Aufbau eines Nachrichtentickers
Geschwindigkeit ist nicht alles
Ein organisierter Nachrichtenticker will sich durch Zuverlässigkeit auszeichnen und nicht durch Schnelligkeit. Auch wenn die Schnelligkeit der Informationen natürlich wichtig ist - schließlich wollen die AktivistInnen ja auch immer mit aktuellen Informationen versorgt werden und gerade wenn es drunter und drüber geht ist die Information, dass der Castor vor zwei Tagen durch Hannover gefahren ist nun wirklich nicht mehr interessant - wichtiger ist noch, dass die Informationen korrekt sind. Bedenkt, dass andere Personen euren Informationen glauben und ihr Handeln eventuell danach ausrichten. Um die Wichtigkeit zu unterstreichen ein Beispiel aus einem G8-Ticker:
Innerhalb von 5 Tagen kam es mehrmals zu dem Gerücht, die Bullen hätten jemanden getötet und/oder ins Koma geschlagen. Nicht einmal konnte das verifiziert werden. (Richtig, es war nicht der Genua-G8-Ticker - gut aufgepasst.) Auch wenn eine solche Nachricht emotional enorm wichtig war, war es wichtiger, die Nachricht zunächst zu überprüfen. Die Folgen einer solchen Falschmeldung wären nicht abschätzbar und hätten den Ablauf der Proteste maßgeblich beeinflussen können.
Um eine solche Überprüfung gewährleisten zu können besteht der Ticker aus möglichst vielen Leuten, die verschiedene Rollen annehmen.
Die Rollen in einem Ticker
Der Dispatch
Als wichtigste Rolle sei hier zunächst die Nachrichtenzentrale erwähnt - bei Indymedia-Freaks immer "Dispatch" genannt. Der Dispatch hat die Aufgabe, die Nachrichten abzusegnen. Der Dispatch ist die Stelle, von dem aus die Nachrichten hinaus gehen. Meist sitzt der Dispatch mit Mobiltelefon und Internetleitung an einem geheimen Ort, kann sogar mehrmals wechseln, denn es ist gleichzeitig die Rolle, die am meisten Repression zu befürchten hat. Oft wird von den Bullen nämlich Rädelsführerschaft konstruiert, die dann diesem Dispatch zur Last gelegt werden soll. Da hier die endgültigen Nachrichten nach draußen wandern fabulieren die Bullen in ihrem Hierarchiedenken, dass der Dispatch irgendwelche Befehlsgewalt über die Proteste hätte. Ist natürlich Quatsch, aber so ticken die eben, da können die nicht raus. Die können sich Selbstverwaltung nicht vorstellen, weil sie halt einfach Befehlsempfänger sind, die selbstständiges Denken meist schon während der Schulzeit abgelegt haben. Daher können sie sich das auch für andere nicht vorstellen.
Aus diesem Grund heraus solltet ihr also gerade was den Dispatch angeht höchste Vorsicht walten lassen. Geheimer Ort, möglichst nicht nahe am Geschehen sondern gerne mal weiter weg, so dass ein Einsatz länger dauert wenn sie über Mobilpeilung das Handy versuchen zu orten und möglichst nicht in Privatwohnungen. Ihr müsst euch darüber im klaren sein, dass eine öffentlich bekannt gegebene Nummer des Dispatch die Suche nach selbigem enorm erleichtert. Denkt euch daher verschiedene Strategien aus, wie ihr den Dispatch sichern könnt! Denkt daran, dass ein Dispatch schnell ersetzt werden kann, im Zweifel also ruhig mal schließen und woanders neu aufbauen. Wichtig ist, dass ihr euch dafür vorher Gedanken macht, dass die Kontaktmöglichkeit gegeben ist. Also z.B. ein zweites Handy, was dann aktiviert wird und die Leute wissen, wenn an Handy a niemand dran geht müssen sie Handy b anrufen. Wenn ihr andere Kanäle benutzt kann euch das Problem erleichtert werden. Es hat sich bewährt, mehrere Orte für Dispatches vorher vorzubereiten, so das zwischen diesen gewechselt werden kann. Den Dispatch in ein anderes Land zu verlegen ist prinzipiell auch möglich, ist aber aufgrund der damit verbundenen höheren Telefonkosten schwierig. Eine andere Stadt innerhalb des Landes erhöht die Sicherheit meist jedoch schon enorm, da ihr damit auch weiter weg von der Einsatzzentrale der zuständigen Bullen seid. Wer die Personen des Dispatch sind sollte ebenfalls vertrauensvoll gehandhabt werden. Es muss nicht jedeR wissen und es darf hier auch gerne gewechselt werden. Wichtig ist nur, dass dem Dispatch vertraut werden kann.
Die Zulieferer
Die Zulieferer liefern Informationen dem Dispatch zu. Sie sind auf der Straße im Geschehen, evtl. sogar selbst aktiv und kennen den Kanal über den der Dispatch mit Informationen von ihnen versorgt werden kann. Wichtig hierbei ist natürlich auch der Selbstschutz. Gerade Zivis halten oft nach ihnen Ausschau und versuchen sie auszuschalten und/oder an den Übertragungsweg (bspw. Handy) zu kommen, um damit den Dispatch zu lokalisieren. Oder auch einfach nur einen Informationsweg abzuschnüren. Es hat sich bewährt, nicht in der Hitze des Gefechts sofort Auskunft zu geben. Also nicht direkt neben der brennenden Barri stehen und laut (weil sind ja Sprechchöre außen rum) zu telefonieren und die Informationen durchzugeben. Lieber ein, zwei Minuten warten - meist ist es die Info wert, Ruhe zu bewahren. An der nächsten Ecke, Pommesbude, Bushaltestelle etc. dann stiller telefonieren zu können ist meist genauso sinnvoll. Im Idealfall habt ihr so viele Zulieferer wie möglich. Die Zulieferer sprechen sich untereinander nicht ab, sondern geben durch, was sie für wichtig halten. Dies ist wichtig für den Dispatch, damit er an mehrere Quellen kommt. Dazu später mehr. Wenn ihr Informationen durchgebt solltet ihr euch emotional gefasst haben. Das ist manchmal schwer, aber gerade für den Dispatch wichtig. Denkt daran, ihr seid seine Augen und Ohren. Wenn ihr in den Kanal heult macht ihr dem Dispatch nur die Arbeit schwer. Denn der Dispatch sind Personen die ebenfalls Gefühle haben - und völlig hilflos in einer dunklen Kammer sitzen und ruhig bleiben müssen, egal was geschieht. Daher gerade wenn etwas total Schreckliches passiert ist versuchen, zunächst einmal sich selbst zu beruhigen bevor ihr den Dispatch anruft.
Zur Tarnung ist es ebenfalls gut, wenn nicht alle Zulieferer als AktivistInnen erkennbar sind. Kleidet euch ruhig wie PassantInnen, die dort durch die Einkaufsstraße gehen oder ähnliches, das erhöht eure Sicherheit. Es ist kein Ausschlusskriterium, aber je gewissenhafter ihr vorgehen wollt und je weniger ihr die gesamte Struktur gefährden wollt desto mehr passt ihr euch daran an. Hängt natürlich auch immer mit dem Repressionsniveau und den Umständen zusammen. Als Passant gekleidet auf einer Autobahn hundert Meter von der Barrikade entfernt ist eure Tarnung... naja, ihr wisst was ich meine, oder? Dann doch lieber ganz in Schwarz wie alle anderen ;)
Die Boten
Eine ähnliche Funktion wie die Zulieferer haben die Boten. Meist tun sie genau das gleiche, es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied. Die Boten können vom Dispatch kontaktiert werden um Meldungen zu verifizieren. Dies ist dann wichtig, wenn der Dispatch eine Meldung nur von einer Quelle hat (dazu später mehr) und schnell wissen muss, ob die Meldung stimmt oder nicht oder es sonst irgendwelche Ungenauigkeiten gibt - z.B. widersprüchliche Meldungen der Zulieferer. Dies kann schnell passieren. Die Zulieferer stehen oft unter enormen Stress und müssen ja auch auf ihr eigenes Wohl achten. Auch sieht eine Situation aus einer Position ganz anders aus als aus einer anderen Position. Dazu kommt emotionaler Stress, Repression von der auch die Zulieferer direkt betroffen sein können, schlechte oder zusammengebrochene Verbindung bis hin zur Verhaftung der zuliefernden Person. Als ein Beispiel sei hier aufgeführt, dass Zulieferer A meldet, die Bullen stürmen das Haus - er hat sich aber aus Gründen der persönlichen Sicherheit aus dem Zugriffsbereich entfernt, wurde abgedrängt und sieht das Folgegeschehen nicht mehr genau. Zuliefernde B allerdings steht an einer anderen Ecke und berichtet, die Bullen haben Pfefferspray auf die ersten Reihen gefeuert, sich dann zurück gezogen. A und B mussten sich aber beide zurück ziehen, können also gerade nicht sagen, wie die Situation genau Jetzt aussieht. Für Dispatch heißt das, sie oder er weiß nicht, was zu melden ist: haben die Bullen das Haus gestürmt oder war es nur eine von vielen zahlreichen Attacken. Der Unterschied ist enorm wichtig, aber aus der Position des Dispatch heraus nicht zu beurteilen. Aus diesem Grund sind die Boten diejenigen, welche Informationen nachprüfen und dem Dispatch Gewissheit liefern können. Sie sollten daher so mobil wie möglich sein, möglichst auch unterschiedlich mobil, und breit gestreut über das Aktionsarreal. Fahrräder, Motorräder, Autos oder zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrswegen. Dem Dispatch sollte ungefähr bekannt sein, wo sie sich aufhalten, damit die richtigen Personen kontaktiert werden können. Dabei ist es natürlich nicht wichtig, sich die ganze Zeit abzusprechen - im Gegenteil erhöht das ja das Risiko für die Boten enorm - aber wenn ihr euch vorher abgesprochen habt oder gewisse Gebiete zuzeichnet kann das schon hilfreich sein. Hängt natürlich auch von der Größe des Aktionsarreals ab.
Die ÜbersetzerInnen
Ein Ticker ist gerade bei internationalen Protesten enorm wichtig für nicht-deutsch sprechende Personen. Meist ist ein mehrsprachiger Ticker für sie die beste Grundlage, ihre Entscheidungen zu treffen. Denkt also daran, dass nicht jedeR deutsch sprechen muss nur weil sie oder er gerade hier in Deutschland aktiv geworden ist. Gerade kommende Krisenproteste lassen internationale Proteste in Deutschland warscheinlicher werden. Es bietet sich daher an, Informationen des Tickers auch zu übersetzen. Je mehr Sprachen ihr abdecken könnt desto besser. Auch ist es im Sinne der Informationsverbreitung enorm wichtig, internationale MedienaktivistInnen und Presse mit Informationen zu versorgen. Eine Übersetzung des Tickers sollte daher zumindest auf Englisch gewährleistet sein, wenn ihr die Proteste auch international bekannt haben möchtet und die Anliegen von internationaler Bedeutung sind. Besser ist natürlich noch mehr Sprachen aufbringen zu können. Bei Gipfeltreffen konnten früher oft Leute erreicht werden, die auch mal spontan eine Übersetzungsschicht geschoben haben und Nachrichten in ihre jeweilige Landessprache übersetzten.
Da es diese oft nicht mehr gibt solltet ihr euch möglichst früh bereits darum kümmern, ob und wie viele Übersetzungen ihr arrangieren könnt. Es gibt fast in jedem Land Übersetzungskollektive, gerade auch ins Griechische gibt es sehr aktive Kollektive, die ihr vielleicht vorher anfragen könnt. Die Übersetzenden müssen nicht einmal vor Ort sein, sie müssen nur Zugang haben zum Kanal vom Dispatch, der die Nachrichten nach außen trägt.
Die Kanäle nach außen
Es hat sich in der Vergangenheit bewährt, mehrere Kanäle zu benutzen. Als erste, schnellste und direkteste Form war dabei der Chat. Zunächst über IRC gelöst wurde es dann später meist von Jabber ersetzt. Während IRC den Vorteil hat, dass es extrem schnell und extrem einfach zugänglich ist (z.B. über Web-IRC-CGI braucht es nicht einmal einen Client auf dem Rechner) hat das Jabber-Protokoll den Vorteil, dass hier eine Verschlüsselung leichter zu bewerkstelligen ist. Gerade wenn der Dispatch aufgeteilt war über mehrere Personen und Orte gab es dabei zwei unterschiedliche Kanäle:
Kanal 1 war nur für internen Gebrauch bestimmt - hier kamen alle Meldungen rein, die von den Zulieferern oder aus anderen Quellen gefunden wurden. Er war nur eingeweihten bekannt, für die Schnelligkeit noch wichtiger war als Verifiziertheit, da sie mit den Informationen nach eigenen Angaben hantierten. Als Beispiel: wenn schnell übersetzt werden sollte konnte hier bereits ein quasi zweiter Dispatch installiert sein, der Meldungen auch schonmal vorübersetzte, bevor sie verifiziert waren um sie dann, wenn sie vom Dispatch als bestätigt markiert wurde, sie sofort nach draußen hauen konnte. Informationen, die nicht bestätigt wurden aber bereits übersetzt waren landeten dann irgendwann im Lokus.
So konnte die Zweit- oder Drittsprache (fast) ebensoschnell sein wie die Sprache des Dispatches selbst.
Da die Informationen hier aber nicht verifiziert waren war der Kanal eben nur für internen Gebrauch bestimmt.
Auch wenn ein Dispatch geschlossen werden musste konnte der zweite Dispatch seine Arbeit lückenlos aufnehmen, da er über die selben Informationen verfügte wie der erste Dispatch.
Kanal 2 war für externen Gebrauch bestimmt. Er war dafür zuständig, dass auch nicht-interne die Informationen so schnell wie möglich geliefert bekamen um sie über ihre Kanäle weiter zu verbreiten.
Er ist in der Regel unverschlüsselt, da er nur bestätigte Informationen bereithielt, die so auch auf anderen Verbreitungswegen gefunden werden konnten.
Die endgültige Verbreitung an einen weiteren Kreis nach draußen kann nun über Indymedia erfolgen. Früher war ein Absprechen mit der jeweiligen Moderation vonnöten, dank des neuen Systems ist dies nicht mehr nötig. Die Moderation von de.indymedia.org braucht ihr also für einen Ticker nicht mehr vorher zu fragen, ob er über de.indymedia.org erfolgen kann. Mit einem (aus Sicherheitsgründen temporären) Account könnt ihr einen Artikel posten und selbstständig auch nachträglich bearbeiten. Ob ihr dabei First-In-First-Out oder First-In-Last-Out bevorzugt - also ob neue Nachrichten oben stehen oder unten weitergeschrieben werden - ist euch völlig selbst überlassen. Denkt daran, dass dieses System leider die Schwachstelle hat, dass es immer ein wenig zeitverzögert ist. Ihr solltet es daher nicht als alleinigen Kanal benutzen. Als Zweit-Kanal jedoch ist es von Vorteil, da darüber jedeR vom Heimrechner, Internetcafe oder Smartphone ohne weiteres Programm Zugriff auf die aktuellen Informationen hat. Für die Verbreitung auf Smartphones scheint sich zwar zunächst Twitter anzubieten, wenn ihr medienpädagogisch sinnvoll sein wollt solltet ihr jedoch auch Twitter eher als Dritt-Kanal betrachten und statt dessen lieber forcieren, dass die Leute sich eine Jabber-Client-App auf ihrem Smartphone installieren. Denn diese gibt es auch mit Tor-Verschlüsselung. Auch wenn Tor die Verbindung verlangsamt fällt das bei Jabber nicht auf und ihr tragt so dazu bei, dass die AktivistInnen sich bessere Tools angewöhnen, als sich immer auf Kommerz-Medien zu verlassen. Eine solche App ist beispielsweise für Android "ChatSecure". Twitter ist letztendlich ein Kommerz-Medium, was sich vollkommen außerhalb unserer Kontrolle befindet und auch wenn es vielleicht noch nicht vorgekommen ist so ist nicht auszuschließen, dass in Zukunft mit Sicherheitsbehörden zusammen gearbeitet wird und Meldungen zumindest verzögert werden oder euer Account von heute auf morgen gesperrt wird. Ich erinnere mich da an einen Fall, bei welchem eine unbedarfte Gruppe einen gmx-Account benutzt hatte für eine Schlafplatzbörse und am zweiten Tag der Proteste diese Adresse gesperrt war. Stellt euch ein solches Szenario mit eurem Twitter-Account vor. Vorsicht ist daher besser als Nachsicht und ihr könnt Twitter ja zusätzlich benutzen. Wichtig ist, dass ihr euch Gedanken darüber macht, dass so etwas passieren kann. Auch Indymedia kann unter Umständen ausgeschaltet werden, beispielsweise durch einen gezielten Angriff während der Proteste. Je mehr Kanäle ihr also nach draußen befeuert desto besser und desto unangreifbarer wird eure Struktur. Macht euch auch hier wiederum Gedanken zur Sicherheit: Der Kanal nach draußen ist derjenige, der den Dispatch verraten kann. Er sollte daher vom Dispatch IMMER über TOR angesteuert werden. Auch wenn de.indymedia.org keine IPs speichert, so können auch auf dem Weg zu Indymedia hin IPs gespeichert werden. Verlasst euch daher nicht auf Indymedia oder das Recht auf freie Meinungsäußerung, sondern macht euch immer klar:
Die wollen keine Ticker und werden euch versuchen zu stören, zu behindern und mit Repression überziehen.
Die Auswahl der Nachrichten
Die Personen im Dispatch haben die leidigste Aufgabe und tatsächlich auch eine in meinen Augen schwerste. Sie müssen sowohl entscheiden, welche Nachricht nach draußen geliefert wird, als auch - und das ist viel anstrengender - emotional ruhig bleiben. Stellt euch vor, ihr seit in einem kleinen Loch, habt Tee, Kaffee, gemütlich zu Essen etc., auch ein Klo - aber ihr kriegt die ganze Zeit Nachrichten rein. Diese müsst ihr emotional verarbeiten. Ihr wisst, was da draußen geschieht geschieht euren Freunden. Sie sind es, die Schlagstöcke, Pfefferspray, Wasserwerfer (Kugeln?) abkriegen. Dabei ruhig zu bleiben fällt die erste Stunde vielleicht noch leicht. Doch mit zunehmender Zeit wünscht ihr euch, lieber da draußen zu sein. Emotional aufgeladene Berichte strömen auf euch ein und ihr müsst trotzdem euch immer wieder einkriegen, die Zuliefernden beruhigen und zu klaren Nachrichten bekommen. Das ist nicht leicht, glaubts mir. Es ist eine undankbare Aufgabe - niemand wird davon erfahren was ihr geleistet habt und euch fehlt auch das Adrenalin, das Umarmen, das gemeinsame Erleben, was es anderen da draußen leichter macht, über manch einen Schock hinweg zu kommen. Und ihr erfahrt viel mehr. Mehr als euch lieb ist, mehr als wahr ist. Und immer müsst ihr entscheiden, können wir das jetzt bringen oder nicht?
Wonach ihr das entscheidet?
NICHT NACH EMOTIONEN!
Macht euch das als allererstes immer wieder klar. Nach einer Weile werdet ihr - vor allem wenn es drunter und drüber geht - zu einem emotionalen Wrack. Die Nachrichten nehmen euch immer stärker mit. Aber gebt dem Druck nicht nach, denn die Leute wollen VERLÄSSLICHE Informationen. Und wenn es euer bester Freund ist der euch bestürzt erzählt was er gerade gesehen hat muss es so nicht passiert sein.
Die wichtigste Regel, die am meisten Zuverlässigkeit garantiert ist die Zwei-Quellen-Regel. Erst wenn die selbe Nachricht von zwei Personen geliefert wurde ist sie bestätigt. Natürlich gibt es Ausnahmen - ein Augenzeuge eures Vertrauens hat es genau gesehen, ist emotional ruhig und es ist nicht DIE Information schlechthin, die alles entscheiden kann - okay. Kannste auch mal bringen. Aber sobald Emotionen im Spiel sind denkt an die zwei-Leute-Regel. Denn das Vertrauen in euren Ticker, in eure Nachrichten - das ist das was zählt und was ihr um jeden Preis aufrecht erhalten müsst.
Zusätzlich zu den Nachrichten eurer Zulieferer könnt ihr natürlich noch andere Quellen benutzen. Ein Ticker von Spiegel-Online berichtet folgendes was noch kein Zulieferer gebracht hat? Schickt einen Boten hin und lasst es überprüfen. Meldet ruhig, wenn ihr dem Spiegel-Online Ticker nicht traut. Denn ihr könnt ihm nicht trauen. Auch wenn es Absurd klingt - gerade kommerzielle Medien scheißen inzwischen auf die Zwei-Leute-Regel. Sie bringen, was ins Schema passt. Hauptsache Quote, hinterher kann ja ruhig wiederufen werden. Sie haben kein Verantwortungsgefühl gegenüber den AktivistInnen, denn sie sind für sie nur Objekte über die zu berichten gilt. Für euch gilt das nicht. Ihr genießt das Vertrauen der AktivistInnen, es sind eure Freunde, Genossen, Mitstreitenden. Enttäuscht sie nicht und werdet eurer Verantwortung bewusst. Denkt an die Zwei-Quellen-Regel. Und wenn dann noch Zweifel bestehen - denkt an die Drei-Quellen-Regel! Na, ihr versteht was ich meine.
Ich schrieb oben Kugeln mit Fragezeichen. In mehreren Tickern, bei denen ich mitwirkte, kam es zu solchen Meldungen, die sich als haltlos erwiesen. Stellt euch den Druck vor, der sich aufbaut, wenn ihr die Nachricht bekommt an Ecke XY wurde jemand erschossen. Ihr habt sofort Genua oder Göteborg im Kopf und wisst, es ist möglich, wenn auch unwarscheinlich. Ihr fragt jemanden, der berichtet, ja, er hat auch solch ein Gerücht gehört, bestätigen kann er es nicht. Das Gerücht macht die Runde, ihr steht unter Druck. Bringt ihr die Nachricht oder nicht? In solchen Momenten ruhig zu bleiben ist schwer. Wir haben Dispatches daher nie alleine gemacht und das würde ich auch niemandem raten. Auch wenn es zunächst verlockend klingt, weil die Person muss ja nix anderes machen als am Rechner sitzen und Nachrichten entgegennehmen - seid mindestens zu zweit. Alleine schon aus dem Grund, dass einer schreiben und der andere lesen/telefonieren kann. Aber viel mehr noch, damit ihr euch gegenseitig bestärken könnt, euch auch mal in den Arm nehmen könnt, mal ne Pause machen, auf Klo gehen, ne Runde um den Block um den Kopf frei zu kriegen etc.
Am besten noch wechselt ihr den Dispatch ab. Mehr als einen Tag haltet ihr das meist nicht durch ohne emotional durchzudrehen, besser ist nach ein paar Stunden bereits eine Ablösung zu haben.
Die Input-Kanäle
Die Personen im Dispatch bekommen Nachrichten von den Zulieferern und können Boten kontaktieren. Soweit klar. Natürlich können sie auch noch andere Quellen zu Rate ziehen. Regelmäßig auf den Indys schauen, was da so gepostet wird (auch in den Kommentaren), was die Kommerz-Medien bringen, was Twitter so zwitschert etc.
Nur: Vertrauen solltet ihr in eure Zulieferer und Boten haben, die sind eure Primärquellen. Die sind die entscheidenden Quellen. Behandelt alles andere als Gerüchte.
Die Boten sollten ebenfalls so verfahren, dass sie sich um eine Nachricht oder ein Gerücht zu bestätigen an die zwei-Personen-Regel halten wenn sie selbst nicht Augenzeugen sein können (weil sie bspw. zu spät am Ort des Geschehens eintrafen). Sie sollten daher ebenfalls übermitteln, wieviele Augenzeugen sie für das Gerücht gefunden haben oder eben auch die das selbige widerlegen.
Die Technik
Jabber:
Oben bereits angeklungen ist, dass sich als Arbeitsmedium Jabber am besten eignet. Mit einem internen Kanal könnt ihr Dispatches wechseln ohne das es zu Verzögerungseffekten kommt und habt die Nachrichten, Meldungen und Gerüchte an einem dezentralen Ort gespeichert für den Fall der Fälle. Die meisten Jabber-Clients könnt ihr über TOR ins Internet gehen lassen. Macht davon Gebrauch - gerade bei Jabber ist der Verzögerungseffekt durch TOR quasi bedeutungslos. Falls euch Jabber zu kompliziert ist - mit IRC gehts auch, dann allerdings unverschlüsselt. (Ja, Verschlüsselung geht bei IRC auch, aber schon viiieeeel komplizierter. Dann ists doch einfacher, nen Jabber-Client zu benutzen) Für IRC empfiehlt sich als Client x-chat, den ihr mit Tor versehen könnt und dann als Server natürlich irc.indymedia.org ;)
In Zeiten von Smartphones könnt ihr Jabber zusätzlich noch als Output-Kanal für die Öffentlichkeit benutzen - also einen Kanal, den ihr vorher bekannt gebt und in den sich die Leute einklinken können - ihr könnt ihn auch als Input-Kanal benutzen für eure Zulieferer. Der Vorteil davon ist, dass die Leute gezwungener sind, emotional ruhiger zu schreiben. Der große Nachteil ist allerdings, dass Rückfragen schwieriger sind und das Tippen länger dauert als Sprachkommunikation. Wir haben in der Vergangenheit immer Handys benutzt und als wir mal mit freiem Wlan-Chat experimentiert haben um zu testen ob es was wäre fand ich die Kommunikation über Chat einfach zu langwierig und holprig, als das ich sie mir für Stresssituationen vorstellen könnte. Aber wer weiß - wenn ihr versierte Handy-Schreiber seid geht euch das vielleicht anders und es wäre eine neue Option. Experimentiert vorher mal rum, ob das was für euch sein könnte. Der Nachteil wäre allerdings, dass eure Zulieferer dann auch Smartphones brauchen und darüber evtl. als Zulieferer enttarnt werden könnten wenn sie festgenommen werden. Smartphones sind einfach teurer und so würden die meisten wohl doch ihr privates Smartphone nutzen :( Ob das Besser ist als früher weiß ich nicht. Ich kann es mir als neue Option durchaus vorstellen, zumal bei der anderen Methode ebenfalls enttarnt werden kann durch das gefundene Zuliefererhandy. Ich will mich hier weder dafür noch dagegen aussprechen, ich finde es ist einigermaßen ausgewogen. Allerdings bevorzuge ich aus praktikablen Gründen Aktionshandys. Meine Daumen sind zu groß für Smartphone-tastaturen ;)
Handys:
Denkt daran, dass Handys überwacht werden können. IMSI-Catcher und wie sie alle heißen. Auf keinen Fall solltet ihr Privathandys nutzen um einen Dispatch zu betreiben und auch als Zulieferer keine gute Idee. Wir haben immer nicht-identifizierbare Handys genommen, also Handys die extra für diesen Zweck angeschafft wurden (Aktionshandys) und nur dafür verwendet wurden. Ebenso wurde ein Satz bereits freigeschalteter SIM-Cards beim Händler des Vertrauens gekauft, die dann an die Handys ausgeteilt wurden. So entstand ein Netz von Handys nur zu diesem Zweck. Das ist zwar theoretisch auch möglich zu entdecken, aber schon um einiges schwieriger und aufwändiger. Das verschafft euch zumindest Zeit bis sie das Dispatch-Handy anpeilen können. (Hier wird auch der Vorteil vom Jabber-Client auf Smartphones klar, da hier über TOR gesurft wird und somit keine Handypeilung des Dispatch-Handys möglich wäre.) Natürlich ist es möglich, technisch zumindest, euer Dispatch-Handy nach einer Weile zu enttarnen, weil beispielsweise aus einer Region immer wieder diese Nummer angerufen wird. Wenn ihr euch absichern wollt holt euch mehrere Dispatch-Handys mit mehreren Sim-Cards/Nummern und gebt jedem Zulieferer verschiedene. Oder wechselt die Nummer nach einem bestimmten Intervall. Dadurch könnt ihr versuchen, solche Regelmäßigkeiten zu verschleiern und so die Ortung des Dispatch-Handys zu erschweren. Nach der Aktion sollten die Handys, vor allem das Dispatch-Handy, und die SIM-Cards verschwinden. Muss ja nicht weggeworfen werden, ein Flohmarkt am anderen Ende der Bundesrepublik tuts auch und ist Kosten- und Ressourcenschonender. Nur das Handy bitte nicht bis dahin zu Hause aufbewahren oder ähnliches. Denn nicht nur SIM-Cards, sondern auch Handys haben Nummern. Ein Handy kann daher über diese Nummer identifiziert werden, auch wenn die SIM-Card gewechselt wurde. Eine Hausdurchsuchung aufgrund irgendeines Verdachtes zwei, drei Wochen später und gefundenes Dispatch-Handy kann euch auch nachträglich noch in Schwierigkeiten bringen. Denkt daran!
Wenn also die Bullen den Dispatch stürmen wollen sollte das Dispatch-Handy was? Genau - verschwinden!
Computer:
Der Dispatch braucht einen Computer mit Internetzugang um arbeiten zu können. Dieser Computer braucht nicht Ressourcenstark zu sein, ein einfaches gebrauchtes Notebook für wenig Geld tut hier bereits seinen Zweck. Auf dem Notebook sollten möglichst keine Spuren hinterlassen werden. Ein Notebook ohne Festplatte böte sich hier an, ist aber meist dann doch zu umständlich im Gebrauch. Mindestmaß sollte jedoch ein Linux-System mit vollverschlüsselter Festplatte sein. Es braucht einen Jabber-Client mit Ende-Zu-Ende-Verschlüsselung (Bspw. Pidgin mit OTR-Plugin), einen TOR-Client, einen (TOR-)Browser. Der Jabber-Client sollte so eingerichtet sein, dass er über Tor ins Internet geht, wenn ihr sichergehen wollt könnt ihr auch allen Verkehr des Rechners ins Internet über Tor abwickeln, aber zumindest der Jabber-Client und der Browser mit dem ihr Indymedia und andere Kanäle füttert sollte ebenfalls über Tor gehen. Tor-Browser-Bundle gibt es für die verschiedenen Linux-Systeme. Ein solches System mit Debian einzurichten ist kein Hexenwerk und sollte von jemandem mit rudimentären Computerkenntnissen erledigt werden können.
Vielleicht gibts ja auch hier passende Tutorials auf Indy zum Thema die euch weiterhelfen.
Nehmt bitte nicht euren Privatrechner für solche Zwecke - bei einer Stürmung des Dispatch durch Bullen ist der nämlich weg.
Wenn die Gegebenheiten es zulassen, also ihr über eine beständige externe Stromversorgung verfügt, bietet es sich an, das Notebook ohne Akku zu betreiben. Im Fall der Fälle kann so einfach der Stecker gezogen werden und dank verschlüsselter Festplatte wars das für die Bullen mit Beweissicherung. Sonst zumindest eine Verknüpfung haben, mit der der Rechner unwiederuflich heruntergefahren werden kann ohne sich durch Menüs zu wurschteln.
All das gesagt hoffe ich, euch genügend Tipps mit auf den Weg gegeben zu haben um einen ordentlichen Ticker zu organisieren. Lasst euch nicht abschrecken, aber nehmt die Warnungen ernst.
Vielleicht kommt ihr ja auch auf den Geschmack und begeistert euch noch mehr für so wichtige Arbeit wie Indymedia. Das Netzwerk kann auf jeden Fall Zulauf und neue Leute gebrauchen.
Für ein, zwei, viele Nachrichtenticker!
Für ein, zwei, viele Indymedia-Centers!
Ergänzungen
Jabber-Tutorial
Von den Kollegen von systemli gibt es eine gute Anleitung für Jabber mit OTR und TOR - also genau das, was hier empfohlen wird. Systemli ist ebenfalls ein vertrauenswürdiger Server, also auch empfehlenswert es direkt dort zu machen:
https://wiki.systemli.org/howto/jabber
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