundeskreis oder an der Schule, Uni, oder im Betrieb. Wir müssen Aufklärungsarbeit leisten, mehr Menschen zur Aktivität gegen Rechts anregen und gemeinsam gegen den Einfluss der rechten Menschenfeinde kämpfen. Egal wie wir es machen, ob mit Flugblättern, Aufklebern, Blockaden oder auch mal mit der Faust – jede Form des Widerstands hat ihre Notwendigkeit und ihre Berechtigung.
Deswegen möchte ich euch einladen, sich uns anzuschließen und zum Offenen Antifaschistischen Treffen Rems-Murr zu kommen, das sich jeden zweiten Dienstag im Monat im IGM Haus in Waiblingen trifft. Jeder und jede kann seinen Teil dazu beitragen, den Rechten etwas entgegen zu setzen.
Für eine antifaschistische Gedenkkultur!
Erinnern heißt kämpfen!
Nie wieder Faschismus!
Kampf dem Antisemitismus!