Berlin: Kommunikationsguerilla vertreibt Tag der Bundeswehr
2023 wird es keinen „Tag der Bundeswehr“ in Berlin geben. Das hat das Verteidigungsministerium bekannt gegeben. Überraschend, denn drei Jahre lang versuchte die Bundeswehr erfolglos ihren „Tag der Bundeswehr“ auch prestigeträchtig in der Hauptstadt zu veranstalten. „Nun haben sie aufgegeben“ freut sich Klaus Theodor zu Schlechtenzwerg, Sprecher*in der Kampagne „Tag ohne Bundeswehr 2021 (tob21.noblogs.org)“: „Die Militärs scheiterten an der Corona-Pandemie – und an einer antimilitaristischen Kommunikationsguerilla.“
Kommunikationsguerilla gegen die Bundeswehr
Seit 2020 tobte in Berlin-Tegel ein Kommunikationskrieg. Auf der einen Seite: Die Bundeswehr und der damalige Bürgermeister Frank Balzer, die dort zusammen mit dem Stadtfest den „Tag der Bundeswehr“ ausrichten wollten (Frank „The Tank“ Balzer ist mittlerweile im Abgeordnetenhaus der CDU-Scharfmacher. Bundesweite Bekanntheit erlangte er nach Silvester 2022, weil die Namensliste der Randalier*innen im Gegensatz zu seiner rassistischen Erwartungshaltung vor allem Gerhards, Patricks und Kläuse aufzählte). Auf der anderen Seite: Eine antimilitaristische Kommunikationsguerilla, die mit Adbustings und satirischen Fake-Schreiben die Propaganda-Pläne angriff.
Kreative Aktionen
Bereits seit 2018 ist der Tag der Bundeswehr regelmäßig Anlass für sogenannte Adbusting-Aktionen, einer Protestform, bei der Werbeposter satirisch verändert oder gefälscht werden. Besonders 2021, als der Tag der Bundeswehr nur digital stattfand, gelang es den Aktivist*innen, mit gefälschten Plakaten im Bundeswehr-Design in fast 20 Städten der Bundeswehr medial die Show zu stellen. In Berlin tauchten außerdem Satire-Flyer im offiziellen Design auf. Mal verkündete angeblich Bürgermeister Balzer, dass er wegen der Pandemie zur Vernunft gekommen sei, die Kooperation mit der Bundeswehr aufgekündigt habe und lieber das Gesundheitswesen aufrüsten wolle. Mal erklärte eine „Kriegsministerin Annegret Krupp-Knarrenbauer“, dass sie Adbustings super fände, denn die Bundeswehr kämpfe ja auch dafür, dass man gegen sie sein könne.
Störpropaganda gegen die Bundeswehr?
Die Bundeswehr tat offiziell cool, doch der Staatsschutz des LKA Berlin drehte frei. Hausdurchsuchungen, DNA-Analysen und Meldungen ans Terrorabwehrzentrum GETZ waren die Folge. Doch egal ob "Schwerer Diebstahl", "Sachbeschädigung", "Beleidigung", "üble Nachrede", "Erschleichen von Leistungen" oder gar "Störpropaganda gegen die Bundeswehr": Alle Ermittlungen verliefen im Sande und die Staatsanswaltschaft stellte letztlich sogar klar, dass das Kapern von Werbevitrinen nicht strafbar sei. „Vielen Dank dafür“, sagt Klaus Theodor zu Schlechtenzwerg
Bundeswehr versteckt sich in Kaserne
Kontinuierlich mit kreativem Protest konfrontiert, konnte die Bundeswehr ihre Überlegenheit beim Geld und beim Personal nicht ausspielen, da die Corona-Pandemie die Möglichkeiten des Militärs einschränkte und letztlich für Absagen des Tags der Bundeswehr sorgte. Bereits bei den Planungen für 2022 zeigte sich dann, dass die Aktionen der Kommunikationsguerilla nicht wirkungslos waren. Statt den Tag der Bundeswehr wie noch 2020 und 2021 zusammen mit dem Stadtfest veranstalten zu wollen, zogen es die Bundis in ihren Planungen vor, sich hinter die Mauern und den Stacheldraht der Julius-Leber-Kaserne zurück zu ziehen. „Diese kleinen Aktionen scheinen die Bundeswehr zu einer Planänderung bewogen zu haben“, bemerkt Klaus Theodor zu Schlechtenzwerg verwundert. „Das zeigt, wie nervös die schon auf kleinste Kritik in der Öffentlichkeit reagieren.“
„We love Tegel- denn hier traut sich die Bundeswehr nicht her!“
Diesen Erfolg im Jahr 2022 feierte die Kommunikationsguerilla selbstverständlich mit einer Ätsch-Aktion. Die Chaot*innen klauten das Corporate Design des Tegeler CDU-Propaganda-Vereins "I love Tegel" und machten aus dem Slogan ein „We love Tegel: Denn hier traut sich die Bundeswehr nicht her.“ Dieses Motiv hingen sie als Poster unerlaubt in über dreißig Werbevitrinen in Tegel und verklebten außerdem über 1000 Aufkleber mit dem Motiv. „Was selbstverständlich im superspießigen Tegel eine Sofortfahndung auslöste!“ staunt Klaus Theodor zu Schlechtenzwerg: „Erfolglos natürlich. Denn eine Kommunikationsguerilla bleibt unsichtbar.“
Breite Unterstützung
Nachdem in den ersten beiden Jahren sich vor allem die hauptstädtische Kommunikationsguerilla-Szene des drohenden Tags der Bundeswehr annahm, schwappte das Thema 2022 auch in die linksradikale Szene. Bereits im April trafen sich fast ein dutzend Gruppen, um ein „antimilitaristisches Skillshare für kreativen Protest“ mit Blick auf den Tag der Bundeswehr zu veranstalten. Die erneute Pandemie-bedingte Absage feierten diese Gruppen mit einem Fest vor dem Bethanien auf dem Marianenplatz.
Adbustings in Ausstellungen und Museen
Die Kommunikationsguerilla-Aktionen wanderte derweil ins Museum. Der Kunstraum Kreuzberg beherbergte im Sommer 2022 die mit 75.000 Euro vom Hauptstadtkulturfonds geförderte Ausstellung „Werbepause: The art of subvertising“. Mit dabei: Poster, die die Bundeswehr gar lächerlich machten und gefälschte Schreiben der Kriegsministerium AKK, die angeblich sage, dass sie Adbustings ganz klasse fände, denn die Bundeswehr kämpfe ja auch dafür, dass man gegen sie sein könne. Selbst das Militärhistorisches Museum der Bundeswehr in Dresden zeigt seit September 2022 Adbustings von „Tag ohne Bundeswehr 2021“ in seiner Ausstellung.
Die Sensation
Und im Januar 2022 nun die Sensation: „Berlin steht nicht auf der Liste, als das Kriegsministerium die Orte des Tags der Bundeswehr im Jahr 2023 verkündet!“ jubelt Klaus Theodor zu Schlechtenzwerg. Die Militärs verzichten darauf, den Tag der Bundeswehr in der Hauptstadt zu feiern, obwohl sie die letzten drei Jahre total scharf darauf waren: „Offensichtlich haben die Bundis genug von den vielen fiesen Nadelstichen und veranstalten ihre Party lieber an konflikt-ärmeren Orten.“
Kein Einzelfall
Auch die Polizei Berlin verzichtete 2022 bereits im zweiten Jahr in Folge auf Werbung mit City-Light-Postern. Denn auch diese wurden immer wieder Ziel von Adbusting-Anschlägen, die die Polizei gar lächerlich machten. Der Berliner Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) weinte deshalb öffentlich auf Twitter: „Kann nicht sein, dass das stärkste Mittel des Rechtsstaats gegen solche Perversion das Kunsturheberrecht ist.“
Proteste im Jahr 2023?
Im aktuellen Jahr 2023 planen die deutschen Militärs den „Tag der Bundeswehr“ in elf Städten weit weg vom S-Bahn-Ring. Die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen (DFG-VK) ruft bereits in Bad Ems, Brandenburg a.d. Havel, Bruchsal, Bückeburg, Kaufbeuren, Kümmersbruck, Murnau, München, Oldenburg, Veitshöchheim und Wilhelmshaven zu Protesten auf. „Wir hoffen, dass der Erfolg aus Berlin inspirierend auf anderen Leute in anderen Städten wirkt“, sagt Klaus Theodor zu Schlechtenzwerg. „Denn es zeigt, dass man sogar in einer riesiegen Stadt wie Berlin auch mit nur relativ wenigen Leuten viel erreichen kann.“
Infos der DFG-VK zum Tag der Bundeswehr 2023: https://keintagderbundeswehr.dfg-vk.de/
Bilderbuch zu Adbusting „Mega Unerhört: Adbusting mit Polizei und Militär“: https://bbsc.blackblogs.org/