Imperialismus bekämpfen statt Burgfrieden-Politik
Der Krieg in der Ukraine schreitet voran. Russische Truppen bewegen sich entlang des westlichen Stadtrands von Kiew, immer mehr Städte werden eingenommen. Es werden vermehrt zivile Ziele angegriffen, die Zahl der Opfer steigt und immer mehr Menschen fliehen aus der Ukraine. Aktuell sieht es nicht nach Entspannung aus, sondern nach weiterer imperialistischer Eskalation. Nicht nur in der Ukraine überschlagen sich die Ereignisse. Auch hier in Deutschland ist einiges passiert.
Über Nacht wurde ein Aufrüstungspaket geschnürt, das eine neue Qualität darstellt. Die Ampelregierung hat einen (Sonder-)Aufrüstungsfond für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro und eine jährliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 2% des Bruttoinlandsprodukts beschlossen. Das ist das größte Militärpaket seit der Wiederbewaffnung Deutschlands in den 60er Jahren. Besonders bedenklich: Die Militarisierungsmaßnahmen werden von Politiker:innen aller Parteien, von Medien und von großen Teilen der Bevölkerung befürwortet. Der Bundestag hat gejubelt und geklatscht - für Waffen, Militarismus und Krieg. Die Medien bereiten eine Kriegsstimmung vor und verurteilen die Regierung einzig dafür, dass sie solche Maßnahmen nicht viel früher getroffen hat. Auf unzähligen Kundgebungen stellten sich Menschen hinter den Kriegskurs der Bundesregierung.
Viele der Kundgebungen fanden unter dem Motto „Gegen den Krieg in der Ukraine“ statt. Betont wurde dort eine „Solidarität mit der Ukraine“ und ein „Willkommen der Fliehenden aus der Ukraine“. Zentral war die Aufforderung „Stoppt Putin“. Natürlich ist eine breite Stimmung gegen einen Krieg, eine Solidarität mit der vom Krieg betroffenen Bevölkerung und die Forderung, Fliehende aufzunehmen und Kriegstreibende aufzuhalten. Grundsätzlich gut. Momentan wird dieser Diskurs von den Herrschenden beeinflusst und für ihre eigenen Interessen genutzt.
Als Linke sollten wir hier an der entstehenden Antikriegsstimmung anknüpfen. Indem wir Krieg und Sanktionen in den Kontext des Imperialismus stellen. Indem wir eine Stimmung gegen jeden imperialistischen Krieg schüren. Indem wir falsche Positionen entlarven und linke Perspektiven aufzeigen. Wir brauchen eine Analyse des Konflikts, und der darin vertretenen Interessen und eine Perspektive von unten. Stattdessen erleben wir das viele Linke die Propaganda der Herrschenden übernehmen. Auch wir erleben in unserem politischen und privaten Umfeld, wie viele plötzlich für Aufrüstung und Krieg einstehen und damit den deutschen Imperialismus befürworten. Als Linke, Antimilitarist:innen und Internationalist:innen können wir uns weder auf die Seite der NATO, noch auf die Seite von Russland stellen. Das wollen wir im Folgenden begründen:
Weder Russland...
Wir beobachten, dass sich einige Teile der Alt-Linken – auch wenn es gerade erstaunlich still um sie ist – immer noch auf die Seite des russischen Staates schlagen. Ja, Russland hat eine Anti-NATO und Anti-USA Haltung. Diese liegt aber nur darin begründet, dass sich diejenigen russischen Kapitalfraktionen durchgesetzt haben, die sich in der Konfrontation mit dem Westen einen Gewinn versprechen.
Russland ist ein kapitalistisches Land. Eine Clique von Oligarch:innen rund um Putin beuten die Arbeiter:innenklasse aus und unterdrücken fortschrittliche Kräfte. Deutlich gezeigt hat sich das z.B. in der Zerschlagung der Massenaufstände in Kasachstan im Januar durch das russische Militär und das Niederknüppeln der Solidaritäts-Bewegung in Russland. Russland nutzt sein Militär, um seinen Einfluss auszuweiten, sei es in Kasachstan, Libyen, Syrien oder im Kaukasus. Es ist eine Großmacht, die eigene wirtschaftliche, geostrategische und politische Interessen hat. Sie greift in der Ukraine Menschen an, zerstört ihre Heimat und verursacht Flucht. Russlands Vorgehen zeigt, dass es Teil des globalen kapitalistischen Systems ist und dass die herrschende Klasse in Russland bereit ist, für Machtinteressen und Profite in andere Länder einzufallen. Dieser Staat kann und darf kein Bezugspunkt für uns sein.
...noch die anderen Imperialisten
Der andere, beträchtlich größere Teil der linken Bewegung schlägt sich auf die Seite des imperialistischen Westens und schließt sich dem Schrei nach Militarismus und Krieg an. Er stellt sich auf die Seite der NATO und des ukrainischen, klar reaktionären Staates und schlägt in die gleiche Kerbe wie sämtliche bürgerlichen Parteien und Kapitalfraktionen. Die Grundparole ist „Putin, das irre Böse in Person, kann und muss bekämpft werden“. Eine präzise Analyse des Krieges und seiner Akteure, der Hintergründe und Ursachen, auf Grundlage der ökonomischen Grundlagen, sucht man dabei vergebens. Auch wenn sich die Brutalität der Kriege zeigt, ist die momentane moralische Argumentation und Heuchelei der bürgerlichen Parteien, die einen kriegerischen und bewaffneten Imperialismus mit Rückgriff auf „Demokratie“ und „Menschenrechte“ propagiert, keine Sichtweise und keine Position, die von Linken übernommen werden kann.
Deutschland und die NATO, die beim Ukraine-Krieg das Völkerrecht in den Vordergrund stellen, haben vergessen, dass sie selbst in Jugoslawien einen Krieg angezettelt haben. Vergessen sind auch die Interventionen in Afghanistan, Syrien und Libyen. Vergessen sind zudem, welche Gräueltaten verbündete Staaten, wie Saudi-Arabien im Jemen oder der NATO-Staat Türkei mit der Besetzung in Kurdistan, gegen ganze Völker begehen. Und das mit Waffen und politischer Unterstützung aus Deutschland. Sanktionen, Interventionen, Kriege, faschistische Putsche – das sind Mittel, um eigene imperialistische Interessen umzusetzen und das ist die Alltagspolitik der NATO-Imperialisten. So trägt auch die NATO durch stetige Aufrüstung und Eingliederung osteuropäischer Staaten seit 1990, der Stationierung von Mittelstreckenraketen in Osteuropa und der Übungsmanöver an der russischen Grenze, maßgeblichen zum Beginn dieses Krieges bei.
Der US-Imperialismus, der in den letzten Jahren aufgrund der Konkurrenz zu China zunehmend seine Vormachtstellung bedroht sieht und auch real an Einfluss verliert, bleibt in dem Spiel um die Aufteilung der Welt ein zentraler Ausbeuter und Unterdrücker. Seit Baerbock mit in der Regierung sitzt, scheint die USA wieder ein besonders geschätzter Verbündeter zu sein. Baerbock lügt nicht, wenn sie sagt, dass wir vor einer 180-Grad-Wende der Außenpolitik stehen, jedoch lügt sie, wenn sie sagt, diese sei notwendig für den „Frieden“. Sie ist notwendig, um die militärische Schlagkraft und Fähigkeit, selbst Kriege zu führen weiter auszubauen, um weltweit deutsches Kapital weiter umzusetzen. Deutsche Rüstungskonzerne wie Krauss-Maffei-Wegmann, Heckler & Koch, Hensoldt und Diehl profitieren von diesem Krieg. Allein Rheinmetall hatte einen Aktienanstieg von fast 70%. Während die einen um den Tod durch Hunger, Kälte oder Krieg fürchten, freuen sich Aktionär:innen und CEOs auf fette Gewinne.
Ihre Solidarität und ihr Frieden
Die Menschen in der Ukraine sind dabei nur die umfallenden Bauern auf dem Schachbrett des kapitalistischen Weltsystems. Das Leid der lohnabhängigen Bevölkerung der Ukraine und Russlands ist den Herrschenden bei ihren Sanktionen und Waffenlieferungen egal. Aber es kommt ihnen ganz gelegen, um die deutsche Bevölkerung auf diesen Kriegskurs zu steuern – wird er doch als Friedens- und Solidaritätsmission propagiert.
Dafür wird eine vermeintliche europäische Einheit geschaffen, die „uns alle“ gegen Russland bzw. Putin vereinen soll. Dabei wird übersehen, dass die EU alles andere als ein Friedensprojekt ist. Dass sie ein Werkzeug der europäischen Imperialisten – vor allem Frankreichs und Deutschlands – ist, um die anderen Länder Europas auszubeuten und in ihre Großmachtsambitionen einzubinden. Ihr Verständnis der europäischen Einheit zeigt sich auch in der Solidarität mit Geflüchteten. Während weiße Ukrainer:innen problemlos mit Bussen und Bahnen über die Grenzen kommen, erleben schwarze Menschen und POC rassistische Gewalt an der Grenze, werden aufgehalten, in den Krieg zurückgeschickt oder, wenn sie in Deutschland angekommen sind, in Sammelunterkünfte gesteckt und danach doch abgeschoben. Während die europäische Einheit gefeiert wird, wird ein Klima von „guten“ und „schlechten“ Geflüchteten erzeugt. Während die Solidarität mit weißen Geflüchteten vorangetrieben wird, sind es POC und schwarze Menschen aus anderen Ländern, die an den Grenzen zurückbleiben, erfrieren oder im Mittelmeer ertrinken müssen. Gleichzeitig wird ein anti-russischer Rassismus vorangetrieben, werden Menschen für die Politik der Regierung Putins verantwortlich gemacht, isoliert und auch angefeindet.
Konflikte und Kriege sind nicht Ergebnisse von einzelnen, durchgeknallten oder machtbesessenen Personen. Sie sind Folgen eines weltumspannenden kapitalistischen Systems, das nationalen und internationalen Konkurrenzkampf um Profite, Einfluss- und Machtsphären beinhaltet. Die Regierungen – auf allen Seiten – vertreten dabei die Interessen ihrer Kapitalist:innenklassen. Russland und die NATO machen die Menschen in der Ukraine zum Spielball ihrer Interessen. Die Unterdrückung und Zerschlagung von Protesten und die Einhegung und Lenkung von Protesten sind lediglich unterschiedliche Taktiken der Staaten, ihre Heimatfronten auf Kurs zu halten. Im Kapitalismus interessiert weder Brot noch Gesundheit, geschweige denn „Menschenrechte“. Stattdessen schafft er neue Krisen und Kriege und wälzt diese auf unsere Rücken ab.
Krieg auf wessen Kosten?
Die Kriege der Imperialisten sollen wir bezahlen. Wer sonst?! Die vom deutschen Staat in Zeiten der kapitalistischen Krise eingetriebenen Steuergelder fehlen dort, wo sie nötig sind – Pflege, Bildung, Infrastruktur etc. Stattdessen gibt der deutsche Staat unser Geld für Waffen aus. Und während die Oligarch:innen in Russland und die Reichen in Deutschland die Sanktionen einplanen können – treffen sie die Bevölkerung in Russland und auch uns hier mit voller Härte. Nach zwei Jahren Pandemie sollen wir den Gürtel noch enger schnallen und schlechtere Arbeitsbedingungen hinnehmen. Oder in den Worten Lindners (FDP): „Wir müssen uns anstrengen.[...] Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen Lust haben, zu arbeiten und Überstunden zu machen.“ Wir sollen auf grundlegende Versorgung verzichten, wir sollen damit leben, dass wir noch mehr für Heizung, Nahrung und Sprit ausgeben müssen. Alles und alle für Aufrüstung und Krieg – das ist nun das neue, von der Friedenspartei „die Grünen“ herausgegebene Motto. Als Linke müssen wir auch klar machen, dass Solidarität mit von Krieg betroffener Bevölkerung etwas völlig anderes ist, als Solidarität mit einem bürgerlichen Staat – zumal Regierung und Parlament in der Ukraine von Reaktionären durchsetzt sind.
An der Praxis zeigt sich nur zu gut, wer auf der Seite der Arbeiter:innenklasse steht und kämpft und wer den opportunistischen einfachen Weg geht. Aufrüstung und Kriege machen die lohnabhängige Klasse noch ärmer und treiben Verelendung und Sterben voran. Wer für eine stärkere Bundeswehr, Aufrüstung und Sanktionen stimmt, steht nicht ein für Frieden oder will den Krieg verhindern, sondern wirbt nur für Nation und Vaterland. Zurecht wird der Vergleich zu 1914 gezogen, als sich die Sozialdemokrat:innen mit der Zustimmung der Kriegskredite für den imperialistischen Ersten Weltkrieg entschieden und sich gegen die Interessen der Arbeiter:innen stellten. Ähnliche Prozesse passieren auch jetzt, indem diejenigen, die in den letzten Jahren noch von Abrüstung und Frieden redeten, ihre „für-den-Frieden“-Parolen nutzen, um einen Krieg zu befürworten und Forderungen an die deutsche Außenpolitik zu stellen. Bundesweit wird zugehört – und abgenickt – wie die Begriffe Frieden, Antifaschismus und Solidarität gerade umgedreht und verfälscht werden.
Es ist erstaunlich und erschreckend, wie viele Linke sich hinter die Burgfrieden-Politik der Parteien stellen. Auch Gewerkschaften befürworten die Maßnahmen und wiederholen damit einen Fehler. Indem sie, wie 1914, die innerpolitischen Widersprüche und Interessen der Arbeiter:innen zurückstellen wollen, um eine „nationale Einheit“ gegen den vermeintlichen äußeren Feind zu bilden. Somit stellen sie sich auf die Seite der Kapitalist:innen und stimmen Krieg, Aufrüstung und zunehmendem Rassismus zu.
Klare Haltung gegen imperialistische Kriege
Als Antimilitarist:innen und Internationalist:innen stellen wir uns nicht auf die Seite des einen oder des anderen imperialistischen Lagers. Wir stehen auf der Seite der Bevölkerung in der Ukraine, deren Heimat zum Schauplatz imperialistischer Auseinandersetzungen geworden ist. Wir stehen auf der Seite aller Menschen, die nun flüchten müssen. Wir stehen auch auf der Seite der Menschen in Russland, die sich gerade gegen ihre Regierung und gegen den Krieg positionieren. Das sind unsere Verbündeten, unsere strategischen Partner:innen in diesem Konflikt. Denn es sollte doch klar sein, dass die Grenze nicht zwischen Nationen, sondern zwischen uns, den Arbeiter:innen, auf der einen Seite und den Kapitalist:innen und imperialistischen Kriegstreiber:innen auf der anderen Seite verläuft.
Die linken Bewegungen in der BRD haben die Themenbereiche Antimilitarismus und Internationalismus in den letzten Jahrzehnten nur punktuell bearbeitet und es existieren kaum Strukturen, die dieses Thema dauerhaft bearbeiten. Das dürfte ein wesentlicher Grund sein, dass es an Auseinandersetzung zu Imperialismus und Internationalismus fehlt und das jetzt, wo es dringend nötig ist, viele Linke keine eigene Analyse haben, sondern der bürgerlichen Propaganda aufsitzen.
Und wie bekämpfen wir diesen Krieg? Wir dürfen nicht in Opportunismus verfallen, sondern müssen klare Haltung gegen Krieg und Militarisierung zeigen. Wir dürfen uns nicht gegenseitig ausspielen oder aufgrund von Nationalitäten spalten lassen. Was wir brauchen ist internationale Solidarität mit den Unterdrückten und mit der lohnabhängigen Bevölkerung. Vor allem aber müssen wir – mit Kontinuität und Klarheit - den deutschen Imperialismus hier vor Ort entlarven, angreifen und bekämpfen. Das ist die einzige Möglichkeit, die wir haben, um gegen diesen und weitere Krieg vorzugehen. Wir müssen gegen all die Akteure aus Medien, Politik und Wirtschaft vorgehen, die Kriegsvorbereitung treffen, gegen all die, die von Kriegen profitieren, die ein Interesse an Aufrüstung haben, die ein Interesse daran haben, dass es Waffen und Materialverschleiß in Kriegen gibt, damit ordentlich Nachschub geliefert werden kann. Wir bekämpfen den Krieg, indem wir die Ursachen bekämpfen – den Imperialismus und seine Akteure. Dazu gehört der deutsche Imperialismus. Wir müssen die Bruchstellen dieses Systems angreifen, die vorherrschenden gesellschaftlichen Widersprüche zuspitzen und unsere momentane Schwäche umwandeln in Stärke. Denn Krisensituationen haben immer das Potential eine Stimmung und einen Unmut gegen die herrschenden Verhältnisse zu entfachen – es liegt an uns, diese Stimmung in fortschrittliche Bahnen zu manövrieren.
Die aktuelle Situation und die Antikriegsstimmung haben ein Potenzial, an das wir anknüpfen können. Wir müssen uns jetzt organisieren und beständige antimilitaristische Praxis entwickeln. Es ist längst an der Zeit – lasst uns eine starke Antikriegsbewegung von unten aufbauen! Eine Antikriegsbewegung, die den Anspruch hat, Sand im Getriebe der Imperialisten zu sein!
Gegen jeden imperialistischen Krieg!
Für den Aufbau einer antimilitaristischen Bewegung!