Autoritarismus mit A

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Wer in Flensburg wohnt und irgendwie mit der linken oder Punkszene zu tun hat, wird es mitbekommen haben: In der Kollektivkneipe "Die ganze Bäckerei" gab es im letzten halben Jahr Streit, Spaltung und am Ende Rauswurf des halben Kollektivs. Im Folgenden wollen wir, das sind ein Paar der rausgeworfenen, eine Einordnung und Analyse dessen versuchen, was da eigentlich passiert ist.

Unseres Erachtens hat der Streit seine politische Dimension in einer grundverschiedenen Auffassung davon, wie eigenverantwortlich selbstorganisiert oder zentralistisch autoritär die kollektive Zusammenarbeit organisiert sein sollte, wie kritisch oder fügsam unser Verhältnis gegenüber Staat und Patriarchat. Für manche von uns war das, was wir teilweise schon über Jahre, teilweise erst im eskalierenden Streit, an autoritärerem Denken und Handeln abbekommen haben, eine Überraschung, die wir so in einer sich nicht nur links, sondern überdies anarchistisch verstehenden Szene nicht erwartet hätten. Wir finden es wichtig darüber offen zu reden, und weit über die zunächst einmal kleinliche Zerlegung eines Kneipenkollektiv hinaus eine Auseinandersetzung mit autoritären Mustern in linken Niederungen zu befeuern. Das wir dazu teilweise Interna öffentlich ansprechen, die unter anderen Umständen staatliche Repressionen nach sich ziehen könnten, halten wir für unerheblich, da die jetzigen Kneipenbetreiber:innen in allen fraglichen Punkten ohnehin jede staatliche Prüfung mit 1+ zu bestehen bemüht sind. Wenn wir im folgenden von „Bäckereikollektiv“ reden, ist immer das Kollektiv in seiner jetzigen Zusammensetzung gemeint, womit wir uns auch auf das Selbstverständnis der sich letztlich durchgesetzten autoritären Fraktion als „das Kollektiv“ beziehen.

 

 

Einige Beispiel für autoritäres/reaktionäres Denken und Handeln

Wir waren über die Jahre immer wider mit einzelnen Situationen konfrontiert, die für sich genommen vielleicht noch hinnehmbar sind, und daher auch, viel auch aus Konfliktscheue, hingenommen und nicht weiter thematisiert wurden. Rückblickend und resümierend ergibt sich aus der Summe dieser Vorfälle aber das Bild, das viele der Leute die aktuell das Kneipenkollektiv bilden ein autoritäres Denken an den Tag legen, das - naiver weise - sehr lange weder erwartet noch richtig wahrgenommen wurde. Dies sei anhand einiger ausgewählter Beispiele illustriert.

 

 Mehrfach kam es vor, dass eine Person, die die Aufgabe übernommen hatte, die jeweils aktuellen Coronamaßnahmen zu verstehen, wahrscheinlich ohne bewusste Absicht, Maßnahmen angenommen hat, die es nicht gab. Am gravierendsten eine Pflicht Testnachweise (mit samt der personenbezogenen amtlichen Daten) nicht nur zu erheben, sondern auch zu photokopieren und zu speichern. Real fand sogar der Staat zu jederzeit, dass solcherlei aus Datenschutzgründen verbietungswürdig sei.
Dieselbe Person hat das Stellen einer Anzeige gegen einen Genossen verteidigt, der - andernorts, an der Arbeitsstelle der Person - beim Takken erwischt worden sein soll. Die Anzeige sei nötig gewesen um von der Versicherung Kohle fürs Streichen zu bekommen, was sachlich falsch sein dürfte. (Eine Anzeige dürfte gereicht). Beide kannten einander, ein Versuch die Angelegenheit ohne Rückgriff auf staatliche Repressionsorgane zu regeln wurde nicht unternommen, der Genosse hat aus der Anzeige einen Strafbefehl erhalten und so auch einen entsprechenden Vorstrafeineintrag.
Eine anderes Kollektivmitglied äußerte gegenüber eine:r Genoss:in in persönlichem Gespräch, dass, wenn jemensch sexualisierte Gewalt widerfahre, die Betroffene eben damit klarkommen müsse, schließlich liege die Ursache der Vergewaltigung in einem eigenen Fehlverhalten in einem früheren Leben. Die selbe Person hat vor ein paar Jahren, als Leute, auch damalige Kollektivmitglieder, durch das sogenannte "RK", eine neostalinistische Männerhorde, örtlicher Ableger des "Jugendwiderstandes", bedroht und angegriffen wurden (zum Beispiel mit veritabler Vergewaltigungsdrohung: "Jetzt-giebts-Schwanz-ihr-Fotzen!"), sich gegen eine Solidarisierung mit den Betroffenen durch die Bäckerei ausgesprochen. Eine solche Positionierung würde Menschen ausschließen, was ein so vielfältiges Kollektiv wie die Bäckerei nicht tun könne. Auch sei die Bäckerei kein politischer Raum.
Vor ca 3 Jahren war mal eine desorientiert wirkende, sehr alkoholisierte Person im Laden, die keiner kannte. Nach einem Sturz vom Barhocker hatte sie überdies eine leicht blutende Wunde auf der Stirn, die sie nicht versorgen lassen wollte, hatte sich aber auch aus eigener Kraft wider auf den Hocker gesetzt. Was tun? Vorschlag des Menschen hinterm Tresen: abwarten, im Auge behalten, Glas Wasser hinstellen, je nach Entwicklung der Situation weiter verfahren. Vorschlag eines  Kollektivmitlids: Polizei rufen! So dann auch gegen den Willen des Tresenverantwortlichen geschehen. Die Cops sind, nachdem die betroffene Person mit denen auch nichts zu tun haben wollten, zum Glück einfach wider gegangen ohne Stress zu machen, die Person selber eine halbe Stunde später auch.

 

Die Bäckerei ist als Raucherkneipe konzessioniert. Das heißt, dass Menschen unter 18 von staatswegen nicht rein dürfen, selbst wenn an einem Abend ausnahmsweise Rauchverbot ist. Das ist ziemlich blöd, gerade weil zur Zeit viele neue Leute, Jugendliche, in der linken Szene aktiv werden. Sowohl für die, als auch für die Kneipe wäre es im Prinzip gut, wenn sie zumindest ab und an mal rein dürften. Zum Beispiel im Rahmen einer einmal im Monat stattfindenden Antifakneipe. Geht nicht, sagte das Kollektiv, is ja nämlich verboten. Ja stimmt, sagten wir. aber was heißt denn das? Wir rechneten vor: Wird eine eine minderjährige Person in einer Raucherkneipe erwischt gibts ein Bußgeld von bis zu 1000 Euro für die Wirt:innen, das heißt beim ersten mal weniger, rechnen wir mal mit ein paar hundert Euro. Wie oft haben wir eine Kontrolle? So weit wir wissen, in bisher 9 Jahren Kneipenbetrieb eine. (andere Quellen sprechen von null). Bei nur einem U18 offenen Tag im Monat macht das eine statistische Kontrollwahrscheinlichkeit an gerade dem Abend von so bummelig einmal in hundert Jahren. Eine normal besuchte Antifakneipe bringt locker 300 Euro Gewinn ein, gegen über null Euro ohne Antifakneipe, da mangels Beteiligung an Tresenschichten sowieso sehr oft zu ist, wenn eigentlich offen sein sollte. Heißt also: Nach drei Monaten ist ein zu erwartendes Bußgeld wider drin. Sollten wir Pech haben und tatsächlich mal kontrolliert werden, könnten wir das Experiment dann immer noch abbrechen, und hätten trotzdem bis dahin mehr Kohle als sonst, Leuten einen Raum geboten und hoffentlich auch für Mitarbeit an der Kneipe gewonnen. Einzige Antwort des Bäckereikollektivs auf solche Argumente: Es ist aber doch verboten! Beziehungsweise wörtlich: "Es gibt außerdem eine juristische Verantwortung als Konzessionsinhaberin die Kneipe vor Übergriffen staatlicher Repression zu schützen."

 

 Umgang mit Übergriffen und Blindheit gegenüber Machomännlichkeit

Insbesondere gewisse Männer tendieren dazu ihr eigenes Ego immer wider durch die Abwertung anderer zu produzieren, ein Auftreten an den Tag zu legen, das die eigene Überlegenheit demonstrieren soll. Das beinhaltet offensives auf Provokation angelegtes Ansprechen, mit unter aus sozial inadäquater Nähe (wenige Zentimeter face to face oder sogar Anlehnen), das (öffentliche) in Abrede Stellen anderer Leute Identität und Respektabilität bei gleichzeitiger Betonung des eigenen Standings. Die Grenze zum physischen Übergriff wird dabei meist nicht oder nur geringfügig überschritten, sexualisierte (sprach)Inhalte vermieden. Das schafft einen Rahmen, indem die „Täter“Person darauf zählen kann, eben nicht als Täter zu gelten, da ja keine der formalen Kriterien für ein Verhalten erfüllt sind, von dem wir alle in der Antifagrundschule gelernt haben, dass es übergriffig sei. Das hilft es zu ignorieren, dass wir es hier in der Wirkung eben insoweit sehr wohl mit aggressivem, in dem Sinne gewalttätigen Verhalten zu tun haben, als eine unterdrückende Wirkung entfaltet wird. Wenn mensch nun noch beobachten konnte, dass insbesondere ein Kollektivmitglied sich auf die umrissene Art vornehmlich solchen Leuten gegenüber verhalten hat, die ihn kritisiert oder ihm widersprochen haben, ist es naheliegend zu vermuten, dass diese unterdrückende Wirkung durchaus bewusst, und zum Teil auch Sinn der Sache ist. Das grundlegende Problem ist, dass zwar gewisse Symptome patriarchal männlichen Verhaltens geächtet sind, ein Bewusstsein für die Problematik dieser Männlichkeit an sich aber null vorhanden ist.
Auf mehreren Plena wurde von einem Großteil des Plenums klar gesagt, dass physische Gewalt wesentlich schlimmer sei als psychische Gewalt. So wurden keine Versuche unternommen dem besagten Menschen, der psychische Gewalt mehrfach ausgeübt hat und dies auch auf dem Plenum vorgetragen wurde, zu sanktionieren oder einen zukünftigen Umgang zu finden. Anders bei einem Menschen, der nach einem solchen Übergriff seinerseits handgreiflich wurde. Andernorts, nebenbei bemerkt. Hier wurde der Person direkt ein Hausverbot ausgesprochen.
Toxische Männlichkeit wird leider in unserer Gesellschaft oft noch nicht erkannt. Deshalb ist es wichtig, dass nach jedem Hinweis darauf das Gespräch gesucht wird, und Macker auf ihr Verhalten hingewiesen werden. In der Bäckerei allerdings ist dies eher nie der Fall. Mackerverhalten wird toleriert, ignoriert, mit Verweisen auf schlimme Kindheit oder Alkoholisierungsgrad relativiert, nicht erkannt, und im schlimmsten Fall unterstützt.

 

Die Praxis, dass Menschen, welche Übergriffigkeiten in der Bäckerei erlebt haben, sich an das Plenum wenden sollten, um Unterstützung durch Kollektivmitgliedern zu bekommen, erschafft einen Raum, der Menschen schützt, die Freund:Innen im Kollektiv haben, und Menschen ausschließt, bei denen dies nicht der Fall ist. Ein Trauma vor fremden Menschen schildern und damit oft auch noch einmal durchmachen zu müssen, bietet kein Schutz, sondern fühlt sich eher an wie die Bedienung von Sensationslust. Oder noch krasser: wie ein Mittel Menschen auszuschließen. Dies gilt besonders wenn man weiß, dass mehrfach Anschuldigungen nicht ernst genommen und Bitten um Hilfe direkt übergangen wurden, oder „Beweise“ für die erlebten Übergriffe eingefordert werden. Immer wieder wurde diese Forderungen nach „ Beweisen“ von toxisch maskulinen Verhalten/Gewalt, also dem tatsächlichen „objektiv“ nachvollziehbaren Übergriff erhoben. Alternative, barrierefreie Konzepte für die Bearbeitung von Übergriffserfahrungen, wie ein Awareness Team, unparteiische Ansprechpersonen oder anonymer Kummerkasten wurden in der Bäckerei abgelehnt.

 

Es wurde auch argumentiert, dass jeder einen einen Schutzraum brauche, auch der Täter, das Schutzraumbedürfnis Betroffener so neutralisiert.
Mit Aussagen wie „Er war ja betrunken/hat es ja nicht so gemeint / er eckt schon   immer ein bisschen an / er hatte ja nun auch eine schwere Kindheit“ wurde aktiver Täterschutz betrieben. Viel Verständnis für ihn, aber kein Verständnis für die Bedürfnisse der Betroffenen. Auch wurde immer wider mit der Offenheit des Raumes argumentiert, dass die Bäckerei ein Ort für alle sein solle aus dem Niemand ausgeschlossen werden solle. Das schafft ein survival-of-the-fittest Klima, dass implizit den Ausschluss weniger dickfelliger, von Unterdrückungsmechanismen mehr betroffener Leute, befördert.
Dazu passend auch die Haltung gegenüber der Idee vielleicht auch mal FLINTA*only Abende zu organisieren. Das sei voll nicht gut, da ja cis-Typen ausgeschlossen würden, und außerdem habe es vor x-Jahren schon einen Beschluss gegeben, der das verbietet.

 

Kompromissvorschläge und Dogfight als Plenumskultur

Exkurs 1: Drogenkrieg
Es ist ein Thema, das immer wider über die Jahre mal angestoßen wurde: Wie soll mit dem (vermuteten) Konsum illegaler Substanzen umgegangen werde. Dass ein offener Drogenkonsum weder toleriert werden kann noch soll war stets Konsens, wie aber mit "unsichtbarem" Konsum umgehen, wie mit Leuten die schon unter Einwirkung von Substanzen den Laden betreten. Die vorgeschlagene Null-Toleranzpolitik war nicht unumstritten, weder in der vorgeschlagenen Methodik, noch in der Argumentation. Die Idee, zum Beispiel gezielt in den Blick zu nehmen, wer, wie, gff. mit wem, auf Klo geht um daraus Rückschlüsse auf möglichen Drogenkonsum zu ziehen, um dann prohibitiv einzuschreiten, war zum Beispiel nicht konsensfähig.
Was darauf folgte, war eine Variante der inzwischen sattsam erlebten autoritären "Diskussionskultur": Es werden rhetorische Figuren gebastelt, die in der Realität gar nicht vorkommen. So wird behauptet, die beschriebene Nulltolleranzpolitik müsse gefahren werden, da ansonsten die Konzession gefährdet sei. Und auf den Einwand hin, dass dies Bullshit sei, weil der Staat durchaus nicht verlange, und im übrigen auch gar nicht erlaube, zu kontrollieren was Menschen auf Klo tun, wird die Argumentation dann kurzerhand erweitert und öffentlich(!) behauptet, es würde die Akzeptanz offenen Drogenkonsums eingefordert. Klar, dann würde das Argument mit der Konzession ja auch hinhauen. Es wird also, um sich durchzusetzen, einerseits, gewissermaßen nebenbei, öffentlich diffamiert, und anderseits die Debatte auf ein Feld gezogen, auf dem sie eigentlich gar nicht stattfindet. Im Ergebnis erleben wir, dass es nicht um ein Aushandeln von Positionen und das Finden einer für alle tragbaren Lösung geht, sondern dass ein Axiom gesetzt ist, und das weitere Vorgehen dem Ziel dient, dieses durchzusetzen. Und zwar ohne Rücksichtnahme auf Logik, Realität und abweichende Meinungen. Interessanterweise geht dann auch genau das, was anderenorts keinesfalls geht: "Menschen haben geäußert...“(,dass Drogenkonsum für sie ein Trigger sei). Nun mag das sein, und sicherlich ist das Grund genug diese Tatsache in die Überlegungen zur Drogenpolitik mit einzubeziehen. Pittoresk ist nur, dass der Bezug auf diese nicht näher bezeichneten Menschen, aus dem Mund einer Person stammt, die andernorts expressis Verbis einfordert, dass Menschen, wenn sie ein Problem (mit dem Verhalten von Person X, zum Beispiel) hätten, das auf dem Plenum erläutern müssten, sonst könne mensch da gar nichts machen. Wider ein mal: Die Erwartungen an die Kommunikation anderer, hängen davon ab, ob ihre Wünsche mit den eigenen übereinstimmen oder nicht.

 

„Was tun?“ drängte sich als Frage auf. Unsere Idee war schlicht: Viele wollen unterschiedliches, wie wäre es wenn einfach alle machten was sie wollen? Die einen so die einen anders, je nachdem wer hinterm Tresen steht. Die Reaktionen waren, sogar für uns, überraschend heftig.

 

Die Eskalation

Autonome Tresenschichten könne es zb. nicht geben, diese würden missbraucht.  
„Die uneingeschränkte Tresenautonomie, (...) wo man gleich ein Schild aufhängen kann „Personen und Personengruppen, welche nicht meine Meinung haben oder dessen Nase mir nicht passt, sind hier nicht willkommen.“ Das spricht Leuten Verantwortungsbewusstsein ab, unterstellt Missbrauch und Borniertheit, beschwört implizit die Notwendigkeit einer Zentralinstanz, eines „ruler of last resort“, eines Leviathans, der seine Wölfchen im Zaume hält.
Diese Instanz der vermeintlichen Vernunft, dieser „gute König“ ist dann das Plenum, das heißt das gleichberechtigte nebeneinander von Leuten die die Kneipe regelten und Leuten, die zwar nix machten, aber über alles mitreden wollten. Vergangenen März bis Mai führte das alles dann zu einer Situation, in der von 33 Öffnungstagen an so ca. 5 tatsächlich offen war, und das zum Teil auch nur zu verkürzten Öffnungszeiten. Der Großteil der bisher den Laden schmeißenden Leute hatte schlicht kein Bock mehr. Für das Bäckereikollektiv bis dahin weder ein Grund die eigene Politik zu ändern, noch sich mal selber hinter den Tresen zu stellen.

 

Exkurs 2: Plenum

„kurzes, unzusammenhängendes Wahrnehmungsprotokoll vom heutigen Plenum. (…):
nach gewisser Verarbeitungszeit, fällt mir im spät abendlichen Gespräch (...), auf, was uns da eigentlich begegnet ist: blanker, unmaskierter Hass. Hass einer gröhlenden (nicht nur) Männer-horde. aber so vom Ding her, eine Stimmung wie wenn im Stadion die Hools von der Gegenmannschaft aufgemischt werden sollen oder so was. als wir raus sind: "keine halbe Stunde Plenum durchgehalten"; "Das ging ja schneller als gedacht!" "Endlich!" allgemeines Gegröhle, (...) Noch allgemeineres lautes Klatschen, (...) Am hasserfülltesten (*Name gestrichen*). Triefender Hass. Ein Auftreten, schon mit Plenumsbeginn von einer Art, dass ich intuitiv denke, und unterbewusst erwarte, dass sie jeden Moment aufspringt und uns körperlich angreift. Das ist nicht einfach Wut, oder Überforderung, oder Beleidigtheit, (...)
Und ich denke, es ist wirklich, also wirklich wirklich völlig müßig mit ihr zu reden, so lange Mensch ernsthaft was anderes will als sie. Darauf einzugehen ist für sie einfach keine Option, ganz egal wie und womit mensch argumentiert, wie doll plausibel mensch die Position vertritt, es ist egal. Sie wird immer ablehnen, sie wird immer auf ihrem Standpunkt beharren, no matter what. Da sitzen Leute und sagen, dass es ihnen kacke geht, sie sich nicht wohl fühlen, mit wiederkehrenden Situationen, und das ist ihr schlicht scheiß egal, sie benutzt die gefunden Schwachstellen allenfalls um in Wunde zu treten. Was tun, wenn Leute kommunizieren, dass es problematisch ist auf diesem Plenum was zu sagen, weil sie Angst haben? Noch angstauslösender werden! (…) Und dann die Situation als wir raus sind. Dieses hämische applaudieren. Mit einem Mal sind alle Masken, zivilisatorischen Masken der üblichen Plenumskultur, also die Ausdrucks-, Rede- und Verhaltensweisen etc. wie zur Seite geworfen, und unter der auch vorher schon dünnen Firnis des guten Anstandes kommt zum Vorschein eine orgiastische Hassstimmung, bei der ich mich Frage, ob ich da mit heiler Haut raus komme. (...)“

 

Es wird an den obigen Beispielen deutlich geworden sein: Eine echte inhaltliche Debatte ist unter diesen Umständen nicht führbar. Sie ist vom Bäckereikollektiv auch nicht gewünscht. "Es kann über alles diskutiert werden", wird zwar erklärt, während aber freilich die angebotenen Kompromissvorschläge – soweit überhaupt beachtet - verworfen wurden. Stattdessen Ausschluss, und mehr noch, Beschwörung der Einheit! Dazu wird die dissidente Gruppe erst mal zu einem eigenständigen, außerhalb stehenden Kollektiv erklärt, um sodann die Eigengruppe wider als geschlossen handelnde Einheit zu erleben, die den Rauswurf der rausdeffinierten beschließt:
"Es wird für die Bäckerei keine Scheidungskindlösung geben. (Das eine Wochenende macht die halbe Bäckerei Tresen und das andere die Ganze Bäckerei) Weil es u.E. die Spaltung nur weiter manifestiert."
Zur Deutlichkeit: vorgeschlagen war eine weitreichend Autonomie der einzelnen Tresenschichten, ganz ohne die Leute, die jene machen, irgendeinem Kollektiv zuzuordnen. Die Bezeichnung "halbe Bäckerei" stammt aus der Unterschrift unter eine Einladung zu einem offenen Treffen, die von halt so ungefähr der Hälfte der beim letzten Plenum anwesenden mit verfasst wurde. Weiter wurde dann beschlossen, dass "Menschen von der halben Bäckerei (erstmal) keine Tresenschichten übernehmen werden." Das erstmal wurde dann zwar nicht expresis Verbis durch einen formal korrekt gefassten Plenumsbeschluss, wohl aber durch konkludentes Handeln, der sich als "ganze Bäckerei" begreifenden auf unbestimmt verlängert.

 

Schlosstausch

Nach der Ankündigung von einigen Exkollektivmitgliedern, die bestehenden Strukturen nicht länger hinnehmen zu wollen, standen wir am nächsten morgen vor verschlossener Tür: Die Schlösser waren getauscht. Ein Vorhaben, dass ein Jahr nicht angegangen wurde, konnte innerhalb von wenigen Stunden umgesetzt werden. Leider nicht wie vorgesehen mit ausreichender Schlüsselzahl und auch nicht für Innen- und Außentür und auch nicht mit einem Sicherheitsschloss. Der Schlosstausch hatte zur Folge dass keine Schichten gemacht werden konnten, auch nicht von Menschen die bei der Ankündigung nicht anwesend waren und damit auch nichts zu tun hatten. Fragen nach Schlüsseln wurden ignoriert und es wurde behauptet, dass Mensch um einen Schlüssel zu bekommen vors Plenum treten muss, was aber dort noch nicht mal beschlossen worden war. Es wird schnell klar, dass hier ein Ausschluss stattfand, der einigen Kollektivmitgliedern den Zugang zur Kneipe verwehren sollte. Dies wurde auch nicht kommuniziert, was zur folge hatte, dass die Getränke nicht geliefert werden konnten und der Lieferant unverrichteter Dinge wieder abfahren musste. Die Person, die sich um die Getränke kümmerte hat auch auf mehrfaches Nachfragen keinen Schlüssel bekommen und wurde ignoriert. Von mehreren Menschen kam die Aussage, dass durch die Kritik an bestehenden Strukturen ein Vertrauensbruch stattfand. Aussagen, dass alle Aufgaben weiter übernommen werden, wurden ebenfalls ignoriert.
Als am darauf folgendem Wochenende die Schichten, wie sie im Pad eingetragen waren, gemacht werden wollten, hatten sich andere Menschen kurzerhand auch ins Pad eingetragen und behauptet, dass dies ja vorher abgesprochen gewesen sei. Jedoch war weder im Padverlauf noch im Forum etwas darüber zu lesen. Die Frage ob Schichten nun auf anderen Wegen abgesprochen werden und wo dies passiere, wurde ignoriert. Die zwei Schichtteams diskutierten daraufhin hitzig und sie wurden sich einig die Schichten zu teilen. Als die zweite Schicht die erste um 12:00 ablösen wollte wurde versucht einen Menschen, unter zu Hilfename eines nicht Kollektivmitgliedes, gewalltvoll hinter dem Tresen hervor zu holen. Eine andere FLINTA* Tresenkraft wurde von zwei männlichen Kollektivmitgliedern derartig beleidigt, dass die Person die Schicht nicht beenden konnte und frühzeitig gehen musste. Beide Vorfälle haben keine Konsequenzen für die Täter nach sich gezogen.  Im Gegenteil wurde von Seiten des Gewalttäterumfeldes ab dem nächsten Morgen die Erzählung verbreitet, es haben einen „Angriff auf das Kollektiv der ganzen Bäckerei“ gegen. Ein Muster das wir häufiger finden, der nächste Abschnitt soll’s illustrieren.

 

 Exkurs 3: Diskursmanipulation

Es brechen Leute (Männer) in ein Haus (ausschließlich von FLINTA bewohnt) ein. Sie klauen dort ein bisschen Technik und machen noch ein bisschen mehr kaputt. Das nennen sie dann "retten" der betroffenen Technik. Anschließend fordern sie (unter anderem) die Fläche vor der Tür, durch die sie eingebrochen sind, als "Schutzraum". Für sich. Die Leute, in deren Haus eingebrochen wurde, geben bekannt, dass nur temporär hinnehmen zu wollen. Dann gibt es eine sich anarchistisch (allerdings manchmal auch "nicht politisch") verstehende Kollektivkneipe in der Nachbarschaft, die zu dem ganzen Vorgang schreibt: "Wir (verurteilen) die Ankündigung sich derart über eine Schutzraumforderung des Mittel- und Hinterhauses hinwegzusetzen!!!"
Was wir hier Verurteilen, ist der Missbrauch des Begriffes "Schutzraum". Kurzer Exkurs: Ein Schutzraum ist, neben der hier irrelevanten Bedeutung im Sinne von "Bunker", eine Örtlichkeit, die speziell Betroffenen von (sexualisierter) Gewalt Schutz vor weiteren Übergriffen und/oder einer Konfrontation mit dem/den oder durch den/die Täter bieten soll. Was hier gefordert wird ist indes der Form nach Schutz für die Täter, faktisch auch das nicht, da die besagte Fläche, auf Grund ihrer Lage, gar nicht in der Lage ist ihnen einen Schutz zu bieten. Worauf es ankommt, ist der Umstand, dass hier, wider mal, das eigene Projekt, in dem Fall das Durchsetzen der Interessen der Hinterhäusler, als Idée fixe, außerhalb jeder Infragestellbarkeit steht. Logik und Feminismus stehen hinten an und werden kurzerhand über Bord geworfen, der letztere sogar nolens volens mal eben in sein Gegenteil verkehrt. Dabei handelt es sich nicht um einen einmaligen Ausrutscher, im Hafermarkthinterhaus hat das eher Methode. Die „Schutzraum“forderung wurde da auch beispielsweise missbraucht um eine unliebsame Person vom Plenum auszuschließen, in dem dieses (und nur dieses!) kurzerhand als „Schutzraum“ eingefordert wurde, wenn auch – immerhin – nicht öffentlich.

 

Gescheiterter Anspruch

Abschließend ist aus unserer Sicht festzustellen, dass die Bäckerei, gemessen an emanzipatorischen Ansprüchen, ein gescheitertes Projekt ist. Wir hätten gedacht, dass doch gerade die ganze Bäckerei ein besonderes Interesse daran haben sollte, Safe spaces aufzubauen, Insbesondere auch für Queere/FLINTA Menschen ansprechend sein wollte, einen widerständigeren beat fahren sollte, mehr sein wollte als eine x-belibige Saufkneipe, in der nur kein mensch Geld verdient. Leider wurde es über Jahre – zum Teil auch von uns – versäumt Mechanismen zu entwickeln um engstirnig autoritäre Muster aufzubrechen. Obwohl die ja in dieser Gesellschaft allgegenwärtig sind, und sicher auch die Flensburger linke Szene nicht die einzige ist, die sie reproduziert, sind wir lieber in Bräsigkeit verharrt und im Alltag stecken geblieben. Nächstes Mal machen wir's hoffentlich besser.

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