rede zum queerfeministischen kampftag 2024

Regionen: 

Rede zum (queer)feministischen Kampftag 2024 von der oav rdbl

Das ist ein Text über Gewalt sowie Queer- und im Speziellen Transfeindlichkeit. Unsere Perspektive ist die weißer, jugendlicher tinfas (trans, inter, nonbinary, frau, agender) aus dem eher ländlichen, dennoch von Dresden als größere Akkumulation beeinflussten, Raum. Wir sind Schüler*innen, Lernende, Menschen in einem Freiwilligen Jahr oder arbeitssuchend. Unsere Erfahrungen und die daraus gezogenen Schlüssen erheben keinen Anspruch auf Repräsentation, da jede*r individuell unterschiedlich von Diskriminierung betroffen ist und sein kann. Dennoch stehen sie exemplarisch für die Unterdrückung, die vor allem tinfas im Patriarchat in Form von Heteronormativität erfahren.

Aber was können wir uns unter Heteronormativität vorstellen? Kurz gesagt: es wird davon ausgegangen, dass alle Menschen endo-cisgeschlechtlich, heterosexuell, allosexuell und alloromantisch sind. Diese Annahmen versucht mensch wissenschaftlich zu begründen und ihnen somit Legitimation zu erteilen. Daraus ergibt sich die Erwartung, dass alle Menschen in monogamen, romantischen und sexuellen Beziehungen sind oder sein wollen und es nur zwei Geschlechter gäbe. Das ist aber kompletter Bullshit! Dennoch manifestieren sich die vermeintlichen Gegensätze noch heute in der Gesellschaft und äußern sich auf das Patriarchat bezogen in Zuschreibungen von Stereotypen und Attributen und damit einhergehend in der systematischen Unterdrückung und Ausbeutung von tinfas.

Die Spirale der Gewalt beginnt unterbewusst und scheinbar harmlos. Auf dem Schulhof beleidigen sich Schüler*innen gegenseitig als trans und schwul. Die Lehrer*innen schauen weg und überlegen sich lieber, wie sie in der nächsten Biologiestunde die Lehrplanthemen „Geschlecht und Sexualität“ vermitteln sollen. Wie wäre es, wenn sie den Schüler*innen eine Doku über eine detrans Person zeigen würden? Und über Sexualität brauchen die Kinder noch nix zu wissen, sie möchten doch keine „Frühsexualisierung“ hervorrufen. Und überhaupt Selbstbestimmung, Konsens und Verhütung sind Punkte, die das institutionelle Bildungssystem nicht meint abdecken zu müssen.

Die Afd, als eine Akteurin der Neuen Rechten bis hin zu Faschist*innen, setzt sich in Zusammenarbeit mit der CDU im sächsischem Kultusministerium für ein Gender-Verbot an sächsischen Schulen durch.

Die Spirale der Gewalt dreht sich langsam aber stetig. Im Sportunterricht werden die Schüler*innen nach den binären Kategorien „Mädchen und Junge“ aufgeteilt, die Bewertungen erfolgen streng nach diesen getrennt einer Richtlinie, die nur Leistungssportler*innen erreichen können.

Die Schuldatenbank führt Matti immer noch unter deren Deadname. Halbherzig hat die Schulleitung die Rollstuhltoilette als divers ausgewiesen. Doch Matti traut sich nicht, diese Toilette zu benutzen, weil they Angst hat, dass die anderen them dabei sehen könnten. Letztens wurde they auf dem Schulweg beleidigt, weil they einen Regenbogen-Button am Rucksack befestigt hatte. Matti hat den Button vorerst zuhause in der Schublade verstaut.

In der Berufsschule sprechen sie von Selbstverwirklichung im Beruf. Die korrekte Anrede und das Akzeptieren der Pronomen würde jedoch zu weit führen. Die Chef*in zitiert eine*n Mitarbeiter*in ins Büro. Die Rocklänge entspreche nicht dem Dresscode. Es müsse auf die Besucher*innen Rücksicht genommen werden.

In der Stadt wollte eine Drag Queen ein Vorlesen für Kinder veranstalten. Sie erreichte so viel Hasskommentare auf Social Media, das sie die Veranstaltung aus Sicherheitsbedenken absagte. Die Kleinstadt meidet sie ab sofort. Selbst in linken Szeneclubs wird sie nur selten für Auftritte angefragt, zu stark internalisiert ist das binäre Denken. Vor allem K-Gruppen halten mit ihrem Materialismus von gestern nicht zurück und diffamieren sie öffentlich.

Das Familientreffen steht an. Über das sich noch in Abstimmung befindliche Selbstbestimmungsgesetz wird sich abfällig geäußert. Obwohl sie es nie in Anspruch nehmen würden, da sie endocisgeschlechtlich sind, haben sie natürlich eine Meinung dazu und zugleich rollen sie die Mär von der sogenannten Indoktrination junger Menschen durch „die Genderidiologie“ auf. Gegenseitig wird sich später vorgehalten, wie glücklich sie alle in ihren heterosexuell romantischen Beziehungen seien und eine Tante berichtet mit stolz geschwellter Brust, dass sie in einem Monat ein Genderreveal des ungeborenen Babys veranstalten wollen und sie sich mit ihrem Mann darauf geeinigt habe, das auch er in Elternzeit gehen werde, da sie so ein modernes und emanzipiertes Selbstverständnis haben.

Die Freude über das Selbstbestimmungsgesetz, welches das menschenunwürdige und verfassungswidrige TSG ablösen sollte, verblasst schnell, als sich abzeichnet, dass damit die Diskriminierung von trans Menschen strukturell verankert wird. Von achtsamer und respektvoller Behandlung in Bezug auf die Geschlechtsidentität kann nicht die Rede sein. Deadnames stay dead und da sollte auch niemensch das Recht haben dürfen zu erfahren, wie sie lauten. Des Weiteren öffnet die Frage nach dem Hausrecht und einer Ausweispflicht bei sensiblen Räumen, wie Umkleiden, nur weiterer Transfeindlichkeit das Tor und exkludiert trans Menschen.

Es beginnt mit Worten, aber Taten werden folgen und die Spirale der Gewalt komplettieren. Entweder werden Betroffene Opfer von physischer Gewalt oder suchen durch Suizid den Ausweg aus der erfahrenen psychischen Gewalt. Zum Schluss steht der Tod im Raum, den niemensch richtig wahrhaben möchte. Der Grund für den Tod wird bei den Toten gesucht und die gesamtgesellschaftliche Verantwortung abgeschoben. Es sind immer „die Anderen“, die durch ihr bloßes Sein, eine (gewaltvolle) Handlung provozieren.

Hast du dein Pfeffer dabei?

Am Morgen wird ihre Leiche gefunden. Die Ermittlungsbehörden und die Presse sprechen von einer Beziehungstat, traurig aber passiert. Pauschal werten sie das Geschehene ab, Trans-Misogynie ist für sie kein Begriff.

Eine weitere Absage zur Psychotherapie landet im E-Mailpostfach. Ernüchternd. Vielleicht ist es besser, wenn mensch nicht mehr leben würde. Jugendliche, die sich zur lgbtqia+ Community zählen, haben im Vergleich zu ihren (endo)cisgender und heterosexuellen Altersgenoss*innen ein erhöhtes Risiko für psychische Probleme, Selbstmordgedanken und Selbstmordversuche.

Hinter jedem ermordeten trans Menschen steckt eine Geschichte. Wir können nicht ansatzweise jede erzählen, nicht einmal können wir sie objektiv wiedergeben, denn unsere Gemüter sind alles andere als emotionslos und neutral. Das ist auch nicht unser Anspruch. Denn wir sind zornig, traurig und fühlen uns ohnmächtig, dass erneut Geschwister ermordet worden sind, sie uns in einem Akt transfeindlicher Gewalt genommen wurden. Ja, wir haben auch Angst. Angst davor, dass wir die nächsten sein könnten. Aber wisst ihr, wir nehmen diese Tatsache nicht einfach hin. Dort, wo psychische und physische Gewalt gegen trans Menschen normalisiert, internalisiert und heruntergespielt wird, werden wir sein, um ihnen zu gedenken und daran zu erinnern. Deshalb sagen wir es laut und deutlich und so oft wie wir es wollen: rest in pride!

webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen