Die Philosophie des Konfuzius

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Der entscheidende Charakter in der Philosophie des Konfuzius – und zugleich der Grundzug des chinesischen Philosophierens – war die Hinwendung auf den Menschen und auf das praktische Leben.Die Theorie des Konfuzius stellte deshalb auch kein abgeschlossenes und ausgearbeitetes System von Logik, Ethik und Metaphysik dar. Konfuzius lehrte seine Schüler nicht allgemeine Regeln des Denkens, sondern versuchte, sie durch Einwirkung zum selbständigen Denken zu bringen. Eine ausgebildete Metaphysik hat Konfuzius ebenfalls nicht hinterlassen. Auf die Frage eines Schülers über den Dienst an den Geistern und über den Tod, entgegnete er „ Wenn wir noch nicht einmal wissen, wie wir den Menschen dienen sollen, wie können wir dann wissen, wie wir den Geistern dienen? Wenn wir nichts über das Leben wissen, wie können wir etwas über den Tod wissen?“ Hier präsentierte sich Konfuzius als Agnostiker. Allerdings stand er der alten Reichsreligion mit ihrer Verehrung des Himmels, der Geister und der Manen der Verstorbenen positiv gegenüber. Er wies seine Schüler dazu an, deren rituelle Vorschriften zu befolgen. Es ist nicht gesichert, ob dies auf seiner eigenen religiösen Überzeugung basierte oder auf rituellem Zwang der Mehrheitsgesellschaft.

2) Biographische Notizen zu Konfuzius

 

Konfuzius wurde 551 v. Chr. im Fürstentum Lu in der heutigen Provinz Schantung geboren, wo er auch im Jahre 479 v. Chr. starb. Er entstammte dem damals schon alten adeligen Geschlecht der Kung. Sein chinesischer Name lautete Kung-fu-tse, was „Meister aus dem Geschlechte Kung“ bedeutet. Konfuzius ist eine von Europäern eingeführte lateinisierte Form dieses Namens. Der Begriff Konfuzianismus ist ebenfalls eine westliche Prägung ohne genaueres chinesisches Äquivalent, am ehesten noch der chinesische Ausdruck Kongjiao („Konfuzius-Lehre“).[1]

In seiner Jugendzeit richtete Konfuzius sein Haus als Schule ein und lehrte seine Anhänger, die sich mittlerweile um ihn versammelten, Geschichte, Dichtkunst sowie die Formen des Anstandes und der Moral.[2] Im Laufe der Jahrzehnte gingen mehr als 3000 junge Männer durch seine Schule und sein Ruhm breitete sich immer weiter in der weiteren Umgebung aus.[3] Mit 50 Jahren erhielt er Gelegenheit, die von ihm inzwischen gefundenen und gelehrten Grundsätze einer gerechten Regierung als Beamter seines Heimatstaates in die Praxis zu übertragen. Er wurde zunächst Bauminister, dann Justizminister und schließlich 498 v. Chr. stellvertretender Kanzler. Der Fürst eines Nachbarstaates, von Neid erfüllt auf das Aufblühen des Staates Lu, sandte gemäß der Überlieferung dessen Fürsten als Geschenk eine Schar sanges- und tanzkundiger Frauen sowie schöne Pferde und erreichte damit, dass der Fürst von Lu sich dem Luxusleben hingab und schließlich von den Regierungsgrundsätzen des Konfuzius abwandte, worauf dieser verbittert zurücktrat und seinen Heimatstaat verließ.[4]

Nach einem dreizehnjährigen Wanderleben ehrenvoll nach Lu zurückberufen, widmete sich Konfuzius dort in seinen letzten Lebensjahren der Sammlung und Herausgabe der überlieferten Schriftdenkmäler und verfasste eine Chronik des Fürstentums Lu. Er selbst schied jedoch aus dem Leben voller Enttäuschung darüber, dass keiner der Regierenden sich seiner Lehre zuwandte und seine Grundsätze verwirklichen wollte. Dabei ahnte er nicht, welchen überwältigenden Erfolg seinen Gedanken nach seinem Tode beschieden sein sollte. Im Jahre 1906 wurde Konfuzius in einem kaiserlichen Edikt allen Gottheiten im Himmel und auf der Erde gleichgestellt.

 

 

 

3) Die neun klassischen Bücher

 

Seine eigene Philosophie gab Konfuzius niemals als originelle Schöpfung aus, sondern stets als Weitergabe dessen, was er von den Kaisern der Frühzeit gelernt hatte. Außer der Ausbildung seiner eigenen Philosophie kommt Konfuzius das große Verdienst zu, die ältesten Überlieferungen des chinesischen Kulturkreises gesammelt und für die Nachwelt bewahrt zu haben. Von den fünf so entstandenen King oder kanonischen Büchern stammen die ersten vier mit großer Wahrscheinlichkeit von Konfuzius selbst, das fünfte wahrscheinlich mit einzelnen Abschnitten.[5] Für seine Philosophie am wichtigsten ist das I King oder „Buch der Wandlungen“, möglicherweise das älteste Dokument philosophischen Denkens überhaupt. Nach der Überlieferung stammte es von einem Kaiser, der fast 3.000 Jahre vor der Zeitenwende lebte und regierte. Konfuzius gab es neu heraus und verfasste einen Kommentar dazu. Den Kern des Buches bildete acht so genannte Trigramme, also aus drei teils ganzen, teils gebrochenen Strichen bestehende Zeichnungen. Jedes Trigramm versinnbildlichte eine Naturkraft und zugleich in symbolischer Übertragung ein bestimmtes Element des menschlichen Lebens. Durch Kombination untereinander wurde die Zahl der Zeichen vermehrt. In den durchlaufenden Linien wird ein Element des Hellen – Licht, Bewegung, Leben – dargestellt gedacht (Yang), in den durchbrochenen ein Element des Dunklen – Ruhe, Materie (Yin).[6]

Das zweite Buch, das Schi King oder „Buch der Lieder“ enthält hundert Gesänge, die lange vor Konfuzius’ Lebzeiten entstanden waren und die er aus einer weit größeren Anzahl ausgewählt hat.[7] Neben volkstümlichen Natur- und Liebesliedern finden sich darin Opfergesänge sowie politische Lieder.

Das Schu King oder „Buch der Urkunden“ ist eine umfangreiche Sammlung von Urkunden verschiedener Art aus zweitausend Jahren chinesischer Geschichte bis an das Leben des Konfuzius heran, meist Gesetze, Erlasse usw. von Fürsten mit beigefügten Erläuterungen und Zwischentexten.

Von Konfuzius selbst verfasst sind die „Frühlings- und Herbstannalen“, eine Chronik seines Staates Lu für den Zeitraum von 722-480 v. Chr.

Das letzte der kanonischen Bücher, das Li Ji, oder „Buch der Riten“ ist das umfangreichste. Es ist erst nach dem Tode von Konfuzius entstanden, aber es werden Teile auf ihn selbst zurückgeführt. Der Inhalt des Buches behandelt die in China besonders gepflegten Vorschriften der Etikette, Sitten und Bräuche, zum Beispiel für den Ahnenkult und für das Verhalten bei Hofe.[8]

Den fünf kanonischen Büchern an Einfluss gleichgestellt sind vier weitere, die so genannten „klassischen Bücher“.[9] Diese wurden nicht von Konfuzius selbst verfasst oder herausgegeben, enthalten aber seine Lehren oder die Lehren der besten unter seinen Schülern.

Das Buch Lun Yü enthält die „Unterredungen“ des Konfuzius, der ausschließlich mündlich lehrte. Seine Gedanken sind lediglich aus diesen von seinen Schülern aufgezeichneten Äußerungen bekannt. Neben diesen Unterredungen bildet die zweite Hauptquelle für die Kenntnis der konfuzianischen Philosophie das Buch Ta Hsüeh oder „Die Große Wissenschaft“, deren erster Teil mit großer Wahrscheinlichkeit authentische Bemerkungen des Konfuzius enthält. Das dritte der klassischen Bücher, Tschung Yung oder die „Lehre von Maß und Mitte“ stammte von einem Enkel des Konfuzius, der für seine Ausführungen ebenfalls immer Aussagen des Konfuzius anführte. Aus diesem Grunde nimmt das Tschung Yung in der konfuzianischen Literatur eine entscheidende Stellung ein. Das letzte dieser Bücher stammt von Mencius, dem bedeutendsten Schüler des Konfuzius, auf den und seine Philosophie in diesem Artikel später noch näher eingegangen wird. Die aufgeführten Werke werden auch zusammenfassend als die „Neun klassischen Bücher“ bezeichnet, die bis heute die Grundlage der konfuzianischen Überlieferung bilden.[10]

 

 

4) Der besondere Charakter der konfuzianischen Philosophie

 

Der entscheidende Charakter in der Philosophie des Konfuzius – und zugleich der Grundzug des chinesischen Philosophierens – war die Hinwendung auf den Menschen und auf das praktische Leben.[11] Die Theorie des Konfuzius stellte deshalb auch kein abgeschlossenes und ausgearbeitetes System von Logik, Ethik und Metaphysik dar. Konfuzius lehrte seine Schüler nicht allgemeine Regeln des Denkens, sondern versuchte, sie durch Einwirkung zum selbständigen Denken zu bringen. Eine ausgebildete Metaphysik hat Konfuzius ebenfalls nicht hinterlassen. Auf die Frage eines Schülers über den Dienst an den Geistern und über den Tod, entgegnete er:[12] „ Wenn wir noch nicht einmal wissen, wie wir den Menschen dienen sollen, wie können wir dann wissen, wie wir den Geistern dienen? Wenn wir nichts über das Leben wissen, wie können wir etwas über den Tod wissen?“ Hier präsentierte sich Konfuzius als Agnostiker. Allerdings stand er der alten Reichsreligion mit ihrer Verehrung des Himmels, der Geister und der Manen der Verstorbenen positiv gegenüber. Er wies seine Schüler dazu an, deren rituelle Vorschriften zu befolgen. Es ist nicht gesichert, ob dies auf seiner eigenen religiösen Überzeugung basierte oder auf rituellem Zwang der Mehrheitsgesellschaft. [13]

 

 

5) Ethik

 

Entsprechend dem auf den Menschen bezogenen Charakter des konfuzianischen Denkens war das Ideal nicht der weltabgewandte asketische Mensch, sondern der weltoffenen menschenkundige Intellektuelle, der die Lehre von Maß und Mitte befolgte. Fortdauernde Selbsterziehung, sittliches Verhalten in allen Angelegenheiten und Aufrichtigkeit im Umgang mit den anderen Menschen zeichneten den idealtypischen Weisen aus. Konfuzius betonte, dass der Besitz einer bestimmten beruflichen Stellung und materielle Güter erlaubt seien, aber der sittliche Mensch zu jeder Zeit bereit sein musste, sie wegen seiner moralischen Grundsätze aufzugeben.[14]

Es stellt sich die Frage, welcher Menschentypus angestrebt werden soll und wie das geschehen kann. Hierbei unterschied Konfuzius drei Typen: den Weisen, den Edlen und den gemeinen Mann. Der Edle – chün-tzu - war jener Typus Mensch, der zur Herrschaft in der Lage ist. Er wurde dies nicht von Geburt, sondern er wurde dazu gebildet, nämlich durch einen Lernprozess der Bildung und des Trainings. Dadurch wurde die Liebe zum Lernen notwendig zur zentralen Tugend. Die Gestalt des Edlen stellte er in den Zusammenhang einer Typenlehre, die vier verschiedenen Menschentypen unterschied:[15] „Bei der Geburt schon Wissen zu haben, das ist die höchste Stufe. Durch Lernen Wissen zu erwerben, das ist die nächste Stufe. Schwierigkeiten haben und doch zu lernen, das ist die übernächste Stufe. Schwierigkeiten haben und nicht lernen: das ist die unterste Stufe des gemeinen Volkes.“

Die Weisen waren der höchste Typus, doch zu ihm rechnete sich Konfuzius ausdrücklich nicht. Der Edle war die folgende Stufe, die er selbst auch zu erreichen trachtete. Der Typus, der in Grenzen dahin entwicklungsfähig war, bildete den dritten Grad. Der Typ, der sich nicht belehren ließ, der kleine Mann (hsiao jen) – bildete den Schluss. Der sozialrelevante Bereich lag dabei in der Mitte. Konfuzius war der Meinung, dass es zu seiner Zeit keine Weisen gab. Die beiden anderen machten den Menschen aus, die die Gesellschaft als politische Klassen prägten. Die Naturausstattung der Menschen sah er dabei vor der Akkulturation und Sozialisierung als gleich an:[16] „Von Natur stehen die Menschen einander nahe, durch Übungen entfernen sie sich voneinander. (…) Nur die höchststehenden Weisen und die tiefstehenden Narren sind unveränderlich.“

Indem der Weise seinen eigenen Charakter formte, half er zugleich anderen, den ihren auszubilden. Äußeres und Inneres sollten immer im Gleichgewicht stehen:[17] „Bei wem der Gehalt die Form überwiegt, der ist ungeschlacht; bei wem die Form den Gehalt überwiegt, der ist ein Schreiber. Bei wem Form und Gehalt Gleichgewicht sind, der ist ein Edler.“

Der Edle war also der Inbegriff der ethisch und politisch vorbildlichen Persönlichkeit. Alle Tugenden fanden aufgrund seines Lernens ihre richtige Form:[18] „Die Humanität lieben: diese Verdunkelung führt zur Torheit. Weisheit lieben, ohne das Lernen zu lieben: diese Verdunkelung führt zur Ziellosigkeit. Wahrhaftigkeit lieben, ohne das Lernen zu lieben: diese Verdunkelung führt zur Sturheit. Die Geradheit lieben, ohne das Lernen zu lieben: diese Verdunkelung führt zur Grobheit. Die Tapferkeit lieben, ohne das Lernen zu lieben: diese Verdunkelung führt zur Unordnung. Die Festigkeit lieben, ohne das Lernen zu lieben: diese Verdunkelung führt zu Sonderlichkeit.“

Das Lernen war also die Bedingung dafür, dass die vorbildliche Persönlichkeit und die Tugend entwickelt wurden. Das Lernen gehörte notwendig zum Edlen. Konfuzius verfasste jedoch keine systematische Tugendlehre wie es später in der westeuropäischen Philosophie aus der Auseinandersetzung mit Platons Tugendbegriff üblich war. Doch aus den verstreuten Bemerkungen ragten einige Stichworte heraus, vor allem die Humanität (Jen) und die Gegenseitigkeit (Shu). Die Gegenseitigkeit bedeutete:[19] „Was du dir selbst nicht wünschest, das füge auch den anderen Menschen nicht zu.“

Für Konfuzius war diese Maxime der Inbegriff der Humanität und des Tao und damit die Haupttugend des Edlen:[20] „Jemand, der die Humanität besitzt, der festigt andere, da er selbst gefestigt werden möchte, der belehrt andere, da er selbst belehrt werden möchte. Die eigenen Wünsche als Maßstab für das Verhalten anderen gegenüber zu verwenden – das ist die Methode der Humanität.“

Konfuzius forderte:[21] „Bildung soll allen zugänglich sein. Man darf keine Standesunterschiede machen.“ Es existierte für Konfuzius ein Unterschied zwischen nutzlosem Wissen und wahrer Bildung:[22] „Konfuzius sprach: ‚Nehmen wir an, jemand kann alle dreihundert Stücke des ‚Buchs der Lieder’ auswendig hersagen. Wird ihm eine verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, dann versagt er. (…) Ein solcher Mensch hat zwar viel gelernt, aber welchen Nutzen hat es?“.

Die ethische Haltung war als solche für andere Menschen nicht erkennbar, solange sie lediglich als Vorstellung und Habitus für uns selbst da war. Als notwendiges Gegenstück trat hier nun Li (der Ritus, die Form, die Regel) ein. Der Edle musste beides miteinander verbinden, die Bildung, das Lernen, das zur Tugend führte, und die Kenntnis und Übung der entsprechenden Regeln:[23] „Ehrerbietung ohne Li wird Kriecherei, Vorsicht ohne Li wird Furchtsamkeit, Mut ohne Li wird Auflehnung, Aufrichtigkeit ohne Li wird Grobheit. Wenn der Fürst seine Verwandten hochhält, so wird das Volk sich entwickeln zur Sittlichkeit; wenn er seine alten Freunde nicht vernachlässigt, so wird das Volk nicht niedriggesinnt.“

Li umfasste als einen weiten Bedeutungsraum: Anstand, Bildung, Kultur, Lebensregeln, Gebräuche, Riten, Verehrung, Geschenk, Sitte; es bildete eine Kernvorstellung der chinesischen Religiösität.[24]

Konfuzius machte die Form und Stabilität der politischen Ordnung vom vorherrschenden Menschentypus abhängig. Außerdem stellte er heraus, dass die entscheidenden Charaktereigenschaften des Menschen nicht von Geburt aus vorhanden sind, sondern durch Lernen und Bildung, durch ein Wissen um Haltung und Regeln des Handelns erst erworben werden mussten. Konfuzius’ Vorstellungen mit der Entstehung des Konfuzianismus sind dauerhafte Bestandteile des Lebens, der Politik und des Denkens in China geworden.[25]

Nicht die staatlich erzwungene Rechtgläubigkeit, sondern das Zusammenwirken der Bekenntnisse in ihrer unterschiedlichen Deutung der göttlichen Wahrheit gewährleistete das öffentliche Wohl, auf das Herrscher und Untertanen verpflichtet waren. Das wechselseitige Recht auf Duldung und Anerkennung unter der Voraussetzung der Wahrung des inneren Friedens und der Loyalität zum politischen Gemeinwesen stellte für Konfuzius eine tolerante Gesellschaft dar.[26]

Ein ausschließlich rationales Philosophieren wie in der abendländischen Philosophie ist dem Konfuzianismus völlig fremd, es moralische Philosophie, die sich in der Praxis bewährt haben sollte. Konfuzius wendete sich gegen alle Kulturen, Philosophien und Religionen, die glauben, allein im Besitz der einen einzigen Wahrheit zu sein. Stattdessen besteht die Notwendigkeit einer menschenübergreifenden Kommunikation, die die Ebene zivilisatorischer Koexistenz überschreitet und zu Verständigung und Weisheit führt.

Dies ist jedoch nicht mit der westeuropäisch ausgeprägten Idee der Toleranz zu verwechseln oder zu vergleichen.[27] Erst als die Ordnungsgehalte der Verfassung selbst im Rechts- und Verfassungsstaat der staatsbürgerlichen Loyalität geworden waren, wurde auf die explizite Verpflichtung des einzelnen Bürgers auf eine transzendente Begründung der Grundnormen verzichtet. Die Toleranz wurde nun uneingeschränkt auf alle Staatsbürger und, rechtlich eingeschränkt für alle Nichtstaatsbürger im Geltungsbereich der Verfassung, ausgedehnt. Die Grenze der Toleranz war politisch-pragmatisch definiert durch die Forderung nach Anerkennung der friedensstiftenden Verfassung in ihrer Form und in ihrem Geist. Insofern aber der demokratische Verfassungsstaat im Ethos seiner Bürger allein lebendige Wirklichkeit gewann, bedurfte das rechts- und verfassungsstaatlich normierte Toleranzprinzip einer Verankerung im Sozialverhalten der Bürger selbst. Als Bürgertugend beruhte die Toleranz auf dem „Gegenseitigkeitsprinzip, durch das sich die Menschen untereinander als gleichberechtigt in ihrer Menschenwürde anerkennen.[28] Toleranz ist in der Tat selber so etwas wie ein Dogma der Humanität. Ein Dogma (…) der Geselligkeit. Geselligkeit ist das rechte Verhältnis freier Individuen, das rechte Verhältnis wirklicher Menschen.“.

Die moderne westliche Idee der Toleranz ist untrennbar mit der Geschichte der christlichen Kirche, der durch die Bipolarität von Sacerdotium und Imperium bestimmten res publica christiana des westlichen Mittelalters, mit der Entwicklung der nachreformatorischen Christentümer sowie der Formierung des modernen Staates verknüpft. Aber erst die Umbildung des alteuropäischen Staates in ein konstitutionelles Regime und dessen Fortbildung zum demokratischen Verfassungsstaat löste die Idee der Toleranz aus dem religionspolitischen Kontext und verallgemeinerte das Prinzip der Toleranz in politischer und sozialer Hinsicht. Die Philosophen und Autoren der Aufklärung, besonders Voltaire und Lessing verhalfen wohl der religiösen Toleranz nachdrücklich zum Durchbruch und waren von großem Einfluss auf die westlichen Gesellschaften.[29]

Ein weiteres Merkmal der Ethik von Konfuzius ist der Fallibismus, d.h. die Idee, dass das menschliche Wissen unvollkommen und provisorisch ist und aufgrund neuer Erkennt­nisse revidiert werden muss. Er sieht sich nicht als allwissender Philosoph mit Absolutheitsanspruch und lässt andere Argumente und Lebensweisen zu und sieht sie als Bereicherung für das Anliegen des menschlichen Wissens. Absolutes Wissen oder absolutistische Philosophien oder Religion kann es für ihn nicht geben, kein Mensch kann für sich beanspruchen, allein die Wahrheit zu kennen.

 

 

 

 

 

 

6) Staat und Gesellschaft

 

Wie für das Leben des einzelnen Menschen erhob Konfuzius auch für das Leben der Gesamtheit die Forderung nach Rechtschaffenheit, vorbildliches Verhalten der Regierenden und Erhaltung der traditionellen Bindungen. Diese Betonung moralischer Forderungen war nur dann richtig zu verstehen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass dem Wirken des Konfuzius eine Zeit der Auflösung moralischer Bindungen, Lockerung der Sitten und unmenschliches Verhalten unmittelbar vorausgegangen war.[30]

In dieser Zeit des drohenden oder bereits eingetretenen moralischen Verfalls erhob Konfuzius seine Stimme und rieft die Herrscher seines Staates und andere Verantwortliche zur Rückkehr zu den bewährten Grundsätzen seiner gesellschaftlichen Ordnung. Der Grundgedanke seiner Lehre wurde in der „Großen Wissenschaft“ angesprochen:[31] „Wenn die Alten die lichte Tugend offenbar machen wollten im Reiche, ordneten sie zuvor ihren Staat; wenn sie ihr Hauswesen regeln wollten, vervollständigten sie zuvor ihre eigene Person; wenn sie ihre eigene Person vervollkommnen wollten, machten sie zuvor ihr Herz rechtschaffen; wenn sie ihr Herz rechtschaffen machen wollten, machten sie zuvor ihre Gedanken wahrhaftig; wenn sie ihre Gedanken wahrhaftig machen wollten, vervollständigten sie zuvor ihr Wissen.“

Konfuzius wollte damit sagen, dass, um Ordnung im Staate und Wohlfahrt der Gesamtheit herzustellen, jeder zunächst bei sich selbst, in seinem eigenen Innern, anfangen müsse.[32] Dies galt nach Konfuzius nicht nur für jeden einzelnen, sondern ganz besonders für die Regierenden, die nicht durch Gewalt oder Gesetze, sondern durch die Kraft ihres Beispiels den Staat regietren und sein Vertrauen, die wichtigste Grundlage des Staates, erhalten sollten. Einem Fürsten, der ihn fragte, ob derjenige, der die Gesetze übertritt, getötet werden solle, antwortete Konfuzius:[33] „Wenn Eure Hoheit die Regierung ausübt, was bedarf es dazu des Tötens? Wenn Eure Hoheit das Gute wünscht, so wird das Volk gut. Das Wesen des Herrschers ist wie der Wind. Das Wesen des Geringen ist wie das Gras. Das Gras muß sich beugen, wenn der Wind darüber hinfährt.“

Dass in den Köpfen der Menschen zunächst Ordnung existierte, erforderte laut Konfuzius vor allem, dass die Dinge bei ihren einfachen und richtigen Namen genannt wurden. Für Frieden, Rechtschaffenheit und Wohlfahrt war nichts so verderblich wie Verwirrung der Namen und Begriffe.[34] Von entscheidendem Wert für die Erhaltung und Stärkung von Staat und Gesellschaft war die Erziehung. Konfuzius verlangt eine Vermehrung und Verbesserung des allen in gleicher Weise zugänglichen öffentlichen Unterrichts. Seine Gedanken über Erziehung wurden nach seinem Tode für Jahrhunderte zur Grundlage des chinesischen Erziehungssystems gemacht.[35] Mehr noch als bloßes Wissen betonte er die Wichtigkeit der Ausbildung des künstlerischen Empfindens und der Erziehung zu Anstand und Sitte. Er hob den Nutzen der Literatur hervor, die die Gefühle anregte, zur Pflichterfüllung verhalf, den Gesichtskreis und die Kenntnis von Welt und Menschen, von Tieren und Pflanzen erweiterte. Außerdem erklärte er die Musik zu einem weiteren Grundpfeiler der allgemeinen Bildung. Die Erziehung zur Kunst lasse die Selbstentfaltung des Menschen zu, wer etwas Ewiges schafft, der würde auch zu Rechenschaft und Anstand erzogen. Laut Konfuzius war Musik mit der Güte verwandt, und durch die Beschäftigung mit ihr gewannen die Menschen ein gutes und aufrichtiges Herz.[36] Dies darf nicht verwechselt werden mit einem praktisch ausgereiften Erziehungssystem, das strengen wissenschaftlichen Kriterien genügt. Konfuzius wollte Werte schaffen, die für die Ausbildung einer Gesellschaft in Ordnung und Frieden unentbehrlich sind. Es ist nicht bekannt, ob Konfuzius selbst seine Gedanken in einer längeren praktischen Phase ausprobiert hat oder wo und von wem er Anregungen für seine ethisch geleitete Erziehung bekommen hat. Auf jeden Fall können seine pädagogischen Vorstellungen nicht von seiner Theorie von Gesellschaft oder Gemeinschaft verstanden werden, sie bilden den Grundstock für seine Überlegungen.

Anthropologisch erkannte Konfuzius ein Verlangen des Menschen nach Gesellschaft und Gemeinschaft, die von einer vernunftmäßigen Ordnung und Gesetzen bestimmt ist. Der Mensch hat die Fähigkeit zu einem Denken und Handeln, das sich nach allgemeinen Sätzen richtet. Diese Verpflichtung, nicht nur gegenüber sich selbst, sondern auch gegenüber einer Gruppengemeinschaft, wäre im Menschen selbst verankert, müsste aber gefördert und wiederholt werden. Als Einzelwesen hat der Mensch eine Vielzahl von Bedürfnissen, die er gemeinsam mit anderen Menschen zu befriedigen sucht. Unter diesen Bedürfnissen versteht Kropotkin aber nicht nur die materiellen Erfordernisse des Menschen, sondern auch dessen Bedürfnisse nach Entspannung, Muße, Kreativität und Genuss. Er begreift den Menschen als Kulturmensch, der mehr darstellt als seine bloße Daseinsbefriedigung oder seine materiellen Bedürfnisse.

 

 

 

7) Die Schüler des Konfuzius

 

    1. Mencius

       

      Unter allen Schülern des Konfuzius hat Mencius, in China das größte Ansehen erlangt.[37] Meng Tse – Mencius ist die lateinisierte Form - lebte von 371-289 v. Chr. Wie Konfuzius bereiste auch Mencius China für 40 Jahre, um seinen Rat den Herrschern anzubieten. Durch Mencius konnte der Konfuzianismus unter der Han-Dynastie zur chinesischen Staatsreligion aufsteigen. In zweierlei Hinsicht hat er die Lehren von Konfuzius weiterentwickelt. Einerseits hat er versucht, dem Konfuzianismus eine psychologische Grundlage zu geben, indem er ganz bestimmte Ansichten über den menschlichen Charakter entwickelte. Andererseits war er ein bedeutender politischer Denker, als „Berater der Fürsten“. Mencius’ Ansicht über den Menschen war positiver Natur:[38] „Der Mensch ist gut. –Die menschliche Natur folgt dem Guten geradeso, wie das Wasser stets abwärts fließt.“ Die Menschen trugen in sich ein angeborenes Wissen, dessen Schätze lediglich gehoben werden mussten, um den richtigen Weg zu finden. Um das Wesentliche zu erkennen, bedurfte es keiner Naturbeobachtung nach dem Vorbild von Lao Tse; jeder trug in sich den Schlüssel zum harmonischen Leben, das bei seiner Verwirklichung von selber die richtige soziale Ordnung herbeiführte.

      Wenn nun die Menschen sich in der Praxis des Lebens keineswegs immer diesem inneren Gesetz gemäß verhielten, so konnte die Ursache dafür nicht in ihrer eigenen Natur liegen, da diese im Grunde gut war. Der Fehler musste daher in den äußeren Einrichtungen liegen, in den Unvollkommenheiten der Gesellschaftsordnung und den Fehlern der Herrschenden.[39]

      Wie Konfuzius sprach sich auch Mencius auf politischem Gebiet für eine Ablehnung des Krieges und der Prunksucht sowie die Verschwendung öffentlicher Mittel aus. Was ihn von Konfuzius unterschied, war die Ansicht über das Verhältnis von Bevölkerung und Herrscher. Auch er zog die Monarchie einer demokratischen Staatsform vor, denn in einer Demokratie musste jeder einzelne Mensch erzogen werden, in der Monarchie brauchte man nur den Fürsten zu erziehen, um einen guten Zustand des Gemeinwesens herzustellen. Bei seiner Betrachtung lag der Schwerpunkt jedoch nicht beim Herrscher, sondern bei der Bevölkerung. Es kam ihm auf das Wohlergehen der Bevölkerung an, der Herrscher war nicht so interessant.[40] Daraus zog er für die seine Zeit radikale Forderung, dass die Bevölkerung jederzeit berechtigt und verpflichtet sei, einen Herrscher, der seinen Regierungsstil nicht zum Wohle der Allgemeinheit erfüllte, abzusetzen und im letzten Schritt zu töten:[41] „Wenn der Herrscher schwere Fehler hat, so machen sie ihm Vorstellungen. Wenn er auf wiederholte Vorstellungen nicht hört, so setzen sie einen anderen Herrscher ein.“

       

       

       

    2. Hsün Tse

       

      Hsün Tse, der von 355-288 v. Chr. lebte, nahm in der Einschätzung des menschlichen Charakters bezogen auf Mencius den entgegengesetzten Standpunkt ein. Er proklamierte, dass die Natur des Menschen böse ist, sein Gutes ist künstlicher Natur.[42] Der Mensch hatte laut Hsün Tse von Natur schon bei seiner Geburt das Begehren nach Nutzen. Später entstanden Zank und Streit, Nachgiebigkeit und Freundlichkeit gingen zugrunde. Es bedurfte notwendigerweise der Erziehung zu Sitte und Recht, damit Nachgiebigkeit und Freundlichkeit entstanden, so dass ein Zusammenleben in einer Gesellschaft möglich war.[43] Hsün-Tzu forderte im Gegensatz zu Mencius, der die äußere Natur als bedeutungslos sah, die Beherrschung der Natur durch den Menschen:[44]

                   „Du rühmst die Natur und grübelst über sie:

                     Warum nicht sie zähmen und regulieren?

                     Du gehorchst der Natur und singst ihr Lob:

                     Warum nicht ihren Lauf beherrschen und nützen?

                     Du schaust die Jahreszeiten mit Verehrung und erwartest sie:

                     Warum nicht ihnen mit jahreszeitlichen Tätigkeiten entsprechen?

                     Du hängst von den Dingen ab und bestaunst sie:

                     Warum nicht deine eigene Tätigkeit entfalten und sie umformen?

                     Du sinnst, was ein Ding zum Ding mache:

                     Warum nicht die Dinge so ordnen, daß du sie nicht verschwendest?

                     Du suchst vergebens die Ursache der Dinge:

                     Warum nicht sie aneignen und genießen, was sie hervorbringen?“

       

       

       

    3. Tschung Yung

       

      Bei Tschung Yung erfuhr die schon oben dargestellte Lehre des Konfuzius von der „Goldenen Mitte“ eine metaphysische Wendung.[45] Die Lehre von „Maß und Mitte“ erschien hier nicht nur als Richtschnur für das Handeln des Edlen, sondern zugleich als umfassendes Prinzip allen Seins. Harmonie wurde als das universale Gesetz verstanden:[46] „Wenn unser innerstes Selbst und die Harmonie verwirklicht werden, dann wird das All zum Kosmos, und alle Dinge erlangen volles Wachstum und Entfaltung.“

      Die allumfassende Harmonie, die als Gesetz der Welt zugrunde lag, sollten die Menschen in sich selbst verwirklichen. Das Gesetz des Himmels besagte, sich selbst treu zu sein; das Gesetz des Menschen war der Versuch, sich selbst treu zu sein.

      In der Ethik Tschung Yungs finden sich Stellen, die schon auf den kategorischen Imperativ Kants hindeuten:[47] „Der Edle stellt Anforderungen an sich selbst, der Gemeine stellt Anforderungen an die anderen Menschen. (…) Das Edle bewegt sich stets so, daß sein Verhalten zu jeder Zeit als allgemeines Beispiel dienen kann; er benimmt sich so, daß sein Verhalten zu jeder Zeit als allgemeines Gesetz dienen kann; und er spricht so, daß sein Wort zu jeder Zeit als allgemeine Norm gelten kann.“

       

       

       

    4. Mo Tse

 

Die dritte wichtige Geistesströmung in der altchinesischen Philosophie war neben dem Konfuzianismus und dem Taoismus der Mohismus. Diese Strömung wurde abgeleitet von dem zwischen 500-396 v. Chr. lebenden Philosophen Mo Tse. Er verbrachte wie Konfuzius einen großen Teil seines Lebens auf Reisen durch das damalige China. Mo Tse war auf der Suche nach einem Herrscher, der seine Lehren in die Praxis umsetzen sollte. Der Hauptgedanke des Mohismus war die Förderung der allgemeinen Wohlfahrt und die „Bekämpfung des Übels“.[48]

Mo Tse äußerte sich folgendermaßen zur allgemeinen Wohlfahrt:[49] „Die alten Herrscher zielen bei der Verwaltung des Reiches auf zwei Dinge - Reichtum für das Land und Vermehrung der Bevölkerung. Jede Theorie und jede praktische Maßnahme sind an dem Maßstab zu messen, ob sie Wohlstand und Wachstum der Bevölkerung hemmt oder fördert.“ Mo Tse sprach sich vor allem gegen den Krieg aus, der den Reichtum zerstört, die Familien auseinander bringt und die Bevölkerung vermindert.[50] Die konfuzianische Hochschätzung der Musik und der Künste lehnte Mo Tse ab. Er begründet dies mit höheren Steuern und Belastungen für die Bevölkerung, wenn sich die Regierenden diesen Beschäftigungen hingaben. Falls die wirtschaftliche Elite der Gesellschaft (Beamte, Bauern und Kaufleute) sich den Künsten hingeben, werden sie dadurch von produktiver Beschäftigung ferngehalten.

Diese utilitaristische Sichtweise bestimmt die gesamte Philosophie des Mohismus. Alles ist auf die tatsächliche Lebenserfahrung abgestellt. Jede philosophische Theorie muss laut Mo Tse drei Erfordernissen genügen: Sie muss erstens eine tragfähige Grundlage haben, sie muss weiterhin einer kritischen Prüfung standhalten und drittens praktisch angewendet werden können. Als Basis jeder Theorie kommen für Mo Tse nur „die Taten der alten weisen Herrscher“ in Betracht. Als Prüfstein einer kritischen Untersuchung soll die tatsächliche Erfahrung der Menschen dienen. Ein Beispiel dafür ist die Frage nach dem „Schicksal“. Ob es so etwas wie „Schicksal“ gibt, muss diese Frage danach entschieden werden, ob dieses Schicksal in der tatsächlichen Erfahrung der Menschen vorkommt:[51] „Wenn die Leute es gesehen und gehört haben, so werde ich sagen, es gibt ein Schicksal. Wenn keiner es gesehen oder gehört hat, so werde ich sagen, es gibt kein Schicksal.“. Die praktische Erprobung einer Lehre soll so vor sich gehen, dass sie in Gesetzgebung und Verwaltung einführt und dann prüft, ob ihre Auswirkungen der allgemeinen Wohlfahrt nützen, d.h. die Vermehrung des Reichtums und der Bevölkerung.

Sein Prinzip der allgemeinen Menschenliebe enthielt die Forderung:[52] „Behandle andere Länder wie sein eigenes, behandle andere Familien wie seine eigene, behandle andere Menschen wie sich selbst.“ Wenn dieses Gebot allgemein befolgt würde, so wäre Frieden und allgemeine Wohlfahrt die Folge; die Nichtbeachtung wäre die Ursache der gesellschaftlichen Unordnung. Aber auch dieser ideale Grundsatz der allgemeinen Menschenliebe war von utilistaristischen Erwägungen nicht frei:[53] „Diejenigen, die andere lieben, werden wieder geliebt werden.“

Der althergebrachten chinesischen Religion stand Mo Tse positiv gegenüber. Er verteidigte sie aus praktischen Gründen:[54] „Wenn jedermann an die Macht der Geister glaubt, das Gute zu belohnen und das Schlechte zu verdammen, so wird es keine Unordnung geben.“

Die weitere Entwicklung der mohistischen Philosophie nach dem Tode ihres Gründers erfolgte in scharfer Auseinandersetzung und enger Wechselwirkung mit den wiederauflebenden sophistischen Lehren. Die mit gewaltsamen Mittel durchgeführte Bekämpfung der Sophisten zur Zeit des Konfuzius konnte deren Geistesrichtung nicht auf Dauer unterdrücken. Die Sophisten, unter denen Hui Schih und Kung sun Lung die bekanntesten waren, beschäftigten sich mit Begriffen wie Raum und Zeit, Bewegung und Ruhe, Substanz und Qualität. Die Neomohisten empfanden aber nun dabei die Notwendigkeit, ihre eigene Lehre gegen die kritischen Einwände der Sophisten zu sichern, indem sie ihr selbst eine tragfähige logische Grundlage gaben.[55] Diese erzwungene Durchdringung ihrer eigenen Grundbegriffe öffnete dem neomohistischen Denken neue Wege. Dementsprechend begaben sich die Neomohisten auf das Gebiet der Logik und Erkenntnistheorie, um am Ende beweisen zu können, dass Logik und Erkennen den Zwecken des praktischen Handels untergeordnet sind. Sie vertraten die These, dass der Mensch in allem Erkennen, sei es Forschen, Experimentieren, Lernen oder bloßes Verstehen, in der Auseinandersetzung mit seiner leibhaftigen Umwelt steht und dass die einzige Funktion des Wissens diejenige ist, die ihm die richtigen Entscheidungen ermöglicht. Die richtige Möglichkeit, die es zu erkennen und zu begreifen gilt, ist aber diejenige, die der „allgemeinen Wohlfahrt und der Bekämpfung des Übels“ am besten dient- womit der Anschluss an die Lehren Mo Tses wiederhergestellt war. Seit dem 2. Jahrhunderts v. Chr. nahm die Anziehungskraft der Lehre Mo Tses rapide ab und der Konfuzianismus setzte sich immer mehr durch.[56]




[1] Bock, K. (Hrsg.): Konfuzius: Gespräche (Lun Yü), Essen 1991, S. 10

[2] Raghahn, L.: Chinesische Geschichte kompakt, Frankfurt/Main 1992, S. 21

[3] Bauer, W.: Geschichte der chinesischen Philosophie. Konfuzianismus, Daoismus, Buddhismus, München 2001, S. 12

[4] Ebd., S. 13

[5] Krieger, S./Trauzettel, R. (Hrsg.): Konfuzianismus und die Modernisierung Chinas, Mainz 1990, S. 24f

[6] Bauer, W.: China und die Hoffnung auf Glück - Paradiese, Utopien, Idealvorstellungen in der Geistesgeschichte Chinas, München 1989, S. 77

[7] Schmitz, R./Trughold, U. (Hrsg.): Chinesische Geschichte, Köln 1983, S. 26

[8] Brunhold, B.: Geschichte und Staat im alten China, Opladen 1983, S. 88

[9] Ebd., S. 281

[10]Raghahn, L.: Chinesische Geschichte kompakt, Frankfurt/Main 1992, S. 32

[11] Opitz, P.: Der Weg des Himmels: Zum Geist und zur Gestalt des politischen Denkens im alten China, München 1999, S. 54

[12] Zitiert aus Leidhold, W.: Politische Theorie. Erster Teil. Von den Sumerern bis Thomas von Aquin, Köln 1998, S. 95

[13] Bauer, W.: Geschichte der chinesischen Philosophie. Konfuzianismus, Daoismus, Buddhismus, München 2001, S. 24

[14] Roetz, H.: Konfuzius, 2. Auflage, München 1995, S. 25

[15] Der Autor benutzt als Grundlage die Übersetzung von Wilhelm, R.: Kungfutse. Gespräche, Lun Yü, 2. Auflage, München 1990. Lun yü, XVI, 9

[16] Lun yü, XVII, 2 und 3

[17] Lun yü, XVII, 4

[18] Lun yü, XVII, 8

[19] Zitiert aus Leidhold, Politische Theorie, a.a.O., S. 98

[20] Ebd., S. 99

[21] Moritz, R. (Hrsg.): Konfuzius. Gespräche, Stuttgart 1998, S. 105

[22] Ebd., S. 80

[23] Lun yü, VIII, 2

[24] Roetz, Konfuzius, a.a.O., S. 64

[25] Bauer, W.: China und die Hoffnung auf Glück - Paradiese, Utopien, Idealvorstellungen in der Geistesgeschichte Chinas, München 1989, S. 72

[26] Bauer, W.: Geschichte der chinesischen Philosophie. Konfuzianismus, Daoismus, Buddhismus, München 2001, S. 72

[27] Vgl. dazu - Schmiedinger, H. (Hrsg.): Wege zur Toleranz. Geschichte einer europäischen Idee in Quellen, Darmstadt 2002; Schreiner, K./Besier, G.: Toleranz, in: Brunner, O. u.a. (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe VI, Stuttgart 1990, S. 445-605; Sternberger, D.: Toleranz als Leidenschaft für Wahrheit, in: Schriften 9, Frankfurt/M. 1988

 

[28] Sternberger, D.: Toleranz als Leidenschaft für Wahrheit, in: Schriften  9, Frankfurt/M. 1988, S. 164f

[29] Barner, W. u.a.: Lessing. Epoche-Werk-Wirkung, 6. Auflage, München 1998, S. 12

[30] Schwarz, E.: Die Weisheit des alten China. Mythos-Religion-Philosophie-Politik, München 1994, S. 76

[31] Zitiert aus Leidhold, Politische Theorie, a.a.O., S. 105

[32] Nosbauer, P.: Das Gesellschaftsbild im alten Indien und China, München 1974, S. 98

[33] Ebd., S. 106

[34] Reichwein, A.: China und Europa. Geistige und künstlerische Beziehungen im XVIII. Jahrhundert, Berlin 1923, S. 38

[35] Schwarz, Die Weisheit des alten China. Mythos-Religion-Philosophie-Politik, a.a.O., S. 91

[36] Schwarz, E.: Die Weisheit des alten China: Mythos-Religion-Philosophie-Politik, München 1994, S. 92

[37] Krieger/Trauzettel, Konfuzianismus und die Modernisierung Chinas, a.a.O., S. 125

[38] Zitiert aus Leidhold, Politische Theorie, a.a.O., S. 103

[39] Opitz, P.J.: Chinesisches Altertum und konfuzianische Klassik, München 1968, S. 171

[40] Nosbauer, P.: Das Gesellschaftsbild im alten Indien und China, München 1974, S. 11

[41] Zitiert aus Leidhold, Politische Theorie, a.a.O., S. 104

[42] Köster, H.: Hsün Tzu, Kaldenkirchen 1967, S. 12f

[43] Ebd., S. 13

[44] Ebd., S. 56

[45] Grimm, T.: Meister Kung. Zur Geschichte der Wirkung des Konfuzius, Opladen 1976, S. 67

[46] Zitiert aus Bauer, W.: Geschichte der chinesischen Philosophie. Konfuzianismus, Daoismus, Buddhismus, München 2001, S. 78

[47] Ebd., S. 80

[48] Moritz, R.: Die Philosophie im alten China, Berlin 1990, S: 40

[49] Deussen, P.: Allgemeine Geschichte der Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Religionen, Leipzig 1906, Band 1, S. 202

[50] Vgl. dazu Schmidt-Glintzer, H. (Hrsg.): Mo Ti. Gegen den Krieg, Düsseldorf/Köln 1975

[51] Deussen, Allgemeine Geschichte der Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Religionen, a.a.O., S. 206

[52] Ebd., S. 211

[53] Ebd., S. 212

[54] Ebd., S. 209

[55] Leidhold, W.: Politische Theorie. Erster Teil. Von den Sumerern bis Thomas von Aquin, Köln 1998, S. 44

[56] Schwarz, E.: Die Weisheit des alten China: Mythos-Religion-Philosophie-Politik, München 1994, S. 132

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