Die Rolle der Türkei bei der Aufrüstung des Islamischen Staates
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Der militärische Erfolg des »Islamischen Staates« (IS), der im Sommer 2014 innerhalb weniger Wochen weite Gebiete Nordiraks eroberte, schockiert die Öffentlichkeit. Westliche Staaten beschlossen inzwischen, die kurdischen Peschmerga-KämpferInnen im Nordirak zu bewaffnen und die Staaten in der Region bei ihrem Kampf gegen den IS zu unterstützen.
Die Waffenlieferungen haben auch innerhalb der Linken in Deutschland Diskussionen ausgelöst. Allerdings hat die Zuspitzung auf die Frage der Waffenlieferungen den Blick verengt und vergessen lassen, wie der IS überhaupt so mächtig werden konnte. Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten, weil das Wissen um die Strukturen des IS beschränkt ist. So blühen viele Verschwörungstheorien, wie etwa dass die CIA oder der Mossad hinter der IS stecken würden.
Der IS ist ein Produkt des syrischen Bürgerkrieges. Nach der Niederschlagung der friedlichen Oppositionsbewegungen durch das Assad-Regime ab 2011 gewannen innerhalb des Anti-Assad-Blocks die bewaffneten Gruppen unterschiedlicher Couleur an Macht. Bis zum Arabischen Frühling waren die Beziehungen der Türkei und der arabischen Golfstaaten zu Syrien gut. Danach stellten sie sich gegen Assad.
Insbesondere die türkische Regierung unter Erdogan macht aus ihrer Unterstützung für die syrische Opposition kein Hehl. Die Türkei nahm viele syrische Flüchtlinge auf und ermöglichte den syrischen RebellInnen, in der Grenzregion zu Syrien militärische Ausbildungslager aufzubauen und unter den Flüchtlingen zu rekrutieren. Die arabischen Golfstaaten finanzierten die Aktivitäten und die Bewaffnung. Diese externe Unterstützung verschob die Machtverhältnisse zwischen den verschiedenen Rebellengruppen. Konservativ-islamische und islamistische Kräfte erhielten mehr militärische und finanzielle Ressourcen und gewannen so an Macht gegenüber den Säkularen.
Allerdings musste der IS nicht zwangsläufig aus dieser Vielzahl von islamistischen Organisationen derart gestärkt hervorgingen. Der Erfolg des IS gegenüber ähnlichen Gruppierungen scheint darauf zurückzugehen, dass er besser in der Lage war, die internationale Jihadisten-Szene zu mobilisieren. Dokumente, die bei getöteten IS-Kämpfern gefunden wurden, zeigen, dass viele von ihnen aus dem Ausland stammen. Die nicht-syrischen IS-Kämpfer reisen über die Türkei nach Syrien. Insgesamt wurde für das Machtkalkül der bewaffneten Rebellengruppen die externe Unterstützung wichtiger als die Verankerung in Syrien. Die IS-Strukturen, wie etwa ein Rekrutierungsbüro in Fatih/Istanbul und verschiedene Ausbildungslager, wurden von der türkischen Regierung zumindest geduldet. Manche türkischen Quellen berichten davon, dass der türkische Geheimdienst MIT an der Rekrutierung, Ausbildung und Bewaffnung der IS-Kämpfer beteiligt sei.
Das kleinere Übel als Sorgenkind
Der IS und andere islamistische Organisationen, die in den syrischen Bürgerkrieg verwickelt waren, wurden von der türkischen Regierung als Gegenmacht zur PKK-nahen kurdischen autonomen Region Rojava in Nordsyrien unterstützt oder zumindest geduldet. Während die Stabilisierung der kurdischen Eigenständigkeit in Nordsyrien und die Stärkung der PKK-nahen PYD-Partei (Partei der Demokratischen Union) als Gefahr für die türkischen Interessen deklariert wurden, betrachtete man die Aktivitäten des IS und anderer JihadistInnen nicht als Problem.
Auch der Anschlag im Mai 2013 in der türkischen Grenzstadt Reyhanl? mit 51 Opfern, der möglicherweise im Kontext der jihadistischen Aktivitäten in der Türkei steht, führte nicht zur Einstellung der türkischen Unterstützung. Vielmehr wurden die Untersuchungen zum Anschlag von der Staatsführung behindert, sodass bis heute die TäterInnen nicht ermittelt sind. Auch in anderen Fällen agierte die türkische Regierung sehr fragwürdig: In mehreren Fällen wurden PolizistInnen, die illegale Waffentransporte nach Syrien stoppten, strafversetzt.
Der türkische Kurs änderte sich erst langsam mit der Irakoffensive des IS im Sommer 2014 und der Geiselnahme von türkischen DiplomatInnen und LastwagenfahrerInnen durch den IS. Es ist selbst für die türkische Führung offensichtlich geworden, dass der IS nicht kontrollierbar ist und sich nicht lediglich als Werkzeug gegen die PKK nutzen lässt. Der IS verfügt inzwischen über genug Macht und Ressourcen, um die eigenen Interessen zu verfolgen. Die inoffizielle Duldung bis Unterstützung des IS durch die Türkei mag vorbei sein, aber durch den Kauf von Erdöl aus den vom IS kontrollierten Gebieten finanziert sie ihn indirekt nach wie vor.
Die Unkontrollierbarkeit, die Radikalität und die Brutalität des IS haben inzwischen dazu geführt, dass auch die Akteure, die für seine Entstehung und Stärkung mitverantwortlich sind, von ihm abgerückt sind. Allerdings steht eine umfassende Aufarbeitung der Verwicklung der Türkei und der arabischen Golfstaaten sowie der Rolle ihrer Geheimdienste noch aus. So ist nicht auszuschließen, dass während einerseits Waffen an die Peschmerga-KämpferInnen geliefert werden, andere Akteure Waffen an den IS liefern, um die kurdische Autonomieverwaltung im Nordirak in Schach zu halten. Die Leidtragenden wird wohl in jedem Fall die Zivilbevölkerung in Syrien und dem Irak bleiben.
Ergänzungen
Unterstützt die Selbstverteidigungskräfte gegen den IS
Die Initiative "Solidarität mit Rojava" lässt die Unterstützung der linken Kräfte in Nordsyrien praktisch werden: http://rojava-solidaritaet.net