Die Entstehung der Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen (RAA) auf dem Gebiet der ehemaligen DDR

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Nachdem 1991 in Berlin ein RAA-Büro eingerichtet wurde, entstand ein Jahr später die erste RAA in Brandenburg. Dieser Niederlassung folgten neun weitere Gründungen in Brandenburg, Leipzig, Schwerin und Rostock. Jede RAA bestand aus einem Basisteam aus zwei SozialarbeiterInnen und zwei LehrerInnen.

Anfangs sollte die soziale Isolation von Kriegsflüchtlingen und AsylbewerberInnen durchbrochen werden, dann begannen die Projektwochen gegen Ausgrenzung und Jugendgewalt. Hauptansatzpunkt der 70 angestellten und 150 freien MitarbeiterInnen in Brandenburg war die Auseinandersetzung mit rechtsextremen Jugendlichen.

Die Entstehung der Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen (RAA) auf dem Gebiet der ehemaligen DDR

 

 

Die ersten Regionale Arbeitsstellen für Ausländerfragen (RAA): Jugendarbeit und Schule entstanden Anfang der 80er Jahre in Nordrhein-Westfalen. [1] Während es in den alten Bundesländern in erster Linie darum ging, sogenannten AusländerInnen zu integrieren, lag der Schwerpunkt in den neuen Bundesländern auf interkultureller Aufklärungs- und Jugendarbeit. Nachdem 1991 in Berlin ein RAA-Büro eingerichtet wurde, entstand ein Jahr später die erste RAA in Brandenburg. Dieser Niederlassung folgten neun weitere Gründungen in Brandenburg, Leipzig, Schwerin und Rostock. Jede RAA bestand aus einem Basisteam aus zwei SozialarbeiterInnen und zwei LehrerInnen.

Anfangs sollte die soziale Isolation von Kriegsflüchtlingen und AsylbewerberInnen durchbrochen werden, dann begannen die Projektwochen gegen Ausgrenzung und Jugendgewalt. Hauptansatzpunkt der 70 angestellten und 150 freien MitarbeiterInnen in Brandenburg war die Auseinandersetzung mit rechtsextremen Jugendlichen. Anstatt mit dem moralischen Zeigefinger zu kommen, versuchten die Arbeitsstellen, Freizeitangebote zu schaffen und Ressentiments gegenüber sogenannten AusländerInnen und Andersdenkenden abzubauen. In der Mediathek der RAA standen mehr als 10.000 Bücher und Broschüren, ca. 100 Zeitungen- und Zeitschriftenabonnements, Videos und andere audiovisuelle Medien für interessierte BesucherInnen zur Verfügung.

Mit einem jährlichen Etat von 5 Mio. Mark von Bund, Land, EU, aus Stiftungen und Spenden wurde ein breitgefächertes Angebot gemacht. Im folgenden werden vier Projekte der RAA näher beleuchtet.

 

 

 

 

Der Andere neben mir

 

Die Arbeitsstellen in Brandenburg führten im Jahre 1993 an 15 verschiedenen Schulen in Zusammenarbeit mit den zuständigen LehrerInnen  Projektwochen gegen Ausgrenzung und Gewalt durch. Die Bezeichnung ‚Projektwochen gegen Ausgrenzung und Gewalt‘ signalisieren, daß sowohl das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kultur als auch die Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen einschließlich der strukturellen Gewalt in der Gesellschaft Gegenstand einer Projektwoche sein konnten.

Die Projektwoche an der Gesamtschule Parsow besaß das Motto ‚Der Andere neben mir‘. [2] Zwei Mitarbeiter der RAA stellten zunächst ihre Arbeitserfahrungen an Hand einiger Dias vor. Danach stellten die LehrerInnen, die in die Vorbereitungen zur Projektwoche einbezogen wurden, ihre Ideen vor. Im Verlauf der Vorbereitungstreffen wurden die VertreterInnen der RAA in die Planung über Ablaufstrukturen und Projektideen einbezogen und es fanden inhaltliche Diskussionen statt.

In den ersten beiden Tagen der Projektwoche beschäftigten sich die Arbeitsgruppen  mit ihren speziellen Themen. 123 SchülerInnen machten Musik, tanzten, schrieben, klebten und kochten miteinander. MitarbeiterInnen der Projektzeitung und der Videogruppe interviewten BetreuerInnen und SchülerInnen. Mittwochs stand eine Fahrt zu den uckermärkischen Bühnen nach Schwedt an, ein Rahmenprogramm und Freizeit rundeten diesen Besuch ab. Höhepunkt dieses Tages war die Ausstrahlung des Filmes ‚Hitlerjunge Salomon‘. Der Film handelt von einem jüdischen Jungen, der durch Flucht und Kriegswirren immer wieder in Situationen gerät, wo er sich anpassen mußte, um zu überleben. Am folgenden Tag wurde dann in den Arbeitsgruppen weitergearbeitet. Freitag fand dann die Präsentation der Ergebnisse in der Turnhalle statt.

Viele Gäste, auch aus der örtlichen Politik, hatten den Weg zur Schule gefunden. Die Kochgruppe hatte mit rumänischen und bulgarischen Frauen und Kindern Kuchen gebacken, die für ein geringes Entgelt verkauft wurde; die Tanzgruppe führte orientalische Tänze auf. Die Arbeitsgruppen stellten ihre Arbeiten und Erfahrungen vor, z.B. berichtete die Kochgruppe von den Besuchen in sogenannten ausländischen Restaurants, wo sie bei der Zubereitung der Speisen zusehen durften. Im Anschluß daran folgte eine Discoveranstaltung, die zu einem lebendigen Abschluß der Projektwoche führte. Die Auswertung der Projektwoche ergab, daß die meisten SchülerInnen sich positiv äußerten und an einer Wiederholung interessiert waren.

In der Märkischen Oderzeitung erschien jeden Tag ein Artikel über die Projektwoche, zur Abschlußveranstaltung erschien auch eine Ausgabe der SchülerInnenzeitung.

 

 

 

 

Bildungsreisen nach Afrika

 

Im Sommer 1994 fuhr eine Mitarbeiterin der RAA Potsdam mit zwei Gruppen von Jugendlichen, die überwiegend aus Bernau stammten, nach Tansania. [3] Schon vorher wurden die Jugendlichen in die Sprache, Sitten und Bräuche des Landes eingeführt. Die Gruppen lebten und arbeiteten im Rahmen eines Friedensdienstes jeweils für vier Wichen in einem Dorf und bauten dort zusammen mit den DorfbewohnerInnen eine Schule bzw. Schulmöbel.

Im Sommer 1995 arbeiteten erneut zwei Gruppen von Jugendlichen aus Beeskow und Umgebung in einem Dorf in Sansibar. Sie halfen beim Aufbau eines Kindergartens, bei der Errichtung einer Krankenstation und bei umweltbezogenen Projekten, wie z.B. die Einführung von Solarkochern.

Neben der praktischen Tätigkeit und dem Kontakt zu den DorfbewohnerInnen im Alltag unternahmen die Jugendlichen Ausflüge in nahe gelegene Städte. Ebenso fanden Gespräche mit Fachleuten zur politischen, sozialen und kulturellen Situation von Sansibar und Tansania statt. Zum Abschluß des Projekts gab mensch den Jugendlichen Gelegenheit, eine individuell geplante Reise in Afrika durchzuführen.

Das Projekt verstand sich als Möglichkeit für Jugendliche, Einblick in neue Kulturen zu gewinnen, Fragen zu stellen und Toleranz einzuüben. Nach ihrer Rückkehr standen die TeilnehmerInnen als Multiplikatoren zur Verfügung und wurden in Projektwochen, Diskussionsabende und andere Veranstaltungen einbezogen.

 

 

 

 

‚Spotkanie heißt Begegnung - ich lerne Deine Sprache‘ Arbeitsgemeinschaften in deutschen und polnischen Grundschulen

 

Dieses Projekt sollte nach Meinung der RAA zur besseren Verständigung zwischen deutschen und polnischen Kindern beitragen. Das Ziel der Initiative bestand darin, sprachliche und kulturelle Barrieren abzubauen und die gegenseitige Toleranz zu fördern. [4] Weiterhin sollte das Projekt deutsche und polnische Kinder im Grundschulalter zu gemeinsamen Begegnungen und zum Polnisch- bzw. Deutschlernen motivieren.

Im April 1994 wurden die ersten Polnisch-Arbeitsgemeinschaften gegründet. Ende des Schuljahres 1993/94 waren 15 der geplanten 30 Polnisch-AGs und die ersten Deutsch-AGs eingerichtet. Ab März 1995 waren alle geplanten 30 Polnisch- und 27 Deutsch-AGs gegründet. Die ersten Erfahrungen zeigten, daß die deutschen Kinder große Begeisterung beim Erlernen der polnischen Sprache verspürten, viel über das Nachbarland wissen und die polnischen Kinder kennenlernen wollten. Dies galt ebenfalls für die polnischen Kinder.

Die Begegnungen zwischen polnischen und deutschen Kindern waren von Anfang an eines der Ziele des Projektes. Einmal im Monat sollten sich die polnischen und deutschen Kinder, deren AGs Partnerschaften eingingen, treffen und einen gemeinsamen Tag oder Nachmittag gestalten. Darüber hinaus fanden gemeinsame Treffen am Wochenende oder Ferienaufenthalte statt. Es existieren Partnerschaften von AGs in Frankfurt/Oder und Slubice, in Neuenhagen und Corzyca, in Booßen und Torzym, in Forst und Brody und in Mülbrose und Kostrzym. Das Sprachprojekt wurde 1998 von der ehemaligen brandenburgischen Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD bei dem Wettbewerb ‚Vielfalt statt Einfalt‘ ausgezeichnet. [5]

 

 

 

 

Fotoausstellung von bosnischen Kriegsflüchtlingen ‚Aus der Hölle ins Ungewisse‘

 

Vom 23. bis 29.06.1995 fand in Belzig/Brandenburg eine Jugendkulturwoche statt, zu der auch die BewohnerInnen des AsylbewerberInnenheims in Belzig einbezogen wurde. [6] Eine Gruppe von SchülerInnen des Gymnasiums und der Gesamtschule Belzig gestaltete dazu gemeinsam mit BosnierInnen Schautafeln, auf denen der Lebensweg der Flüchtlinge sowie die politische, soziale und kulturelle Situation ihres Heimatlandes dargestellt wurden.

Weiterhin hatten AsylbewerberInnen zusammen mit SchülerInnen während der Kulturwoche Gerichte ihres Heimatlandes zubereitet, um an einer gemeinsamen Tafel mit den BesucherInnen ins Gespräch zu kommen. Am Aktionstag der Jugendkulturwoche gestaltete Nino Duslja, ein Fotograf aus Sarajewo, im Belziger Rathaus die gemeinsam von bosnischen und deutschen Jugendlichen gestaltete Fotoausstellung ‚Aus der Hölle ins Ungewisse‘. Die Bilder brachten die BesucherInnen zum Nachdenken, o daß Vorurteile schnell abgebaut wurden. 150 DM für den Bau eines Spielplatzes in Mostar/Bosnien wurde von den BesucherInnen gespendet. Während des Aktionstages sorgte eine afrikanische Trommelgruppe für musikalische Unterhaltung.

Die Jugendkulturwoche zog weitere Aktivitäten nach; vom 25.-27.08.1995 fuhren 26 deutsche und bosnische Jugendliche, die sich am Fotoprojekt beteiligt hatten, zu einem gemeinsamen Workshop.

 




[1] taz vom 13.10.1998

[2] Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen (RAA) e.V. (Hrsg.): Projektwochen gegen Ausgrenzung und Gewalt, Potsdam 1997, S.11 f

[3] Regionale Arbeitsstellen für Ausländerfragen (RAA) e.V. (Hrsg.): Es gibt nichts Gutes außer man tut es. Handbuch zu interkulturellen Projekten der RAA in den neuen Bundesländern, Berlin 1995, S.106 f

[4] ebd., S.109 ff

[5] taz vom 13.10.1998

[6] Regionale Arbeitsstellen für Ausländerfragen (RAA) e.V. (Hrsg.): Es gibt nichts Gutes außer man tut es, a.a.O., S.118 f

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