Das Problem mit dem Stern in "Frauen*"

In feministischen Kontexten wird häufig der Begriff "Frauen*" verwendet. Bei der Definition dessen, vor allem bei dem Sternchen, gibt es jedoch ganz unterschiedliche Auslegungen.
Dieser Artikel soll erklären, welche Verwendungen mehr oder weniger verbreitet sind und wieso die meisten davon transfeindlich sind. Und wie es besser geht.

Dabei wird kein Anspruch auf Vollständigkeit dieser Aufzählung erhoben und die hier mitgeteilten Erfahrungen und Bedenken entstammen einer trans weiblichen, aber subjektiv Position.
Als dyadische (also nicht-intergeschlechtlich) Person kann ich entsprechende Bezüge zu und Themen von inter Personen nicht wiedergeben und werde sie unter Umständen deshalb auslassen.

 

Bitte versteht diesen Artikel als solidarische Kritik an Genoss*innen und Freund*innen.
Ich gehe davon aus, dass die meisten Personen auf die ein oder andere Art gute Absichten haben, wenn sie von „Frauen*“ schreiben oder sprechen, und sich der problematischen Implikationen womöglich nicht bewusst sind oder ihnen bessere Alternativen fehlen.

 

 

Einige kurze Begriffserklärungen vorneweg:

 

cis – cis (oder auch cisgeschlechtlich) ist ein Adjektiv, das bedeutet, dass eine Person sich mit dem Geschlecht identifiziert, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde. Ein Mensch, der bei der Geburt als „weiblich“ bezeichnet wurde und sich als Frau versteht, ist eine cis Frau.

trans – trans ist ein Adjektiv, das bedeutet, dass eine Person sich nicht mit dem Geschlecht identifiziert, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde. Eine Person, die bei der Geburt als „männlich“ bezeichnet wurde, sich aber als Frau versteht, ist eine trans Frau.

misgendern – bedeutet, dass eine Person als ein Geschlecht bezeichnet und/oder behandelt, das nicht das ihre ist – z.B. durch Pronomen (z.B. „er“ oder „sie“) , Artikel (z.B. „DER da hinten“ oder „das ist auch so EINE“) oder geschlechtlich konnotierte Worte wie „Demonstrantin“, „Bruder“, „Junge“, „Frau“, „Typ“. Eine trans Frau als „er“ oder „Mann“ zu bezeichnet, heißt, sie zu misgendern.

 

 

1) FLINT (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre und trans Personen)

 

Verwendung:

"Frauen*" wird hier verwendet, um alle Menschen zu bezeichnen, die im Patriarchat auf Grund ihres Geschlechtes diskriminiert werden.

[Ergänzung: "Lesben" wird im FLINT-Akronym neben "Frauen" explizit erwähnt, einerseits zur Sichtbarmachung lesbischer Frauen in einem heteronormativem System, in dem von allen Frauen erwartet wird, ihr sexuelle und romantisches Begehren ausschließlich auf Männer zu richten, und andererseits, da einige lesbische Menschen die Einordnung in die Kategorie „Frau“ für sich ablehnen, da sie diese als an sich bereits heterosexuell und von Männern abhängig konstruiert verstehen.]

 

Problem:

Nicht nur Frauen werden im Patriarchat auf Grund ihres Geschlechtes diskriminiert.
TIN (trans, inter & nicht-binäre Personen) erfahren ebenfalls patriarchale/sexistische Diskriminierung.
Indem alle diese Menschen unter „Frauen*“ zusammengefasst werden, werden TIN, die keine Frauen sind, also z.B. nicht-binäre Personen und trans Männer, zum einen unsichtbar gemacht und zum anderen misgendert
Nicht-binäre Personen und trans Männer sind keine Frauen.
Ihre Diskriminierungserfahrungen mögen denen von einigen Frauen in manchen Punkten gleichen, und/oder sich in anderen Punkten stark von ihnen Unterscheiden. Patriarchale Diskriminierung ist jedoch vielfältig.

 

 

2) "weiblich gelesen"

 

Verwendung:

"Frauen*" wird hier verwendet, um alle Menschen zu bezeichnen, die im Allgemeinen von anderen als "weiblich" oder als "Frauen" (bzw. "Mädchen") wahrgenommen (und in der Konsequenz so behandelt) werden.

 

Problem:

Zum einen ist es nicht einheitlich, wer von wem in welchem Kontext und zu welcher Zeit wie geschlechtlich wahrgenommen, gelesen und eingeordnet wird. Diese Fremdwahrnehmung kann variieren. Insofern ist die begriffliche Bestimmung uneindeutig.

Vor allem jedoch legt sie den Fokus auf patriarchal geprägte Wahrnehmung(smuster). Das heißt, die Frage, wer als Frauen wahrgenommen wird, hängt von patriarchalen Einordnungs- & Wahrnehmungsmechanismen ab. In der Konsequenz heißt das, dass einige nicht-binäre Personen und trans Männer manchmal, häufig oder immer von anderen als „Frauen“ gelesen werden. Das macht sie jedoch nicht zu Frauen, weshalb der Einschluss in "Frauen*" sie wiederum misgendert. Gleichzeitig werden einige trans Frauen nicht als Frauen gelesen oder erkannt. Sie sind dennoch Frauen. Sie würden so jedoch aus dem Begriff "Frauen*" ausgeschlossen, wenn sie nicht als Frauen gelesen/erkannt werden. Frauen nicht als Frauen anzuerkennen, weil sie trans sind bzw. nicht passen (also als Frauen erkannt werden), ist transfeindlich.

 

 

3) "Menschen mit Uterus"

 

Verwendung:

"Frauen*" wird hier verwendet, um alle Menschen zu bezeichnen, die einen Uterus haben (oder wahlweise bei der Geburt einen hatten).
(Diese Verwendung kommt häufiger beim Thema reproduktive Rechte, Schwangerschaften, Schwangerschaftsabbrüche und entsprechender Rechte/-losigkeit und Gesetzten vor.)

 

Problem:

Nicht alle Menschen mit Uterus sind Frauen. Einige nicht-binäre Personen und trans Männer können einen Uterus haben. Sie sind dennoch keine Frauen.
Nicht alle Frauen haben einen Uterus. Trans Frauen haben keinen Uterus, sind aber dennoch Frauen. Sie würden hier auf Grund ihrer Anatomie aus dem Begriff "Frauen" ausgeschlossen.

Auch einige cis Frauen haben keinen Uterus (mehr), was sie jedoch nicht zu weniger Frauen macht.

Der Fokus auf einem Uterus und/oder Gebärfähigkeit zur Definition der Kategorie „Frau“ ist zudem ein patriarchaler, den feministische Personen und Bewegungen nicht unkritisch übernehmen sollten.

 

 

4) afab (assigned female at birth)

 

Verwendung:

"Frauen*" wird hier verwendet, um alle Menschen zu bezeichnen, denen bei der Geburt das Geschlecht „weiblich“ zugewiesen wurde.

 

Problem:

Nicht-binäre Personen und trans Männer, welche bei der Geburt die Zuweisung "weiblich" erhielten, werden durch den Einschluss in den Begriff "Frauen*" erneut misgendert. Sie sind keine Frauen.
Frauen, die trans sind und bei der Geburt die Zuweisung „männlich“ erhielten, werden wiederum aus der Kategorie "Frauen" ausgeschlossen.

Das ist eine Reproduktion transfeindlicher Zuweisungen.

 

 

 

5) "weiblich sozialisiert"

 

Verwendung:

"Frauen*" wird hier verwendet, um alle Menschen zu bezeichnen, die "weiblich" bzw. "als Frauen/Mädchen sozialisiert" wurden.

Damit ist idR gemeint, dass Menschen bei der Geburt als "weiblich" zugewiesen wurden und daraufhin auf eine Art behandelt und erzogen wurden, welche sie zu "Mädchen" bzw. "Frauen" machen sollte.

 

Problem:

Der Begriff der Sozialisation wird in mehreren feministischen Kreisen (bzw. solchen, die sich so bezeichnen) verwendet, häufig in einer sehr verkürzten Art und Weise.

Zum einen ist Sozialisation nicht auf die Kindheit und/oder Jugend beschränkt, sie ist idR ein lebenslanger Prozess. Dieser hängt sowohl vom Umfeld der Person ab, die diese Sozialisation erfährt, als auch von ihrem eigenen Verhältnis dazu.

Der Begriff „weiblich sozialisiert“ suggeriert eine Gleichartigkeit von Erfahrungen, die real nicht existiert, bzw. die nicht alle Frauen teilen. Darüber hinaus wird hierbei oft außer Acht gelassen, dass das Verhältnis der Person, die eine Sozialisation erfährt, zum Prozess dieser Sozialisation selbst eine Rolle spielt. Ob Menschen die Sozialisationsangebote & -zwänge annehmen, ablehnen oder sich widersetzen, hat Einfluss darauf, wie die Sozialisation verläuft und wie sie auf die Person wirkt.

Sozialisation ist nicht unbedingt ein Prozess, bei dem Menschen unwidersprochen alles aufnehmen, was an sie herangetragen wird.

Darüber hinaus wird mit "weiblich sozialisiert" meist eine ganz bestimmte Art der Sozialisation bezeichnet, die wohl viele cis Frauen erfahren. Weibliche Erfahrungen sind jedoch verschieden.

Auch trans Frauen erleben eine weibliche Sozialisation. Einfach, weil sie Frauen sind.
Diese Erfahrung kann der von cis Mädchen gleichen, wenn trans Frauen bereits in jungen Jahren ein (inneres und/oder äußeres) Coming-out haben. Sie kann jedoch auch bei einem späteren Coming-out ab diesem Zeitpunkt den Erfahrungen von cis Frauen gleichen.

So oder so sind cis Frauen jedoch nicht das alleingültige Kriterium zur Definition dessen, was "Frauen" sind und was "weiblich" ist.

(Zur weiteren Auseinandersetzung mit dieser Art von Sozialisationargumentation und ihrer Widerlegung empfehle ich FaulenzAs Buch "Support your Sisters, not your Cisters"
https://www.edition-assemblage.de/buecher/support-your-sisters-not-your-cisters/ )

 

 

6) "trans Frauen sind mitgemeint"

 

Verwendung:

"Frauen*"wird hier verwendet, um zu signalisieren, dass auch trans Frauen 'mitgemeint' sind.

Vorteil:

In manchen Fällen kann es hilfreich sein, diesen Hinweis zu bekommen, wenn aus dem restlichen Kontext der Veranstaltung o.ä. nicht ganz klar wird, ob trans Frauen mitgedacht und eingeladen sind, oder ob hier nur cis Frauen angesprochen werden sollen. Dies kann somit unter Umständen Barrieren für trans Frauen abbauen.

 

Problem:

Dadurch, dass trans Frauen nicht selbstverständlich als Frauen anerkannt werden, sondern extra in einem Sonderzeichen betont werden, wird eine erneute Trennung von cis und trans Frauen vorgenommen. Es scheint "Frauen" und "Frauen*" zu geben, wobei erstere cis sind, und trans Frauen einen Sonderfall, eine Ausnahme darstellen. Damit wird das Frausein von trans Frauen erneut abgewertet und nicht als gleichwertig zum Frausein von cis Frauen – der Norm – anerkannt.

Darüber hinaus ist es bedenklich, wenn die Inklusion von trans Frauen lediglich durch ein Sonderzeichen vermittelt werden soll und aus dem restlichen Kontext nicht erkennbar wird.

 

 

7) "alle, die sich als Frau verstehen"

 

Verwendung:

"Frauen*" wird hier verwendet, um alle Menschen zu bezeichnen, die sich selbst als Frauen verstehen bzw. bezeichnen würden.

 

Problem:

Der Gedanke erscheint progressiv, dass Geschlecht eine Frage von Sein und Identifikation und nicht einer äußeren (patriarchalen) Zuschreibung ist. Jedoch wäre dies eine begriffliche Dopplung. Wenn erkannt wird, das Frauen diejenigen Menschen sind, die sich als Frauen verstehen, hieße das "Frauen* sind Frauen". Unnötig, das zu betonen.

Das eigentliche Problem liegt jedoch darin, dass hier im Kern eine "trans Frauen sind mitgemeint" Situation vorliegt. Denn dass cis Frauen Frauen sind, wird idR keine*r abstreiten. Häufig werden mit "Menschen, die sich als Frauen verstehen" eigentlich trans Frauen gemeint. Nach dem Motto "Cis Frauen sind Frauen. Trans Frauen verstehen sich als Frauen." (Grund hierfür mag ein verkürztes oder falsches Verständnis von "Identifikation" sein, welches dies als irgendwie voluntaristisch oder beliebig versteht, statt als innere Erkenntnis.)

 

 

8) "das ist konstruiert"

 

Verwendung:

"Frauen*" wird hier verwendet, um darauf hinzuweisen, dass die Kategorie "Frau" keine natürlich gegebene ist, sondern eine sozial konstruierte, die auf gewordenen Machtverhältnissen basiert, aber somit auch änderbar ist.

Problem:

Hier liegt im Gegensatz zu den anderen Verwendungen kein transfeindlicher Ein-, Aus- oder Fehlschluss vor.

Es scheint jedoch mühselig, zu betonen, dass "Frau" eine sozial konstruierte Kategorie ist. Mit einem gewissen (de)konstruktivistischen / postmodernem Verständnis sollte klar sein, dass quasi eine jede Kategorie sozial konstruiert und von Herrschaftsweisen durchzogen ist. Somit könnte jeder Begriff mit einem Stern versehen werden.
So oder so wird hier jedoch wohl eher der akademische Hintergrund der Schreibenden betont, als dass wirklich praktisch feministische Praxis verfolgt wird.

(Das soll nicht heißen, dass feministische Sprachpolitik und Veränderungen in gewohnter, patriarchal geprägter Sprache nicht ungemein wichtig wären. Mir scheint lediglich der positive Effekt eines angehängten Sternchens an die Begriffe „Frau“ oder „Mann“ verschwindend gering zu sein, v.a. wenn trotz dessen die Inhalte und zugrunde liegenden Gedankengänge nicht konsequent antisexistisch sind.)

 

 

 

9) "Menschen, die sich (zum Teil) mit Weiblichkeit identifizieren"

 

Auf diese Verwendung wurde ich hingewiesen, nachdem ich eine Liste der ersten 8 Punkte veröffentlichte. Sie kam in meiner persönlichen Erfahrung bisher nicht vor und womöglich kann ich sie nur eingeschränkt wiedergeben. Ich möchte es dennoch versuchen, um diesen Hinweis bzw. diese Kritik nicht zu ignorieren und weiterzugeben.

Verwendung:

"Frauen*" wird hier verwendet, um sowohl Frauen als auch solche Menschen zu bezeichnen, die sich (zum Teil) mit Weiblichkeit identifizieren, aber sich nicht als Frauen verstehen.
Der Stern soll hier eine Offenheit symbolisieren, die über klar abgegrenzte, feststehende Kategorien hinaus geht.

Ich sehe hierbei kein grundsätzliches Problem bzgl. transfeindlicher Ein-, Aus- oder Fehlschlüsse.

 

 

Ein generelles Problem

 

Grundlegend ist meistens nicht klar, welche dieser (oder gar eine andere?) Verwendung in einem Text, einem Flyer oder einer Ankündigung o.ä. vorliegt. Denn die wenigstens Menschen nutzen den Stern hier tatsächlich als Fußnote, um zu erklären, wen oder was sie denn genau unter "Frauen*" gemeint wissen wollen.

Insofern bleibt oft unklar, ob es sich hierbei um einen Raum, eine Veranstaltung o.ä. handelt, der für trans Personen sicher ist oder wer dort sein kann/darf/soll und wer nicht.

 

 

Alternativen

 

Grundsätzlich ist es eine gute Idee, zu sagen oder schreiben, was gemeint ist. Das vermeidet häufige Irritationen oder Fehlinterpretationen.

Somit könnte auch direkt klar gemacht werden, dass ein Raum, der nur für Frauen ist, natürlichauch trans Frauen offensteht. Um hierzu missverständliche Sternchen zu vermeiden, wären Formulierungen wie "Raum nur für Frauen (egal ob trans oder cis)" eindeutiger.

Sollten andere Dinge gemeint sein, wäre es auch hier hilfreich, diese zu benennen. Geht es um eine Gesprächsrunde zum Thema "Persönliche Erfahrungen mit eigener Schwangerschaft"? Dann betrifft das nur Menschen, die schwanger waren oder sind. Das sind dann jedoch u.U. nicht nur Frauen.

Insofern sollte auch immer bedacht werden, welche Ein- & Ausschlüsse eine Formulierung beinhaltet, und welche davon gewollt sind. Es kann Sinn ergeben, bestimmte Personen(gruppen) auszuschließen. Dies sollte jedoch niemals entlang von Unterdrückungslinien geschehen. Ein Frauenraum, der pauschal trans Frauen ausschließt, ist nicht okay und reproduziert lediglich transfeindliche Gewalt.

Grundsätzlich gilt: Transfeindlichkeit ist niemals okay. Und sie ist definitiv niemals feministisch.

 

Deshalb möchte ich euch bitten:

Überlegt euch, falls ihr den Begriff "Frauen*" verwenden wollt, was ihr eigentlich ausdrücken möchtet, und dann sagt/schreibt das doch bitte einfach stattdessen. Klare Kommunikation ist eine echt tolle Sache.

Und für einen zweiten Schritt wäre die Überlegung, wiesoihr genau über diese Personengruppe sprechen/schreiben wollt und ob ihr dabei eventuell transfeindliche Ein- und/oder Ausschlüsse reproduziert, klasse.

 

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