Täterschutz sichtbar machen: Gegen die patriarchalen Zustände im SDS Bayreuth!

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Inhaltswarnungen: sexualisierte Gewalt, Täterschutz, Täter-Opfer-Umkehr, Sexismus und Queer- bzw. Transfeindlichkeit

1) Wer wir sind
Wir sind zwei FLINTA* (Frauen, Lesben, inter*, nicht-binäre, trans* und agender Menschen), die im SDS Bayreuth sexistische, queerfeindliche und übergriffige Erfahrungen gemacht haben (wir sind nicht die ersten, die diese Erfahrungen machen mussten).
Wir wollen mit diesem Text bzw. auf Instagram mit dem Account @taeterschutz_sichtbar_machen öffentlich machen, was wir erlebt haben, damit möglichst keine Person mehr ohne dieses Wissen mit dem SDS zu tun hat.
Wir haben zuerst versucht, in direkter Auseinandersetzung unsere Kritik einzubringen. Diese wurde zwar wahrgenommen, haben aber zu keiner spürbaren Veränderung geführt. Da es im Anschluss zu noch gewaltvolleren Vorfällen kam, die ebenfalls nicht aufgearbeitet wurden, haben wir uns nun zur Veröffentlichung hier entschlossen.
In den nachfolgenden Beiträgen wurden alle Namen geändert, um uns zu schützen.
Die Namen von FLINTA* Personen sind mit * markiert.

2) Was passiert ist
Immer wieder gab es von SDS Mitgliedern sexistische und queerfeindliche Aussagen/Verhalten oder keine Solidarität Betroffenen gegenüber. Das wurde unter anderem von Flo* kritisiert, der die Gruppe deshalb auch verlassen hat. Etwa ein halbes Jahr später kam es dann zu den Übergriffen durch Max und der fehlenden Solidarität aus der Gruppe. Deshalb sehen wir in den Vorfällen ein strukturelles Problem im SDS, worauf wir im nächsten Post weiter eingehen.
Max (Mitte 20) hat sich über einen längeren Zeitraum übergriffig & manipulativ Lena* (minderjährig) gegenüber verhalten. Beide waren zu diesem Zeitpunkt im SDS Bayreuth aktiv. Lena*s Grenzen wurden wiederholt nicht eingehalten, sie wurde zu sexuellen Handlungen gedrängt und gezwungen, zu denen sie nein gesagt hat. Dabei hat Max ihre Situation und das damit verbundene Machtverhältnis ausgenutzt.
Als Lena* davon erzählt hat, wurde sie von den anderen Menschen im SDS nicht ernst genommen, was sich bis jetzt nicht verändert hat.

3) Die Reaktion vom SDS
Flo* hatte bei Verlassen des SDS Bayreuth eine feministische Kritik geschrieben, danach hatte sich aber kaum etwas verändert. Stattdessen gab es die sexuellen Übergriffe (gegenüber Lena*). Flo* und Lena* wollten, dass Lena*s Perspektive auf die Übergriffe  vom SDS Bt gehört wird und neue Menschen Bescheid bekommen, in was für eine Gruppe sie sich begeben. Deswegen haben sie ein weiteres Dokument formuliert. Durch dieses Dokument sollte der SDS Bt nicht nur erfahren, was passiert ist, sondern auch, warum es Flo*s und Lena*s Ansicht nach überhaupt so weit kommen konnte.
Dieses Dokument wurde außerdem an diverse Gruppen in und um Bayreuth geschickt, mit der Bitte sich solidarisch zu zeigen und auf ihren Wunsch hin SDS-Menschen bei Veranstaltungen auszuladen, wenn sich ansonsten FLINTA*s nicht wohl fühlen können.
Die Antwort des SDS auf unser Öffentlich machen, war eine komplette Abwehr von Verantwortung und eine fehlende Anerkennung der entstandenen Verletzungen. Im Folgenden wollen wir einige der vorgebrachten Argumente analysieren und erklären, warum diese einer Verantwortungsübernahme im Weg stehen. Es handelt sich dabei um Muster, die bei vielen Fällen auftreten. (SDS-Zitate sind in Anführungszeichen gekennzeichnet. An einigen Stellen benutzten wir auch selbst Anführungszeichen - kenntlich gemacht durch ein (n))
3.1) Glaubwürdigkeit der Betroffenen in Frage stellen
In dem Statement zeigt sich, dass der SDS Betroffenen keinen Glauben schenkt. Es wird davon geschrieben, dass "Chatnachrichten sowie Sprachmemos von verschiedenen Menschen in der Organisation zusammengetragen" wurden. Zudem wird angeboten, Chatverläufe von uns ohne unsere Einwilligung an andere Menschen weiterzuleiten, um die Situation wie sie "tatsächlich" (n) passiert ist, einzuordnen. Es zeigt sich, dass der SDS ein merkwürdiges Verständnis von Aufarbeitung hat. Letztendlich wird eine Art Gerichtsverfahren angestrebt, bei dem Personen, die selbst in die Vorfälle verstrickt sind, ermitteln und versuchen Indizien und Beweise von sogenannten "Zeug*innen" zu sammeln, um anschließend ein "objektives" (n) Urteil aus einer "neutralen" (n) Position zu treffen. (Dass das bürgerliche Rechtssystem bei patriarchaler Gewalt systematisch versagt, sollte für den SDS eigentlich keine Neuheit sein, dass trotzdem versucht wird, dieses zu imitieren, liegt wohl daran, dass man die eigene Unschuld beweisen möchte.)
3.2) Schuldzuweisung an die betroffene Person
Anstatt anzuerkennen, dass interne Strukturen versagt haben, wird die Verantwortung auf die betroffenen Personen geschoben. In dem Statement steht, dass "Kommunikationsmöglichkeiten mit externen Mediator*innen" angeboten wurden. Das stimmt, aber es gab gute Gründe, warum Lena* das nicht angenommen hat. Sie wollte keine Mediation mit der gewaltausübenden Person.
Wir haben unsere Analyse mit klaren Forderungen geteilt und wollten eine Positionierung der Gruppe, stattdessen wurde uns wiederholt eine Mediation angeboten.
3.3) Distanzieren und keine Konsequenzen ziehen (keine Verantwortungsübernahme)
In dem Statement hat der SDS sich von "jeglichen Übergriffen" distanziert und erklärt, dass diese innerhalb der Gruppe nicht akzeptiert werden. Solche Aussagen sind aber nicht hilfreich, wenn keine Konsequenzen aus dem Vorfall gezogen und die Forderungen der Betroffenen ignoriert werden. Solche leeren Aussagen helfen betroffenen Personen nicht weiter, sondern dienen nur dazu, das Ansehen der Gruppe wiederherzustellen. Es braucht eine kollektive Verantwortungsübernahme!
3.4) Sexualisierte Gewalt ist keine private Angelegenheit!
Wir haben in unserem Text klar benannt, dass Täterschutz und patriarchale Strukturen innerhalb der Gruppe existieren. Darauf ist der SDS an keiner Stelle eingegangen. Stattdessen wurden die Probleme auf eine gewaltausübende Person abgeschoben und zum Teil sogar eine betroffene Person dafür verantwortlich gemacht. Es reicht auch nicht aus, nur die gewaltausübende Person auszuschließen. Patriarchale und queerfeindliche Gewalt wird so wieder mal individualisiert, relativiert und entpolitisiert, anstatt das strukturelle Problem anzuerkennen. Das Private bleibt politisch!
3.5) Unsere Perspektive ist da, es wird anderes behauptet
Zum Schluss des Statements behauptet der SDS noch, dass durch das "Fehlen der Perspektive von Betroffenen" eine Aufarbeitung schwer fällt. Wir haben einen 6-seitigen Text zu den Vorfällen und den Problemen innerhalb der Gruppe geschrieben. Unsere Perspektive fehlt nicht, sie wird höchstens ignoriert.
3.6) Abwehrhaltung und Gegenmobilisierung anstatt Anerkennen der Vorfälle
Das ganze Statement scheint eher darauf abzuzielen, Kritik von der Gruppe abzuwenden, anstatt einzugestehen, dass die Support-Strukturen nicht funktioniert haben. Zu keinem Zeitpunkt wird das Geschehene anerkannt oder sich dafür entschuldigt. Stattdessen wird teilweise sogar gegen die Betroffenen mobilisiert. So wurden in dem ursprünglichen Dokument die Namen der beteiligten Personen genannt (mittlerweile haben wir das geändert), wobei von den gewaltausübenden Personen nur die Aktivisti-Namen genannt wurde. Diese Personen sind zum Teil mit ihrem Klarnamen schon in der Presse aufgetreten und ihre Mitgliedschaft in der Gruppe ist allgemein bekannt. Wir verstehen Bedenken um Sicherheit bei politischem Aktivismus, aber zu behaupten, dass dies eine "Gefährdung von linken Strukturen" darstellt, erscheint uns doch etwas weit hergeholt. Wir haben das Gefühl, dass hier eher gegen die betroffenen Personen und ihren mutigen Schritt, das Schweigen zu durchbrechen, mobilisiert werden soll.
3.7) Normalisieren von gewaltvollem Verhalten wird öffentlich normalisiert wird, weil gedacht wird das ist in der Beziehung halt so.
In dem Statement steht unter anderem: "Der Konsens zwischen den angesprochenen Personen ist auf deren persönliche Beziehung zurückzuführen und haben nichts mit der Organisation oder der Struktur im SDS zu tun."
Damit wird gewaltvolles/missbräuchliches Verhalten normalisiert. Es wird angenommen, dass das in der Beziehung normal und konsensual wäre. Dabei hat Lena* in der Situation klar deutlich gemacht, dass sie das nicht möchte. Auch scheint beim SDS kein Verständnis für gruppeninterne Hierarchien, zwischen neuen, jüngeren Mitglieder und älteren, erfahreneren Aktivist*innen zu existieren. Darauf nicht zu achten, begünstigt Machtmissbrauch.

4) Was ist langfristig draus geworden?
Die Vorfälle, auf die wir uns beziehen, sind zwischen Herbst 2021 und Herbst 2022 passiert. Im Mai 2022 hat Flo*, der vorher schon ausgetreten ist, gruppenintern eine feministische Kritik mit Handlungsempfehlungen vorgestellt. Diese Empfehlungen wurden nicht ernst genommen und umgesetzt, stattdessen kam es zu noch gewaltvolleren Übergriffen gegenüber Lena*. Daraufhin haben wir uns zusammengeschlossen und eine aktualisierte Kritik verfasst, die Lenas* Erlebnisse mit einschließt. Diese haben wir im Dezember 2022 in linken, aktivistischen Kreisen in Bayreuth und näherer Umgebung veröffentlicht, um den SDS zu einer kollektiven Verantwortungsübernahme zu bewegen.
Nun - ein halbes Jahr später - warten wir und weitere Gruppen immer noch auf eine Antwort vom SDS. Uns hat weder eine Entschuldigung noch ein Statement zu Veränderungen erreicht. Eine betroffene Person hat deshalb Anfang Mai mutigerweise ein Mitglied konfrontiert. Bis auf den Ausschluss des Täters scheint es keine Veränderungen gegeben zu haben. Unsere Kritik hat sich jedoch an die gesamte Gruppe gerichtet. Wir fordern eine kollektive Verantwortungsübernahme für die Vorfälle!
Täter auszuschließen reicht nicht aus. Insbesondere dann nicht, wenn man sich privat weiterhin mit dieser Person trifft, ohne dass die Situation aufgearbeitet scheint.
Zudem wurde uns die Möglichkeit genommen, in die interne Gruppe zu schreiben und unsere einzige explizite Forderung, nämlich unsere Nachricht in der Gruppe anzupinnen, damit neue Menschen über die Vorfälle Bescheid wissen, wurde nicht erfüllt.
Wir haben daher nicht den Eindruck, dass es bisher zu einer Veränderung in feministische Richtung im SDS gekommen ist. Deshalb haben wir uns entschlossen, die Vorfälle auch außerhalb von aktivistischen Kreisen bzw. überregional zu veröffentlichen.

5) Einzelfälle vs. strukturelles Problem
Wir sehen die Vorfälle nicht als Einzelfälle, sondern als eine Konsequenz des Sexismus im SDS und der fehlenden Aufarbeitung davon.
Es ist allgemein bekannt, dass es im SDS einige Macker gibt, die sich scheiße verhalten. Trotzdem liegt die Verantwortung in der ganzen Gruppe, denn die anderen haben zugesehen und nichts gemacht, wollten sich nicht positionieren, haben sich mit dem Täter solidarisiert, haben die Vorfälle ignoriert, haben sich nicht feministisch weitergebildet und auch selbst toxisch männlich verhalten.
Die Macker werden von euch geduldet, das Problem ignoriert. Nur durch euer Schweigen konnte es überhaupt so weit kommen.
Max hat sich genommen, was er wollte, weil er es konnte, weil er dachte, dass es ihm zusteht. Das ist einfach nur purer Sexismus. Solche Annahmen kommen nicht von irgendwoher, sondern von einer sexistischem, männlichen Sozialisation, die trotz mehrfacher Kritik im SDS nicht angegangen wurde, ganz im Gegenteil.

6) Täterschutz & Täter-Opfer-Umkehr
keineshowfuerteater_dresden:
„Wenn wir von Täterschutz sprechen, denken viele an verurteilte Täter. In der Realität sind das nicht die Fälle, wo wir Kampagnen bilden, in unserer Freizeit Texte schreiben oder uns die Frage stellen: wo bleiben die Konsequenzen?“
Wie sich Täterschutz im SDS äußert:
    • Betroffenen wird nicht grundsätzlich geglaubt, Dinge müssen erst "überprüft werden", denn die Täter sind ja liebe Freunde, die sowas nie machen würden.
    • Wenn Vorfälle passieren, ist die erste Reaktion häufig, dass keine*r davon mitbekommen darf, es darf nicht drüber gesprochen werden, um den Täter zu schützen. Vor allem sollen keine Namen genannt werden.
    • Menschen fühlen sich durch unsere Kritik und Forderungen angegriffen und sehen sich dann selbst als Opfer. In dem Moment, wo wir uns wehren, werden wir in deren Augen zu "Tätern". Wir werden vorwurfsvoll, arrogant und teilweise sogar aggressiv behandelt.
    • Nachdem Betroffene den SDS verlassen haben, werden die Geschichten umgedreht. Die Betroffenen werden als verrückt/böse dargestellt. So bekommen neue Menschen nicht wirklich mit, was passiert ist, sondern entwickeln auch eine Abneigung gegen die eigentlichen Betroffenen.

7) Ja heißt Ja
Bevor sich jetzt irgendwer beschwert, Lena hätte nicht klar genug „Nein“ gesagt, hier etwas zu „ja heißt ja“:
Es gibt viele Situationen, in denen „Nein!“ sagen nicht einfach ist, in denen Betroffene vor lauter Panik nicht sprechen können, in denen man Angst hat, dass ein Übergriff durch ein „Nein“ noch schlimmer wird und man einfach nur noch irgendwie durch die Situation kommen möchte. Deswegen sollte das Prinzip „Ja heißt ja“ gelten, wobei auch dort darauf geachtet werden muss, dass die Person nicht in ein Ja hineingedrängt wird.
Max hat weder nach einem Ja gefragt, noch auf ein Nein gehört (Und ja: Ein Kopfschütteln ist auch ein Nein).

8) Mackerverhalten & Alltagssexismus
Allgemein:
Sexismus in der linken Szene ist leider ein Dauerbrenner und nichts, was nur im SDS Bayreuth passiert.
Aber was meinen wir mit Mackertum? Mackertum bedeutet: dominant und  selbstüberzeugt aufzutreten, teilweise viel zu sprechen, aber gleichzeitig nicht besonders zuzuhören. Mackertum dient als theatralisches Element, um sich selbst in Szene zu setzen. Es kommt besonders häufig bei cis-Männern vor, aber selbstverständlich können auch FLINTA*s mackerig sein (nicht nur, aber oft gerade dann, wenn sie sich sonst nicht durchsetzen bzw. in der Gruppe nicht bestehen können).
Mackertum und Sexismus gehen Hand in Hand und sind beide Teil unserer herrschenden Gesellschaft. Wir haben alle davon mehr oder weniger verinnerlicht, dementsprechend schwer ist es auch, Sexismus und Mackerigkeit in uns selbst oder anderen anzugehen. Das bedeutet auch, auf große Widerstände zu stoßen, wenn wir es dann doch tun.
Auf den SDS bezogen:
Nach wie vor ist das Redeverhalten im SDS geprägt von männlicher Dominanz. Gespräche (außerhalb von Plena) sind laut, die Themen werden von cis-männlichen Personen angegeben und FLINTA*s kommen kaum zu Wort. Diese Atmosphäre ist für Menschen, die sich kein mackeriges Verhalten aneignen wollen, unangenehm und einschüchternd (nicht nur für FLINTA*s). Das trägt natürlich auch dazu bei, dass es Betroffenen schwerer fällt, wenn ihnen etwas passiert ist, mit Menschen darüber zu reden.
Auch räumlich nehmen sich cis-Männer den Platz, indem sie z.B. menspreaden.
Dieses Verhalten steigert sich durch den hohen Alkoholkonsum, der in der Gruppe zelebriert und normalisiert wird.

9) Queerfeindlichkeit, Transfeindlichkeit
In diesem Text sind wir bereits auf bestimmte Mechanismen patriarchaler Gewalt eingegangen. Gleichzeitig ist es uns wichtig, anzumerken, dass zu patriarchaler Gewalt auch Queerfeindlichkeit und Transfeindlichkeit zählen und diese auch eine Rolle bei den Vorfällen gespielt haben. (Eine betroffene Person ist trans* und auch bevor Lena* und Flo* beim SDS waren, gab es schon Vorfälle mit anderen queeren / trans* Personen.)

Unterstützer*innengruppe Bayreuth
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