Das anarchistische „Kapital“ – oder doch nur Murks?!
CrimethInc. 2014: Work. Kapitalismus. Wirtschaft. Widerstand. Unrast-Verlag: Münster. ISBN 978-3-89771-542-4 / 19,80 Euro – 350 Seiten
Nicht wenig will das Buch leisten: „Eines der charakteristischen Merkmale von >>Work<< ist der Versuch eine anarchistische – womit wir meinen: nicht-marxistische – Analyse der Ökonomie zu destillieren.“ (349). Es geht also darum, den Gegenstand – die Ökonomie, genauer: die Arbeit – korrekt zu bestimmen – so könnte man meinen.
Den Anarchisten „ist allerdings wichtiger, ständig und kollektiv unsere eigenen Analysen der Bedingungen zu verfeinern, die vor allem auf unseren eigenen Erfahrungen basieren, statt die Werke der Großen Männer der Geschichte zu studieren“ (349).
Diesen eigenen Erfahrungen wird dabei eine sehr eigentümliche Rolle zugesprochen: „Kein Mensch braucht einen Abschluss in Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre, um zu verstehen, was hier vor sich geht. Es reicht aus, einen Lohnscheck oder ein Kündigungsschreiben zu bekommen und aufmerksam hinzusehen.“ (9) Tatsächlich taugt weder ein BWL noch VWL-Schein oder Abschluss etwas, wenn Interesse daran besteht die Ökonomie zu verstehen – das allerdings liegt an den falschen Prämissen und Schlüssen dieser Wissenschaft (a) und nicht etwa an der behaupteten Trivialität der Ökonomie. Die hält der Autor ja selbst für kaum durchschaubar, weil „die ganze Komplexität“ (9) der Sache dazu führe, das jede Analyse „unvollständig bleiben“ muss. Aber dass man gar nicht so richtig wissen (kann) womit man es zu tun hat, macht gar nichts. Schließlich hat man seine Erfahrungen und die zeigen uns doch – ja was eigentlich? Erfahrungen sind erst mal nichts als Fakten. Wie sich Mensch die erklärt oder auch erklärt bekommt (VWL etc) macht den Witz einer Analyse aus.
Lohnabhängig zu sein reicht nicht aus, um bei einer Kritik des Lohns zu landen. Wer auf Lohn angewiesen ist, um leben zu können, ist erst mal praktisch auf den Lohn verpflichtet, kann ohne ihn nicht leben. Will man dagegen von der Notwendigkeit der Abschaffung des Lohns überzeugen, muss man gegen diesen praktischen Zwang der Alltagserfahrung ansprechen.
Würde die miese Lage der Lohnarbeiter bereits das richtige Urteil hervorrufen, hätte sich Marx die Arbeit am Kapital und CrimethInc. sich die Arbeit an Work sparen können.
I.
„Was genau ist Arbeit? Wir könnten sie als eine Tätigkeit definieren, die dem Zweck dient Geld zu verdienen. Aber sind Sklaverei und unbezahlte Praktika nicht auch Arbeit? Wir können daher sagen, es ist eine Tätigkeit, die für irgendwen einen Profit anhäuft, ob es nun der arbeitenden Person nutzt oder nicht. Aber bedeutet das, dass eine Tätigkeit sofort zu Arbeit wird, sobald du dadurch an Geld kommst, selbst wenn es vorher nur Spiel und Spaß war? Vielleicht könnten wir Arbeit als eine Betätigung definieren, die uns mehr nimmt als sie uns gibt, oder die uns von anderen aufgezwungen wird.“ (19)
Das Buch beendet seine Suche nach dem was Arbeit ist schon mit diesem kleinen Absatz. Zufrieden damit, Arbeit könnte etwas davon sein, wird sich nicht weiter darum gekümmert, von was genau im ganzen weiteren Buch eigentlich die Rede ist. Haben feudale Bauern nicht gearbeitet, weil keiner „Profit anhäuft“, wenn sein Hofstaat den Zehnten verfrisst? Ist etwas keine Arbeit mehr, wenn es vorher „Spiel und Spaß“ war oder noch ist?
Arbeit „nimmt“ und „gibt“? Und das soll auch noch von gleicher Beschaffenheit sein, nur quantitativ unterschieden - „mehr als“? Da würde man schon gerne erfahren, was das eigentlich sein soll. Das erfährt man aber nicht. Mehr nehmen als geben – furchtbar ungerecht – das genügt offenbar. Und Arbeit als „von anderen aufgezwungene“ Betätigung? Dann wäre nur Zwangsarbeit Arbeit und das Umgraben des heimischen Blumenbeets nur, wenn jemand mit dem Knüppel danebensteht.
Arbeit wird einmal im Buch (321) als „(lohn-)arbeiten“ näher gefasst. Allen anderen Geschichten und Analysen im Buch scheint es herzlich egal zu sein, ob von der Arbeit als Naturnotwendigkeit menschlicher Existenz gesprochen wird oder von der spezifischen Form, die Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft hat: „Vor langer Zeit, als es noch keine Stempelkarten und kein Kantinenessen gab, wurde alles ohne Arbeit erledigt“ (25). Also Arbeit gleich Lohnarbeit? Bekanntlich gab es aber nie eine Zeit, in der die Brathühnchen direkt in den Mund geflogen sind. Dann wieder, nur eine Seite später: „Mensch kann kaum bestreiten, dass Arbeit produktiv ist. Nur ein paar Tausend Jahre mit ihr haben die Oberfläche der Erde dramatisch verändert.“ (26)? Lohnarbeit gibt es aber noch nicht ein paar tausend Jahre: also doch Arbeit als Umwandlung von Naturstoffen für eigene oder fremde Zwecke? Dazu passte auch die Behauptung über den Kommunismus: „Selbst wenn die Arbeiter_innen die Regierung stürzen würden und ein kommunistisches Paradies erschaffen könnten, würden sie am Ende wieder vor der Arbeit stehen - wenn sie Glück [?] haben“ (19). Demnach handelt es sich für die Anarchisten auch dort, wo Arbeit uns nicht „mehr nimmt als sie uns gibt“, sondern geplant für die Bedürfnisse produziert wird, um Arbeit. Arbeit also gleich Naturnotwenigkeit? Dazu passt wieder der Schluss des Buches nicht: „Für die revolutionäre Abschaffung des Kapitalismus und der Arbeit selbst“ (350).
Die Flucht ins Subjektive rettet vor der Bestimmung der Sache: Wenn sie „uns mehr nimmt als sie uns gibt“, dann auf jeden Fall ist es Arbeit, und dann wollen es die Anarchisten nicht. Hier sind wir beim Kern des Buches.
II.
„Work“ erklärt von keinem der Gegenstände, die es behandelt, seine Funktionsweise. Alle genannten Gegenstände: Arbeit, Kapital, Justiz, Recht, Staat, Politik, etc. werden negativ behandelt, als Verhinderung von Autonomie und Selbstbestimmung, den anarchistischen Dogmen des guten Lebens.
Es wird kein Wort darüber verloren, was Justiz ist, sondern festgestellt, dass sie dem anarchistischen Projekt im Weg steht, und das dann als Grund und Absicht der Justiz behauptet: „Die Intention des Rechtssystems ist es, Menschen zu entmutigen selbstbestimmt zu agieren und sie davon zu überzeugen, dass sie nicht in der Position sind, für sich selbst zu entscheiden.“ (246) So wird der ganzen Justiz der Zweck untergeschoben, eigentlich nur dafür da zu sein, das anarchistische Ideal der Selbstbestimmung zu verhindern.
Arbeit ist „als eine Betätigung [zu] definieren, die uns mehr nimmt als sie uns gibt, oder die uns von anderen aufgezwungen wird.“ (19) Damit ist sie nicht mehr menschliche Tätigkeit mit einem Zweck sondern reine Negation des anarchistischen Ideals der Selbstbestimmung.
Das „einzige wozu sie gut sind, ist die Energie aus Basisbewegungen abzuziehen“ (58) ist daher konsequenterweise das Urteil über die Politiker – als ob Politiker keine eigenen Zwecke verfolgen würden und ihre einzige Bestimmung wäre, die Anarchisten aufzuhalten!
Der Chef will nicht Profit erwirtschaften und seine Belegschaft dafür ausnutzen, hat also ein Interesse, das zu deren Interesse an Einkommen in Gegensatz steht, sondern er ist ihr schlicht „im Weg“ (61) - natürlich bei der Verwirklichung eines anarchistischen Projekts.
Steuern sollen nicht die Zwecke des Staats finanzieren, die zu bestimmen wären, sondern haben Ungerechtigkeit zum Zweck: „Ähnlich wie beim Gewinn geht es bei der Erhebung von Steuern darum, den Wohlstand so gut es geht nach oben zu verteilen.“ (212)…
So lässt sich an jedem einzelnen Kapitel zeigen, dass nichts erklärt und doch alles besprochen wird - nämlich als Abweichung vom Ideal, das die Autoren sich von der Welt machen: Da soll es frei und selbstbestimmt zugehen. Ihr Urteil über die heutige Welt steht damit schon fest, die ist unfrei und fremdbestimmt. Eine „Analyse der Ökonomie“ ist damit freilich nicht geleistet. Eine solche müsste sich Rechenschaft darüber ablegen, welche Zwecke die Justiz verfolgt und erfüllt, was Kapital ist und was Arbeit nun eigentlich ausmacht.
III.
Diese Art der Weltanschauung produziert dann am laufenden Band Widersprüche. Die Analyse müsse, so wird betont, natürlich „unvollständig bleiben“, weil „die ganze Komplexität“ (9) schließlich so schrecklich schwer zu fassen sei. Vielleicht wäre es doch nicht schlecht, sich einen Begriff von diesen Bedingungen zu machen - vielleicht unter Zuhilfenahme der „Werke der Großen Männer der Geschichte“? Sonst stellt sich die Frage, warum mehr von solchem Unsinn ein vollständigeres Bild der Welt ergeben sollte:
„Heutzutage arbeiten die Menschen hart, keine Frage. Die Zugänglichkeit zu Ressourcen an die persönliche Leistung zu koppeln, hat nie dagewesene Produktivkraft und technologischen Fortschritt gebracht.“ (32) oder doch: „All das verdeutlicht das Lügen-Märchen der Leistungsgesellschaft – die Idee, dass Menschen Geld und Macht entsprechend ihrer Fähigkeiten anhäufen könnten.“ (61)?
„Vorsicht vor der ersten Person Plural! >>Wir haben den höchsten Lebensstandard in der Geschichte der Menschheit<< prahlt der Ökonom vor einer Leser_innenschaft, die darin nicht eingeschlossen ist“ (224) oder doch: „Unsere [!] Beziehung zur Umwelt ist katastrophal“ (277) – als ob Veganer Schlachtfabriken betreiben würden und Lohnarbeiter bestimmen, wie viel Gift in die Umwelt gepustet wird.
„Wir [!] identifizieren uns ungern mit unseren eigenen ärmlichen Leben. […] Die Zuschauerin identifiziert sich mit der Protagonistin des Films, der Lesen mit den Subjekten der Biographie, die Wählerin mit der politischen Kandidatin, der Käufer mit dem Modell aus der Werbung. […] Der Arbeiter identifiziert sich mit dem Kapitalisten.“ (223) oder doch „Klassenbewusstsein“: „Die jetzige Generation ist charakterisiert durch die Identifikation mit ökonomischen Rollen, die sich in alle Sphären des Lebens ausbreitet.“ (315)?
[…]
Lesetipps zum Thema:
Das Kapital von Marx
Arbeit und Reichtum vom GegenstandpunktVerlag. Eine ältere Version gibt es kostenlos als Download, das Buch mit dem gleichen Titel gibt es in jeder Buchhandlung zu bestellen:
http://www.gegenstandpunkt.com/gs/96/4/arb&reic.pdf
Mehr auf http://www.keinort.de
(a) Wer mehr wissen will zur Kritik der VWL: http://www.wissenschaftskritik.de/einfuehrung-in-die-volkswirtschaftsleh...