Brandenburger Polizeigesetz: Staatstrojaner verhindert, Grundrechte trotzdem beschnitten
In Brandenburg hat die Linkspartei den Staatstrojaner aus dem neuen Polizeigesetz herausverhandelt. Doch das jetzt beschlossene Gesamtpaket der rot-roten Polizeigesetznovelle enthält dennoch viele neue Grundrechtseingriffe.
Die Polizei in Brandenburg bekommt eine Reihe neuer Befugnisse. Nach monatelangen Ringen wurde das Polizeigesetz gestern mit knapper Mehrheit von der rot-roten Landesregierung in Potsdam verabschiedet. Die Linkspartei setzte kurz vor der Verabschiedung noch durch, dass die Überwachung mittels Staatstrojaner komplett gestrichen wurde. Dennoch stimmte eine Linken-Abgeordnete dagegen, ein weiterer enthielt sich.
Zukünftig hat die Polizei in Brandenburg mehr Maßnahmen in der Hand, um gegen Personen vorzugehen, die sich noch keiner konkreten Straftat verdächtig gemacht haben. Dazu zählt die erweiterte Schleierfahndung an der Grenze zu Polen und das Aussprechen von Kontakt- und Aufenthaltsverboten sowie eine Präventivhaft von bis zu einem Monat bei Verdacht auf Terrorismus. Das liegt weit über dem bundesweiten Durchschnitt, in Berlin beträgt die Maximaldauer der Freiheitsentziehung im Vorfeld einer Straftat derzeit bei vier Tagen. Die Humanistische Union Berlin-Brandenburg warnt, dass Überwachungsmaßnahmen auch gegen fälschlich Verdächtigte verwendet wird, und verweist auf den Fall des Soziologen Andrej Holm aus Berlin.
Offener Brief von Mitgliedern der Linken
Großer Unmut über den Kompromiss der rot-roten Landesregierung formte sich außerhalb des Potsdamer Landtags. In einem offenen Brief wenden sich mehr als 150 Mitglieder der Linkspartei, darunter zahlreiche Bundestags- und Landtagsabgeordnete an die Linksfraktion in Potsdam. Die geplanten polizeilichen Befugnisse, darunter die die Ausweitung der Präventivhaft auf bis zu einem Monat, anlasslose Personenkontrolle und die Neuregelung zur Meldeauflage bezeichnen sie als „inakzeptabel“. Sie fürchten um die Glaubwürdigkeit der Linken als Bürgerrechtspartei.
Angenommen wir würden die Koalition deswegen platzen lassen: Dann haben wir direkt danach den CDU-Antrag zu deren #Polizeigesetz-Entwurf auf der TO (TOP7) und keine Rot-Rote Mehrheit mehr, mit der wir Schlimmeres verhindern könnten. Das sähe so aus: https://t.co/AhrZNeccjZ
— Linksfraktion Brandenburg (@linke_ltbb) March 11, 2019
Innerhalb der Linksfraktion ist Isabelle Vandre das Gesicht des Protests: Als Einzige stimmte sie gegen das Gesetz. Vandre bezeichnet die getroffenen Neuregelungen gegenüber netzpolitik.org als „weder erforderlich noch geeignet“. Zwei weitere Linken-Abgeordnete, Anita Tack und Margitta Mächtig, stimmten zwar dafür, trugen jedoch mündlich ihre Ablehnung vor. Der ehemalige Justizminister Brandenburgs und Linken-Abgeordnete, Volkmar Schöneburg enthielt sich. Der Jurist kritisiert: „Indem polizeiliche Befugnisse zu Lasten der Grundrechte erweitert werden, wird das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zugunsten des Prinzips der Effektivität zurückgedrängt.“
Für die Linksfraktion ging es um den Erhalt der Regierungskoalition, so schreibt es die Pressestelle auf Twitter. Der innenpolitische Sprecher der Linken, Hans-Jürgen Scharfenberg, zeigt sich darüber hinaus zufrieden mit dem Inhalt des Gesetzes. Er sagt: „Wir können guten Gewissens diesem Gesetz zustimmen, weil wir unserer Verantwortung nachgekommen sind.“ Scharfenberg war stets vage geblieben in seinen Forderungen an ein gelungenes Polizeigesetz.
Die SPD stimmte geschlossen für das Gesetz, sodass trotz einer Gegenstimme und einer Enthaltung bei der Linken eine knappe Mehrheit von 44 zu 38 Stimmen zustande kam.
Staatstrojaner einzig relevante Änderung
Kritik gibt es nicht nur an dem, was im Gesetzentwurf steht, sondern auch an dem, was nicht drin steht. Zahlreichen neuen Befugnissen stünden nicht ausreichend Kontrollinstrumente gegenüber. Die Humanistische Union Berlin-Brandenburg schreibt: „Über den Ausbau der Kontrolle polizeilichen Handelns steht nichts im Gesetzesentwurf. Auch das „Bündnis gegen das neue Brandenburger Polizeigesetz“ kritisiert: „In anderen Bundesländern werden von SPD und Linke unabhängige Polizeibeauftragte gefordert oder umgesetzt.“ Solche Bestrebungen fehlen in Brandenburg.
Als „einzige relevante Änderung an dem Gesetzesentwurf“ bezeichnet die Humanistische Union Berlin-Brandenburg die restlose Streichung der Überwachung mittels Staatstrojaner aus dem Gesetzentwurf. Diesen Kompromiss hat die Linksfraktion letzte Woche nach erneuter Beratung im Innenausschuss durchgesetzt. Brandenburg ist damit das erste Land mit einem neuen Polizeigesetz, das diesen harten Grundrechtseingriff nicht einführt. Der Kompromiss wurde allerding mit der Zustimmung zu einer personellen Aufstockung des Landesverfassungsschutzes erkauft, dagegen hatte sich die Linkspartei lange gewehrt.
Verfassungsurteil abwarten
Zur Begründung, warum die rot-rote Regierung den Einsatz von Staatstrojanern aus dem Gesetzentwurf gestrichen hat, heißt es „die Anhörung habe deutlich gemacht“, dass der staatliche Einsatz von Spähsoftware „mit erheblichen rechtlichen Unsicherheiten verbunden“ sei. Man werde das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes von Staatstrojanern im Vorfeld von Straftaten abwarten.
In der Anhörung im Innenausschuss Anfang Januar hatte Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, überzeugend vor dem Einsatz von Staatstrojanern gewarnt. Er sagte: „Es gibt keine guten Lücken für Polizei und böse Lücken für Cyber-Kriminelle. Es gibt nur Sicherheitslücken. […] Man gewinnt möglicherweise etwas an Sicherheit dazu, man verliert aber auch etwas.“ Er verwies zudem auf den Kollateralschaden für die allgemeine IT-Sicherheit, denn die Nutzung von unbekannten Sicherheitslücken sorgt dafür, dass sie offen bleiben und somit alle gefährden.
In einem ersten Entwurf für ein neues Polizeigesetz vom Oktober 2018 war der Einsatz von Staatstrojanern als sogenannte Quellen-TKÜ, also zum Mitlesen von Chatnachrichten vorgesehen. Treibende Kraft hinter den Verschärfungen ist der SPD-Innenminister Karl-Heinz Schröter. Der zuständige innenpolitische Sprecher der Brandenburger Linken, Hans-Jürgen Scharfenberg, hatte dem wenig entgegenzusetzen, er blieb bis zuletzt vage.
Es war die 29-jährige Brandenburger Landtagsabgeordnete Isabelle Vandre, die als Erste in ihrer Partei den Polizeigesetzentwurf als „nicht zustimmungsfähig“ bezeichnete. Rückendeckung bekam sie dafür von der netzpolitischen Sprecherin der Linken im Bundestag Anke Domscheit-Berg. Denn die Linke hat noch nie für den Einsatz von Staatstrojanern zur Überwachung gestimmt, weder auf Landes- noch auf Bundesebene. Hingegen haben CDU, SPD, Grüne und FDP alle in der Vergangenheit mindestens ein mal für den Einsatz von Staatstrojanern gestimmt. Dieses Alleinstellungsmerkmal in der Verteidigung von Bürgerrechten hat sich die Linkspartei nun bewahrt.
Protest wirkt
Es ist ein Erfolg, dass Staatstrojaner aus dem Polizeigesetz gestrichen wurden. Das heimliche Hacken von privaten Handys durch Polizei oder Verfassungsschutz ist eines der wirkungsmächtigsten Überwachungsinstrumente überhaupt und damit besonders problematisch. Zudem ist es ungewöhnlich und ein positives Signal, dass ein Gesetzentwurf nach einer Anhörung grundlegend überarbeitet wird. Zuletzt hatten Baden-Württemberg, Bayern und NRW den Einsatz von Staatstrojanern für die Polizei erlaubt, obwohl die dort geladenen Sachverständigen ebenfalls auf Kollateralschäden für die IT-Sicherheit hinwiesen.
Dennoch bleibt auch beim neuen Polizeigesetz der rot-roten Potsdamer Regierung ein bitterer Nachgeschmack: Es verschiebt die staatliche Eingriffsbefugnis immer weiter in den präventiven Raum.