Gedenkdemonstration in Wuppertal zum 82. Jahrestag der Novemberpogrome

Event Datum: 
Dienstag, November 3, 2020 - 08:45
Stadt/Region: 
9. November 2020 Gedenkdemonstration in Wuppertal zum 82. Jahrestag der Novemberpogrome "Erinnerung heißt handeln!" (Esther Bejarano) Nichts und niemand ist vergessen! 18:00 Uhr Cityarkaden in Wuppertal-Elberfeld Bringt bitte Blumen mit!

 

 

 

Es wird Musikbeiträge und verschiedene Redebeiträge geben (Angefragt sind Beiträge u.a. zum Novemberpogrom in Wuppertal, zu den antisemitischen, antiziganistischen und rassistischen Morden in Hanau und Halle, zu den rechten Strukturen bei der Polizei, zu den islamistischen Morden in Dresden, Paris und Nizza und zur Situation in Moria)

 

Angesicht der Pandemie werden wir als Veranstalter*innen darauf Wert legen, dass der Mindestabstand von 1,5 Metern und die Maskenpflicht (Mund-Nase) bei den Kundgebungen und im Demozug von allen Teilnehmenden umgesetzt wird.

 

Dem Wuppertaler "Krisenstab" sagen wir: Hände weg von der Versammlungsfreiheit! Bei unserer Demo gibt es keine Listen von Demoteilnehmer*innen! Da sogar das Verwaltungsgericht in Düsseldorf die Umsetzung des „Wuppertaler Sondergesetzes“ gestoppt hat, erwarten wir die unverzügliche Rücknahme dieser übergriffigen Anordnung!

 

 

Aufruf:

 

Auf unserer Gedenkdemonstration möchten wir an die Verbrechen während des Novemberpogroms in Wuppertal erinnern. Wir starten an der Alten Freiheit, um an Josef Dahl zu erinnern, der vor dem Bahnhof einen Tabakladen hatte, den er nach den Novemberpogromen 1938 aufgeben musste. In der Hofaue hören wir die Geschichte des jüdischen Textilgroßhandels und berichten über das Schicksal der jüdischen Kaufleute.

 

Vor der Polizeiwache Hofkamp referieren wir über die (rasche) Nazifizierung der Wuppertaler Polizei in der NS-Zeit, bis zu der direkten Beteiligung Wuppertaler und Remscheider Polizisten an der brutalen Ausschaltung der Arbeiterbewegung, an dem mörderischen Einsatz in den Einsatzgruppen in der Sowjetunion und insgesamt am Holocaust. Erst vor kurzem wurde bekannt, dass die Einsatzhundertschaft aus der Polizeikaserne in der Arrenberger Straße regelmäßig die Deportationszüge aus dem belgischen Mechelen ins Vernichtungslager Auschwitz bewacht und „begleitet“ hat.

 

Wir möchten aber erstmals auch einen Wuppertaler Polizisten aus der NS-Zeit würdigen.

In einem symbolischen Akt werden wir die Polizeiwache Hofkamp in „Johannes Pauli Wache“ umbenennen. Johannes Pauli, Anhänger des katholischen Zentrums und Mitglied einer Polizeigewerkschaft, des republikanischen „Schraderverbandes“, war als Nazigegner bekannt und wagte es im Sommer 1932 nach der Tötung von drei Kommunisten in Hückeswagen gegen die Nazitäter zu ermitteln. Nach der Machtübernahme der Nazis erinnerte sich der neue Polizeipräsident und berüchtigte SA-Führer Willi Veller an Paulis Ermittlungen und sorgte dafür, dass Johannes Pauli mit wenigen anderen antifaschistisch gesonnenen Polizisten in das berüchtigte Konzentrationslager Kemna eingesperrt wurde.

 

Natürlich werden wir vor Polizeiwache Hofkamp auch über die aktuellen Entwicklungen im (Wuppertaler) Polizeiapparat sprechen müssen. Erst letzte Woche musste eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen einen Polizeibeamten wegen zahlreicher polizeilicher Übergriffe öffentlich übergeben werden. Die Älteren von uns erinnern sich sicher daran, dass die Wache Hofkamp in den 90iger Jahren der Wuppertaler Hotspot bei Misshandlungen und anderen Drangsalierungen z.B. von „Ausländern“ und „Drogenkranken“ war.

Dass wir im Jahre 2020, 75 Jahre nach Befreiung vom NS-Regime, mit einer wachsenden Zahl von Polizist*innen und anderen Sicherheitskräften konfrontiert sind, die sich in Chatgruppen, rechten Netzwerken und auf der Polizeiwache offen zum historischen Nationalsozialismus mit all seinen Menschheitsverbrechen bekennen, hätten wir allerdings nicht gedacht.

 

Umso wichtiger ist es an dem Kampf der Antifaschist*innen zu erinnern, die sich auch schon vor 1933 mutig den Nazis in den Weg gestellt haben. Daher würdigen wir besonders den am 7. März 1933 in der Wilhelmstraße von SA-Leuten ermordeten militanten Antifaschisten Oswald Laufer. Oswald Laufer stammte aus einer ostjüdischen Familie, war Sozialdemokrat und Mitglied des Reichsbanners.

 

Zum Abschluss der Demonstration möchten wir von der Alten Synagoge an der Genügsamkeitsstraße Blumen niederlegen.

 

Nichts und niemand ist vergessen!

 

 

 

Schon mal vormerken!

 

Am 13. November 2020 um 18:00 Uhr erinnern wir am Hohenstein an Karl-Hans Rohn, der vor 28 Jahren von Wuppertaler Nazis ermordet wurde.

Nichts und Niemand ist vergessen!

 

 

 

Der Novemberpogrom in Wuppertal

 

Wie überall im Deutschen Reich wurden zwischen dem 9. und 11. November 1938 auch in Wuppertal neben der Zerstörung der Synagogen und Betsäle, zahlreiche jüdische Geschäfte und Privatwohnungen teilweise am helligten Tag verwüstet und geplündert. Nur wenig im öffentlichen Bewusstsein ist, dass die Elberfelder Synagoge - so eine eindeutige Zeugenaussage -, u.a. von Feuerwehrleuten angezündet wurde. Insgesamt waren in der Wuppertaler "Feuerlöschpolizei" zahlreiche sog. Alte Kämpfer der SA und der NSDAP tätig. In diesem Geist formulierte auch der Oberstleutnant der Feuerlöschpolizei, Hermann Wessels, in seinem offiziellen Einsatzbericht zum Elberfelder Synagogenbrand hämisch: "Eigentümer: Jüdische Gemeinde. Stand: Parasiten, Wohnung: Parasiten" .

Die Täter brauchten nicht den Schutz der Nacht. Wenn die jüdischen Einrichtungen nicht restlos abbrannten, kamen sie bis zu dreimal an den Tatort wieder. Am 10. November um 4:00 Uhr brannte die Synagoge an der Genügsamkeitsstraße, um 8:00 Uhr wurde die Barmer Synagoge angezündet. Um 18:00 Uhr kamen die Brandstifter wieder in Genügsamkeitsstrasse und legten erneut Feuer. Die Friedhofskapellen am Weinberg und an der Hugostrasse brannten schließlich um 20:00 Uhr. Die kleinen jüdischen Betsäle der orthodoxen und  ostjüdischen Gemeinde wurde "nur" demoliert und geplündert, weil das Gebäude im "arischen" Besitz war und nicht angezündet werden durfte. Das Bettengeschäft Sigismund Alsberg in der Berliner Straße wurde dreimal angesteckt. Kissenbezüge und Betten wurden geraubt. Die Herzogstraße, die Neumarktstraße (Hermann-Göring-Straße)  und die damalige Königstraße (Straße der SA) (heute Friedrich-Ebert Straße) in Elberfeld waren mit Waren und mit zertrümmerten Gegenständen aus jüdischen Geschäften übersät. In der Grünstraße waren ganze Wohnungseinrichtungen aus dem Haus geworfen worden, in der Elberfelder Wortmannstraße wurde ein Auto in Brand gesetzt. Sogar das jüdische Altenheim in Elberfeld wurde nicht verschont.

Insgesamt 270 jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden angegriffen und verwüstet. Nach 1945 wurden übrigens nur vier Nationalsozialisten als Täter verurteilt. Unter ihnen waren der ehemalige NSDAP-Kreisorganisationsleiter Wilhelm Peters und der Versteigerer und SS-Mann Bruno Koepchen.

Bruno Koepchen stammt übrigens aus der bekannten Versteigerer-Familie Koepchen / Wiedenstritt. Er wurde nach 1945 wegen der Brandstiftung der Elberfelder Synagoge zu zwei Jahren Haft verurteilt. Der überzeugte Nazi, er war seit 1930 Mitglied der NSDAP, rückte am 6.9.1939 zur Ausbildung zur SS-Totenkopf-Standarte nach Dachau ein und leistete seinen SS-Dienst als Wachposten im KZ Dachau und später im KZ Flossenbürg. 1940 ist sein Dienstgrad Rottenführer. Anfang Juni 1941 wechselte er als SS-Sturmmann zur Inspektion der Konzentrationslager nach Oranienburg. Ab den 3. 2.1941 stieg der SS-Mann zum Sachbearbeiter im SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt auf. In der Abteilung D IV/ 4 bearbeitete er im Bereich KZ-Verwaltung. Am 1.5.1942 wurde er zum SS-Unterscharführer befördert. Es ist unklar, wann Bruno Koepchen zurück nach Wuppertal kommt, sicher ist aber, dass das Versteigerungshaus Koepchen ab 1941 von der Gestapo beauftragt wurde, nach jüdischem Besitz in Wuppertal zu fahnden und später jüdischen Besitz auf großen Versteigerungen an die deutschen Volksgenossen weitervertickte. Unmittelbar nach den Deportationen wurde der Hausrat und die Wohnungseinrichtungen von Mitarbeitern vom Finanzamt taxiert und bei öffentlichen Versteigerungen wie im Evangelischen Vereinshaus, in den Wohnungen der Deportierten oder in den Versteigerungslokalen von Koepchen und Wiedenstritt regelrecht verschleudert.

 

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