Kein Social Center für die „Sprachrohre“ der Leipziger Antifa-Szene?

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Seit 2015 versucht ein selbstorganisiertes Bündnis aus Leipziger Gruppen und Einzelpersonen, ein Soziales Zentrum in der Stadt zu schaffen. Nach Protesten vor dem Stadtrat, einer kurzfristigen Besetzung der alten Erziehungswissenschaftlichen Fakultät und einer Demonstration machte die Initiative am vergangenen Wochenende ernst und besetzte ein ehemaliges Gebäude des Ordnungsamtes. Diese Besetzung wurde zunächst von einem großen Polizeiaufgebot umstellt, aber nach Verhandlungen von der Stadt bis Montag geduldet und nach einem Gespräch mit dem Oberbürgermeister von den Besetzer_innen wieder geräumt, um einen Aushandlungsprozess mit der Stadt zu beginnen.

 Worum geht es eigentlich?

 

Die Idee für ein Social Center entstand im Sommer 2015, als die schockierenden, massenhaften Übergriffe auf die Geflüchtetenunterkunft in Heidenau die Situation bestimmten. In diesem Moment ließ die spontane Unterstützung einer Gruppe Geflüchteter, die in der Turnhalle der HTWK untergebracht waren und ausgerechnet nach dem Wochenende der rassistischen Eskalation nach Heidenau gebracht werden sollten, kurz die Möglichkeiten einer linken Intervention aufblitzen. Mehrere hundert Menschen blockierten den Abtransport der Geflüchteten und erreichten so, dass diese in Leipzig bleiben konnten. In dieser Situation entstand die Idee eines Social Center: Ein Ort, um solidarische Menschen und Initiativen zu bündeln, sie längerfristig zu organisieren und schließlich eine Alternative zum Bestehenden aufzuzeigen, die kurzfristige Feuerwehr-Mobilisierungen gegen rassistischen Übergriffe nicht vermitteln können.

 

Die Gretchenfrage: Kritik, die uns dem Erreichen unserer Ziele näher bringt oder Machtpolitik?

 

Kurz nach dem vorläufigen Ende der Besetzung erschien auf leipzig.antifa.de ein Resümee der Besetzung, welches einen fragend hinterlässt. Zunächst wird dort die „Gretchenfrage“ aufgeworfen, ob es tatsächlich einen weiteren linken Ort in der Stadt braucht. Dies mutet als Kritik an einer Besetzung schon einigermaßen seltsam an. Schimmert hier doch die gleiche Verzichtslogik durch, die uns sonst von anderer Seite vorgehalten wird: Nutzt doch erstmal die vorhandenen und legalen Räume, besetzt eure Nischen. Das uns dies nicht reichen kann, sondern wir die Stadt grundlegend verändern wollen, sollte doch eigentlich allgemein geteilt werden.

 

Aber auch ganz konkret stellt sich die Frage, welche(s) der bestehenden Projekte in Leipzig die_der Autor_in als geeignet ansieht, um die mit dem Social Center verfolgten Ziele zu verwirklichen? Welcher Raum bietet denn genügend Platz, die zahlreichen Hilfsinitiativen und antirassistischen Gruppen zu bündeln und diesen zu neuer Sichtbarkeit und Durchschlagskraft zu verhelfen? Am Sonntagabend der Besetzung erschienen spontan 70 Geflüchtete aus einer naheliegenden Massenunterkunft zum Essen. Das hat nicht nur die Aussage der Leipziger Grünen, es ginge gar nicht um Refugees und deren Belange, ad absurdum geführt, auch die Kritiker_innen des Social Center sollten überlegen, warum keines der existierenden linken Projekte Willens oder in der Lage ist, eine solche Dynamik zu entfalten und warum die radikale Linke nicht begreift, dass "Das Kochen [zu] organisieren“ eine politische Fragestellung ist.

 

Radikalität misst sich am Effekt und nicht an der Pose

 

"Was wolltest du mit der Torte? Sprich!"

"Die Stadt vom Tyrannen befreien!"

 

Nach der ersten Verwunderung über den Rat, doch lieber weniger zu besetzen, beginnt man zu ahnen, welche Motive dahinter stehen. Denn implizit durchzieht den gesamten Text auf leipzig.antifa.de der Vorwurf , die Besetzer_innen hätten durch die Verhandlungen mit der Stadt die eigene Position verraten. Dies verkennt grundlegend die herrschenden Machtverhältnisse. Dass der Staat eine Besetzung binnen kürzester Zeit räumen kann, hat er am Nachmittag des 5.3. gezeigt, als in wenigen Stunden hunderte Polizist_innen und schweres Gerät vor Ort waren. Dennoch gelang es den Besetzer_innen durch geschicktes Argumentieren, eine Duldung für zwei Tage und ein anschließendes Gespräch mit dem OB zu erreichen. Ob letzteres eine reine Zeitverschwendung ist, kann bisher nur gemutmaßt werden. Zumindest wurde die Leipziger Linie der sofortigen Räumung durchbrochen und für zwei Tage ein Ort der Selbstorganisation und konkreten Solidarität geöffnet. Die Besetzer_innen entschieden sich dagegen, durch vorgebliche Kompromisslosigkeit eine Räumung zu provozieren. Denn so wäre zwar ein „Zeichen gesetzt worden“, sich aber zugleich mit der eigenen Ohnmacht abgefunden worden. Stattdessen wurde sich entschlossen, den Kampf um die Öffentlichkeit aufzunehmen und zu versuchen, dieser zu vermitteln, wie ein Social Center aussehen könnte und welchen Zwecken es dienen soll. Dem zugrunde liegt die Erkenntnis, dass eine Besetzung heutzutage nicht mehr militant durchgesetzt werden kann, sondern nur durch politischen und öffentlichen Druck gewinnen kann.

 

Ein soziales Zentrum wird unter den aktuellen Kräfteverhältnissen also weder allein durch besondere Entschlossenheit oder Militanz, noch durch kluges Verhandeln am Tisch der Mächtigen entstehen. Die Gretchfrage lautet deshalb, ob es uns gelingt, eine Massenbasis aufzubauen, die für ein solches Center steht. Daran haben sich auch die Methoden zu messen. Eine Torte für den Bürgermeister überrascht all jene, die von der radikalen Linken die immer gleichen Gesten und Symbole erwarten, sie macht es schwierig, uns öffentlich dort zu platzieren, wo unsere Gegner_innen uns sehen wollen. Das macht sie zu einem effektvollem Mittel. Ob es der Stadtverwaltung gelungen ist, die Bewegung durch den Pfad der Vereinsgründung auszubremsen und in ihre Bahnen zu leiten wird sich zeigen. Hier sind skeptische Einwände durchaus angebracht. Dies ist aber keine Frage von Verrat, sondern eine von Strategie.

 
Der_die unbenannte Kritiker_in verharrt hier in einer beliebten Methode linksradikaler Praxis, die sich von Autonomen bis Antideutschen nach dem gleichen Muster vollzieht: Zunächst wird die Welt moralisch in Gut und Schlecht geteilt. Danach werden die wenigen Guten auf weitere Mängel untersucht, ob sie sich gar mit Schlechten eingelassen hätten. Dies wird lautstark kritisiert. Am Ende bleibt man fast allein zurück und begnügt sich – je nach Gusto – mit dem Ausrichten einer Veranstaltungsreihe, dem Anzünden einer Bushaltestelle oder dem Schreiben von unsachlicher Kritik im Internet. Uns langweilt diese Politik der richtigen Haltung zutiefst. Wir sind nicht Teil eines Mönchsordens, uns ist ideologische Unbeflecktheit relativ egal. Was uns interessiert, sind die gesellschaftlichen Widersprüche und wie man sie zuspitzen, die Verhältnisse zum Tanzen bringen (sorry, Karl) kann. Wenn Bildzeitung und AfD zetern, der Oberbürgermeister und die SPD entwaffnet sind und der Kreis derjenigen, die sich wohlwollend für das Center interessieren und bereit sind, sich einzubringen, größer geworden ist, dann haben wir unter den aktuellen Bedingungen viel erreicht.

 

Blick auf blinde Flecken oder Alibikritik?

 

Ein weiteres Beispiel für die unsolidarische Schlagrichtung des Textes auf leipzig.antifa.de ist die Kritik daran, dass die Vertreter_innen des Social Center nicht kritisiert hätten, dass wenige Wochen zuvor Geflüchtete aus dem Lager an der Deutschen Nationalbibliothek bei ihrem Protest vor dem Rathaus nicht von Stadtoberen empfangen worden seien. Hier wird eine Trennung zwischen Social Center und Geflüchteten aufgebaut. Dabei wird weder anerkannt, dass die angefeindeten Vertreter_innen des Social Center damals als einige wenige Kartoffellinke mit den Geflüchteten im Schneeregen standen, noch dass einige Refugees dauerhaft an der Organisation des Social Center beteiligt waren und sich auch während der kurzen Lebenszeit des Centers stark um die Einbindung bemüht wurde.

 

Bundesweite Organisationen und Bewegungsanführer_innen

 

Abschließend wird die Beteiligung der lokalen Gruppen der beiden bundesweiten Zusammenschlüsse „Interventionistische Linke“ und „Ums Ganze“ kritisiert. Zwar nicht mit irgendwelchen sinnvollen Argumenten, dafür mit der beliebten Phrase der „Bewegungsmanager_innen“, die ein wohliges Erschaudern in jenem Teil der radikalen Linken hervorruft, für den Nachdenken schon einen Verrat an der eigenen Empörung darstellt.

 

Im Gegensatz dazu haben sich Vertreter_innen der kritisierten Strömungen seit Monaten am Prozess des Social Center beteiligt und darin offen ihre Positionen vertreten und diskutiert. Demgegenüber steht ein_e Redakteur_in, welche uns in arroganter Weise die „eine linke Sicht auf die Irrungen und Wirrungen der letzten Tage und Monate“ präsentiert. Dabei wird sich gegen Kritik immunisiert, indem dieser halbherzig zugestimmt wird („Mag sein, dass die Räume nicht alle ansprechen.“), zugleich im nächsten Satz abgewiegelt wird („Aber ist das überhaupt das dringendste Problem für die Menschen in den Lagern und Unterkünften?“).

 

Der außerdem angeführte Verweis auf das Nicht-Erscheinen von Teilen der radikalen Linken hat sich in der Leipziger Debatte zum Indikator des absoluten argumentativen Nullpunkts gemausert. Während vor wenigen Monaten noch in protestantischer Manier allen Linken, die sich nicht auf eine Demo gegen den Verfassungsschutz begeben haben, mangelnder revolutionärer Eifer attestiert wurde, so wird das Fernbleiben nun zu inhaltlicher Kritik an vermeintlich unklaren Zielen geadelt.

 

Um es klar zu sagen: Offene Kritik kann uns auf dem Weg zur Erreichung unserer Ziele voranbringen. Dafür ist es jedoch nötig, dass diese überhaupt einen Mindeststandard an Kohärenz und Konstruktivität erfüllt. Zudem ist es notwendig, sich in reale politische Prozesse einzubringen und auch einmal auf einem Treffen das Wort zu ergreifen, statt aus sicherer Distanz abzuwarten und anschließend am Computer das Urteil zu sprechen. Das Problem in Leipzig sind nicht „Politmanager_innen“, sondern Einzelne, die sich als Anführer_innen der radikalen Linken sehen und glauben, sie könnten für eine ganze Szene sprechen.

 

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