Kein Freispruch für Nazis und Justiz – Kein Neonaziangriff wird vergessen
»Für eine Anklage wegen Landfriedensbruch ist es in der Tat unerheblich, ob Personen oder Dinge angegriffen wurden. „Es kann jedoch selbstverständlich ein strafzumessungsrelevantes Kriterium sein, ob lediglich auf Sachen eingewirkt wurde, oder ob Menschen zu Schaden kamen“, so Strafrechtler Martin Schar. Für besonders schweren Landfriedensbruch sind Haftstrafen bis zu zehn Jahren möglich.
Doch für die Perspektive der Opfer scheint am Leipziger Amtsgericht nur wenig Raum zu sein (…). Im zweiten Prozess der Reihe scheint ein rechter Szeneanwalt die Weichen für den weiteren Verlauf der Connewitzprozesse gestellt zu haben. In Verständigungsgesprächen vor den Verhandlungen einigen sich Verteidigung, Richter und Staatsanwaltschaft fortan darauf, dass die Angeklagten mit Bewährungsstrafen davonkommen, sofern sie aussagen. In den folgenden Prozessen wird sichtbar, dass dafür bereits minimale Einlassungen ausreichen. Kein Angeklagter gibt wesentlich mehr preis, als dass er an dem Abend vor Ort war. Auf die Ladung von Zeugen wird verzichtet, die Beweisaufnahme dauert nur noch eine gute Stunde.
In dieser Weise werden unter anderem ein ehemaliger NPD-Kandidat, der mutmaßliche Schriftführer einer rechten Rockergruppierung und der Sänger einer Rechtsrockband vor dem Gericht als Mitläufer, die „nur eine untergeordnete Rolle“ gespielt hätten, zu Bewährungsstrafen und Geldauflagen verurteilt (…).
Nun rückt die Perspektive der Opfer des Angriffs in der juristischen Aufarbeitung noch weiter in den Hintergrund. Beim ersten Connewitz-Prozess nach Jugendstrafrecht am Amtsgericht Leipzig zeigte sich die Richterin ebenfalls dem effizienten Vorgehen verpflichtet: „Anhören müssen wir uns das jetzt nicht, oder?“, richtete sie sich in Bezug auf die Aussagen von Polizeibeamten an die Staatsanwaltschaft (…)
Nicht ausgewählt wurden Schilderungen der Personen, die von dem betroffen waren, was die Staatsanwaltschaft gegenüber dem kreuzer als „versuchte und vollendete Körperverletzungshandlungen“ bezeichnete. Wurde nach der Aussage von Tobias (Betroffener eines Angriffs) zumindest einmal am Rande erwähnt, dass sich die Gewalt an dem Abend „auch gegen Menschen richtete“, findet sich diese Tatsache mittlerweile weder in den öffentlichen Darstellungen des Angriffs noch in den Unterlagen der Verhandlung wieder.«
Wer steht vor Gericht?
Am 10. Januar stehen wieder zwei Täter vor Gericht, Kersten H. und Daniel W., während zu ersterem nicht wirklich etwas bekannt ist, reicht das Netzwerk von Daniel W. weiter. Nach Recherchen von Antifaschist*innen arbeitet Daniel W. als Projektleiter bei Media Mobil GmbH „Ihr Partner, wenn es um die professionelle Aufzeichnung und Übertragung von Sportevents, Konzerten oder Unterhaltungsformaten geht“, wie es auf der Seite des Unternehmen heißt. Die Media Mobil GmbH ist einer der führenden Anbieter mobiler Außenproduktionen in Mitteldeutschland und arbeitet größtenteils für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten wie den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR).
Von Daniel W. gibt es jedoch schon Fotos aus der Zeit vor dem Neonaziangriff in Connewitz.
Am dem 20. April 2015 marschierte Legida zum zehnten Mal in Leipzig. Pegida setzte an diesem Montag in Dresden aus, dafür sollte Legida nach einer längeren Pause in Leipzig unterstützt werden. Der 20. April ist das Geburtsdatum von Adolf Hitler und wird seit Jahrzenten in der rechten Szene gefeiert, bei dem es regelmäßig auch zu Angriffen von Neonazis kommt, ein Grund für Legida auf ihren Marsch zu verzichten, war dies nicht.
So war es am 20. April 2015 auch nicht verwunderlich, dass sich viele bekannte Neonazis aus Leipzig bei Legida und im Umfeld der Demonstration blicken ließen. Schon in den Wochen vorher versammelten sich parallel zu Legida immer wieder gewaltbereite Neonazis und griffen vermeintliche Gegendemonstrant*innen an – erst an der „Haifischbar“ in der Großen Fleischergasse 4, später am Cafe Hundertwasser. Auf Bildern zum 20. April findet sich auch Daniel W. wieder, in einer Gruppe von langjährigen, bekannten Neonazis wie Kevin D. („Reudnitzer Rechte“, er wurde 2017 verurteilt, weil er No-Legida-Demonstrant*innen mit Pfefferspray und einem Messer angegriffen hatte), Riccardo S. (unter anderem Angreifer auf Spieler und Fans des Roten Sterns Leipzig in Brandis), Tim Z. (MMA-Kämpfer und an den teils gewalttätigen Protesten gegen die Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchte in Dresden beteiligt), Tobias B. (Geschäftsführer von Pro GSL; er und sein Geschäftspartner Oliver R. waren 2016 Thema im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Ein Zeuge sagte dort aus, einer der beiden Männer habe einen Schlüssel zum Büro von Ralf M. gehabt. Weil der Zeuge M. den Computer, auf dem später die Erkennungsmelodie des NSU gefunden wurde, in seinem Besitz hatte, habe Oliver R. ihn damals bedroht), Oliver R. war an dem Tag Ordner bei Legida, Mario K. und sein Bruder Thomas K. waren unter anderem Teilnehmer des Legida-Marsches (gegen Thomas K. wird wegen einem Angriff auf die Wohnung des sächsischen Justizminister Gemkow vor Gericht verhandelt), ebenfalls an dem Tag: Benjamin B. und Thomas P.
Daniel W. wird sich wie seine Vorgänger vor Gericht als Mitläufer präsentieren, der sicherlich nur „zufällig“ in Connewitz zugegen war und sonst nichts mit Neonazis zu tun hat, dabei zeigt sein Auftreten zusammen mit bekannten Neonazi-Kadern aus Leipzig und Umgebung, wie eng er selber mit der organisierten Neonaziszene vernetzt ist. Geschadet hat ihn dieses Netzwerk bisher wohl nicht und welche Vorteile sein Beruf für die Szene hat, bleibt ungeklärt.
Staat und Neonazis – Hand in Hand
In den Verfahren wird deutlich, dass Polizei und Justiz keinerlei Interesse daran haben, einen der größten, organisierten Neonazi-Angriffe in Sachsen seit Jahren und die schwerste Attacke im Stadtteil Connewitz seit den frühen Neunzigern aufzuklären. Wer die Drahtzieher in Sachsen und Leipzig für einen solchen geplanten Angriff sind, interessiert neben Antifaschist*innen und einigen wenigen Journalist*innen niemanden.
Alle wichtigen Erkenntnisse zu dem Neonaziangriff wurden von Antifaschist*innen und Journalist*innen zusammengetragen und publik gemacht.
Der Umgang vor Gericht mit den Betroffenen des Angriffs und den Tätern ist dabei nur ein weiteres Beispiel für die sächsischen Verhältnisse, die neonazistischen Tätern und Strukturen seit Jahrzehnten in ihrem Handeln unterstützen.
Umso wichtiger ist es, diese Ruhe zu durchkreuzen und die Täter und die dahinter stehenden Strukturen mit ihren abgesprochenen Deals mit der sächsischen Justiz nicht davon kommen zu lassen. Helft dabei, die rechten Strukturen in die Öffentlichkeit zu zerren und ihre Banden und Netzwerke offen zu legen.
Kommt zur Verhandlung am 10. Januar um 8 Uhr zum Amtsgericht und macht deutlich, was ihr von den Absprachen mit organisierten rechten Strukturen in Sachsen haltet.
Kein Angriff wird vergessen, nichts ist vergeben.
Kundgebung: 10. Januar, 8 Uhr vor dem Amtsgericht Leipzig (Bernhard-Göring-Straße 64)