Auswertung der Gedenkkundgebung und Demo „Laut, wütend und offensiv gegen Knäste“ von Angehörigen und einem Ex-Gefangenen

Angehörige eines Gefangenen aus Moabit und ein Ex-Gefangener schildern ihre Eindrücke von der Gedenkkundgebung für Ferhat Mayouf und der Demonstration „laut, wütend und offensiv gegen Knäste“ am 23.07.21.

Erster Todestag von Ferhat Mayouf.

Freitag war mal wieder Demo angesagt und ich finde es gut, dass die Stadt nicht in den Dauerschlaf fällt. Sie sollte in regelmäßigen Abständen wachge-rüttelt werden. Gestern war nun der Tag der Tage an denen sie nicht pennen konnte und durfte.

Wir trafen uns mit einem Überlebenden des Knastes Moabit. Leidensgenossen von Kay, dieser sagte uns es wäre seine erste Gedenkkundgebung/Demo. Es sollte noch ein Weiterer hinzukommen, aber diese durfte kurzzeitig in seine Heimat reisen. Wir wissen alle Familie geht vor, damit entschuldigt.

Im Vorfeld bastelten wir Erinnerungsstücke für Ferhat, Plakate von der Demo (siehe Anhang). Wir fuhren früher los um mehr Zeit im Vorfeld zu haben. Wir trafen Kay seinen

Kumpel und quatschten erst mal. Trotz Havarie in seinem persönlichen Umfeld kam er. Ein sehr liebenswerter junger Familienvater. Wir sprachen erst mal über seine Haftzeit und er erzählte uns von einigen Schikanen, rassistischen Vorurteilen und Repressionen die er im Knast über sich ergehen lassen musste. Sie kamen uns alle bekannt vor, wichen nur geringfügig von Kay seinen Erzählungen ab. Sie haben anscheinend im Knast eine Liste für Foltermethoden an den Insassen. Wir liefen los und suchten unsere Freunde. Schnell gefunden und erst mal herzlich begrüßt. Kay sein Leidensgenossen vorgestellt, ich nenne ihn mal E.!

Durch die Havarie musste E. des Öfteren telefonieren um die Reparaturen zu koordinieren und ging deswegen ein wenig zur Seite. Wir ließen ihn aber nicht aus den Augen. Standleitung zu Kay war ON, er war live dabei. Die Gedenkkundgebung begann dann auch mit kleinerer Verzögerung. Über den Lauti wurden Beiträge verlesen und angebrachte Stimmung erzeugt. Ich sah mich um und war erstaunt, wie viele doch um uns herum standen und lauschten. Mein Mann redete mit einem Passanten und erklärte ihm worum es denn hier ginge. Wie immer waren alle auf ihren eigenen Coronaschutz bedacht, Abstände wurden eingehalten und FFP2 Masken getragen. Ich erkundigte mich immer wieder wie es E. ginge. Er fand es großartig und war begeistert.

Dann liefen wir los, Tempo war gut. Diesmal hatte ich anständiges Schuhwerk an und konnte mithalten. Der Zug war laut, sehr laut, aggressiv und die Akzeptanz untereinander war enorm. Kein Geschubse und Gedrängel, Parolen wurde gerufen und auch gehört. Anwohner standen am Fenster staunten und klatschten. Je näher wir dem Knast kamen umso ruhiger wurde E. Ich achtete nun darauf, dass er in unsere Nähe blieb. Kurz vor dem Knast gab es ein überraschendes Feuerwerk, hat gepasst und alle staunten. Breites Grinsen in unseren Gesichtern und E. sagte mir, dass das die Inhaftierten auch hören und sehen würden. Ich beobachtete das Feuerwerk und seine ganze Pracht über die Fenster der oberen Etagen der Häuser. Es war schön und lange, einfach genial. Es wurde abgefeiert und bejubelt von der Masse. Am Knast mussten wir kurz innehalten, war perfekt für uns. Passende Parolen wurden gerufen, die Insassen feierten dieses ab. Auch hier wieder stark, laut, dennoch solidarisch mit Ihnen. E. hielt inne und ich merkte er hat zu kämpfen. In diesem Moment hatte er Flashbacks und die Erinnerungen waren nicht schön. Gänsehaut breitete sich aus und das Bedürfnis nach Nähe und Wärme erfüllten ihn. Es gab aber auch angenehme Situationen im Knast, logischerweise nur unter den Inhaftierten. Vor kurzer Zeit saß er noch da drinnen und wusste nicht, ob es ein Morgen nach jeder Nacht für ihn geben wird.

In ihm herrschte nun ein Gefühlschaos, er beschrieb uns die Örtlichkeiten um sich ein wenig abzulenken. E. weiß, es sitzen noch viele seiner Freunde dort drinnen und diese bangen weiterhin um ihr Überleben. E. hatte sich vorgenommen, nach seiner Entlassung, sich gutes Essen schmecken zu lassen. Das ist ein einfacher Wunsch, den man im Knast entwickelt und er zog es durch. Döner schmeckt halt super.

Er stand nach seiner Entlassung mit Müllsäcken vorm Knast und wartete auf seine Frau. Typisches Bild in unserer ach so tollen Gesellschaft. Mit jeder Entlassung bedienen sie das klischeehafte Bild der Entlassenen. Mit Müllsäcken raus und dann seh zu was du machst. Ohne Familie/Freunde, Orgas und Vereine bist du komplett aufgeschmissen und landest im Dreck. Resozialisierung ist doch für die nur ein Wort und sie haben anscheinend keine Ahnung was für Entlassene wichtig wäre. Resozialisierung ist wie ein Ballon, wenn dieser Platz kommt nur Luft raus, mehr nicht.

Zum Ende hin verabschiedeten wir uns von unseren Freunden und begaben uns zu unseren Autos. Wir rauchten noch eine gemeinsam und sprachen über die Demo.

Wir, sowie E. und Kay fanden sie super und wichtig. E. wünschte uns und auch Kay noch viel Kraft für die kommende Zeit. Ich staunte nicht schlecht.

E. durchlief viele Emotionen, Gefühlschaos inbegriffen, Stress wegen der Havarie und dann steht der junge Mann vor uns und wünscht uns alles Gute. Einfach nur genial, wie man trotz Knast noch seine Menschlichkeit, Wärme, Güte und Freundlichkeit bewahren kann.

E. hat eine super Familie die hinter ihm steht und ihm die Kraft gibt die er braucht.

Wir werden uns noch öfters treffen.

Dann trennten sich unsere Wege und wir fuhren begeistert nach Hause.

Danke an alle Organisatoren, guter Job.

Sabine, Bernd und E.

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