Arbeit und Wahn

Sie proklamieren das Recht auf Arbeit als ein revolutionäres Prinzip. Schande über das französische Proletariat! Sklaven nur sind einer solchen Erniedrigung fähig. 20 Jahre kapitalistischer Zivilisation müßte man aufwenden, um einem Griechen des Altertums eine solche Entwürdigung begreiflich zu machen!" Paul Lafargue 1883 über die Revolution von 1848

Gaston Valdivia - Arbeit und Wahn - Teil 1

 Ein Geschrei geht um die Welt: Wir wollen Arbeit, wir wollen Arbeit! Brave ArbeiterInnen und Angestellte werden unversehens radikal. Sie stürmen Konzernzentralen, besetzen Banken, blockieren Autobahnen, zertrümmern Mannschaftswagen und werfen mit Steinen nach PolizistInnen, als sei ihnen plötzlich die untertänige Biederkeit abhanden gekommen. Doch was so radikal eingeklagt wird, ist mehr als kläglich: Fern davon, das bedrohliche Gespenst zu sein, das einst die KapitalistInnen in Angst und Schrecken versetzte, flehen sie ihren Klassenfeind um Arbeit an. Beutet uns aus, erniedrigt uns, zerstört unsere Gesundheit, macht mit uns, was ihr wollt, aber gebt uns um Himmels willen Arbeit, lautet die Message der modernen SklavInnen. Daß sich bei so viel Erniedrigung der Rest der Gesellschaft nicht kollektiv übergibt, sondern vielmehr Beifall spendet, läßt sich nur verstehen, wenn man die Durchsetzungsgeschichte dieser merkwürdigen Universalplage betrachtet, die sich derzeit so viele Menschen an den Hals wünschen. Ihre Geschichte liest sich als endlose Aneinanderreihung von Grausamkeiten, Verstümmelungen, geistiger und materieller Armut, Disziplinierung, langsamer und schneller Tode, wovon der plötzliche Arbeitstod und Herzinfarkt nur mehr die originellere moderne Variante darstellen. Es verwundert daher kaum, daß ihr Begriff etymologisch ausschließlich auf Negativbestimmungen verweist: Arbeit von ,arbejioiz', im Germanischen die Mühsal, wiederum hergeleitet von dem germanischen Verb ,arbejo', soll heißen "bin verwaistes und daher aus Not zu harter Tätigkeit gezwungenes Kind." Die Arbeit im Lateinischen, ,laborare', gleichbedeutend mit Mühe, Anstrengung, oder "das Wanken unter einer Last". Und noch im Neuhochdeutschen drückt man im zusammengesetzten Begriff ,Mordsarbeit' den Sachverhalt recht treffend aus. (1) Die Sklaverei wurde verboten, Mord und Folter sind geächtet und werden verfolgt; man bekämpft die Armut - aber wie steht es mit der Arbeit? Es ist doch seltsam, daß sie, die häufigste unnatürliche Krankheits- und Todesursache bis heute ganz und gar frei ausgeht. Sie scheint in und um uns so omnipräsent geworden zu sein, daß sie als unhinterfragbares Naturphänomen wahrgenommen wird, das sich genauso wenig beseitigen läßt wie ein Herbststurm oder eine todbringende Dürre. Für die schaffenskräftigen Bürger alleinige Existenzberechtigung und Daseinsform schlechthin, ist sie für das betende Volk darüber hinaus göttliche Bestimmung.

 

Von der Tätigkeit zur Arbeit

 

Ein kurzer Ausflug in die Geschichte hilft, den Ursachen des kollektiven Arbeitswahns auf die Spur zu kommen. Daß Menschen schon immer die Natur zu ihren Zwecken umgeformt haben, ist banal und braucht nicht weiter betont zu werden. Daß es sich dabei schon immer um Arbeit gehandelt haben soll, wie heute von links bis rechts kolportiert wird, bestreiten wir dagegen energisch. Die ursprüngliche ,Umformung der Natur' durch Menschenwesen bildete eine unentwirrbare Synthese von körperlichen, geistigen, kultischen und fetischhaften Äußerungen, die eine von ihnen abgetrennte, eigenständige Sphäre der Arbeitstätigkeit weder kannte noch zugelassen hätte. Die allgemein üblichen Reproduktionstätigkeiten vollzogen sich in der Regel in einer gemächlichen, dem jeweiligen Lebensrhythmus weitestgehend angepaßten Atmosphäre. Fehlendes künstliches Licht, Wechsel der Jahreszeiten und die Launen des Wetters beschränkten die Betätigungen auf natürliche Weise. Mit dem Aufkommen der monotheistischen Religionen sollten zahllose Feiertage den Tätigkeitsspielraum noch weiter einschränken. Erstmals mit der Sklaverei in den sogenannten frühen Hochkulturen entstanden gesonderte Produktionsbereiche, in denen die Unterjochten zu dauerhaften und einseitigen Tätigkeiten in Bergwerken, bei der Erbauung von Kultstätten, an den Rudern der Galeeren und ähnlichem verdammt wurden. Doch der Großteil der Unfreien, zumeist Haus- und LandsklavInnen, betätigte sich in der Regel - nicht anders als die Freien - auf vielfältigste Art und Weise und pflegte seine oder die Bräuche seiner Herrschaften. Soweit in der Sklaverei und zum Zweck militärischer ,Massenproduktion' Tätigkeiten entstanden, die ihrer Form nach die Arbeit schon antizipierten, unterlagen sie der allgemeinen Verachtung und galten als sklavisch, erniedrigend, leidvoll und geistlos. Im letzten Jahrhundert vor Christus besang der griechische Dichter Antiparos deshalb begeistert die Erfindung der Wassermühle, die die Mädchen vom Getreidemahlen befreite: "Laßt uns leben das Leben der Väter, und laßt uns der Gaben arbeitslos (2) uns freu'n, welche die Göttin uns schenkt." (3)

 

Befreiung in der Arbeit

 

In den antiken Stadtstaaten noch inzipient und marginal, kamen im Mittelalter einige auf den Warentausch ausgerichtete Tätigkeiten auf, die sich ganz allmählich aus der üblichen Lebensgestaltung herauslösten und sich nach den langsam aufkommenden Marktgepflogenheiten zu modellieren begannen. Auch die fürstliche Berufung zu besonderer, mit barer Münze entgoltener Tätigkeit kann ihrem Wesen und ihrer Form nach als eine der ersten Arbeiten gelten. Doch die religiösen Feudalstrukturen mit ihren Bräuchen, sittlichen und moralischen Maßstäben, ihren großen Familienverbänden sowie die allgemeine Verachtung der "leidvollen, sklavischen Tätigkeiten" und des Gelderwerbs setzten der Produktion für das Marktgeschehen enge Grenzen und blockierten so einen Aufbruch in die Zukunft der Arbeit. Das war so gar nicht nach dem Geschmack der geldorientierten Vorhut aus Kaufleuten, HandwerkerInnen, bezahlten Scharlatanen und nicht zuletzt zahlreicher Feudalherren selbst, die eine Ausdehnung der Tätigkeit für den Warentausch gern gesehen hätten.

 

Bevor die feudalistischen Hindernisse mit Waffengewalt aus dem Weg geräumt werden konnten, mußten all die leidvollen Tätigkeiten vom negativen Image befreit und im Gegenzug Verschwendungssucht, unproduktiver Müßiggang und simple Geldabpressung verdammt werden. Gott sei's gedankt, ein stimmgewaltiger bärtiger Mann namens Luther trat auf die Geschichtsbühne und führte diesen ideologischen Kampf an. Der Protestantismus war geboren und mit ihm die Religion der gottgefälligen ,arbejioiz', der "Mühsal, Not, die man leidet oder freiwillig übernimmt". Nur wer selber leidet (arbeitet), sollte Gottes Segen zu spüren bekommen und ein Recht auf Nahrung haben, so das lutherische Credo für die künftige bürgerliche Arbeitswelt. Das Werterad drehte sich, drückte Geist, Frohsinn, Verschwendung und Muße in den Staub und ,adelte' die aufkommende Arbeit. Angepaßter Lebensrhythmus wandelte sich allmählich zu kostbarer Arbeitszeit und Untätigkeit zu verschwendeter Zeit. "Der Protestantismus, diese den neuen Handels- und Industriebedürfnissen der Bourgeoisie angepaßte Form der Kirche, kümmert sich wenig um die Erholung des Volkes; er entthronte die Heiligen im Himmel, um ihre Feste auf Erden abschaffen zu können", pointierte der erklärte Arbeitsfeind Paul Lafargue diesen Sachverhalt (ebenda, S. 33).

 

Geld zu Arbeit, Arbeit zu Kapital

 

Doch der eigentliche Durchbruch der Arbeit kam erst mit der ,Idee', das Geld durch bezahltes fremdes ,Leiden' zu vermehren. Altar und Tausch verschmolzen zur Ideologie der Marktwirtschaft, die dieser neuen Gepflogenheit Sinn und Segen gab. Geld zu Arbeit und Arbeit zu Kapital. In den manufakturellen Laboren der ,Geldproduktion' bewährte sich alsbald die Lohnarbeit als lebendige Triebkraft eines unaufhaltsam akkumulierenden und expandierenden Kapitals. Die französische Revolution schaffte endlich den adäquaten rechtlich-institutionellen Rahmen, um die kapitalistische Akkumulation so richtig in Gang zu bringen. Sie "befreite nun die Arbeiter vom Kirchenjoch, um sie um so strenger unter das Joch der Arbeit zu spannen", so Lafargue (ebenda, S. 33 ). Von den alten Hindernissen befreit, konnte jetzt so richtig die grausame Zurichtung von Mensch und Gemeinschaft auf die Erfordernisse des marktwirtschaftlichen Äquivalenzprinzips und des monotonen Arbeitslebens beginnen. Zuchthäuser, Schulen, Arbeitsstätten, Industrieschulen, Klerus und Militär peitschten Zeitsinn und Disziplin ein (4) und exorzierten Muße und unbekümmerten Genuß. Die Arbeit entfaltete und universalisierte sich, produzierte die Gesellschaft als einen Zusammenhang indirekt vergesellschafteter Subjekte und richtete sich schließlich ihrer Form nach als eigenständige Sphäre in ihr ein. Die neue Welt war gespalten in Privatheit und Öffentlichkeit und brachte weitere Sphären wie Recht, Politik, Ordnungsmacht, Gesundheit, Ökonomie etc. hervor, die der Gewährleistung der Arbeitsverwertung dienten. Den Großteil der Tageszeit an besondere Arbeiten gefesselt, mußten sich andere um die allgemeinen Angelegenheiten kümmern, deren Bewältigung sich alsbald selbst in die Form partikularer, ungesellschaftlicher Arbeit goß. Arbeitszeiten, die jedem und jeder antiken SklavIn einen Schauer über den Rücken gejagt hätten, machten es den ArbeiterInnen unmöglich, sich ihren Lieben und sich selbst in Muße zu widmen. Die bürgerliche Rollenzuschreibung feierte fröhliche Urständ: Sie degradierte die Frau zur häuslichen Sklavin für die Arbeitskraftreproduktion des Mannes und zu dessen seelischem Mülleimer; sie erfand die hingebungsvolle, liebende Gattin und Mutter und nannte dies natürliche Bestimmung. Verdammt zur grausamen Einsamkeit des individuellen Gelderwerbs, standen sich nun mehr und mehr Menschen als unversöhnliche Konkurrenten um Existenzrechte gegenüber, objektiv voneinander getrennt, nur für sich zuständig und verantwortlich. Die Glaubensgewißheit und festgefügte Ordnung des Feudalismus mußte einer neuen, allgegenwärtigen und permanenten existenziellen Verunsicherung weichen.

 

Sozialismus, die Fortsetzung des Protestantismus mit anderen Mitteln

 

Was Kirche und Bourgeoisie begonnen, setzte die Arbeiterbewegung mit unausgesetztem Impetus fort. Gegen ihre Ausbeutung führte sie nun einen säkularisierten Protestantismus in Gestalt der sozialistischen Ideologie ins Feld. Opfer der kollektiven Vergeßlichkeit, konnte sie sich ein Leben jenseits der Arbeit nicht vorstellen. Folgerichtig sollten lediglich die KapitalistInnen abgeschafft werden, um der Arbeit den Ausbeutungscharakter zu nehmen und sie weniger leidvoll gestalten zu können. Wieder fanden sich Geist und Intellekt, Muße und Schlendrian an den Pranger gestellt und jede unproduktive Arbeit geächtet. Es verwundert deshalb nicht, daß sich die Arbeiterschaft, diese "selbst nur besondere Existenzweise des Kapitals" (Marx, MEW 23, S. 353), samt ihrer geistigen Führung, bevorzugt auf jene Aussagen von Marx und Engels beriefen, die ihre arbeitsethischen Vorstellungen untermauerten. Nur wenige wollten oder konnten die Marxsche Ambivalenz hinsichtlich der Kategorie der Arbeit erkennen. Auch wenn er von der Arbeit als "ewiger Naturnotwendigkeit" sprach, so war doch zumindest klar, daß er damit nicht die Lohnarbeit meinte. Diese wollte er eindeutig abgeschafft sehen: "Es ist eins der größten Mißverständnisse, von freier, gesellschaftlicher menschlicher Arbeit, von Arbeit ohne Privateigentum zu sprechen. Die ,Arbeit' ist ihrem Wesen nach die unfreie, unmenschliche, ungesellschaftliche, von Privateigentum bedingte und das Privateigentum schaffende Tätigkeit. Die Aufhebung des Privateigentums wird also erst zu einer Wirklichkeit, wenn sie als Aufhebug der Arbeit gefaßt wird".(5)

 

Die unermüdlich voranschreitende Arbeitsverwertung brachte bald mächtige Industrienationen hervor, hinter denen immer mehr Regionen der Erde zurückblieben und zu kolonialen Plünderungsreservoiren herabgedrückt wurden. Gewaltige Revolutionen erschütterten den Globus und konstituierten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sozialistische Staaten, die fortan danach trachteten, Anschluß an die entfesselte und unermeßliche Reichtumsproduktion der kapitalistischen Mächte zu bekommen. Eine nachholende, beschleunigte Akkumulation wurde in Gang gebracht, die der ursprünglichen hinsichtlich Grausamkeit bei der Durchsetzung von Lohnarbeit und Zeitdisziplin in nur wenigem nachstand. Abermillionen Menschen wurden aus der bäuerlichen Subsistenzwirtschaft herausgerissen, um als LohnarbeiterInnen die aus dem Boden gestampften Fabriken zu alimentieren. "Der russische Mensch ist ein schlechter Arbeiter im Vergleich mit den fortgeschrittenen Nationen (...). Arbeiten lernen - diese Aufgabe muß die Sowjetmacht dem Volk in ihrem ganzen Umfang stellen", so der verzweifelte Lenin, der angesichts der drückenden Notwendigkeiten und dem Zustand seiner real existierenden Völkerschaften allmählich seine Hoffnungen auf eine kommunistische Zukunft dahinschwinden sah. Auch diesmal bedurfte es einer Religion, um dem Ganzen Sinn und Zukunftsaussicht zu geben. Wie einst Luther, setzte Stalin eine Religion der Arbeit in die Welt, die als ,Marxismus-Leninismus' in die Geschichte eingehen und von zahllosen "Zuspätgekommenen" übernommen werden sollte.

 

Moderne Arbeitswelt

 

Aufgrund von technischen Errungenschaften und einer fortgeschrittenen Arbeitszerlegung konnte den vereinseitigten ArbeiterInnen bald ihr stählernes "Ebenbild" zur Seite gestellt werden. Folgerichtig schmückte man diese mechanischen ArbeiterInnen mit dem russischen Namen ihrer lebendigen Vorbilder: Roboter, hergeleitet von ,Knecht', ,Diener' oder ,Sklave'. Industrielle Automation, rasant wachsender stofflicher Reichtum und schließlich wachsende KonsumentInnenheere, die bedient werden wollten, erforderten immer neue, qualifiziertere Arbeiten, verlangten nach Bildung, Wissenschaft und Forschung. Immer weiter fächerte sich die Arbeitswelt in Spezialgebiete auf und hinterließ dennoch gewaltige Residuen von Monotonie, Einseitigkeit und körperlicher Plackerei. Doch wie immer ihre gesellschaftlichen Durchgangsstadien bezeichnet werden mögen, als ,tayloristisch', ,tertiär', ,modern' oder ,postmodern' etwa; ob die Menschen geistig oder manuell tätig waren und sind, ob lohnabhängig oder selbständig; ob sie als ManagerIn oder LehrerIn ihr Dasein fristen; ob sie sich zur Arbeit berufen fühlen oder diese lediglich als lästigen Job begreifen: An Doppelcharakter und Unbedingtheit der Arbeit hat sich substantiell nichts geändert. Als abstrakte konstituiert sie jene Form indirekter Vergesellschaftung, die sich unabhängig vom individuellen Willen hinter dem Rücken der ProduzentInnen durchsetzt und beständig unverrückbare Sachzwänge erzeugt. Den Einzelnen oktroyiert sie sich als einzig mögliche Art der Existenzsicherung und hält sie in ihrem jeweiligen Arbeitsmikrokosmos gefangen. Sie zwingt sie so dazu, sich als unversöhnliche Konkurrenzsubjekte auschließlich um das eigene Fortkommen zu bemühen, immer nur für sich selbst verantwortlich und deshalb für andere prinzipiell nicht zuständig. Sie hat sich zum "automatischen Subjekt" (Marx) über die Menschheit erhoben und bestimmt deren Geschicke. Moral, Ethik und Ideologie fungieren als Sinnstifter und notwendiges Korrektiv für die dieser "phantasmagorischen" (Marx) Gesellschaftsform innewohnenden automatischen Vernichtungslogik. In ihrer konkreten Gestalt ist sie Lebenssinn und Plage zugleich. Sie verlangt nach Identifikation und stößt zugleich beständig ab. Sie nimmt den größten Teil der Lebenszeit in Beschlag und drückt auch dort, wo sie nicht wertproduktiv ist, ihren Formstempel auf. Ob im Bodybuildingstudio, im Hobbykeller, unter gleißender Sonne oder im Haushalt, nahezu überall dominieren ihre Maßstäbe. Ehrgeiz, Ausdauer, Selbstdisziplinierung, Motorikrationalisierung, Hetze, Leistungswahn und Äquivalenzdenken steuern selbst die intimsten Lebensäußerungen. "Gib mir deinen Saft, ich geb dir meinen..." besingen die ,Fantastischen Vier' den modernen Äquivalenz- und Leistungssex. Statt Muße herrscht Ruhe als Mittel der Regeneration, und Faulheit stellt nur die unproduktive Kehrseite der Arbeit dar. Und was macht der inzwischen vielbeschworene bewußte Genußmensch, der Hedonist? Er wähnt sich frei und individuell, weil er die Markt- und Arbeitszwänge "genüßlicher" als seine Konkurrenten exekutiert. Der moderne Arbeitsmensch ist einsichtig und treibt sich zumeist selber an. Peitsche und radikale Arbeitsideologien haben ausgedient. Am meisten stört ihn, so die Umfragen, wenn andere weniger arbeiten als er und sollten ein Kollege oder eine Kollegin morgens zu spät zur Arbeit erscheinen, schallt ihnen, zumindest in Deutschland, unüberhörbar das kollektiv ausgerülpste "Mahlzeit!" entgegen.

 

Aufhebung oder Barbarei

 

Widerspruch gegen verschiedene Momente der Arbeit hat es immer gegeben. Doch erst Marx legte eine umfassende Kritik ihres Wesens und der von ihr erzeugten Totalität vor, die, wie oben angeführt, von seinen Jüngern und Jüngerinnen schnell zurechtgestutzt und schließlich begraben wurde. Heute überwiegt eine Kritik, die diesen Namen nicht verdient hat. Durch Umgestaltungen und Bereicherungen sollen die Sinnhaftigkeit der Arbeit bestärkt und die Moral hochgehalten werden. Durch Flexibilisierung und Verkürzung wird versucht, sie auf möglichst viele Köpfe zu verteilen und zugleich ihren Effizienzgrad zu erhöhen. Ein ganzer Arbeitskosmos aus Arbeitssphäre, existenzieller Arbeitsabhängigkeit, Arbeitsethik wie Arbeitssozialisation hält die Mehrzal der Menschen bisher in ihrem Arbeitswahn gefangen und hindert sie daran, ihm auch nur gedanklich zu entfliehen. Die mit der Wohlstandsgesellschaft eingetretenen partiellen Einbrüche in Arbeitsethik und -moral, die als Basis für eine Kritik der Arbeit unbedingt zu begrüßen waren und sind, geraten unter dem Druck der anschwellenden Arbeitslosenheere in den Hintergrund und scheinen sich ganz zu verflüchtigen. Ketzerisches haftet ihnen an. Selbst den freudigsten ArbeitsverächterInnen vergeht derzeit die Stänkerlaune.

 

Dabei sind die Bedingungen für eine fundamentale Kritik der Arbeit so günstig wie noch nie, denn der Kapitalismus hat definitiv mit seiner Selbstuntergrabung begonnen, indem er, von der mikroelektronischen Revolution angetrieben, sowohl die wertproduktive abstrakte wie die konkrete Arbeit in all ihren Varianten sukzessive abschafft. Die Arbeit hat ihre ,zivilisatorische Mission' erfüllt, insofern sie mit ihrer ungeheuren technischen und geistigen Produktivkraft den Grundstein für die Möglichkeit einer müßigen, kreativen, in selbstgewähltem Rhythmus vollzogenen und von allen bewußt geplanten, direkt gesellschaftlichen Lebensgestaltung gelegt hat. In dieser Hinsicht und nur in dieser, kann sie ex post als ein historisch notwendiges und progressives Durchgangsstadium gelten. (6)

 

Da die in Gang gesetzte kapitalistische Dynamik immer nur weiter in eine moderne Barbarei treibt und keineswegs in die von uns gewünschte, mögliche sonnige Zukunft, geht es nun mehr darum, das begonnene Werk auf eigene Weise zu vollenden, indem diese destruktive Form überwunden wird. Das kann nur heißen, die Arbeit radikal zu kritisieren und den durch Arbeit- und Tauschökonomie versperrten Zugang zu den stofflichen und geistigen Potenzen praktisch freizumachen. Soll es nicht in die Barbarei gehen, müssen der Kampf um die Definition einer "revolutionären Modernität" (7) und deren energische Durchsetzung auf die Tagesordnung gesetzt werden.

 

Gaston Valdivia - Arbeit und Wahn - Teil II

 

„der eurofighter ist unsere zukunft!“

 

„Es kann (...) nichts falscher und abgeschmackter sein, als auf der Grundlage des Tauschwertes, des Geldes, die Kontrolle der vereinigten Individuen über ihre Gesamtproduktion vorauszusetzen.“ Karl Marx

 

Nahezu ungebrochen herrscht der volkswirtschaftliche Aberglaube, durch mehr innovative Investitionen könnte der Arbeitsgesellschaft noch einmal auf die Sprünge geholfen und ihr chronischer Arbeitsplatzmangel behoben werden. Zwar dringt die Tatsache ins Bewußtsein, daß Investitionen heute vorwiegend der Rationalisierung dienen und unablässig Arbeitsplatzverlust mit sich bringen, der Glaube bewahrt aber vor der tieferen Einsicht, es könne sich dabei um einen irreversiblen, globalen Prozeß handeln, dem mit Opferkerzen, Arbeitszeit- und Kostenjonglieren nicht mehr beizukommen ist. Beizukommen ist dem Glauben leider auch nur schwer und so hält sich hartnäckig das Gerücht, man habe es zwar mit einem gräßlichen, aber nur vorübergehenden Spuk zu tun. Alles wird gut!

 

Die heilige Konjunktur

 

Folglich konzentrieren sich die Hoffnungen der um die allgemeine Volksgesundheit besorgten EntscheidungsträgerInnen und deren ExpertInnen auf die sakrosankte Konjunktur, die durch Lohn- und Lohnnebenkostensenkung, Arbeitszeitflexibilisierung, Steuerreformen und neue Branchen soweit angekurbelt werden soll, daß alsbald alle BürgerInnen wieder in den (zweifelhaften) Genuß von Arbeit kommen könnten. Obwohl die Konjunktur kaum als Indikator für Wohlstand und Arbeitsmarktlage taugt, starren die ÖkonomInnen und PolitikerInnen gebannt auf ihre Entwicklung und knüpfen ihre Heilserwartungen an sie. Man erwartet, daß mit höheren Gewinnen ausgestattete Unternehmen in Dienstleistungen, Genlabors, Hightechcenter und Umweltprojekte investieren, sich den globalen Marktbedingungen flexibler anpassen und so der Konjunktur den ultimativen Kick verpassen. Horst Afheldt merkt dazu lakonisch an: „Millionen heute Arbeitslose werden aber kaum an Genen herumfummeln”.(8) Anhand der Entwicklung der Arbeitsplatzentstehung und des Sozialprodukts der letzten 30 Jahre rechnet er vor, daß es bei einem steten Konjunkturwachstum von 5,5% nicht weniger als 120 Jahre dauern würde, bis die heute allein in Deutschland fehlenden 6-7 Mio. Arbeitsplätze geschaffen wären. Und das auch nur unter der Voraussetzung unveränderter Demographie und Produktivkraftentfaltung ohne Krisen, Hyperinflation und andere realiter zu erwartende Turbulenzen.

 

Die Logik ,Investitionen gleich mehr Arbeitsplätze’ hat ihre Gültigkeit im Fordismus gehabt, heute hat sie sie verloren. Je reichlicher den Unternehmungen Geldkapital zur Verfügung steht, desto rascher setzen sie ‚arbeitsfreie’ Innovationen durch. Das übrige Vermögen kann und wird ausgiebig zur spekulativen Vermehrung in die bislang recht lukrativen Geld-, Kapital- oder Devisenmärkte gepumpt. Welches klassische Unternehmen oder welcher ‚selbstverwaltete Betrieb’ wird so töricht sein, unnötige Arbeitsplätze zu schaffen, statt sich künftige Konkurrenzvorteile durch Einsatz von Hightech und lean-management zu verschaffen? Wenn sich die gesellschaftlich relevanten Kräfte also weitgehend darin einig sind, die Kosten für Arbeit zu senken, damit die daraus resultierende Ausbeute investiert werden kann, wirken sie geradezu blind an der Durchsetzung des Gegenteils ihrer arbeitsmarktpolitischen Intentionen mit. Nicht anders ergeht es den AnhängerInnen der Nachfrageschule keyensianischer Herkunft, teils in der SPD, den GRÜNEN oder Alternativkreisen beheimatet, deren Augen ebenfalls gebannt an den Konjunkturkurven haften. Durch Schaffung kaufkräftiger Nachfrage via höhere Löhne, Arbeitsumverteilung und verbesserte Transfereinkommen glauben sie der Misere besser beikommen zu können. Doch auch dieserart induzierte Gewinne werden natürlich in Rationalisierungen gesteckt und zaubern keine neuen Arbeitsplätze her.

 

Das alternative Wunschpotpourri

 

Auch die gutgemeinten Konzeptionen von alternativen WirtschaftswissenschaftlerInnen und SoziologInnen erweisen sich rasch als illusorisch. Gefordert werden qualitatives, angepaßtes Wachstum, drastische Arbeitszeitverkürzung und eine Vermögensumverteilung von oben nach unten. Ein starker Sozialstaat und eine zu ihrer ‚ursprünglichen’ Funktion zurückgekehrte Politik sollen dieses Programm im Verbund mit den verschiedensten gesellschaftlichen Interessensgruppen wuppen. Die aus drastischer Senkung der Arbeitszeiten bei begrenztem Lohnausgleich resultierenden Gewinne dürften nicht mehr in erster Linie den KapitaleignerInnen zugute kommen, sondern sollten der kulturellen und sozialen Betreuung des Volkes dienen, das die nun hinzugewonnene Freizeit ausfüllen müßte. Gern wird dieses Wunschpotpourri als realistische Alternative oder positive Utopie auf dem Boden der Marktwirtschaft angepriesen. Das klingt seriös und soll davor bewahren, ins Abseits linksradikaler Spinnereien gestellt zu werden.

 

Unbekümmert wird die längst von der realsozialistischen Wirklichkeit ad absurdum geführte Vorstellung weiter transportiert, man könne den Markt durch gelenkten Einsatz von Geld und Ressourcen in den Griff bekommen und nach eigenem Gusto gestalten. Wie bei allen anderen marktwirtschaftlichen Strömungen auch, halten sie Geld für ein notwendiges und nützliches Mittel zur Ressourcenallokation und nehmen lediglich seine praktischen Funktionen, Tauschmittel, Recheneinheit und Wertmaßstab zu sein, wahr. Dabei wird gründlich verkannt, daß im Geld das chaotische wie bewußtlose gesellschaftliche Verhältnis von einander durch abstrakte Arbeit vermittelten und zugleich getrennten Individuen dinglich dargestellt ist. Geld ist daher kein bloßes Ding, das sich den eignen Wünschen gemäß als Steuerungsinstrument einsetzen ließe, sondern vielmehr die verselbständigte ‚automatische Macht’, die die Menschen zu ‚handelnden Objekten’(9) degradiert. Wer nun meint, die Gesellschaft über den Markt erfolgreich planen zu können, erweist sich als Opfer der bürgerlichen ,Illusion des freien Willens’, wie Marx es einmal treffend ausgedrückt hat.

 

Auch bleiben die getrennten Sphären Staat, Politik, Arbeits- und Freizeit, Recht, Ökonomie etc. in den Modellen unangetastet – sie sollen lediglich moralisch und ethisch anders besetzt werden. Die strukturell verursachte menschliche Vereinseitigung wird nur partiell kritisiert, die Arbeitsethik bleibt gänzlich unberührt. Sie erhält im Gegenteil eine vermeintlich ganz neue, realiter uralte, sinnstiftende Bedeutung. Hinzu kommt, daß alle postulierten Umverteilungsmodelle eine stabile Nationalökonomie voraussetzen und damit zwangsläufig zwischenstaatliche Konkurrenz implizieren. Nicht zufällig titelt eine aus christlich-alternativer Feder stammende Zukunftsvision ,zukunftsfähiges Deutschland’, statt beispielsweise ,zukunftsfähige Welt’. Vor dem Hintergrund schrumpfender Wertmassen läßt sich staatliche Prosperität aber nur noch zu Lasten von Weltmarktverlierern erzielen.

 

Mit erschreckender Naivität hinsichtlich Marktmacht und deren Garanten meinen die AlternativökonomInnen ihre Konzepte durch Überzeugungsarbeit, andere Wahlergebnisse, Basisinitiativen und Gewerkschaften in die Tat umsetzen zu können. Doch obwohl es sich um keine die Marktwirtschaft transzendierenden Alternativprogramme handelt, würde ihre Durchsetzung doch eine Bewegung von gewaltigen Dimensionen erfordern, wie sie sie selbst im Traum nicht erahnen. Eine solche könnte sich auch gleich gegen das ganze Kapitalbrimborium richten und ihm den Garaus machen. Man fährt ja auch nicht mit dem Bagger auf die Wiese, nur um ein einzelnes Unkräutchen zu rupfen.

 

Die Überflüssigen müssen weg

 

Da bisher alle Maßnahmen zur Behebung der Arbeitsplatzmisere versagen und sich kaum jemand so recht für die ‚realistischen Utopien’ alternativer Provenienz begeistern kann, gehen die EntscheidungsträgerInnen derweil pragmatisch auf dem Weg des geringsten Widerstandes vor. Der gesunde Menschenverstand suggeriert, die Arbeitskräfte seien überflüssig, nicht die Marktwirtschaft. Was also liegt näher, als den nationalen Markt von ihnen zu ‚säubern’? Beflügelt von Ausländerfeindlichkeit und rassistischen Ressentiments haben Staatsapparat und Politik das nötige Klima für die Jagd auf Nichtdeutsche und ‚fremd’ Aussehende geschaffen. Sozialdarwinistische Literatur wird wieder populärer, um die Ausgrenzungsintentionen entsprechend wissenschaftlich untermauern zu können. Gewerkschaftsbosse wie Zwickel von der IGM fordern AusländerInnenquoten, um „den Arbeitsmarkt zu entschärfen”. Jahrelange Arbeitsquarantänen für AsylbewerberInnen und zugereiste Familienangehörige sind durchgesetzt, und an der Oder ertrinken von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt die Flüchtlinge, die von Zäunen und Wächtern am Betreten deutschen Bodens gehindert werden. (Auf Zaunprozesse werden wir allerdings vergeblich warten.) Die maliziöse Visumspflicht für in Deutschland geborene Kinder von Menschen ohne deutschen Paß könnte sich künftig als nützliche Abschiebungsmöglichkeit erweisen, falls dies arbeitspolitisch sinnvoll erscheinen sollte. Auch macht sich in manchen Kreisen seit längerem die Ansicht breit, Frauen sollten wieder ihrer ‚natürlichen Bestimmung’ gehorchen und am heimischen Herd bleiben.

 

Längst schon geistert in vielen Köpfen die Frage umher, ob RentnerInnen, ,Behinderten’, SozialhilfeempfängerInnen oder Arbeitslosen überhaupt ein Existenzrecht zustehe. Sich inflationär verbreitende entsprechende Witzeleien gehören längst zur täglichen Erheiterung des tristen betrieblichen Alltags. Flankierende rechtlich-repressive Maßnahmen gegen die störenden Überflüssigen und informellen MarktteilnehmerInnen werden in atemberaubender Geschwindigkeit durchgesetzt, beklatscht vom Pressemainstream und law-and-order-BürgerInnen.

 

Überflüssige Arbeitszeit statt Müßiggang

 

Emanzipatorische Perspektiven sind nur noch jenseits von Geld und Arbeit realisierbar. Gedanklich lassen sie sich nur ausgehend von der kritischen Analyse des Bestehenden entfalten. Die Kritik an Wesen und Wirkung der Arbeit möchte ich noch um eine Kritik der Bestimmung zahlloser besonderer Tätigkeiten erweitern, die in einer direkt vermittelten Gesellschaft schlicht überflüssig wären, heute aber in gigantischem Ausmaß Zeit ‚binden’. Damit gerät das Phänomen der Zeit ins Visier,(10) dessen Entschlüsselung zugleich auf Möglichkeiten einer müßigen Lebensgestaltung hinweist. Zeit kann ebensowenig wie die Arbeit als überhistorische, universelle Kategorie begriffen werden, da sie als Resultat einer spezifischen Herstellung von Realität und entsprechender Denkweise dechiffrierbar ist. Im entwickelten Kapitalismus erlangt sie als Substanz der abstrakten Arbeit quasi reale Macht über die Menschen und ‚weist’ ihnen, in unterschiedlichem Maße, Herrschaft durch Verfügungsgewalt über Zeitquanta zu. Aufhebung von Geld/Arbeit bedeutet also zugleich die ‚Befreiung von der Zeit’. Zeit ‚strukturiert’ die Gesellschaft, indem sie sich in Arbeit ‚bindet’. Grob geschätzt dienen 80% der kollektiven ‚Lebensarbeitszeit’ in den westlichen Industrienationen der Erhaltung des selbstreferenziellen Prozesses der Kapitalverwertung. Mit anderen Worten, sie erfüllen einzig und allein den Zweck, die indirekte Verteilung der Waren zu gewährleisten.(11)

 

Als Beispiel seien hier allein die unzähligen Arbeitstätigkeiten im Warenhandel, dem Finanz-, Bank- und Versicherungswesen, Abrechnungswesen, zur rechtlichen und politischen Flankierung, zur Sicherung des Geldes, Ausbildung und Kindererziehung (12) herausgegriffen. Gleichzeitig werden horrende stoffliche und räumliche Ressourcen verbraucht, nebst unzähliger Arbeitsstunden zu ihrer Bereitstellung. Man denke an die verbauten Flächen für Büros, Handel, Banken, Verwaltung etc. und die gesamte dazugehörige materielle Logistik. Eine Gesellschaft, die sich vom Tausch emanzipiert hätte, bedürfte all dieser Arbeiten und Ressourcenaufwendungen nicht mehr. Deren Wegfall würde erheblich zum Machtverlust der Zeit beisteuern und ihre ‚Auflösung’ in einen kreativen Müßiggang befördern. Nicht als universeller Maßstab des Lebensrhythmus, sondern bestenfalls als praktische Maßeinheit unter vielen würde sie noch ein ungefährlicheres Dasein fristen.(13)

 

Ohne Zwang zur abstrakten Quantifizierung von konkreten Tätigkeiten, ohne Zeitdiktatur und vereinseitigende Arbeit wäre endlich das Tor zu einer müßigen Lebensgestaltung ohne Mangel geöffnet. Von einem Bilderverbot halte ich nicht viel. Die Wege aus der Arbeitsgesellschaft ergeben sich weder von selbst, noch entsteht eine neue Gesellschaft naturwüchsig. Neben der Kritik an den bürgerlichen Ausdrucksformen kommt es deshalb darauf an, nach in der Gesellschaft vorhandenen geistigen und materiellen Potenzen zu scannen, die für ihre gründliche Revolutionierung fruchtbar gemacht werden könnten. Sie bilden das Substrat notwendiger Überwindungsansätze.(14) Aufspüren lassen sie sich nur im dialektischen Spannungsverhältnis von herrschender Gesellschaft, Kritik, Begehrtem und Denken des Möglichen.

 

Gaston Valdivia

 

Literatur:

 

Kurz, Robert: Antiökonomie und Antipolitik. In: Krisis 19;Trenkle, Norbert: Weltgesellschaft ohne Geld. In: Krisis 18;Trenkle, Norbert: Chips statt Schrebergärten. In: Schwerpunkt Utopie der Blätter des Iz3W, Mai 97

 

 

Fußnoten:

(1) Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, München 1995, S. 55 ff.

(2) Die Verwendung der Begriffe "arbeitslos" oder "Arbeit" in Texten antiker Dichter und Denker beruht im Grunde auf falschen Übersetzungen bzw. Interpretationen, die auf einer typisch bürgerlichen Übertragung des Arbeitsbegriffs in antike Sprachen und Lebenswelten beruht.

(3) Antiparos, zit. in Paul Lafargue: Das Recht auf Faulheit, Frankfurt/M. 1966, Seite 32.

(4) Die "Zeit" ist, salopp formuliert, eine "Erfindung" der bürgerlichen Arbeitsgesellschaft. Sie kommt mit der Tauschökonomie in die Welt und universallisiert sich mit der kapitalistischen Lohnarbeit. Einerseits Grundlage des Wertes, Abstraktion von konkreter Arbeit auf Zeit, wird sie andererseits erst mit der Expansion des Wertes durch Lohnarbeit zu einer "gesellschaftlichen Realkategorie". Dialektisch: Zugleich Grundlage und Resultat des prozessierenden Kapitalverhältnisses. Zum Thema Zeitvergesellschaftung verweise ich auf meinen Aufsatz "'Zeit' ist Geld und Geld ist ,Zeit'; Von der Produktion der ,Zeit' zu ihrer marktwirtschaftlichen Dekonstruktion" in Krisis, Nr. 19.

(5) Karl Marx: Über Friedrich Liszt, Berlin 1972, S. 24.

(6) Hierin ist weder eine moralische Bewertung anderer menschlicher Gemeinschaften noch die Annahme impliziert, die historisch entstandene ,Zivilisation' samt ihrer ,Vernuft' hätte universelle Geltung oder sollte sie haben.

(7) Der Begriff ist als Provisorium gedacht und dient zunächst der Distanzierung von den bisher üblichen sozialistischen, kommunistischen, modern bürgerlichen oder naturalwirtschaftlichen Zukunftsvisionen.

(8) Afheldt, Horst: Wohlstand für niemand? Die Marktwirtschaft entläßt ihre Kinder, München 1994, S. 100. Afheldt liefert eine materialreiche Analyse der sozio-ökonomischen Entwicklung, ohne mit seiner Kritik den Horizont der Marktwirtschaft zu verlassen. Seine Krisenlösungsvorschläge beschränken sich auf vage Andeutungen über „direkte Demokratie”‚ „umweltverträgliche Ökonomie” und „Wohlstand für Alle” – durchzusetzen mittels eines wiederzuerlangenden „Primats der Politik”.

(9) Der in diesem Zusammenhang häufig an die Adresse der Krisis gerichtete Vorwurf, in ihrer Analyse würden den Menschen die individuelle und kollektive Handlungsfähigkeit abgesprochen und so auch die KapitalistInnen von der Verantwortung für ihre weltweiten Schweinereien enthoben, geht daneben. Die bürgerlichen Individuen als Objekte des Werts zu entschlüsseln, bedeutet keinesfalls, zu ignorieren, daß sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten eigene Strategien fahren, danach trachten, ihr Vermögen zu vergrößern, und sich größtmögliche gesellschaftliche Vorteile zu verschaffen suchen. Daß die BürgerInnen Objekte des ‚automatischen Subjekts Wert’ sind und zugleich subjektiv handeln können, macht das phantasmagorische an der Subjektform, die nur in der bürgerlichen Gesellschaft vorkommt, aus.

(10) Vgl. die Analyse in Zeit ist Geld und Geld ist Zeit. Von der Produktion der Zeit zu ihrer marktwirtschaftlichen Dekonstruktion. In: Krisis 19, S. 166 ff.

(11) Vgl. ebenda, S.177 ff.

(12)Um sie marktwirtschaftstauglich zu bekommen, müssen Kinder über Jahre hinweg mühselig auf das Tauschprinzip und Eigentumsdenken zugerichtet werden.

(13) Ohne den durch den Wert induzierten automatischen Zwang zur Identifizierung sind vermutlich auch die universell gültigen Maße nicht mehr lange sicher.

(14) Eine Auseinandersetzung mit der von Robert Kurz in die Debatte gebrachten Entkoppelungstheorie und der von Norbert Trenkle eingeführten „mikroelektronischen Subsistenz” soll in den nächsten Nummern erfolgen.

 

Aus: Karoshi 1 & 2  / www.realkaroshi.org

 

Originaltext: www.realkaroshi.org/k1/arbeitundwahn.html und www.realkaroshi.org/k2/arbeit_wahnII.html

 

 

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