Der Polizeistaat ist die Pest!
War das Verlassen des Hauses unbedingt notwendig, durfte dies nur zu festgelegten Zeiten geschehen, um die Begegnung mit anderen Personen zu vermeiden. Einmal täglich mussten sich alle BewohnerInnen am Fenster zeigen. Eine solch minutiöse Kontrolle setzte freilich vollständige Register und Einwohnerlisten voraus, die zu Beginn der „Einschließung“ nach detaillierten Kategorien wie Name, Alter, und Geschlecht erstellt werden mussten. (Französische Pestverordnung nach Foucault)
Je weiter also die Zivilisation fortschreitet, je mehr ist sie genötigt, die von ihr mit Notwendigkeit geschaffenen Übelstände mit dem Mantel der Liebe zu bedecken, sie zu beschönigen oder wegzuleugnen, kurz eine konventionelle Heuchelei einzuführen, die weder früheren Gesellschaftsformen noch selbst den ersten Stufen der Zivilisation bekannt war und die zuletzt in der Behauptung gipfelt: Die Ausbeutung der unterdrückten Klassen werde betrieben von der ausbeutenden Klasse einzig und allein im Interesse der ausgebeuteten Klasse selbst: und wenn diese das nicht einsehe und sogar rebellisch werde, so sei das der schnödeste Undank gegen die Wohltäter, die Ausbeuter.“ (Friedrich Engels. Barbarei und Zivilisation in: Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates)
Freiheit und Demokratie war gestern. Soweit die ideologischen Postulate der bürgerlichen Gesellschaft und deren verrechtlichten Überbleibsel nicht schon den Notverordnungen des „Anti-Terror-Krieges“ gewichen waren, werden Sie jetzt im „Krieg gegen die Covid-19-Epidemie“ endgültig der Staatsräson geopfert. Das süße Menschenrechtsgesäusel mit dem die EU ihre Osterweiterung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs begleitete, ist geschlossenen Grenzen, Reiseverboten und Lagern gewichen. Die Anwendung der Regularien des Strafvollzugs auf die gesamte Gesellschaft, von Kontaktsperren bis reguliertem Freigang, hätten sich auch die meisten Kritiker dieser reaktionären Entwicklung bis vor kurzem nicht vorstellen können. Die technischen Möglichkeiten der Überwachung übertreffen selbst Orwells dunkelste Phantasien. Ja, es ist wirklich erstaunlich zu sehen, wie der demagogische staatliche Krieg gegen den heimtückischen „Corona-Virus“ ein allgemeines Stockholm-Syndrom hervorgerufen hat, von dem selbst die so aufgeklärten, kritischen, linken Demokraten erfasst zu sein scheinen. Es wundert uns allerdings nicht, das diese historisch überholte Gesellschaftsordnung, die nur noch dystopisches Potential bereithält, die „Einheit“ der Bevölkerung allenfalls polizeilich-repressiv gegen einen äußeren Feind - und sei es einen Virus - herzustellen vermag: Glücksversprechen gehören der Vergangenheit an. Und es sind ja in Europa auch nicht wenige „linke“ Regierungen, welche diese Notstandspolitik jetzt umsetzten (und damit pikanterweise ihren rechten Amtsvorgängern den Rang ablaufen).
Die Covid-19-Krise ist in Wirklichkeit ein Ausdruck der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems. So klassenlos die Virus-Ausbreitung ist, findet sie ihre größten Opfer – neben alten und kranken Menschen – vor allem in den in schlechten Wohnverhältnissen konzentrierten und durch miese Arbeits-, Lebens- und Ernährungsbedingungen physisch geschwächten sozialen Schichten (in den am meisten betroffenen USA z.B. der schwarzen Bevölkerung). Dafür, dass vor dem Virus nicht alle gleich sind, sorgt nicht zuletzt der kapitalistische Staat, der -nicht selten ungeschützte- Arbeiterkonzentrationen in der Industrie zulässt, um die Profitproduktion am Laufen zu halten, während er in ganzen Städten Ausgangssperren verhängt. Es ist aber vor allem eine medizinische Krise, die durch die kapitalistische Profitlogik verursacht wurde: Von eingesparten Krankenhauskapazitäten bis zur wieder eingestellten Impfstoff-Forschungen der Pharmakonzerne nach der letzten SARS-Epidemie (die genauso wie die Antibiotika-Forschung als nicht profitträchtig genug gilt). Und sie ist ein willkommener Anlass zur Biologisierung der kapitalistischen Krise, mit der das Kapital die akute Wirtschaftskrise, die in den meisten Staaten schon vorher eine latente war, auf unvorhersehbare, externe Ursachen schiebt um von den systemimmanenten Ursachen abzulenken. Vor allem dient die Covid-19-Krise aber dem kapitalistischen Staat als Katalysator für seine autoritär-polizeiliche Entwicklung, die in letzter Instanz nichts anderes als eine präventive Konterrevolution ist!
Genauso wie Staat und Machtpolitik keine Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft sind, hat auch das Ausnutzen von Epidemien zur Durchsetzung staatlicher Kontrolle Vorläufer in vergangenen Klassengesellschaften. Zum Beispiel schrieb Michel Foucault, der sich in seinem Buch „Überwachen und Strafen. Die Geburt der Gefängnisse“ 1975 mit Disziplinar- und Machttechniken befasste, in diesem Zusammenhang auch über die französischen Pestverordnungen vom Ende des 17. Jahrhunderts. Er beschrieb die Mechanismen, mit denen im Angesicht der Seuche das „Gemeinwohl“ durch die individualisierte Unterordnung unter die rigide staatliche Kontrolle durchgesetzt wurde („das Eindringen des Reglements bis in die feinsten Details der Existenz“). Die Staatsräson wurde der Gefahr der Ansteckung gegenübergestellt und die Eindämmung der Pest als Immunisierungsstrategie der Macht genutzt: „Es handelt sich um (...) Methoden, Macht über die Menschen auszuüben, ihre Beziehungen zu kontrollieren und ihre gefährlichen Vermischungen zu entflechten. Die verpestete Stadt, die von Hierarchie und Überwachung, von Blick und Schrift ganz durchdrungen ist, die Stadt, die im allgemeinen Funktionieren einer besonderen Macht über alle individuellen Körper erstarrt – diese Stadt ist die Utopie der vollkommen regierten Stadt/Gesellschaft. Die Pest (jedenfalls die zu erwartende) ist die Probe auf die ideale Ausübung der Disziplinierungsmacht.“ (stw 184, S.254)
Wir leben heute in einer kapitalistischen Klassengesellschaft, die umfassend von Marx und Engels analysiert worden ist, und der Staat ist keine abstrakte Macht sondern ein Instrument kapitalistischer Herrschaft: „Da der Staat entstanden ist aus dem Bedürfnis, Klassengegensätze im Zaum zu halten, da er aber gleichzeitig mitten im Konflikt dieser Klassen entstanden ist, so ist er in der Regel Staat der mächtigsten, ökonomisch herrschenden Klasse, die vermittels seiner auch politisch herrschende Klasse wird und so neue Mittel erwirbt zur Niederhaltung und Ausbeutung der unterdrückten Klasse.“ (Friedrich Engels, Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates) Die Totalität der kapitalistischen Waren-Gesellschaft und ihre Zusammenfassung durch den Staat führt allerdings auch zu einer umfangreichen Identifizierung mit ihr: „Solange die unterdrückte Klasse, also in unserem Fall das Proletariat, noch nicht reif ist zu seiner Selbstbefreiung, so lange wird sie, der Mehrzahl nach, die bestehende Gesellschaftsordnung als die einzig mögliche erkennen und politisch der Schwanz der Kapitalistenklasse, ihr äußerster linker Flügel sein. In dem Maße aber, worin sie ihrer Selbstemanzipation entgegenreift, in dem Maß konstituiert sie sich als eigene Partei.“ (ebenda)
Es wird dem kapitalistischen Staat nicht gelingen, die soziale Schockstarre im politischen Leben bzw. in den Köpfen der Ausgebeuteten dauerhaft zu etablieren, wie er es mit der Covid-19-Krise erreichen will. Schon jetzt fangen in vielen vom Virus betroffenen Ländern die ArbeiterInnen in den Fabriken, Logistikzentren und Krankenhäusern an, sich gegen unzureichende Schutzmaßnahmen zu wehren. Auch die Kämpfe für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne werden weitergehen. Vielleicht wird auch am weltweiten Kampftag des Proletariats, am 1.Mai, schon ein deutliches Durchbrechen der Friedhofsruhe zu vernehmen sein. Es ist im ureigensten Interesse der Arbeiterklasse, sich mit den gebotenen Maßnahmen vor dem Virus zu schützen. Eine Kapitulation vor dem bürgerlichen Staat darf und wird es nicht geben! Genauso wie die Ablehnung der demokratischen Illusionen von Anfang an fester Bestandteil des kommunistischen Programms war, hat unsere Partei schon unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg die faschistische Substanz der heutigen bürgerlichen Demokratie analysiert und gegenüber dem Antifaschismus an der revolutionären Perspektive festgehalten: „Das grundlegende Mißverständnis bestand darin, sich zu wundern, zu jammern, zu bedauern, daß die Bourgeoisie ihre totalitäre Diktatur ohne Maske ausübte, wo wir uns doch vollkommen darüber im klaren waren, daß diese Diktatur schon immer existiert hatte, daß der Staatsapparat immer – ob latent oder offen – die spezifische Funktion erfüllt hatte, Macht und Privilegien der bürgerlichen Minderheit durchzusetzen, zu erhalten und vor der Revolution zu schützen. Das Mißverständnis bestand darin, einer faschistischen Atmosphäre eine bürgerlich-demokratische vorzuziehen: dadurch verschob man die Kampffront von der Forderung der proletarischen Machteroberung zu der einer illusorischen Wiederherstellung demokratischer Regierungsformen des Kapitalismus.“ (Gewalt und Diktatur im Klassenkampf, 1946)
In diesem Sinne:
Nieder mit der kapitalistischen Diktatur!