PANDEMIE, KRISE: FÜR DIE UNTERDRÜCKTE KLASSE SIND ALLE ZEITEN MOMENTE DES KAMPFES!
“Der 1. Mai muss ein Symbol der internationalen Solidarität sein, einer Solidarität, die sich nicht auf den Rahmen des Nationalstaates beschränkt, der immer den Interessen der privilegierten Minderheiten des Landes entspricht. Unter den Millionen von Arbeitern, die das Joch der Sklaverei tragen, gibt es eine Einheit der Interessen, unabhängig von der Sprache, die sie sprechen, und dem Standard, unter dem sie geboren wurden. Aber zwischen den Ausbeutern und den Ausgebeuteten ein und desselben Landes herrscht ein ununterbrochener Krieg, der von keinem Autoritätsprinzip gelöst werden kann und in den widersprüchlichen Interessen der verschiedenen Klassen verwurzelt ist. Jeder Nationalismus ist eine ideologische Verkleidung wahrer Tatsachen: Er mag die großen Volksmassen auf einmal zu seinen lügnerischen Vertretern hinreißen, aber er hat es nie geschafft, die brutale Realität der Dinge in dieser Welt zu beseitigen.“ ( Rudolf Rocker, 1936 )
1. Globale Lage
Die COVID-19-Pandemie bricht zu einem Zeitpunkt einer gewissen Schwächung der letzten Globalisierungsperiode aus, mit starken Funktionsstörungen der Finanz-, Entscheidungs- und Kommunikationsmechanismen des kapitalistischen Systems, eines allgemeinen Infragestellens der Entscheidungen der Regierungen sowie einer Krise der imperialistischen Hegemonie mit sich vertiefenden Spannungen zwischen den großen geostrategischen Blöcken.
Im Vorfeld der Gesundheitskrise haben sich an einigen Orten der Welt soziale Bewegungen von großer Bedeutung gegen das System behauptet und die Politik der herrschenden Klassenblöcke in allen gesellschaftlichen Bereichen sowie in ihre Handlungsstrategien in Frage gestellt. Die Gesundheitskrise hat das Herrschaftssystem sehr hart getroffen. Als äußerer Faktor, der auf das Funktionieren des globalen Systems einwirkt, offenbart sie die vorhersehbaren strukturellen, strategischen und funktionalen Schwächen und Mängel des globalisierten Kapitalismus. Die Krise destabilisiert die Regierungen, die immer weniger dazu in der Lage sind „normal“, also schlecht, weiterzuregieren.
Aus diesem Grund hat man in verschiedenen Ländern gesehen, wie die Regierungen, beispielhaft die Großbritanniens und der USA, ihren ursprünglichen Plan, die Ausweitung von Kontakten und damit viele Tote zuzulassen, um eine „Herdenimmunität“ in der Bevölkerung zu erreichen, zurückgenommen haben. Diese vorherige Strategie hätte zusammen mit dem Abbau der öffentlichen Gesundheitssysteme und harten Maßnahmen, unter denen die am stärksten benachteiligten Teile der Bevölkerung am meisten leiden, zu einem massenhaften Sterben führen können. Der Verzicht darauf kann als politisches Zurückweichen der britischen und amerikanischen Bourgeoisie im Angesicht dessen betrachtet werden, was ein gewisses Maß an sozialen Unruhen hätte auslösen können.
So wirkt die Gesundheitskrise als ein Faktor, der die Schwächen, Ungleichgewichte und Zusammenbruchsfaktoren des Systems aufdeckt und verstärkt. Sie stellt einen neuen zentralen Faktor der Schwächung und der Blockade der „normalen“ Abläufe des Systems dar. Gleichzeitig ermöglicht sie auch eine systemische Innovation des Kapitalismus, der sich auf die neuen Bedingungen einstellt.
Kurz gesagt, die Pandemie vertieft einen Zyklus von wirtschaftlichen und sozialen Krisen, die bereits kurz vor dem Ausbruch standen, womit sich verschiedene Möglichkeiten der Bewältigung dieser Krisen und Auswege aus der Gesundheitskrise eröffnen.
Die Fähigkeit der verschiedenen geostrategischen Blöcke, die Situation – die zu einer Lähmung der Weltwirtschaft führen kann – zu bewältigen, scheint in unterschiedlichem Maße vorhanden zu sein. Tatsächlich wird die Beschleunigung der Konfrontation zwischen China und den USA sowie die Gestaltung des Machtgleichgewichts innerhalb der nun folgenden, neuen zeitlichen Etappe von einem beispiellosen Angriff auf die Lebensbedingungen der unteren Klasse, auf ihre sozialen und politischen Rechte und auf alle Elemente der Emanzipation begleitet werden, die in der letzten historischen Etappe erobert und gestärkt oder zumindest bewahrt und aufrechterhalten wurden.
Die Interventionen zur Wiederankurbelung der Weltwirtschaft bedeuten eine enorme Mobilisierung finanzieller Ressourcen, womit neue Schulden geschaffen werden, eine Sparpolitik, neue Offensiven gegen die öffentlichen, staatlichen Dienste (z.B. staatliche Gesundheitsversorgung, Unterstützung von Arbeitslosen) und einen strategischen Versuch, Ausbeutung, Kontrolle und Herrschaft über die untere Klasse zu verstärken.
Es sei darauf hingewiesen, dass der globale Markt eindeutig von dieser Wirtschaftskrise betroffen ist (sowohl auf materieller als auch auf ideologischer Ebene), und wir uns nicht über eine gewisse Schwächung und Verlangsamung der Globalisierung, d.h. eine wirtschaftliche Regionalisierung, in verschiedenen Staaten und Machtblöcken wundern sollten. Trotzdem ist zu bedenken, dass die Globalisierung auch weiterhin ein wichtiger Faktor in der Weltwirtschaft bleiben und die Radikalisierung der Ausbeutung ein entscheidendes Element ihrer Ausgestaltung in der nächsten Etappe sein wird.
Was den europäischen Kontinent betrifft, so erfolgt der Versuch der Eurogruppe, wenn auch nur teilweise, die Haushaltsbeschränkungen abzuschwächen. Das geschieht im üblichen Rahmen, durch die Erhöhung der Verschuldung und die Übernahme von Kosten (z.B. indem Regierungen mehr Geldmittel für die Gesundheitsversorgung in Zeiten der Pandemie bereitgestellen), um die Auswirkungen der durch die Gesundheitskrise verursachten Wirtschaftskrise durch staatliche Interventionen zur Unterstützung der Volkswirtschaften abzuschwächen. Es sind Interventionen im Rahmen des Kapitalismus.
Dem absehbaren Angriff auf die Lebensbedingungen, Löhne und Einkommen der Menschen der unteren Klasse, der über die Durchsetzung politischer Modelle der Kontrolle und Einschränkungen sowie Handlungsmodelle der staatlichen und kapitalistischen Herrschaftsapparate erfolgt, muss entgegengetreten werden. Es wird auch notwendig sein, dem autoritären Abdriften und der sozialen Kontrolle entgegenzuwirken, die als Folge des Gesundheitsnotstands gefährlich voranschreiten und die Handlungsräume gesellschaftlicher Interventionen verkleinern.
Wie fast auf der gesamten Welt wird auch in der Türkei der Ausbruch des Corona-Virus und die Funktionsweise des kapitalistischen Systems und des Staates als Ergebnis einer fehlerhaften Politik zu einer großen Krise. In dieser Zeit, in der alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens betroffen sind, ignoriert der Staat diejenigen, die durch die Epidemie gefährdet und unterdrückt werden, während er Maßnahmen für die obersten und privilegiertesten Teile der Gesellschaft im “Kampf” gegen die Epidemie ergreift.
Infolge von Unternehmensschließungen aufgrund von Quarantäne-Maßnahmen und der Einstellung wirtschaftlicher Aktivitäten werden Hunderttausende und Millionen von Menschen entlassen oder durch unbezahlten „Urlaub“ zum Hungern verurteilt
Die meisten der Arbeiter*innen, die während der Epidemie weiterarbeiten, und die Beschäftigten im Gesundheitswesen, die in dieser Zeit eine erhebliche Last tragen und direkt mit der Krankheit konfrontiert sind, verfügen über keine ausreichende medizinische Schutzausrüstung.
Wieder einmal ist es den politischen und wirtschaftlichen Mächten egal, ob die verarmten Teile der Bevölkerung in der Lage sind, selbst ihre grundlegendsten Bedürfnisse zu befriedigen. Das Geld, was als Steuern jahrelang von der unteren Klasse eingezogen wurde, fließt jetzt nicht einmal in die vom Staat eingeleiteten Kampagnen, die den Anschein erwecken sollen, er würde sich um die Armen kümmern. Natürlich sollen die „Hilfsmaßnahmen“, die durchgeführt werden und die echten Bedürfnisse der Bevölkerung nicht befriedigen, die Abhängigkeit der unteren Klasse vergrößern, anstatt die wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten zu beseitigen.
Unter solchen Bedingungen kommt die Selbstorganisation der Menschen vor Ort gegen die Politik der ignorierenden und hinderlichen Struktur des Staates ins Spiel. Der Name der während der Corona-Krise gebildeten Selbstorganisationen lautet: Solidaritätsnetzwerke.
Auf globaler Ebene ist der Verschuldungsgrad mehr als doppelt so hoch wie die weltweite Produktion. Diese Krise könnte auch dazu dienen, Schulden zu verflüssigen oder aufzuschieben. Eine Neugestaltung des internationalen Finanzkasinos ist möglich.
Lateinamerika befindet sich in einer speziellen Situation. Länder mit vorhergehenden Wirtschaftskrisen, wie Argentinien, oder sozialen Aufständen, wie Chile, und andere, in denen kürzlich neue rechte Regierungen eingesetzt wurden, beispielsweise Uruguay, haben einige Gemeinsamkeiten. Einige Beispiele: die Zunahme prekärer Lebensumstände, der Entlassungen, der Anzahl der Menschen, die auf Arbeitslosenversicherungen angewiesen sind und des Hungers, der einen bedeutenden Teil der Bevölkerung plagt. Chile und Argentinien stehen unter totaler Quarantäne und erleben eine vollständige Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens, ebenso wie Peru und Paraguay, wo Ausgangssperren gelten. In Uruguay herrscht soziale Isolation, obwohl es keine Zwangsquarantäne gibt und nach und nach Pläne zur Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit ins Gespräch gebracht werden.
In Brasilien wird die Situation von Tag zu Tag komplizierter. Es ist ein Szenario, in dem einerseits die Lebensbedingungen immer prekärer werden, mit steigender Arbeitslosigkeit, steigenden Lebenshaltungskosten und Tausenden von informellen und „selbstständigen“ Arbeiter*innen, die ihren täglichen Lebensunterhalt nicht bestreiten können, und andererseits einer Regierung, die die Maßnahmen der sozialen Isolierung „flexibler“ gestaltet und das Leben tausender Arbeiter*innen in Gefahr bringt. Das Argument ist, wie auch schon in mehreren Länder der Region zuvor, dass „die Wirtschaft nicht aufhören kann“.
Die Formel ist einfach. Ohne eine Politik des Mindesteinkommens, die den Lebensunterhalt von erwerbslosen, informellen und „selbstständigen“ Arbeiter*innen wirklich garantiert, so dass alle in sozialer Isolation bleiben können, schafft Bolsonaro Bedingungen, unter denen die Menschen wählen müssen, ob sie ihre Gesundheit riskieren oder hungern wollen.
Auf diese Weise entledigt er sich jeglicher Verantwortung, greift die Gouverneure an, die die Quarantäne als Maßnahme zur Verhinderung eines Zusammenbruchs des öffentlichen, staatlichen Gesundheitssystems verteidigen, und schafft das perfekte Szenario, um sein ultra-wirtschaftsliberales, konservatives Projekt fortzusetzen. Im Machtkampf zwischen denen an der Spitze fördert Bolsonaro Chaos und Krise als Regierungstechnik. Für ihn spielen Gesundheit und die Garantie von Rechten keine Rolle, so wie ein Zusammenbruch des öffentlichen, staatlichen Gesundheitssystems keine Rolle spielt. Er handelt nicht, um eine soziale, wirtschaftliche oder Gesundheitskrise zu vermeiden, er fördert sie, um effektiver zu regieren und ein ultra-wirtschaftsliberales, patriarchales, konservatives und rassistisches Projekt durchzusetzen.
Im Allgemeinen hat diese Krise verschiedenen populistischen Maßnahmen verschiedener Regierungen den Weg geebnet, die jedoch fast alle eine starke, rechte Politik der Unterdrückung und sozialen Kontrolle verfolgen. Im Allgemeinen werden die Unternehmensgewinne nicht angetastet und darüber hinaus werden Maßnahmen vorgeschlagen, die es der Bourgeoisie erlauben, die Wirtschaft innerhalb der neoliberalen Logik zu “reaktivieren”. Die Auslandsverschuldung der lateinamerikanischen Länder wird wahrscheinlich zunehmen und dazu kommt noch der Rückgang des internationalen Ölpreises, der mehrere Länder der Region, darunter Venezuela, Ecuador, Kolumbien, Mexiko sowie Brasilien, trifft. Einige dieser Länder erleben bereits einen ernsthaften Rückgang in ihrem jeweiligen Ölsektor oder haben mit verschiedenen Arten von Schwierigkeiten zu kämpfen. In naher Zukunft könnten die Preise für einige Rohstoffe, insbesondere in den Gebieten der Erde, die vornehmlich Rohstoffe für die weltweite kapitalistische Produktion liefern (z.B. viele Länder Lateinamerikas), sinken, während die Preise für andere Materialien, wie z.B. Getreide, stark ansteigen könnten. Dies wird sich negativ auf die lateinamerikanischen Volkswirtschaften auswirken, und die Krise wird auf die untere Klasse zurückfallen.
Auf der anderen Seite wollen die USA, die mit dieser Krise ernsthafte interne Probleme haben, die Kontrolle über ihren “Hinterhof” nicht verlieren und versuchen, eine gewisse politische, wirtschaftliche und soziale Instabilität in der Region zu erzeugen und aufrechtzuerhalten, um den sozialen Zusammenhalt und die soziale Kontrolle zu bewahren. Natürlich dient dies auch mehreren lokalen Regierungen, die zumeist Verbündete der USA sind.
1.4 Die Länder Asiens als Beispiele eines Versuchs der extremen sozialen Kontrolle
Es ist wichtig zu beobachten, was in Asien geschieht, vor allem im Falle Chinas und Südkoreas, wo Mechanismen der extremen sozialen Kontrolle, die auf dem Einsatz von Technologie basieren, angewendet werden. Diese Beispielländer geben einen Einblick in Gesellschaften, in denen eine wirksame und konstante Überwachung stattfindet und in denen soziale Disziplin in großem Maßstab angestrebt wird. Dieses Modell der sozialen Kontrolle scheint unter der Motto “Wir wissen, wie man die Pandemie eindämmen kann” in die Welt “exportiert” zu werden. In Wirklichkeit ist dies ein Weg der Unterdrückung der Bevölkerung.
Diese Gesundheitskrise hat auch tiefgreifende Auswirkungen auf die Frauen gehabt, insbesondere in den Teilen der Gesellschaft, deren Lage sowieso schon prekär ist.. Einerseits haben Ausgangssperren die Häufigkeit häuslicher Gewalt und der Femizide, der Morde an Frauen, erhöht. Andererseits hat sich die Ausbeutung der Frauenarbeit verschärft, sowohl im häuslichen Bereich (unbezahlte Hausarbeit, z.B. Haus- und Pflegearbeit) als auch dort, wo Frauen beschäftigt sind, denn sie stellen die Mehrheit der Arbeiter*innen in den Sektoren, die nun als „systemrelevant“ betrachtet werden (Gesundheitssektor, Sozialarbeit, Einzelhandel, Nahrungsmittelbranche, etc.).
Die große Zahl von Entlassungen und die „Flexibilisierung“ der Arbeit haben das niedrige Einkommen von Frauen in der Arbeitswelt noch prekärer gemacht. Fast die Hälfte der Elternhaushalte, die von alleinerziehenden Frauen gestemmt werden, sind arm, aufgrund ihrer geringen eigenen Möglichkeiten, mittels bezahlter Arbeit Einkommen zu erwirtschaften und den nur sehr kleinen Renten, was durch unbezahlte Haus- und Pflegearbeit noch verschlimmert wird. Die große Zahl von Frauen und Kindern in Lateinamerika, die in Gemeinschaftsinitiativen wie Suppenküchen oder Versorgungsnetzen von unten mitarbeiten, beweist, dass die Situation ernst ist. Die von der Krise getroffene Kapitals wird es als notwendig erachten, andere Herrschaftsräume zu stärken. Die kommenden Monate werden entscheidend sein, um die Auswirkungen zu analysieren, die die Vertiefung patriarchaler Gewalt in allen Bereichen haben kann.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die groß angelegte Offensive der herrschenden Klasse bereits im Gange ist. Sollte tatsächlich versucht werden, die wirtschaftlichen Verlusten zu „vergesellschaften“, würde das diese Offensive nicht einschränken, sondern sie noch brutaler und härter machen. Trotzdem wird die Offensive zum Einsatz kommen, und mit ihr wird der soziale Kampf eine der möglichen Faktoren sein, die die Situation bestimmen werden. Vieles hängt davon ab, wie der hegemoniale Kern der herrschenden Klassen das systemische Risiko und die damit möglicherweise verbundenen Möglichkeiten des Ausbruchs sozialer Unruhen und Aufstände einschätzt.
In diesem perspektivischen Rahmen müssen wir einen Blick auf die Komplexität des Augenblicks für die Linke, sei sie reformistisch oder revolutionär oder zumindest konsequent radikal ausgerichtet, werfen und die Möglichkeiten einer gewissen Schwächung in Betracht ziehen.
Aber zweifellos können sich auch Möglichkeiten für die Entwicklung einer militanten kämpferischen Praxis, einer Propagierung der gesellschaftlichen Befreiung und einer radikalen Kritik am System eröffnen.
Ohne die Situation zu verzerren, sind die vorherrschenden Kräfte im immer noch so genannten Spektrum der Linken „sozial-liberal“ bzw. “progressiv“. Das bedeutet nicht, dass sie einfach nur direkte Kräfte der Regulierung und Intervention im Dienste des Kapitals sind. Sie haben einen taktischen Handlungsspielraum, verbunden mit einer untergeordneten Rolle und einer strategischen Unterwerfung unter die Bewegungen der herrschenden Klassen.
Diese reformistischen Kräfte wissen, dass es möglich ist, dass sie innerhalb des politischen Spektrums verschwinden oder an den Rand gedrängt werden, wenn sie es in Betracht ziehen, sich dauerhaft in den Staatsapparat und die Zentren der Macht, einschließlich der Regierung, selbst wenn diese den Rechten untergeordnet ist, einzugliedern.
Das ist zum Beispiel das Dilemma der europäischen Sozialdemokratie und der lateinamerikanischen „Progressiven“. Deshalb befinden sie sich in ständiger Anpassung zwischen ihrer strategischen Unterordnung und kurzen, aber für sie notwendigen Phasen, in denen sie sozialen Bewegungen und den Handlungen von Kräften, die über den Sozialliberalismus und den „Progressivismus“ hinausgehen, Aufmerksamkeit schenken. Das schließt auch Kräfte mit ein, die zwar reformistisch ausgerichtet sind, aber sich dennoch deutlich linker positionieren als der Sozialliberalismus und der „Progressivismus“ (z.B. Jeremy Corbyn in Großbritannien). Das Handeln der Sozialliberalen bzw. „Progressiven“ erklärt sich aus der Tatsache, dass sie ihre Wählerschaft erhalten wollen.
Ein weiteres zentrales Merkmal des Kräfteverhältnisses in Europa ist die allgemeine Entwicklung der eben schon benannten reformistischen, aber weiter links stehenden Linken, die sich bereits vor dem Auftreten des Coronavirus in einer Krise oder zumindest in einer Schieflage befanden.
Diese Kräfte, die von Jeremy Corbyn von der Labour-Partei in Großbritannien bis zu Pablo Iglesias von der Podemos-Partei in Spanien reichen, zeichnen sich durch ihre kulturelle, politische und strategische Ausrichtung aus, die auf den Staat und die Regierung (bzw. ihre Übernahme) setzt.
Sie haben eine politische Konzeption, die die Mittel des Staates und die Möglichkeiten der Wahlen als zentrales Element der Gegenmacht gegen die dominanten Blöcke ansieht.
Schon vor der Entstehung der Pandemie war tendenziell erkennbar, dass die reformistischen Kräfte neutralisiert und durch den Sozialliberalismus „geschluckt“ werden.
Sie haben haben unter anderem gezeigt, dass sie weder fähig noch wirklich daran interessiert sind, sich den verschiedenen rechtsextremen Formationen und ihrem unglücklichen Vordringen in den gesellschaftlichen Konsens, auch aus kultureller Sicht, entgegenzustellen.
Das ist nicht neu, wenn wir verstehen, dass der Faschismus historisch gesehen ein Werkzeug des Kapitalismus für sein Fortbestehen in Krisenzeiten war.
Positionen, die sich in tatsächlicher Opposition zum Neoliberalismus befinden oder gar revolutionär sind, treten auf dem politischen „Spielfeld“, außer in seltenen Fällen, momentan praktisch nicht auf. Es ist unsere Aufgabe, den Raum für diese Positionen sowohl politisch als auch sozial wieder aufzubauen.
In der gegenwärtigen Situation gibt es ein Feld des Widerstands, das komplex ist, sehr starke innere Widersprüche und unterschiedliche soziale, kulturelle und politische Wurzeln hat. Dieses Feld bildet einen diffusen Widerstand von unten und sieht sich in mehreren Sektoren mit einer großen Desorganisation konfrontiert. Das Fehlen einer Gemeinschaft, auf die sich gestützt werden kann, begünstigt Angst oder Resignation angesichts des Drucks durch die Hierarchie und des Risikos, seinen Arbeitsplatz oder sein Einkommen zu verlieren. Die Gesundheitsgarantien, der Stopp nicht lebensnotwendiger Aktivitäten (z.B. Konzerte, Fußballspiele) und viele andere Errungenschaften für uns und unsere Genoss*innen wurden dank unserer Organisation in unseren Gewerkschaften und Organisationen bzw. Bündnissen des Kampfes gewonnen.
Dieser Widerstand nimmt manchmal auch in neugegründeten Organisationen von unten oder in Prozessen der Wiederbelebung ehemaliger Organisationen Gestalt an. Ströme und Kräfte, die aus sehr unterschiedlichen Richtungen kommen, werden in das Feld des Widerstands eingebunden, aus einer, wie wir es nennen könnten, libertären Dynamik heraus, die auf dem Vorrang der politischen Massenaktion beruht.
Das Feld des Widerstands, das an die reformistische Linke grenzt, umfasst – mit all den damit verbundenen Unklarheiten – Strömungen und Organisationen mit staatstragenden Positionen, deren kämpferische Ausrichtung (manchmal mit einer Basis, die Selbstorganisation, Selbstemanzipation und Demokratie beinhaltet) taktisch, zerbrechlich und anfällig für autoritäre Tendenzen ist.
Wir sind eine Kraft des Kampfes im Feld des Widerstands und gleichzeitig ein wichtiger Akteur für die Verbreitung der Ideen der Macht von unten, der Selbstverwaltung und der direkten Demokratie, d.h. des politischen Prozesses des permanenten Voranschreitens in Richtung Kommunismus bzw. libertärer Sozialismus, in diesem Feld.
In dieser Situation, in der wir mit anderen Kräften im Kampf zusammenkommen, streben wir den Aufbau und die Dynamisierung der Prozesse der politischen Arbeit immer von den sozialen Grundlagen unserer Klasse aus, an – in ihrer Praxis, in ihren Forderungen und in ihren Bestrebungen.
Ausgehend von den Organisationen von unten, deren Grundlage unsere Fähigkeit zum Kampf ist fördern wir alles, was Klassenunabhängigkeit und Autonomie steigert, bauen eine emanzipatorische Macht auf und fördern eine Macht von unten, die sich den Apparaten und Strategien der Regierung und des Kapitalismus entzieht.
- Räume der Solidarität und gegenseitigen Hilfe von unten fördern und stärken, von der Nachbarschaftsebene bis zur internationalen Ebene, um mit der Logik zu brechen, dass der Staat uns schützt und um die Organisation von unten zu fördern
- strategische Bündnisse und Allianzen des Kampfes mit anderen politischen Organisationen auch auf sozialer Ebene wiederherstellen und stärken; auf letzterer Ebene besonders mit dem Anarchosyndikalismus, alternativen Gewerkschaften, Bewegungen für Wohnraum, für staatliche öffentliche Dienste (Gesundheit, Bildung, Sozialleistungen), antirassistischen, feministischen und ökologischen Bewegungen sowie mit solchen, die sich für die Rechte von Migrant*innen einsetzen
- mit diesen Organisationen Pläne zugunsten der unteren Klasse und Pläne für den Kampf von unten nach der Zeit der Quarantäne vorbereiten; in der Zwischenzeit verschiedene Aktionen stärken, die von “caceroladas” (in Lateinamerika übliche Proteste, bei denen vor allem mit Töpfen Lärm gemacht wird) bis hin zu Mietstreiks und anderen reichen können; Räume der politischen Handlungsfähigkeit und Selbstorganisation gegen die autoritären und freiheitseinschränkenden Tendenzen, die als Folge des Gesundheitsnotstands in Kraft getreten sind
- maximale Schutzbedingungen bei der Arbeit fordern, insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Nahrungsversorgung, Transport und öffentlicher Dienst usw.; dort zu Denunziation der Kapitalist*innen oder zur Lähmung der Arbeitsaktivität übergehen, wo die Schutzbedingungen nicht eingehalten werden
- den Diskursen der Mächtigen entgegentreten, indem wir ihre falschen oder widersprüchlichen Entscheidungen, die gegen die Freiheiten, die sozialen Rechte und das Leben verstoßen, die Kürzungen in den öffentlichen Diensten (insbesondere im Gesundheitswesen), die uns anfälliger für das Virus machen und die Sterblichkeitsrate nach oben treiben, kritisieren
- dem Diskurs des Hasses der rechtsextremen Kräfte entgegentreten, der versucht, die untere Klasse durch Mechanismen der Massenmanipulation zu spalten
- die Entwicklung der Produktion, die ökologische Verwüstung, die Misshandlung von Tieren und die extensive und industrielle Landwirtschaft, kurz das kapitalistische System, in Frage stellen
- ein allgemeines Recht auf das Nichtantreten der Arbeit bei Gefahr fordern; Streikrecht nutzen, wo es nötig ist
- die Pharma-Industrie, das Gesundheitssystem und alle wesentlichen Dienste vergesellschaften
- perspektivisch die Produktion unter die Kontrolle der Arbeiter*innen zurückführen
- die Koordination, Debatte und gemeinsame Arbeit des organisierten Anarchismus auf politischer Ebene fördern und durch unsere soziale Eingliederung den Klassensyndikalismus und andere revolutionäre Projekte auf internationaler Ebene vorantreiben
FÜR DIE UNTERDRÜCKTE KLASSE SIND ALLE ZEITEN MOMENTE DES KAMPFES!
GEGEN DIE ANPASSUNG, LASST UNS MACHT VON UNTEN AUFBAUEN!
FÜR SOZIALISMUS, FREIHEIT UND ANARCHIE!
HOCH MIT DENEN, DIE KÄMPFEN!
Coordenação Anarquista Brasileira – CAB (Brasilien)
Federación Anarquista Uruguaya – FAU (Uruguay)
Federación Anarquista Rosario – FAR (Argentinien)
Organización Anarquista de Córdoba – OAC (Argentinien)
Federación Anarquista Santiago – FAS (Chile)
Grupo Libertario Vía Libre (Kolumbien)
Union Communiste Libertaire (Frankreich)
Embat – Organización Anarquista (Katalonien)
Alternativa Libertaria – AL/fdca (Italien)
Die Plattform – Anarchakommunistische Organisation (Deutschland)
Devrimci Anarşist Faaliyet – DAF (Türkei)
Organization Socialiste Libertaire – OSL (Schweiz)
Libertaere Aktion (Schweiz)
Melbourne Anarchist Communist Group – MACG (Australien)
Aotearoa Workers Solidarity Movement – AWSM (Aotearoa / Neuseeland)
Zabalaza Anarchist Communist Front – ZACF (Südafrika)