Solidarität stärkt uns den Rücken - Erster Prozess wegen Demo gegen den Polizeikongress
Die Demo „Wir bleiben gefährlich-Den Polizeistaat entsichern“ gegen den „Europäischen Polizeikongress“ 2020 in Berlin fand dieses Jahr vor dem „Entsichern“ Gegen-Kongress statt und leitete das inhaltsreiche Wochenende mit dem Versuch der Verbindung zur Praxis ein. Es war dem Vorbereitungskreis dieser beiden Veranstaltungen klar, dass der Staatsschutz und Bullenapparat nicht gerade erfreut waren, über jene Gegenoffensive, da die Firmenbosse, Sicherheitsberater und Politiker*innen die letzten Jahre überwiegend ungestört ihre Panzer, Drohnen und Staatstrojaner über den Tisch reichen konnten.
Freitag beginnt ein erster Prozess.
Dazu kam die Notwendigkeit einer Machtdemonstration des Berliner Bullenapparates, welcher den Mord an Maria B. als legitime Ausführung ihres Berufs demonstrierten sollte.
Eine Woche zuvor war Maria B. von Streifenbullen der Wedekindwache in Berlin-Friedrichshain in ihrer Wohnung erschossen worden. Die Ermittlungen gegen die vier Beamten wurden bereits im Februar eingestellt. Sie hätten in Notwehr gehandelt. Die vorsätzliche Schussabgabe sei gerechtfertigt gewesen, so die Staatsanwaltschaft.
Es gab am Tag des Mordes eine Sponti im Südkiez und es wurde sich spontan entschieden auch die Demoroute gegen den Polizeikongress von Neukölln ebenfalls dorthin zu verlegen.
In unserer Auswertung hieß es dazu:
„Es war klar, dass die Gegenseite den Druck auf die Teilnehmer*innen der Demo erhöhen würde, was wir bewusst in Kauf genommen haben, da es uns wichtig war, direkt an dem Ort, an dem Maria erschossen wurde, zu agieren. Sei es auch eingeschränkt. Dass der Grad der Repression jedoch dieses Ausmaß annehmen würde, war uns im Vorfeld nicht bewusst. So ist es auch zu erklären, dass es keine Konzepte gab, wie wir mit dem Aufgebot, das uns begegnete, umgehen sollten. Es stellt sich also wieder die grundsätzliche Frage des Zieles einer Demo, sowie: inwiefern und wofür sind wir bereit, eine vollspallierte Demo zu riskieren? Lohnt es sich noch eine Demo anzumelden, wenn es dann bedeutet, auf einer Route, die wir nicht mal selbst bestimmen konnten, zwischen zwei Bullenreihen ständig gefilmt zu werden? In diesem Fall freuen wir uns, dass wir es riskiert haben. Wir denken, dass es Zeit wird, wieder über andere Demokonzepte zu reden und aufzugreifen, so z.B. das Out of Control Konzept. Der Freitagabend hat uns erneut gezeigt, dass wir stetig an Konzepten arbeiten müssen, der Machtdemonstration der Bullen wirkungsvoll etwas entgegenzusetzen.“ https://entsichern.noblogs.org/demonstration/
Am Wismarplatz kam es zu Festnahmen, vor allem aus dem vorderen Block.
Vor einigen Wochen wurde ein (soweit wir wissen) erster Strafbefehl verschickt (Infos s.u.). Der Vorwurf lautet „tätlicher Angriff“. Dabei geht es um den neuen Paragraph 114, der im Rahmen des G20 Gipfels erlassen wurde. Der Straftatbestand des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte ist schwammig formuliert und mit einem hohen Mindeststrafmaß verknüpft (Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren). Es wurde Widerspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, somit kommt es kommenden Freitag zu einem Gerichtsverfahren.
Solange wir uns dem Staat entgegen stellen und seine Gerichte, Gesetze und Bullen angreifen, werden sie versuchen uns zu isolieren und uns mit Repression aus den Reihen heraus zu ziehen.
Solidarität ist keine Floskel sondern ein Prinzip, dass sich den Grundlagen dieser Gesellschaft – Konkurrenz, Verwertung und Individualisierung – entgegenstellt.
Wir plädieren in diesem Sinne dafür, offen mit Angriffen der Justiz und des Staatsschutzes umzugehen. Wenn wir gemeinsam unsere Akten auswerten, vor Gericht erscheinen und unsere Aktionen besprechen, sind wir ihnen einen Schritt voraus. Es gibt uns ein Ventil mit dem Kopf-Kino umzugehen. Wir müssen uns persönlich umeinander kümmern – um unsere Ängste, um Folgen für unser "Privatleben" und um politische Konsequenzen unseres Handelns.
Langfristige Arbeit erfordert diese Infrastruktur. Lasst uns daran arbeiten uns auch nach Aktionen nicht weiter zu hangeln, sondern darüber zu sprechen, was das mit uns macht. Einige kommen besser klar, andere brauchen mehr Rückendeckung und mehr Raum für die Aussprache von Sorgen und Zweifeln.
In diesem Sinne: Gemeint sind wir alle und niemand soll allein gelassen werden!
Bildet Bezugsgruppen, fragt eure Leute nach einer Demo wie es ihnen geht.
Kommt zum Prozesstermin:
Freitag: 06.11.2020
12.00
Amtsgericht, Turmstraße 91,
Zimmer 671
Falls du auch von Repression aufgrund der Demo betroffen bist, schreib uns gerne eine verschlüsselte E-mail an: entsichern[at]systemli.org, den pgp-Key findest du auf unserer Homepage: https://entsichern.noblogs.org/kontakt/.
Fight the State!
Für eine unberechenbare Praxis!
Info: Strafbefehl
Statt der Vorladung zu einem Gerichtsprozess kann dir als Beschuldigte*r nach einer Aktion auch ein sog. Strafbefehl ins Haus flattern. Das ist quasi ein Urteil ohne Verhandlung. Lege in jedem Fall dagegen innerhalb von 2 Wochen erst mal einen formlosen Widerspruch („Hiermit lege ich Widerspruch gegen den Strafbefehl mit dem Aktenzeichen ... ein“) ein, damit du Zeit gewinnst und dich informieren kannst. Den Widerspruch brauchst und solltest du nicht begründen. Nimm sofort Kontakt auf zu EA, Bunter oder Roter Hilfe, Soli-Gruppe oder anderen wegen derselben Aktion Beschuldigten auf. Gemeinsam könnt ihr überlegen, ob es sinnvoll ist, eine*n Anwältin einzuschalten. Der Widerspruch kann zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens – also auch noch während eines Verhandlungstermins – zurückgezogen werden. Nimmst du den Widerspruch nicht zurück, bekommst du einen ganz normalen erstinstanzlichen Prozess und der Strafbefehl ist dann nur noch die Anklageschrift. Wichtig ist nur, dass du die Zweiwochenfrist einhältst, sonst wird der Strafbefehl rechtskräftig! Solltest du dies wegen Abwesenheit von deiner Wohnung einmal nicht können, z.B. Urlaub, musst du dich sofort nach deiner Rückkehr beim Gericht melden und das mitteilen und nachweisen (so genannte „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“). Strafbefehle machen es der Justiz (aber oft auch den Beschuldigten) einfacher Aufwand, Zeit und Geld zu sparen, doch sie verhindern eine solidarische Begleitung, Widerstand und Öffentlichkeitsarbeit.