Willkommen in der Sackgasse - Reflection on #besetzen
Mitte März ist schon wieder so weit weg. In Berlin wie auf der halben Welt hatten die Regierungen gerade einen Lock-Down beschlossen. Die meisten politischen Zusammenhänge sagten ihre Veranstaltungen, Demos und KüFas ab. Liberale zogen sich in ihre 120 m² Dachgeschosswohnung zurück und hingen ein „Stay the fuck at home!“-Banner vom Balkon. Die Straßen waren wie leer gefegt. In den U-Bahnhöfen traf man zu manchen Uhrzeiten nur noch Menschen, die wohnungs- oder obdachlos waren. Wer kein Zuhause hat kann nicht in Quarantäne gehen.
Wir sind eine der Gruppen, die zum Housing-Action-Day am 20. Mai äußerst spontan leerstehende Wohnungen knackte, um ein sicheres Zuhause für Menschen zu schaffen, die eins brauchen. Viele von uns hatten sich nach den selten erfolgreichen Besetzungen in Berlin in den letzten zwei Jahren eigentlich von der Aktionsform abgewandt. Besetzungen wirklich länger als 24 h zu halten war bei den knapp 20 Besetzungen seit dem Frühling 2018 ein Roulette mit äußerst schlechten Chancen gewesen. Hin und wieder konnten Wagenplätze und Häuser wie Sabot Garden, Diesel A und die G17a länger gehalten werden, doch insgesamt schien das Kräfteverhältnis zu ungleich.
Die Covid19-Pandemie gab uns eine neue Dringlichkeit und wir versuchten mit anderen Gruppen zusammen einen neuen Ansatz: Wir öffneten still einige Wohnungen (leerstehende wie Airbnbs) und wollten sie nach einiger Zeit an Wohnungslose oder Menschen die einen Schutzraum brauchen, übergeben. Innerhalb von kurzer Zeit hatten die verschiedenen autonomen Gruppen zwei symbolische Aktionen und zehn besetzte Wohnungen auf die Beine gestellt. Und wir alle riefen dazu auf, sich uns anzuschließen.
Einerseits wollten wir so als direkte Aktion Missstände aushebeln. Warum sollen Menschen auf der Straße leben wenn zeitgleich Wohnungen leerstehen? Andererseits hofften wir durch einen angekündigten Räumungsstopp Besetzungen leichter halten zu können und andere ebenfalls motivieren zu können.
Die Resonanz aus der „Szene“ war größtenteils positiv und gab uns Mut. So zogen in den darauf folgenden Wochen einige Menschen von der Straße in Wohnungen. Die Anzahl blieb jedoch übersichtlich: Einige Wohnungen flogen auf bevor Menschen eingezogen waren, aus anderen flohen die neuen Bewohner_innen als sie entdeckt wurden. Noch immer sind Wohnungen, die am Housing Action Day geöffnet wurden bewohnt und besetzt, doch die große Besetzungswelle blieb (so weit wir wissen) aus. Denn eigentlich sollte die Aktion nur ein Anfang sein: Wir riefen Nachbar_innen, Aktivist_innen und Menschen ohne Wohnung dazu auf, still weiter Leerstand zu besetzen! Das ist unserm Wissen nach leider nicht passiert.
Gründe dafür gibt es viele. Doch auch wir haben einige Punkte, die wir heute an der Aktionsform kritisch sehen:
1. Vereinzelung: Stille Besetzungen sind so lange sie nicht öffentlich geworden sind wirklich sehr still. Das eigentliche Problem von kapitalistischer Wohnraumverwertung und Obdachlosigkeit kann so nur schwer politisch behandelt werden sondern verschwindet aus dem öffentlichen Raum. Dies passiert erst wenn Besetzungen öffentlich werden. Bei Menschen die illegalisiert sind oder aus Gründen keinen rechtlichen und politischen Stress sondern Ruhe suchen ist es jedoch auch dann nicht möglich, die Besetzung politisch zu verhandeln.
2. Dienstleitungsverhältnis: In vielen anderen Städten Europas sind stille Besetzungen viel verbreiteter. Beispielsweise in Rom gibt es hunderte. Sie können aber auch dazu führen, dass die Besetzungsbewegung nichts anderes macht als sozialdemokratische Elendsverwaltung: So lange die Menschen immer wieder irgendeine leerstehende Wohnung finden wird sich nichts grundlegend ändern, die Besetzungen nehmen Druck aus dem sozialen Kessel statt langfristig etwas zu verändern.
3. Sozialarbeit: Wir können als Unterstützer_innen nur teilweise den eigentlichen Besetzer_innen zur Seite stehen. Einige suchen nur eine Wohnung, andere wünschen sich mehr Unterstützung bei unterschiedlichsten Problemen. Das kann eine Aktionsgruppe nur bedingt leisten.
Das größte Problem der Aktionsform waren aber tatsächlich die „Überwacher_innen“ der Häuser: In vielen Kiezen gibt es unfassbar viel Leerstand (checkt mal die Klingelschilder, Briefkästen und Haustüren in eurem Block) aber irgendwer hat meist ein Auge drauf. Seien es Hausverwaltung, Handwerker_innen, Securitys, Hausmeister_innen oder selbsternannte Blockwärt_innen. So flogen schon mehrere Wohnungen auf ohne das wir etwas tun konnten.
Aus unser Perspektive befindet sich der Ansatz daher in der Sackgasse. Nachdem in den letzten Jahren mit viel Wut, Kraft, Freude aber auch Enttäuschung viele verschiedene Sachen ausprobiert wurden, sehen wir aktuell die Kraftverhältnisse in Bezug auf Besetzungen zu sehr zu Gunsten von Staat und Investor_innen. Stille wie öffentliche Besetzungen sind mit den aktuellen Konzepten nur mit Glück und in Ausnahmefällen haltbar.
Wir freuen uns auf Diskussionsbeiträge oder wenn ihr uns eines Besseren belehrt.
Autonomer Schlüsseldienst M. Dietrich