Gewerkschafter Jörg Reichel denunziert FLINTA*-Aktivist*innen
Heute morgen brüstete sich der vermeintlich „linke“ Gewerkschafter Jörg Reichel (ver.di/dju) damit, eine Teilnehmer*in der „Take Back The Night“-Demo am 30.4. in Berlin angezeigt zu haben. Er wirft der Person vor ihn geschubst zu haben, weil er nicht aufhören wollte, die linksradikale Demonstrationen abzufilmen. Die Vorkommnisse inszeniert er als vermeintlichen Angriff auf die Pressefreiheit, obwohl er selbst kein Journalist, sondern Gewerkschafter ist. Letztendlich nutzt er also die bürgerliche Pressefreiheit dazu, die Selbstbestimmung der Demonstrant*innen anzugreifen. Das dürfen wir nicht tatenlos hinnehmen. Jörg Reichel hat keinen Platz auf Veranstaltungen der radikalen Linken und muss von diesen entfernt werden.
Doch was ist geschehen?
Den genauen Ablauf der Ereignisse kennen wir nicht. Nur die öffentlichen Nachrichten von Jörg Reichel sowie einige Beobachtungen der Situationen aus der Distanz. Offensichtlich befand sich Reichel am Rande der „Take Back The Night“-Demo und filmte diese bei Polizeiübergriffen. Auf die Bitte von Teilnehmenden, das Abfilmen linker Demonstrationen gerade bei konkreten Angriffen zu unterlassen, reagierte er nicht. Nun gibt Reichel an, dass eine Teilnehmer*in ihn geschubst und sein Handy zugehalten hätte. Auch Begleiter*innen von Reichel, die die Situation filmen wollten, wäre das Handy zugehalten worden. Wir erkennen hier kein Fehlverhalten. Linksradikale Demonstrationen und ihre Teilnehmenden stehen unter einem besonderen Fokus der Repression. Jeder noch so kleine Informationsschnipsel kann von den Cops genutzt werden, um Menschen zu schaden – besonders wenn Personen wie Reichel alle Videos direkt auf twitter hochladen. Es erschließt sich auch nicht der Grund, warum der Gewerkschafter die Demonstration überhaupt gefilmt hat. Schließlich behauptet er, er besuche Demonstrationen lediglich, um Journalist*innen zu begleiten, deren Pressefreiheit eingeschränkt werde. Das Abfilmen von Demonstrationsteilnehmer*innen in hitzigen Situationen gehört nicht zu seiner beruflichen Aufgabe.
Linker Selbstschutz vs. Bürgerliche Freiheit
Wer sich nicht für den Schutz unserer Versammlungen interessiert, hat auf ihnen nichts verloren. Da ist es ganz egal, für wen diese Person arbeitet oder ob sie sich im Internet links darstellt. Linksradikale Politik zeichnet sich durch ihre Gegner*innenschaft zum Staat aus. Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass Leute wie Jörg Reichel ankommen und versuchen, mit bürgerlichen Freiheitsrechten, wie der Pressefreiheit, unsere mühsam erkämpften Freiräume auf der Straße einzuschränken. Anstatt die Grundsätze eines linken Selbstschutzes zu akzeptieren, rennt Reichel lieber zu den Cops, wenn er darauf hingewiesen wird, die Demonstration nicht zu filmen. Zuvor hatte er auf twitter noch die Teilnehmer*in als vermeintliche „Redner*in“ auf der Demonstration bezeichnet. Das heißt, dass Jörg Reichel Personen, die er in der Demo-Orga einer linskradikalen Veranstaltung vermutet, öffentlich denunziert und den Cops zum Fraß vorwirft. Das ist an bürgerlicher Widerwärtigkeit kaum zu überbieten.
Nicht das erste Mal
Bei alledem dürfen wir nicht vergessen, dass der beschriebene Übergriff auf Teilnehmende und Struktur einer queerfeministischen Demo von einem cis-Mann ausging. An der cis-Identität von Jörg Reichel besteht für uns aufgrund seiner gender-Performance kein Zweifel. Und das ist nicht das erste Mal, dass er gegenüber queerfeministischen Veranstaltungen übergriffig wird. Zuletzt wurde Reichel am 8.März der kämpferischen Demonstration zum feministischen Kampftag „Fight by Night“ verwiesen. Die Demonstration hatte zuvor explizit darum gebeten, dass keine cis-männlichen Journalisten den FLINTA*-Frontblock begleiten sollen. Reichel wusste das und stand trotzdem daneben. Wir müssen somit davon ausgehen, dass Reichel, die Wünsche der Organisierenden bewusst missachtete. Anstatt aber seinen berechtigten Ausschluss zu respektieren, jammerte er auf auf twitter herum und fabulierte wieder einmal von Einschränkungen der Pressefreiheit.
Jörg Wer?
Doch wer ist dieser Jörg und was macht er auf linksradikalen Demonstrationen? Jörg Reichel ist der Berliner Landesgeschäftsführer der „Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union“ (dju) in ver.di. Er ist somit ein Gewerkschaftsfunktionär mit der Aufgabe, journalistisch arbeitende Menschen zu unterstützen. Das umfasst Fragen des Arbeitsumfeldes, Arbeitskämpfe oder Problemen bei der Ausübung journalistischer Tätigkeit, wie zum Beispiel Einschränkungen der Pressefreiheit. Seine Position und seine Arbeitsaufgaben sind nicht explizit links. Doch inszeniert sich Reichel gern als vermeintlich linker Gewerkschaftsaktivist. Er hilft nicht nur Journalist*innen, die von der Polizei oder Rechten schikaniert werden. Er übt Kritik an systematischen Polizeiübergriffen und hält mit seiner Kritik an rechten Kräften nicht hinterm Berg. Dabei nutzt Reichel seine Position und die damit verbundene Reichweite aber auch, um Zusammenhänge der radikalen Linken aus einer bürgerlichen Sicht als antidemokratisch zu markieren. Sein Ziel ist es, bestimmte Gruppen und Strömungen auf diese Weise zu beschmutzen und letztendlich mundtot zu machen. Ein solcher Angriff auf linksradikale Arbeit aus einem linksoffenen Gewerkschaftsmilieu ist nicht hinnehmbar. Ein Teil des Jobs von Jörg Reichel ist es, systematische Einschränkungen der Pressefreiheit, wie sie unter anderem auf Demonstrationen passieren können, zu dokumentieren. Das heißt, er stellt empörte Nachrichten auf twitter. Ein fachliches Monitoring, das seine Arbeit nachvollziehbar machen würde, findet hingegen nicht statt. Darüber hinaus kann er nach Möglichkeit auch versuchen, vor Ort gegen Einschränkungen vorzugehen. Hierzu kann er zum Beispiel das Gespräch mit der Polizei oder den Veranstaltenden suchen. Insgesamt dient seine Position der außerparlamentarischen Kontrolle liberaler Freiheitsrechte. Weil viele Übergriffe auch journalistisch arbeitende Menschen von rechts passieren, kann schnell der Eindruck entstehen, dass Reichel vor allem linke Journalist*innen schützt. Doch letztendlich muss er sich für alle mit einem amtlichen Presseausweis einsetzen. Das können linke Journalist*innen sein, aber prinzipiell auch reaktionäre von Springer oder bis vor Kurzem auch noch RT.
Reichel raus!
Es gibt viele Journalist*innen, die über soziale Bewegungen berichteten, und sich idealerweise als Teil von ihnen verstehen oder ihnen zumindest solidarisch gegenüberstehen. Sie versuchen die Bewegungen mit ihrer Arbeit zu unterstützen oder zumindest nicht zu stören und das nicht aufgrund, sondern trotz ihrer Privilegien, wie Presseausweise. Jörg Reichel steht demgegenüber für eine gefährliche Tendenz. Er versucht unter dem Deckmantel der Pressefreiheit linke Standards auszuhebeln. Wenn er dafür Konsequenzen erfährt, zieht er sich auf den bürgerlichen Staat und die Cops zurück. Er denkt, dass er radikale linke Bewegungen behandeln kann wie Faschos. Wir sollten nicht so mit uns umgehen lassen.
Jörg Reichel ist dabei nicht die einzige Person, die als Presse getarnt gegen linksradikale Politik vorgeht. Sie alle haben auf linksradikalen Demonstrationen nichts verloren. Wir haben nichts gegen journalistische Berichterstattung über unsere Demonstrationen, aber bitte im Einklang mit unseren Bedürfnissen. Wer glaubt, dieses Prinzip von Bewegungspolitik mit bürgerlichen Konstrukten aushebeln und angreifen zu können, ist nichts weiter als ein liberaler Wicht und unser politischer Feind.
Ergänzungen
Auch nicht gut für die Pressefreiheit
Kollege Jörg mag ein guter Gewerkschaftssektretär sein. Sein Verhalten auf Demos ist problematisch - auch unter dem Gesichtspunkt der Pressefreiheit: Auf der Demo, angemeldet von jüdischen Aktivist*innen, am 20. Mai 2023, 15 Uhr, O-Platz in Berlin gab es zahlreiche Pressevertreter:innen, die sich als solche ausgaben und von der Demo-Orga freundlich und professionell behandelt wurden. Mitarbeiter von politischen Organisationen, die der Demo feindlich gesinnt sind, waren auch anwesend und haben Porträtaufnahmen von Teilnehmer:innen gemacht.
Es gab die ganze Zeit Versuche der Ordner*innen, auf deren provokantes Auftreten deeskalierend zu agieren. Es ist offensichtlich, dass das provokante Auftreten dieser politischen Aktivist:innen (insb. JFDA, die mit Jörg von ver.di eng kooperieren und die mit einem Presse-Ausweis von verdi akkreditiert sind), einer Strategie dient: Fälle von „Pressefeindlichkeit“ zu provozieren, um sie später als Grund für Einschränkungen und Verbote für die Polizei zu liefern. Dass Ver.di sich für dieses zynische Spiel ausnutzen lässt, ist ein echtes Problem und könnte auch für wirkliche Pressevertreter:innen Konsequenzen haben.