Kampf um Kobane, Kampf um die Zukunft des Nahen Ostens

Am 28. September 2014 begann der „Islamische Staat“ den Angriff auf die kleine Grenzstadt Kobane in Rojava/Nordsyrien. Angesicht der vorhergehenden IS-Siege in Irak und Syrien, in denen Millionenstädte wie Mosul innerhalb weniger Tage erobert wurden, schien die Schlacht um Kobane keine große Bedeutung zu haben. Es hätte kaum ein westlicher Beobachter im Vorfeld erwartet, dass ein paar hundert kurdische Kämpfer die Stadt über 90 Tage lang halten konnten und der IS hier seine erste große Niederlage einstecken würde.

Nachdem aber Kobane entgegen der Erwartungen nicht in kurzer Zeit fiel und die PKK-nahen kurdischen KämpferInnen die Stadt halten konnten, entdeckte die „Weltöffentlichkeit“ den Konflikt. Für einige Wochen wurde hastig berichtet, emotional bewegende Bilder wurden eingefangen und herumgereicht – nur um sich nach kurzer Zeit dem nächsten Konfliktherd zuzuwenden.

Eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Ereignisse in Rojava/Nordsyrien ist allerdings geblieben – und auch das Bedürfnis nach tieferen Einblicken jenseits von militärischen Tagesberichten. Dafür wollen wir die Konfliktlinien, die in Kobane zusammentreffen, näher analysieren. Diese Linien ziehen sich geographisch durch den gesamten Nahen Osten und die Konflikte betreffen zentrale Auseinandersetzungen – wie etwa die Frage der Gewalt als Mittel der Politik und linke Positionen gegenüber Nation und Nationalstaat.

Um eine Pluralität der Perspektiven und Positionen zu ermöglichen, sollen verschiedene AutorInnen Beiträge liefern, die sich gegenseitig bestätigen oder widersprechen können. Es wird explizit nicht versucht, die „richtige Haltung“ zu formulieren. Vielmehr soll sich die Widersprüchlichkeit der Realität hier widerspiegeln.

Beiträge:

1) Die AKP-Regierung in der Türkei und ihre Gegner: Wie lässt sich das politische Modell des Erdogan-Regimes beschreiben (zentrale politische Projekte, Herrschaftsmethoden), welche sind die relevanten Oppositionskräfte?

2) Emanzipatorische Kräfte in der Türkei: Was sind diejenigen Kräfte, die außerparlamentarisch für ein „besseres Leben“ kämpfen? Hier sollen insbesondere subalterne&marginalisierte Akteure zur Wort kommen.

3) Geschichte und Gegenwart der PKK: Als der zentrale kurdische Akteur in der Türkei und eine relevante Kraft in Irak und Syrien soll die Geschichte der PKK kritisch reflektiert werden – um anschließend ihre jetzige Rolle zu skizzieren.

4) Was bedeutet Rojava? Die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete in Nordsyrien werden inzwischen von Einigen als ein emanzipatorisches Projekt angesehen, das beispielhaft für den ganzen Nahen Osten sei. Andere halten es für eine Notverwaltung in einem Bürgerkriegsland ohne größere politische Bedeutung. Was trifft zu?

5) Kurden, ein „Volk ohne Staat“? Wie sind die Lebensverhältnisse der KurdInnen in den Nationalstaaten des Nahen Ostens? Was sind die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen der Situation in der Türkei, dem Iran, Irak und Syrien? Welche theoretischen und praktischen Antworten geben kurdische Akteure auf das „Fehlen“ eines kurdischen Staates? Gibt es Entwürfe für ein politisches System ohne Staat?

6) Bürgerkrieg in Syrien: Nach einer kurzen Skizze des Assad-Regimes sollen hier die verschiedenen Blöcke der Regimegegner dargestellt werden. Welche Gesellschaftsordnung stellen sich die Oppositionsbewegungen vor? Wie agieren sie im derzeitigen Bürgerkrieg? Wer sind AnsprechpartnerInnen für eine emanzipatorische Linke?

7) Islamischer Staat: Stärker als die organisatorischen Ursprünge interessieren uns hier zum einen die politische Ideologie des IS und zum anderen die Rolle, die der IS in den Bürgerkriegen im Irak und Syrien spielt. Dabei sollen die Verbindungen zwischen dem IS und den islamisch-konservativen Staaten in der Region angesprochen werden.

 

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