Interventionsversuch auf der Kundgebung gegen Corona-Einschränkungen in Dortmund
Am Samstag, dem 16.5. fand auf dem alten Markt in Dortmund zum zweiten Mal eine Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen statt. Neben diversen anderen Leuten hatten auch Mitglieder der lokalen Neonaziszene ihre Teilnahme an dem Protest angekündigt. Dagegen und auch gegen die unter Kritiker*innen der Hygienemaßnahmen verbreiteten Verschwörungsideologien mobilisierte wiederum ein antifaschistischer Initiativkreis zu einer Gegenkundgebung. In diesem Zusammenhang machte die Anarchakommunistische Organisation – die Plattform Ruhr einen kleinen Interventionsversuch; die dabei gesammelten Erfahrungen möchten wir im Folgenden teilen. Am darauffolgenden Samstag haben wir es nicht geschafft, uns die Kundgebung anzusehen, sodass sich unsere Beobachtungen nur auf den einen Tag beziehen.
Unser Vorhaben
Trotz des berechtigten Misstrauens gegen derlei Veranstaltungen wollten wir nicht allen Beteiligten der Coronakundgebung von vornherein ein geschlossenes faschistisches Weltbild unterstellen. Wir gingen eher davon aus, dass sich dort, wie auch bei anderen spontanen Bewegungen, eine heterogene Menge mit durchaus unterschiedlichen Ideen und Beweggründen zusammenfinden würde. Aspekte der dort artikulierten Anliegen, wie etwa die Sorge angesichts der Außerkraftsetzung von Grundrechten und das generelle Missbehagen gegenüber staatlicher Gängelung, erschienen uns zumindest nicht völlig abwegig. Daher wollten wir den Versuch unternehmen, mit einzelnen dieser Leute ins Gespräch zu kommen. Wir waren uns dessen bewusst, dass diese Bewegung ein schwieriges Terrain für revolutionäre Kräfte sein würde, da der Einfluss der Rechten von Anfang an stark war und der bereits erwähnte Hang zu Verschwörungsideologien emanzipatorischem Denken und Handeln nicht gerade förderlich ist. Wir hielten es allerdings auch für fatal, das Feld von vornherein den Faschist*innen zu überlassen. Dabei wollten wir in Gesprächen mit den Leuten problematisieren, dass Neonazis an der Bewegung teilnehmen und darauf hinweisen, dass diese jedes befreiende Potential von vornherein verliert, solange sie sich nicht von Faschist*innen abgrenzt. Wir bildeten uns natürlich nicht ein, relevante Teile der Kundgebung auf Anhieb von unseren Ideen überzeugen zu können. Eher ging es uns darum, überhaupt Teil der Geschehnisse zu werden und vielleicht den einen oder anderen zum Nachdenken anzuregen.
Wir hatten einen Flyer dabei, der unter der Überschrift „Die Coronakrise wirft einige Fragen auf“ ein paar recht offensichtliche gesellschaftliche Widersprüche thematisiert. Der Text war ursprünglich nicht für diesen Anlass geschrieben worden, erschien uns aber sehr passend, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Außerdem hatten wir große Plakate mit demselben Text sowie kleine Wurfzettel mit kapitalismuskritischen Internetlinks vorbereitet.
Unser Plan war, zunächst der Sicherheit wegen mit dem antifaschistischen Gegenprotest anzureisen und dann vor Ort zu sehen, ob wir uns in die Corona-Kundgebung begeben wollen, um dort Flyer zu verteilen und Diskussionen zu führen. Dabei wollten wir uns möglichst wenig auf Debatten über irgendwelche Verschwörungsideologien einlassen, sondern versuchen, das Gespräch auf die sozialen Verhältnisse und die durch die Coronakrise zutage tretenden sozialen Widersprüche zu lenken.
Die antifaschistische Gegenkundgebung
Die Gegenkundgebung war auf dem Friedensplatz, da die Polizei sie nur in einer gewissen Distanz zur Coronakundgebung auf dem Alten Markt genehmigt hatte. Es war dort das übliche linke bis linksradikale Publikum anwesend. Mit Transparenten („Gegen jeden Antisemitismus“) und Redebeiträgen (https://aa170.noblogs.org/post/2020/05/17/16-05-redebeitrag-bei-der-kundgebung-vom-buendnis-grenzenlos-solidarisch/) wurde auf die Gefährlichkeit von Verschwörungsideologien hingewiesen und die Notwendigkeit von solidarischem Handeln in Krisenzeiten benannt. So weit, so sinnvoll.
Jedoch wurde, soweit wir es mitbekommen haben, kaum ein Versuch unternommen, mit Leuten außerhalb des eigenen Dunstkreises ins Gespräch zu kommen. So gab es z.B. keine Handzettel, die an Passant*innen verteilt wurden – was natürlich auch am Mangel an Kapazitäten gelegen haben kann.
Problematischer war der Umgang mit einigen Gegner*innen der Corona-Maßnahmen, die zwischendurch auf dem Kundgebungsplatz auftauchten – sei’s, weil sie sich schlicht in der Veranstaltung geirrt hatten oder auch, weil sie sich bewusst einmal einen Eindruck von der Gegenseite machen wollten. Diese wurden von einigen Teilnehmer*innen der antifaschistischen Kundgebung durch Beleidigungen und Spott vergrault – teils auch mit der Begründung dass sie die Hygiene-Regeln nicht einhalten würden. Besonders tat sich bei der Beschimpfung von Andersdenkenden ein linker Journalist hervor, der sich auf Twitter unter dem Namen „Korallenherz“ einer gewissen Bekanntheit erfreut. Insgesamt gewannen wir den Eindruck, dass es manchen der anwensenden Antifaschist*innen eher um Selbstvergewisserung als darum ging, aktiv in die Gesellschaft zu wirken.
Gespräche mit Kritiker*innen der Corona-Maßnahmen
Wir hatten unsere Plakate an einigen Stellen rund um die antifaschistische Kundgebung aufgehängt. Diese stießen auf Interesse und wurden durchaus gelesen – auch und gerade von einigen Kritiker*innen der Corona-Maßnahmen, die den Weg auf die Gegenkundgebung gefunden hatten. Wir führten mit diesen Leuten mehrere Gespräche, die sich z.B. um Grundrechte, Virus-Reproduktionsraten, die Probleme von Allergiker*innen beim Maskentragen, die Nützlichkeit gegenseitiger Hilfe und den autoritären Charakter des italienischen Staates drehten. Das Ehepaar Bill und Melinda Gates wurde nicht erwähnt. Die Anwesenheit von Neonazis auf der Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen wurde formal als Problem anerkannt, aber tendenziell heruntergespielt. Wir wurden bei den Unterhaltungen auch ein paar Flugblätter los, die dankend angenommen wurden.
Es waren dies sicher nicht unsere produktivsten Gespräche ever, aber immerhin waren die Leute offen, ließen sich auf Argumente ein und schienen uns erstmal nicht mehr oder weniger konfus zu sein als irgendwelche beliebigen anderen Passant*innen, die an diesem Tag durch die Dortmunder Innenstadt flanierten.
Dies bestätigte unsere Ausgangshypothese, dass es sinnvoll und wichtig wäre, in diese Bewegung zu intervenieren, wobei wir natürlich nicht wissen, wie repräsentativ diese Gespräche für die Teilnehmer*innen der Kundgebung insgesamt waren. Gut möglich, dass es gerade die am wenigsten Verbohrten waren, die sich die Gegenkundgebung ansahen.
Die Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen
Nach einiger Zeit sahen wir auf der linken Gegenkundgebung nicht mehr so viele Möglichkeiten, mit weiteren Menschen in die Diskussion zu kommen. Wir beschlossen daher, weiter zur eigentlichen Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen zu gehen. Diese war inzwischen, nach dem Versuch einer Spontandemo, von der Polizei eingekesselt worden. Es waren etwa 150 Demonstrant*innen, von denen einige das Grundgesetz oder selbst gebastelte Schilder hochhielten, andere eine seltsame Trommelzeremonie aufführten. Von den örtlichen Neonazis waren ca. 20 bis 30 Leute anwesend, wobei einige offenbar von der Polizei vom Rest der Versammlung abgetrennt worden waren und etwas abseits in einem Extra-Kessel standen. Nachdem sich gegenüber der Polizei eine Veranstaltungsleitung gemeldet hatte, wurde es den Neonazis ermöglicht, sich wieder dem restlichen Teil der Kundgebung anzuschliessen. Dies wurde von einem Teil des versammelten Publikums mit Applaus aufgenommen, was natürlich ein fatales Zeichen ist. Wobei gesagt werden muss, dass sie nicht offen durch Symbole, Plakate oder Ähnliches als Faschist*innen auftraten und daher wahrscheinlich zumindest von einem Teil der anderen Demonstrant*innen nicht als solche erkannt wurden. Um so wichtiger wäre es eigentlich, das Antifaschist*innen sie offensiv mit diesem Umstand konfrontieren.
Angesichts des gesamten Settings – des Polizeikessels, der deutlichen faschistischen Präsenz und der mangelnden Unterstützung unserer linken Freund*innen – hielten wir es nicht für ratsam, uns direkt auf die Kundgebung zu begeben. Wir beließen es dabei, einige unserer Wurfzettel mit Internetlinks in die Menge zu werfen und machten uns auf den Heimweg.
Fazit
Insgesamt konnten wir unser Vorhaben nicht wie geplant umsetzen. Dennoch sind wir angesichts der Umstände und unserer relativ schwachen Kräfte nicht unzufrieden: Wir haben uns mit einigen Leuten unterhalten, konnten ein paar Flugblätter verteilen und uns vor allem erst einmal mit eigenen Augen und Ohren einen Eindruck von einer neuen sozialen Bewegung verschaffen, anstatt nur die Bilder zu beglotzen, die die Massenmedien von dieser zeigen. Darüber hinaus können wir durch die gemachten Erfahrungen die politische Konstellation und die beteiligten Kräfte besser einschätzen.
Uns stellt sich die Lage in Dortmund so dar, dass wir nicht glauben, innerhalb dieser Bewegung noch viel erreichen zu können. Die Faschist*innen sind zu sehr geduldet, die Linken sind zu wenig willens, strategisch sinnvolle Konzepte der Auseinandersetzung zu entwickeln.
Wir werden daher in Zukunft im Zusammenhang der Corona-Kundgebungen nur noch wenig Energie aufwenden und unsere Kapazitäten wieder in eine andere Richtung lenken. Dies könnte sich allerdings ändern, wenn es eine grundsätzliche Veränderung in der Dynamik der ganzen Angelegenheit gibt. Aktuell sehen wir uns angesichts der miserablen Ausgangslage nicht im Stande, die Ereignisse in unserem Sinne zu beeinflussen.
Die gegenwärtige Krise kündigt erhebliche Verschiebungen im gesellschaftlichen Gefüge an; die liberal-kapitalistische Ordnung ist von verschiedenen Seiten unter Beschuss. Mit den sogenannten „Hygiene-Demos“ sind hierzulande zum ersten Mal im Zuge dieser Krise gewisse Teile der Bevölkerung in Widerspruch zu einigen Aspekten der herrschenden Ordnung geraten. Die kommende wirtschaftliche Rezession wird die Verhältnisse zuspitzen und sicherlich weitere soziale Unruhe hervorrufen.
Wenn es revolutionäre Kräfte nicht schaffen, selbstorganisierte und klassenkämpferische Antworten auf die Krise zu entwickeln, oder diese zu unterstützen, sofern sie spontan aus Teilen der lohnabhängigen Klasse entstehen (wie z.B. der wilde Streik der Erntehelfer*innen in Bornheim, bei Bonn, Infos z.B. hier: https://twitter.com/FAUBonn), werden autoritäre Kräfte die Lücke füllen und sich als die einzigen und wahren Rebell*innen gegen die herrschenden Verhältnisse inszenieren.
In den bevorstehenden Auseinandersetzungen wird es nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein, dass die meisten Leute auf der Straße Meinungen und Perspektiven vertreten, die wir aus unterschiedlichen Gründen fragwürdig oder auch dezidiert hässlich finden. Es ist dabei jedoch wenig hilfreich, solche Bewegungen von vornherein pauschal als antisemitisch oder faschistisch zu beschimpfen.
Dies kann den Autoritären in die Hände spielen, indem es die Fronten verhärtet und die Tendenz solcher Mobilisierungen weiter nach rechts verschiebt. Besser ist es, solche Bewegungen durch eigene Beobachtungen zu analysieren und daraus gegebenenfalls Strategien zur Einmischung zu entwickeln, um die Stimmung in unserem Sinne zu beeinflussen. Wir müssen uns angewöhnen, soziale Bewegungen als Kampfterrain zu betrachten, in denen verschiedene Ideen und Strömungen um Einfluss ringen. Im Falle der Gelbwestenbewegung in Frankreich ist es beispielsweise durch Interventionen revolutionärer Kräfte gelungen, organisierte Faschist*innen herauszudrängen und der Mobilisierung eine andere Richtung zu geben. Wobei natürlich betont werden muss, dass es auch Bewegungen gibt, in denen eine rechte Hegemonie so stark ist, dass solche Strategien nicht anwendbar ist und sogar gefährlich sind.
Im Grunde sehen wir es wie Daniel Kulla: Die beste Entschwörung ist Klassenkampf (https://www.classless.org/2020/05/11/die-beste-entschworung-ist-klassenkampf/). In dem Maße, in dem die Unterdrücken sich in solidarischen Kämpfen ein Stück Handlungsmacht zurückholen und sich mit den wirklich Mächtigen anlegen, werden sie weniger anfällig für Vorstellungen von eingebildeten finsteren Mächten, die im Hintergrund die Fäden ziehen. Wenn wir wirksam gegen Verschwörungsideologien vorgehen wollen, müssen wir wirkliche Verschwörungen gegen die Herrschaft aushecken. Aber dafür müssen wir unsere linke Wohlfühlblase verlassen und uns ins Handgemenge sozialer Auseinandersetzungen begeben.
Ergänzungen
In Bewegungen zu
In Bewegungen zu intervenieren ist eine gute Idee. Eine Kritik an der Passivität und Planlosigkeit einiger Akteur*innen in der linken Dortmunder Szene ist sicherlich berechtigt. Aber eine einzelne Person, die sich an dem Tag in ihrem Umfeld bewegt, öffentlich zu benennen und stellvertretend für eine Szene, die möglicherweise bei den Autor*innen nicht gut bekannt ist, im Text anzugreifen ist sehr unsolidarisch. Vor allem, wenn im Gegenzug sehr gutmütig mit potentiellen Teilen der Verschwöhrungsdemo umgegangen wird.
Auch sollte das eigene Handeln hier nicht zu heroisch dargestellt werden. Mit Menschen am Rande einer Kundgebung zu reden und Flugblätter zu werfen ist gut und richtig, aber auch keine so große Sache.
Trotzdem gut, dass ihr da wart!