Quo vadis Hafermarkt Flensburg
offener Brief an die Bewohner*innen des Hafermarktdes in Flensburg, die sich vor ca. einem halben Jahr vom Rest des Projektes gespalten haben
Liebe Bewohner*Innen des Vorderhauses im Hafermarkt,
seit Beginn diesen Jahres dringen Eruptionen Eures Konfliktes mal hier mal da nach aussen, und auch, wenn wir uns vorbehalten, dass das, was durch einzelne Kanäle nach aussen dringt, immer persönlich eingefärbt sein muss, man sich somit niemals ein abschliessendes Urteil bilden kann, so wurde sich doch immer wieder gewundert, mit welcher Härte argumentiert und später auch zunehmend gehandelt wurde. Bisher wurde alles recht diskret als Psychohygiene behandelt, die jedem Menschen, der in irgendeinem Konflikt mit anderen steht, zugestanden werden soll.
Leider entsteht der Eindruck, dass man quasi gezwungen wird, sich auf die ein oder andere Seite zu stellen, und wer sich nicht hinter Euch stellt, ist demnach per se schon gegen Euch. Es geht in diesem Brief nicht darum, sich auf eine Seite zu stellen weder für noch gegen Euch, und es geht auch nicht um einen der hier Unterzeichnenden oder um Einzelne von Euch.
Es zeichnet sich aber immer mehr ab, wie ein ganzes, zuvor lebendiges, sich auch durch Reibung, weiterentwickelndes, die Szene dieser Stadt bereicherndes Projekt, in welchem sich inzwischen seit Jahrezehnten Scharen von Menschen willkommen und sicher gefühlt haben, zum Stillstand kommt, weil Fronten sich verhärten.
Jetzt kommt zu Ohren, dass Menschen über den Hafermarkt hinaus genötigt werden, zu Eurem Konflikt Stellung zu beziehen (Senffabrik, Herbstfest), wo doch der Informationsfluss in die eine, wie in die andere Richtung nur einseitig sein kann. Damit ist ein Punkt erreicht, an welchem Menschen, denen der Hafermarkt als solcher am Herzen liegt, ihre Position darstellen wollen, die primär eine Lösung des Konflikts, und die Öffnung für eine Weiterentwicklung fordert.
Zunächst wollen wir darstellen, wie sich Eure Auseinandersetzung mitunter auch im Aussen abzeichnet, und welches Unverständnis und welche Fragezeichen dabei entstehen.
Wir gehen davon aus, dass wir uns in einer Szene bewegen, die sich abgrenzen möchte von konventionellen Strukturen und althergebrachten Verhaltensweisen und Normen. Eine Szene, die im Allgemeinen aktzeptiert, dass wir alle uns die Welt nun mal mit anderen Menschen teilen müssen, und die sich dahin orientiert, wie eine Gesellschaft gelebt werden kann, in der jeder Mensch seinen Raum und seine Daseinsberechtigung erfährt.
Gerade in Flensburg erleben wir, im Vergleich zu anderen Städten, eben diese Daseinsberechtigung als etwas Besonderes. Ausschlaggebend hierzu ist die bedingungslose Offenheit, mit welcher jeder Mensch, der neu dazu kommt, mit einem Vertrauensvorschuss versehen und so angenommen wird, wie er ist, völlig unabhängig vom äusseren Erscheinungsbild oder der Erfahrung, die er mitbringt. Gerade in diesem, unseren Flensburg herrscht doch ein undogmatischer Konsens in Bezug auf gesellschaftskritische Wertevorstellungen, der Raum für persönliche Entwicklung und viele verschiedene Arten von "linkem Leben" lässt. Dieser Raum ist geprägt von aussergewöhnlich achtsamem Miteinander, einer im Zweifelsfall unbedingten Solidarität und einer Form von Auseinandersetzung, die jede Person, die sich beteiligen möchte, respektiert und mit einbezieht.
Und nun stellt sich dar, wie ein einzelner Mensch (zwischenzeitlich auch 2-3, primär aber doch
dieser Einzelne) zum Feindbild erklärt wird, und die Bedingung im Raum steht, ein Mensch möge doch bitte sein langjähriges zu Hause verlassen, und sich am Besten gleich in Luft auflösen.
Die politische Grundlage oder der konkrete Anlass für diese Forderung entzieht sich.
Wenn Letzteres nicht sichtbar ist, muss ursächlich für diese Spaltung eine Auseinandersetzung gesehen werden, wie sie sich in allen Projekten dieser Welt immer wieder in vielen verschiedenen Farben wiederholt, und dann muss diese Forderung den oben genannten Vorstellungen widersprechen, die wir hier als Grundlage für das "linke Leben" in dieser Szene vorwegnehmen. Genauso wie die Art und Weise, wie der Konflikt geführt wurde, auch zunehmend das Ziel, konsensuell zu entscheiden, übergangen hat, und dabei ist nicht nur der von Euch zum Feindbild Erklärte übergangen worden, sondern auch andere Mitbewohner*Innen, von denen jede*r Einzelne genauso Teil des Hafermarktes ist, wie Ihr es seid.
Nun entsteht hier natürlich die Frage, was Euch dazu bringt, so eigenmächtig zu handeln, weil eine Not dahinterstehen muss, wenn Menschen, die sich doch in einer Szene bewegen, in welcher sie sich frei entwickeln können, in der sie sich angenommen fühlen, die Freiheit der Anderen derart übergehen.
Wiederholt vorgedrungen ist das Bedürfnis nach Schutzraum. Das ist ein absolut berechtigtes Bedürfniss, jeder Mensch verdient einen Raum, in dem er sich sicher und geborgen fühlen kann. Leider erscheint es so, als wenn Ihr für Euch etwas beansprucht, was Ihr anderen nicht zugestehen wollt. Meine Freiheit hört da auf, wo die meines Nächsten anfängt. Und gerade in einem solchen Projekt, in dem man doch recht zusammengewürfelt lebt, und die immer im Wandel befindliche Feinjustierung der Werte, sei es, wie sich ein Zusammenleben gestaltet, sei es die gesellschaftliche, politische Ausrichtung, eine grosse Aufgabe darstellt, muss die Gleichberechtigung und Aktzeptanz der Verschiedenartigkeiten unbedingte Grundvoraussetzung sein. Diesbezüglich immer neu den Konsens zu finden erfordert viel Geduld, Bereitschaft und Arbeit. Dazu gehört, andere Argumente und Schlussfolgerungen, beziehungsweise die allgemeine Stimmung anzuhören, zu erfassen und diese in eigene Überlegungen mit einzubeziehen. Dazu gehört, einzusehen, dass auf verschiedenen Ebenen getroffene Aussagen kontrovers, aber doch gleichermassen gültig und richtig sein können und hierbei die Ebene zu suchen, auf welcher man sich gemeinsam bewegen möchte. Das ist natürlich ein grosse Herausforderung und gewiss nicht immer einfach, in diesem beständigen Prozess seinen eigenen Raum aufrecht zu erhalten.
Aber wenn dieses Bedürfniss nach Schutzraum so gross ist, dass es zur Einkapselung und Frontenbildung führt, so stellt sich die Frage, wovor habt Ihr Angst? Was kann ein einzelner Mensch Euch, die Ihr Euch zu 5.+ als Einheit gegen ihn zusammengeschweisst habt, denn antun?
Da steht wohl der Vorwurf im Raum, Betreffender sei projektschädigend. Man wundere sich ein wenig, denn dieses Projekt besteht seit etwa 30 Jahren und derjenige ist seit etwa 20 Jahren Teil davon, und der Hafermarkt hat sich trotzdem oder vielleicht auch gerade mit ihm immer weiterentwickeln können. Was ist innerhalb eines Jahres, oder wenn der Konflikt vorher schon geschwelt hat, weniger Jahre passiert, dass ein Verhalten, welches vorher zur Vielfältigkeit des
Projektes beigetragen hat, ebenjenes plötzlich schädigen soll?
Da wird wohl zum Einen mangelnder Aktionismus vorgeworfen. Wenn ein Mensch seit über zwei Jahrzehnten in einem Projekt lebt, jenes immer wieder aktiv tatkräftig mitgestaltet hat, nebenbei viele Mitbewohner*Innen hat kommen und gehen sehen, viele Debatten in verschiedensten Facetten immer wieder aufs Neue geführt hat, dann möge man ihm nachsehen, dass der jugendliche Tatendrang etwas nachgelassen hat. An dieser Stelle den Auszug zu fordern, käme dem gleich, Alte ins Seniorenheim zu schicken und zu entmündigen, und auch das widerspräche dem Prinzip der Gleichberechtigung und dem Gedanken, dass ein Kollektiv gerade durch seine , auch generationsübergreifende, Vielfältigkeit erst gross und stark sein kann.
Wenn ein Mensch viel arbeiten geht, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, dann kann das auch enorm viel zeitliche, physische und geistige Kapazitäten fordern. Da ist es doch die Aufgabe des Kollektivs, diese für die Gemeinschaft eingeschränkte Kapazität ein Stück weit aufzufangen. Das Mindeste muss aber sein, dieser Person ihren Schutzraum zu gewähren, in welchem sie in Sicherheit ihren Feierabend begehen kann, ohne, dass noch weitere Forderungen im Bezug auf die Aktionen innerhalb des Projektes gestellt werden. Des Weiteren sollte jedem Kollektivmitglied das Vertrauen entgegen gebracht werden, dass sich immer den eigenen Möglichkeiten entsprechend in ein Projekt einbracht wird, und diese im Wandel der Lebensphasen auch jederzeit veränderlich sein können.
Zum Anderen heisst es, Betreffender sei "toxisch männlich". Wer ihn kennt, kann erahnen, wo dieser Vorwurf herkommt, und nicht jede*r fühlt sich zu jeder Zeit gewachsen, dieser in über 30 Jahren Debatten geschulten und geschärften Rhetorik, hervorgebracht in einer kräftigen, (naturgegebenen) männlichen Stimme, die für ein authentisches Selbst spricht und keinen Zweifel daran lässt, dass derjenige gründlich durchdacht hat und meint, was er sagt, etwas entgegen zu setzen. Ob das allerdings "toxisch männlich" ist, sei dahin gestellt, und vielleicht stellt dieses Verhalten auch einfach nur die Herausforderung an uns alle Anderen, unsere eigenen Argumente gründlicher zu durchdenken, und diese aufrechten Hauptes auch für uns selbst sprechend zu vertreten.
Bis auf einige wenige Glückliche, die mit einem gesunden Selbstwertgefühl und Vertrauen in sich selbst und die eigene Richtigkeit, aus dem Elternhaus entlassen wurden, tragen wohl die Meisten von uns toxische Verhaltensweisen in sich, die wir benutzen, um die Aufmerksamkeit und Anerkennung zu bekommen, die wir uns wünschen und unsere Daseinsberechtigung in dieser Welt zu behaupten. Diese können mehr oder weniger stark ausgeprägt sein, mehr oder weniger Einfluss auf die Umgebung nehmen, und es erfordert viel Selbstbewusstsein, Mut und Übung, diese Muster zu erkennen und zu verändern. Nur wenige Menschen in unserem Umfeld haben in letzten Jahren derart viel an sich, eben auch und gerade mit diesen Mustern gearbeitet, wie der von Euch als toxisch Titulierte. Es zeugt von Stärke und Mut, wenn jemand bereit ist, persönliche Schwächen, auch vor Anderen, einzugestehen, und von Demut, wenn die Bereitschaft gezeigt wird, daran zu arbeiten und sich zu verändern.
So, wie sich Euer Konflikt mitunter auch darstellt, entsteht der Eindruck, dass dieses Eingeständnis der Schwächen missbraucht wird, um das Selbstwertgefühl zu demontieren. Des Weiteren kommt leise die Frage auf, ob es nicht gerade auch dieser Mut zu den eigenen Schwächen ist, der Euch Angst macht, weil es, wenn einer im direkten Umfeld so offen damit
umgeht, auch immer ein Stück weit spiegelt, wie man selbst mit seinen Schwächen umgeht.
Wer sich davon komplett freisprechen kann, herzlichen Glückwunsch, Du Kind der Sonne mit gesundem Selbstwert. Wer aber keine Ahnung davon hat, wie schwer es ist, sich von von Kindesbeinen an gelernten Verhaltensweisen zu lösen, und wie schwer es sein kann, seinen Platz in der Gesellschaft und ein zu Hause zu finden, maße sich nicht an, hierüber zu urteilen oder gar Ungeduld walten zu lassen. Wer in Anflügen derlei Schwierigkeiten kennt, dürfte eigentlich, mit Selbstbewusstsein und Emphatie, noch ferner davon sein, diese bei Anderen zu verurteilen oder gar zu missbrauchen.
Die Art und Weise, wie Eure Forderung gerade im Raum steht, und die damit einhergehende komplette Stilllegung eines gesamten Projektes in Kauf genommen wird, lässt das Bild eines trotzigen Kindes entstehen, welches mit verschränkten Armen und bösen Blickes in der Ecke
sitzt, und sich jeder weiteren Handlung verweigert, bis sich irgendetwas im Aussen seinem Willen gefügt hat. Mit dieser Haltung nehmt Ihr, nicht nur dem zum Feindbild Erklärten, sondern auch allen anderen Mitbewohner*Innen, die Möglichkeit, sich nach eigenem Wesen, den eigenen Idealen entsprechend zu äussern und Euch allen Betroffenen die Möglichkeit, eine dem Konsens entsprechende Lösung des Konflikts zu finden. Weiterführend nehmt Ihr damit Euch allen auch die Freiheit, sich innerhalb des Projektes, welches doch eigentlich viel Raum hat, frisch, friedlich, fröhlich, frei zu entfalten und die Potenz, gemeinsam in der Diversität etwas auf die Beine zu stellen, was über die Gestaltung des eigenen Lebens hinausgeht.
Die starre Position soll Eure Mitbewohner*Innen offenbar dahingehend manipulieren, dass sich das komplette Umfeld Eurem Willen beugt, und das wäre ein viel mehr toxisches Verhalten, als es eine vielleicht prollig, ruppig anmutende Diskussionsführung (wenn das die Basis des Vorwurfs ist) sein kann. Dieses Vorgehen widerspräche völlig den Idealen einer Szene, die sich doch frei sprechen will von Hierarchien und machtspielerischem Gebaren, und liefe jedem kollektiven Grundgedanken zuwider.
Des Weiteren stellt sich die Frage, inwieweit hier wirklich die politische Untragbarkeit einer Einzelperson im Zentrum der Debatte steht, oder ob nicht vielleicht eher ein grundsätzlicher Generationenkonflikt vorherrscht. Und wenn Letzteres der Fall ist, muss von der Erwartung
ausgegangen werden, dass, wenn erst mal der ins Visier Genommene das Feld geräumt hat, dann auch andere "Alteingesessene" stillschweigend den Rückzug antreten. Ein solcher Prozess vom Übergang der Generationen sollte bestenfalls fliessend vonstatten gehen, und dabei können doch beide Seiten voneinander profitieren. Das erfordert vermutlich viel grundlegende Diskussion ob der Werte und Ansprüche und viel Aktzeptanz von beiden Seiten, wenn hier und da kontroverse, unveränderliche Positionen im Raum stehen. Wenn sich aber eine absolute Unvereinbarkeit abzeichnet, dann wäre es Aufgabe der nachfolgenden Generation, neue Räume nach ihren Vorstellungen zu schaffen, und damit die Szene zu erfrischen und zu bereichern, anstatt Menschen aus ihrem zu Hause zu vergraulen und bestehende Strukturen zu unterwandern. Ausserdem gibt es offenbar auch weiterhin Menschen, die Interesse daran haben, in den Hafermarkt einzuziehen, und mit den Menschen und Strukturen, die sie vorfinden zu leben, und Letztere mit weiterzuentwickeln.
Und selbst wenn der Betreffende sich dem Druck, den Ihr aufgebaut habt, beugen sollte, wie sollte es dann weitergehen? Wie soll ein Umfeld, in welchem persönliche Ziele auf derart
manipulative Weise erreicht wurden, wieder zu einem gesunden Miteinander und der zu Anfang benannten Offenheit zurückfinden? Die Spaltung, die Enttäuschung, das Unverständnis würde doch in ausgehöhlter Form bestehen bleiben. Und leider entsteht hier ein Bild, dies könnte lediglich der Auftakt dazu sein, Ihr machtet Euch die Welt, widi widi wie sie Euch gefällt. Jeder Mensch, der nicht mit Euch konform ginge oder bereit wäre, eventuell abweichende Ansichten runterzuschlucken, hätte keine Daseinsberechtigung in Eurer Sphäre.
Und wie kann der Anspruch auf Gleichberechtigung und Hierarchiefreiheit an eine Gesellschaft gestellt und darin geweckt werden, wenn dieser im eigenen unmittelbaren Umfeld nicht konsequent gelebt wird?
Mit der jüngst wie auch immer formulierten Forderung an ein anderes Wohnprojekt "er oder wir" zwingt Ihr Menschen dazu, in einem Konflikt Stellung zu beziehen, dem jegliche Transparenz fehlt. Alles, was an Informationen über die Grenzen des Hafermarktes hinaus gedrungen ist, kann nur persönlich eingefärbt sein und jede Stellungnahme von aussen muss von persönlichen Sym- und Antipathien geprägt sein. Da sind zuviele persönliche Motive im Spiel, als dass eine objektive, konstruktive Stellung überhaupt bezogen werden kann und damit wird Aussenstehenden eine Verantwortung zugemutet, die letztlich so gar nicht übernommen werden kann. Da von Aussen der konstruktive Umgang mit dem Konflikt aus genannten Gründen nicht möglich ist, wird mit einer solchen Forderung in Kauf genommen, dass die Spaltung, die jetzt schon den Hafermarkt handlungsunfähig macht, weiterziehen, zunehmend Kapazitäten binden und die ganze Szene in Flensburg, weit über die Grenzen des Hafermarktes hinaus, geschwächt werden könnte.
Solange niemand ausser Euch den konkreten Vorwurf kennt, muss dieses Vorgehen als übelste Verleumdung erscheinen.
Darüber hinaus lässt sich aus dieser Forderung auch der Wunsch nach Solidarität herauslesen. Solidarität könnte in diesem Fall gelebt werden, indem Menschen Euch bei einer eventuell konfrontativen Begegnung den Rücken stärken, sich Euch an die Seite oder vor Euch stellen. Solidarität kann aber niemals heissen, von vorneherein Menschen auszugrenzen, um in der Leichtigkeit eines feuchtfröhlichen Gelages die Verantwortung für einen zivilisierten Umgang miteinander abgeben zu können. (Zudem lässt auch eine Senffabrik genügend Raum, sich aus dem Weg zu gehen)
Was ist der Grund? Welchen Anlass hat es gegeben, dass Ihr Euch gezwungen seht, die grundlegenden Prämissen linksgerichteter Denkart derart in den Hintergrund zu stellen? Oder ist Euer Verständnis der "linken Denkart" von dem, was hier vorausgesetzt wird, so sehr abweichend, dass eine grundlegende Debatte über die Ideale geführt werden muss?
Im Vorderhaus ist Euer Lebensraum, Euer Schutzraum und das ist auch unantastbar.
Ihr habt aber, mit Einzug in den Hafermarkt und gerade in das Vorderhaus, in welchem nun mal mit dem Konzertraum ein Dreh- und Angelpunkt gelagert ist, auch ein Stück weit die Verantwortung übernommen, einen Freiraum für Viele, der weit über Euren persönlichen Schutzraum hinausgeht, in dem die Dinge doch besser gemacht werden sollen, als in der Welt da draussen, mitzugestalten und, wenn die persönlichen Kapazitäten das gerade nicht hergeben, diesen doch zumindest offen zu halten. Und nun finden viele Aussenstehende, die diesen
Freiraum immer geliebt und mitgelebt haben, ebenjenen zunehmend blockiert, was, spätestens mit dem Herantragen von Forderungen an die Senffabrik, auch immer weitere Wellen schlägt.
Die vielerseits geschätzte, seit Jahrzehnten gelebte Offenheit der Szene, die auch den Hafermarkt immer geprägt hat, die doch auch Euch warmherzig angenommen und Euch den Raum zur persönlichen Entfaltung gelassen hat, scheint damit gerade aufs Spiel gesetzt zu werden.
Ihr seht, da steht viel Un- und Missverständnis im Raum. Uns geht es nicht darum, dass Ihr Euch vor Aussenstehenden preisgeben oder rechtfertigen sollt, und seid Euch gewiss, dass auch die "andere Seite" an manchen Stellen Kritik erfährt oder Grenzen aufgezeigt bekommt. Da wir unser aber wünschen, dass das Projekt Hafermarkt aus dem 'kalten Krieg' herausfindet,
fordern wir jede*n Einzelne*n von Euch dazu auf:
- Nimm wahr, wie sehr es einen Menschen angreifen muss, wenn sich 5+ Menschen gegen ihn zusammentun, ihn allein zum Feindbild erklären, und ihn über die Grenzen des persönlichen Konflikts hinaus denunzieren.
- Nimm wahr, wie sehr damit Eure übrigen Mitbewohner*Innen übergangen werden und ihnen die Freiheit, in irgendeiner Form Einfluss zu nehmen, sich den eigenen Schutzraum mitzugestalten, entzogen wird.
- Nimm wahr, dass dieser Konflikt längst die Grenzen des Hafermarktes überschritten hat, und viele Aussenstehende (in beiderseits kanalisierten Informationsflüssen) in verständnisloser Ratlosigkeit dastehen lässt.
- (zu den letzten drei Punkten:) was Du nicht willst, was man Dir tu, das füg auch niemand Anderem zu.
- Nimm wahr, dass ein gemeinschaftliches Leben mit so vielen Menschen eine grosse Verantwortung darstellt (wir können nicht 10-15 Menschen gleichermassen gern haben), und überprüfe, ob Du Dich dieser gewachsen fühlst. Es ist völlig in Ordnung, wenn man diese Verantwortung nicht übernehmen kann oder möchte, aber in diesem Fall frage Dich, ob diese Wohnform die Richtige für Dich ist.
- Nimm wahr, dass der Veranstaltungsraum des Hafermarktes kein Privat-, sondern ein Gemeinschaftsraum ist.
- Gib zumindest den unmittelbar Mitbetroffenen Aufschluss darüber, was der wesentliche Kern des Vorwurfs ist! Verstecke Dich dabei nicht hinter Schlagworten, sondern benenne konkrete Anlässe, an welchen Stellen es Grenzüberschreitungen gegeben hat!
- Überdenke, ob es wirklich um eine Einzelperson geht, oder nicht vielleicht doch um einen Generationenkonflikt, und wie ein solcher einvernehmlich gelöst werden könnte.
- Öffne Dich einer konstruktiven Auseinandersetzung und nimm die Angebote zu
mediatorischen Gesprächen an!
- Orientiere Dich hin zu einer konsensuellen Lösung, auf dass der Hafermarkt wieder ein offener Freiraum in dieser Stadt werden kann!
Der Impuls zu diesem Brief kam ganz klar von Aussenstehenden, die auch die volle Verantwortung dafür übernehmen. Um zu vermeiden, dass über den Kopf eines Menschen hinweg persönliche Dinge weitergetragen werden, wurde Betroffenem angeboten, den Brief zu überfliegen, was er aber abgelehnt hat. Das heisst, er ist über die Existenz des Briefes informiert, kennt aber bisher den Inhalt nicht.
Dieser Brief wurde am Montag, 4.10.21, im Briefkasten Hafermarkt eingeworfen. 18 Menschen stehen mit ihren Namen drunter, 2 hatten eine eigene Stellungnahme angehängt.
Die Veröffentlichung an dieser Stelle dient der Transparenz für alle, die sich ein Gesamtbild über den Konflikt machen möchten. Dieses Bild besteht aus vielen Facetten, unsere Darstellung ist Eine davon.
Wir hoffen, dass dies ein weiterer Anstoss sein kann, in eine lösungsorientierte Auseinandersetzung zu gehen, auf dass die Freiräume in dieser Stadt wieder ebensolche werden und die durch den Konflikt gebündelten Energien wieder für konstruktive Projekte frei werden.
Eine Woche nach besagtem Herbstfest sah man Menschen aus dem Vorderhaus parallel mit "Betroffenem" in einem Raum friedlich ignorant existieren. Auch wenn wir uns freuen, dass es offenbar noch/wieder möglich ist, die Daseinsberechtigung der Anderen auch im gleichen Raum zu respektieren, so stellt diese Tatsache für uns noch mehr infrage, was der eigentliche Zweck war, ein ganzes, aussenstehendes Wohnprojekt inmitten von Festvorbereitungen unter Druck zu setzen, konfliktbezüglich Entscheidungen zu treffen.
Dieser Anhang ist nicht in Rücksprache mit allen 20 Unterzeichnenden geschrieben. Im Grossen und Ganzen wurde im Feedback im Vorfeld der Wunsch zur sachlichen Auseinandersetzung deutlich, die persönliche Entscheidung, wieviel Energie man in einen Konflikt steckt, der weite Wellen schlägt, den man aber nicht durchschauen kann, und die unbedingte Forderung an alle direkt Betroffenen, sich um die Erarbeitung eines, wie auch immer gearteten, Konsens zu bemühen und Angebote zur Hilfestellung anzunehmen.
Danke an alle, die sich die Zeit genommen haben und nehmen