Frühling im Revier? 100 Jahre – „Märzrevolution“ im Ruhrgebiet

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Deutschland im November 1918: Der erste Weltkrieg, auf dessen Schlachtfeldern Millionen getötet worden waren, ging zuende. Die Bevölkerung war nicht länger bereit, das Regime zu dulden, das sie in dieses Massenmorden geführt hatte. Die Republik wurde ausgerufen, Kaiser Wilhelm musste abdanken. Aber die neue, sozialdemokratisch geführte Regierung wollte keinen radikalen Bruch mit den bisherigen Verhältnissen und ließ auf rebellische Arbeiter*innen schießen. Die alten Eliten in Militär, Verwaltung und Wirtschaft blieben auf ihren Posten. Und sie sannen auf Revanche.

Am 13. März 1920 unternahmen in Berlin Teile der Reichswehr unter General Lüttwitz und dem preußischen Beamten Wolfgang Kapp einen Putsch, um die alte Ordnung wiederherzustellen. Den Kern der meuternden Truppen bildeten Angehörige der Freikorps, reaktionärer Männerbünde ehemaliger Frontsoldaten, die schon damals mit dem Hakenkreuz am Helm marschierten. Die Arbeiterinnen und Arbeiter reagieren darauf mit einem einmütigen und entschlossenen „Nein!“. Ein landesweiter Generalstreik brachte die Putschisten binnen drei Tagen zu Fall.

Im Ruhrgebiet war der Widerstand gegen den Putsch besonders stark. Die Organisationen der Arbeiter*innenbewegung bildeten „Aktionsausschüsse“, die in den Städten die lokale Macht übernahmen. Zur Verteidigung gegen die Putschisten wurden bewaffnete Arbeiterformationen gebildet, die sich zur „Roten-Ruhr-Armee“ zusammenschlossen und denen es gelang, die verhasste Reichswehr aus dem gesamten Industrierevier zu vertreiben. Diese „Märzrevolution“ war eine gemeinsame Aktion des Proletariats im Ruhrgebiet: Sozialdemokrat*innen kämpften Schulter an Schulter mit Kommunist*innen und Anarchist*innen, zahlreichen Unorganisierten und selbst Mitgliedern der christlichen Gewerkschaften.

So groß die Einigkeit in der Abwehr der unmittelbaren Gefahr war, über die weitergehenden Ziele des Aufstands gab es durchaus unterschiedliche Meinungen: „Verteidigung der Republik!“ riefen die einen. Ihnen ging es um die Entwaffung der am Putsch beteiligten Truppen und die Säuberung des Staatsapparats von monarchistisch gesinnten Beamten, also um eine parlamentarische Demokratie, die mehr als nur Fassade war. „Sozialisierung!“ und „Alle Macht den Räten!“ riefen die anderen. Sie sahen die Chance zu einer viel gründlicheren Umgestaltung der Gesellschaft gekommen. Die arbeitende Bevölkerung sollte den Bossen die Kontrolle über die Produktionsmittel entreißen („Sozialisierung“) und sie zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse benutzen; sie sollte ihre kollektive Macht durch Basisversammlungen selbst ausüben („Räte“), anstatt sie an Parlamente zu deligieren. Wo sich die Gelegenheit bot, wurde bereits mit ersten Schritten zur Verwirklichung dieser Ideen begonnen.

Es sollte den Aufständischen keine Zeit bleiben, ihre inneren Widersprüche zu klären. Kaum aus dem süddeutschen Exil zurück im Amt, erteilte die Regierung den vielstimmigen Rufen nach gesellschaflichen Veränderungen erneut eine klare Absage. „Ruhe und Ordnung“ sei jetzt das Gebot der Stunde. Um diese wieder herzustellen, ging die SPD-Führung, wie schon im November 1918, ein Bündnis mit dem Militär ein. Sie schreckte nicht einmal davor zurück, Truppen, die gerade gegen sie geputscht hatten, gegen jene Arbeiter einzusetzen, die sie vor dem Putsch gerettet hatten. Zuallererst ging es der Regierung darum, das soziale Experiment an Rhein und Ruhr zu beenden, ehe der Funke auf andere Gebiete übersprang.

Aber die Märzrevolution blieb isoliert; der verzweifelte Aufruf: „Rettet die Ruhrarbeiter!“ verhallte ungehört. Ein wesentlicher Grund für die Passivität der übrigen Arbeiterschaft waren illusionäre Hoffnungen in ihre politischen und gewerkschaftlichen Führer*innen und deren Verhandlungen in Berlin. So konnte die Reichswehr ungehindert aus anderen Teilen Deutschlands Truppen zusammenziehen, die die Bewegung drei Wochen nach ihrer Entstehung zerschlugen und dabei furchtbar blutige Rache nahmen. Der Terror der Freikorps bot einen Vorgeschmack auf das, was nach 1933 kommen sollte.

Die Weimarer Republik, so will es die offizielle Lehre, sei gescheitert, weil die demokratische Mitte von den extremen Kräften von links und rechts zerrieben worden sei. Im Gegensatz dazu zeigt uns das Schicksal der Märzrevolution, dass die politische Mitte, insbesondere die Parteispitze der SPD, schon ganz am Anfang der Weimarer Zeit im Bündnis mit der äußersten Rechten jene Kräfte blutig unterdrückte, die in den 1930er Jahren vielleicht dazu in der Lage gewesen wären, dem Aufstieg der Nazis etwas entgegenzusetzen.

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Die Ereignisse vom März 1920 im Ruhrgebiet wurden später oft verfälscht dargestellt und noch häufiger totgeschwiegen. Bis heute ist in den Schulbüchern kaum etwas über sie zu lesen. Den Mächtigen war und ist das Beispiel gewöhnlicher Menschen, die tatsächlich beginnen, ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen, stets ein Dorn im Auge gewesen.

Warum erinnern wir heute an diese Ereignisse? – Der Weltlauf ist nach wie vor eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft. Endlose Kriege, Flüchtlingsströme, Hunger und Elend trotz Überproduktion, Aufheizung der Erdatmosphäre, dramatisches Artensterben – die kapitalistische „Ordnung“ führt uns ihre Unvernunft tagtäglich vor Augen. Dass es genau hier, in unseren Straßen und Vierteln, vor hundert Jahren gar nicht so wenige Frauen und Männer gab, die entschlossen waren, diesem Weltlauf durch eine soziale Revolution in den Arm zu fallen, erinnert uns daran, dass diese Verhältnisse keine unabänderlichen Naturgegebenheiten sind. Die Trauer über die damals Ermordeten mag sich in Wut auf die fortbestehende Herrschaft und ihre Verteidiger*innen verwandeln. Einige Ideen der damaligen Aufständischen könnten heutigen sozialen Bewegungen Inspirationen geben, wie eine Gesellschaft jenseits des Staates und des Kapitalismus aussehen könnte, sodass nicht nach jedem Protestzyklus das alte Elend von Neuem beginnt. Und nicht zuletzt mag die Geschichte der Märzrevolution eine Warnung an heutige Antifaschist*innen sein, wie wenig Bündnisse zur „Rettung der Demokratie“ mit dem liberalen Staat und seinen Parteien geeignet sind, den Übergang zu autoritäreren Herrschaftsformen abzuwenden.

 

Termine:

20.3. Kundgebung: Auf zum Generalstreik! Die Erinnerung an die Märzrevolution wachhalten, für die soziale Revolution kämpfen! Ort: Kleppingstraße (am Brunnen) – Zeit: Freitag 20. März ab 17 Uhr

20.3. Vortrag: Sehnsucht nach einem freien LebenDortmund 1920: Generalstreik, Rote Armee, Vollzugsräte. Ort: Taranta Babu, Humboldtstr. 44, Dortmund – Zeit: Freitag, 20. März 2020, 20 Uhr

21.3. Filmvorführung: “Sie sind nur älter geworden. Ruhrkumpel erinnern sich.” Ort: Alibi, Holzstraße 12, Essen – Zeit: Samtag, 21. März 2020, 20 Uhr

22.3. Historischer Stadtrundgang: Auf den Spuren der “Märzrevolution” von 1920 Treffpunkt: Steinstr. 50 (vor der Steinwache), Dortmund – Zeit: Sonntag, 22. März 2020, 13 Uhr

28.3. Lesung aus dem historischen Roman “brennende Ruhr” Ort: Black Pigeon, Scharnhorststr. 50, Dortmund – Zeit: Samstag, 28. März 2020, 19 Uhr

Mehr auf unserer Sonderseite zum Thema hier: ruhr.dieplattform.org/100-jahre-maerzrevolution

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