Unsere Nächte brauchen keine Sterne mehr um zu leuchten.
An alle die in Hamburg waren. Mehr to read und to print Versionen bald auf ournights.blackblogs.org
Unsere Nächte brauchen keine Sterne mehr um zu leuchten.
Imaginäre Partei – Li.Ke. Kommando
„Die Hölle der Lebenden ist nicht etwas, das erst noch kommen wird. Wenn es eine gibt, ist es die, die schon da ist, die Hölle, in der wir jeden Tag leben, die wir durch unser Zusammensein bilden. Es gibt zwei Arten, nicht unter ihr zu leiden. Die erste fällt vielen leicht: die Hölle zu akzeptieren und so sehr Teil von ihr zu werden, daß man sie nicht mehr sieht. Die zweite ist riskant und verlangt ständige Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft: zu suchen und erkennen zu lernen, wer und was inmitten der Hölle nicht Hölle ist, und ihm Dauer und Raum zu geben.“
Italo Calvino
„Man kann eine Stadt lieben, man kann ihre Häuser und Straßen in der liebsten und ältesten Erinnerung tragen, aber erst in der Stunde der Revolte wird die Stadt wirklich als die eigene empfunden: eigene, weil Schauplatz eines Kampfes, für den man selbst und das Kollektiv sich entschieden hat; die eigene, weil umschriebener Raum, in dem die historische Zeit aufgehoben ist und wo jede Tat in sich selbst Gültigkeit hat, mit ihren absolut unmittelbaren Folgen. Man eignet sich eine Stadt wesentlich mehr an, indem man in den aufeinanderfolgenden Angriffswellen mit vorprescht und zurückweicht, als wenn man als Kind auf ihren Straßen spielt oder später mit einem Mädchen auf ihnen dahingeht. In der Stunde der Revolte ist man nicht mehr allein in der Stadt.“
Furio Jesi
“Es wird ein Tag kommen, an dem wir, die Feuerschlucker, damit anfangen werden, es auszuspucken, und unsere schönste Schöpfung werden die großen Brände sein, die wir auf diese Weise entfachen.”
Romain Gary
Freitagabend
warm, sommerlich
Tausende Menschen in den Straßen
Und tausende Bullen.
Barrikaden brennen,
Ein Bewohner beschallt von seinem Balkon die Nacht mit Musik
Wir tanzen unten,
Und dort greifen wir die Polizisten an,
Stundenlang.
Etwas weiter, wir trinken Bier, entspannt diskutieren wir miteinander
geplünderte Supermärkte und Läden.
Die eine oder andere Oma und einige junge Maskierte mit vollen Armen…
Schokolade und Macbooks für alle!
Eine Bank steht in Flammen
unter den alles beobachtenden und machtlosen Augen der Hubschrauber
Einige beschimpfen die vermummten Demonstranten, andere verteidigen sie und bedanken sich bei ihnen.
Manchmal fasst man den Nachbarn an den Händen.
Ein aufgedrehtes Pärchen fickt auf dem dritten Stock eines Baugerüsts
Darunter ein Spirituosengeschäft mit geborstenen Scheiben, der Inhaber bietet den Vorbeiströmenden Wein an:
« Vor zwanzig Jahren hätte ich dasselbe getan. »
Am anderen Ende der Schanzenstraße wird eine Wanne samt fünfköpfiger Besatzung
von einem dutzend Aufständischer gejagt.
Die Angst hat die Seiten gewechselt.
Wir werden in der Erinnerung der Menschen leben, die keine haben…
Schon seit einer Woche sprechen Medien, Journalisten, Politiker und die verantwortlichen Aktivist_innen von nichts anderem und sie schrecken dabei vor keiner semantischen Niederträchtigkeit zurück: « Das deutsche Aleppo », « linker Terror », Chaos. Das Problem sind nicht die paar Millionen Euro an Sachschaden, die post-apokalyptischen Bilder, die tausenden auf die Bullen geschmissenen Steine und Flaschen, sondern die Situation selbst: die gleichzeitige Anwesenheit tausender Bewohner, abgehärteter und neu dazugekommener Aufständischer, junger Einwanderer, Schaulustiger und Protestierender aus allen Himmelsrichtungen in den Straßen Hamburgs. Ein Moment des Beinahe-Aufstands in einer deutschen Großstadt im Jahre 2017: das muss um jeden Preis verurteilt und unterdrückt werden. Aus diesem Grund werden wir von Ministern mit Nazis und dem IS verglichen.
Die Medien können Geschichten von Menschen wiederkäuen, die vom Abfackeln ihres Autos, der Zerstörung ihrer Schaufensterscheibe oder von der Anwesenheit ihrer Kinder auf der einen oder anderen Seite der Barrikade traumatisiert sind. Aber alle diejenigen, die mehr oder weniger an diesen Momenten teil hatten, wissen, was in diesem Augenblick mit uns geschehen ist: Diese Freude, diese Angst und diese Intensität hat uns soviel lebendiger gemacht als der reguläre Gang der Dinge im kapitalistischen Alltag. Wir haben mit einer Vielzahl von Unbekannten geredet, die das erste Mal in ihrem Leben Teil eines solchen politischenMoments waren und wir haben ihren Enthusiasmus und ihre Energie gespürt. Die ganze Katastrophen-Propaganda der Medien zielt genau darauf ab, die Freude und die Stärke, die in dieser Situation geteilt wurde, zu verbannen und durch die Angst vor einer Situation ausserhalb des Normalzustandes zu ersetzen, sodass der Verlust der Kontrolle durch den Staat unattraktiv wird. Aber auch wenn sich alle deutschen Journalisten zu Tode mühen – nichts kann verhindern, dass die Teilnehmenden der Tage und Nächte von Hamburg eine wirkliche Erinnerung in ihrem Körper aufbewahren.
Die Unruhen schaffen eine Unmittelbarkeit der Präsenz sich selbst und Anderen gegenüber, eine helle Brüderlichkeit, die der Staat niemals erwirken kann. Der organisierte Riot produziert selbst das, was die Gesellschaft nicht hervorbringen kann: lebendige und unumkehrbare Verbindungen.
Jene, die bei den Bildern der Gewalt Halt machen, verpassen all das, was passiert, wenn man gemeinsam die Risiken des Zerstörens, des Taggens und des Bullenangreifens auf sich nimmt. In diesem Moment experimentieren wir mit der Schaffung und Stärkung von Freundschaften: eine offene Welt, voller Möglichkeiten, aufrichtig zu handeln, voller greifbarer Mittel. Die Situation hat eine Form und wir können uns in sie hinein bewegen…Wenn der Riot erstrebenswert ist, dann vor allem als Moment der Wahrheit.
Die Kunst des Ausweichens oder wie ein Polizeieinsatz mehr Unordnung produziert als er Ordnung wiederherstellt
Wenn die Bullen im Schanzenviertel fast sechs Stunden lang nicht eingreifen – und dann erst im Schutz der Nacht und in einer Wolke aus Tränengas, im Gefolge von mit Maschinenpistolen bewaffneten Anti-Terror-Einheiten vorrücken – dann ist das weniger auf den hartnäckigen Kampf einiger Hundert Wütender, militant oder nicht, als auf die Anwesenheit Tausender Hamburger zurückzuführen. Wie grenzt man « die guten Bürger », von denen einige ganz nonchalant die Bullenkolonnen am Vorrücken gehindert oder auch den ein oder anderen Stein geworfen haben, von den Aufständischen ab, die zum fünften Mal an diesem Tag ihre schwarze Kleidung abgelegt haben?
Wenn auch nicht alle Bewohner_innen Hamburgs die Angriffe auf Polizisten, die Plünderungen und die brennenden Autos unterstützten, so haben doch alle den außergewöhnlichen Charakter der Situation empfunden. Eine dem Ausnahmezustand, der ihnen seit Wochen und insbesondere in den vergangenen Tagen auferlegt wurde, angemessene Situation:
19.000 eingesetzte Polizeibeamte, 30 Wasserwerfer, Räumpanzer und Boote; Tag und Nacht der Lärm von Hubschraubern und permanentes Sirenengeheul; die vorübergehende Aussetzung des Schengen-Abkommens an den Grenzen…
Wie konnte die so gut organisierte und so effiziente deutsche Polizei bei dieser Vorbereitung die Kontrolle über die Situation verlieren? Man könnte auf die labyrinthischen Straßen Hamburgs, die massive Präsenz der Bewohner_innen in den Straßen oder die Entschlossenheit der Aufständischen hinweisen. Aus einem strategischen Blickwinkel sollten wir im Kopf behalten, dass die deutschen Bullen einen 1500 Leute starken kämpferischen schwarzen Block innerhalb von zehn Minuten brutalst auseinanderzuschlagen imstande sind, wenn sie sich den Ort und den Zeitpunkt des Angriffes aussuchen können (« Welcome to Hell! »). Aber wenn man aus diesem geplanten und bekannten Ablauf ausbricht, wenn tausende Personen anfangen, sich in den Straßen zu zerstreuen und spontan zu agieren, oder wenn man einfach den städtischen Raum verlässt (denken wir an die Aktionen gegen die Atommülltransporte im Wendland), dann blockiert die schöne Maschine oder läuft ins Leere, wie ein kopfloses Huhn.
In Hamburg ist die Null-Toleranz-Strategie der Polizei doppelt gescheitert. Zum einen hat das Verbot eines großen Camps am Rande der Stadt dafür gesorgt, dass zahllose Aktivist_innen sich in der Innenstadt zerstreuten, auf eine Vielzahl kleiner Camps, die sich unmöglich alle überwachen ließen. Zum anderen führte der frühzeitige Angriff auf die Demo am Donnerstag dazu, dass tausende Demonstrierende, anstatt geordnet in eine bestimmte Richtung gelenkt zu werden, völlig ungeordnet in die Stadt zurückgedrängt und ihnen dort ein neues Spielfeld eröffnet wurde. Diese Strategie war nur ein Vorgeschmack der Gewalt, die der Staat in den nächsten Tagen ausüben würde.
Wir sind in Hamburg Zeugen eines erzwungenen Wechsels in der Taktik der deutschen Polizei geworden: vom Nahkampf, dem Kesseln Tausender und der Durchdringung des öffentlichen Raums hin zu Angriffen aus der Distanz, zu Befestigungspunkten, zum Gebrauch von Tränengas, zu Verfolgungen, die nicht mehr auf Festnahmen, sondern nur noch auf Zuschlagen und Verletzen abzielen. Situationen, die eher an die in Südeuropa oder anderswo in der Welt gängige « Verwaltung der Ordnung » erinnern. Eins ist sicher: die Ehre der deutschen Polizei, ihr weltweit anerkannter Ruf für Disziplin und Effektivität, ist im Arsch.
Wir sprechen hier nicht von dem Skandal der zweihundert besoffenen Berliner Bullen, die rumgefickt und alles vollgepisst und was auch immer mit ihren Dienstwaffen angestellt haben, sodass ihre Vorgesetzten sie noch vor der ersten Demo wieder nach Hause schicken mussten (see you next time guys!). Wir sprechen auch nicht vom Frust, der davon kommt, stundenlang absurde Positionen zu halten, schwitzend unter der Panzerung, sich an jeder Kreuzung zu verlieren, immer wieder in die Wannen ein- und auszusteigen, von dem Zeitpunkt, an dem man sieht, dass man wieder mal nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind.
Wir sprechen vom größten in einer deutschen Großstadt in den letzten dreißig Jahren eingesetzten Repressionsapparat und seinem krachenden Scheitern. Wir sprechen von einem unbeschreiblichen Chaos, von dem von den Bränden geschwärzten Himmel und der unkontrollierbaren Menschenmenge genau an dem Ort, an dem nur Fotos lächelnder und selbstsicherer Gewinner vor dem Hintergrund philharmonischer Musik vorgesehen waren. Wir sprechen vor allem von einer Praxis des Ausweichens, einer verallgemeinerten Fähigkeit, die allgegenwärtigen Kontrollen zu vermeiden und in die Offensive überzugehen. Wir sprechen von einer kollektiven Intelligenz, die den Augen der ganzen Welt gezeigt hat, dass das Empire auf seinem eigenen Feld geschlagen werden kann.
Von einer ozeanischen Präsenz…
Freitagmorgen, 7 Uhr 30. Vor einer halben Stunden haben die mehr oder weniger pazifistischen Blockaden in allen Ecken der Stadt begonnen und ziehen die Bullen an wie die Fliegen.
Jetzt brechen südlich von Altona ein zweihundert Leute starker schwarze Block aus dem Dickicht, ausgerüstet, maskiert und entschlossen.
Ein Ausbruch…
Bushaltestellen, Immobilienmakler, Büros, Banken, Rathaus und Einkaufszentrum…
Die Schönheit der Bewegung eines durch Metall verlängerten Körpers, die sich einem Schaufenster nähert…
Mülleimer, Baustellenmaterial, Caféterrassen, mitten auf der Straße zusammengeworfen.
Eine Rauchbombe auf einem Reifen, oder geworfen durch eine geborstene Fensterscheibe…
1, 2, 3, 10, 15, 25 Autos gehen in Flammen auf.
Die erste Bullenkarre macht noch vor dem Kontakt Kehrtwende.
Ein paar vor dem Bahnhof geparkte Wannen werden mit Molotows versehen, sie ziehen brennend und auf Felgen fahrend ab.
Innerhalb von fünfzehn Minuten verschwinden alle…
Es bleiben nichts als Asche und Glassplitter,
einige abgestumpfte Bürger-Blicke.
Der Polizeiapparat schnappt ins Leere,
Während es woanders weitergeht und wieder von vorn anfängt…
Molotows und wilde Zerstörung können eine Bewegung sowohl schwächen als auch Möglichkeiten eröffnen. In Hamburg hat der morgendliche Elan ein Konfliktniveau angenommen, die vielen legitim und notwendig erschien, wie es die Stunden und die Nacht, die darauf folgten, gezeigt haben: ein Grad an Offensivität, der von Tausenden Namenlosen aufgenommen und geteilt wurde.
Eine legitime und notwendige Gewalt – sowohl in Reaktion auf die Militarisierung der Stadt als auch, um die zwanzig Drecksäcke würdig zu empfangen, die sich hier als Herrscher der Welt zusammenfanden, als Herrscher dieser Welt…
Austerität ist die Norm: Milliarden für die Banken, Brotkrümel für den Rest.
Weg mit Archaismen wie Sozial-, Krankenversicherung und Renten, der Fortschritt marschiert!
Er hat die Länder im Süden schon während der segensreichen Kolonialzeit erreicht.
Heute ist der Süden jedes Jahr etwas weiter im Norden…
Stacheldraht, Uniformen und die Lager der Festung Europa verfolgen, erniedrigen und ermorden hunderttausende Menschen.
Der Rassismus ist kein versteckter mehr, sondern eine ertragreiche und respektable Sache, manchmal sogar Nationalsport.
Für die « Nationalen », existenzielles wie affektives Elend,
Arbeit und Psychopharmaka als Ausweg,
Routine als Gegengift.
Zum Leben.
In der Ferne fahren sich Kriege fest, die Rüstungsindustrie wird immer fetter
wirtschaftliches Wachstum auf dem Boden sonnenverbrannter Kadaver.
Polizei und Militär in den Straßen, mit Waffen, Kameras, Drohnen und Hubschraubern.
Entfesselte Gewalt und tolerierter Amtsmissbrauch.
Die Kontrolle ist überall, im Chip eines Ausweises oder in einer DNA-Datei für die Privilegierten.
Die terroristischen Gesetze organisieren und legitimieren die Repression. Widerstände dürfen sich unter keinen Umständen ausbreiten.
Die Medien halten den Deckel des Fleischtopfes etwas geöffnet: Spiele, Shows, Träume, und nochmal Spiele.
Die Kommunikationsagenturen geben ihr Bestes, um den Konsum anzukurbeln, während wir uns am Ende jedes Monats durchkämpfen müssen.
Die Schlange frisst ihren eigenen Schwanz.
Tausende Tonnen Erdöl, vergossen in die Ozeane, Millionen von Plastiktüten schmücken die Landschaften, Ibiza am Nordpol und Fukushima mon amour.
Die vom Aussterben bedrohten Arten weisen unseren zukünftigen Kindern den Weg…
°
Die paar dutzend abgebrannten Autos zu beweinen, die paar hundert zerschlagenen Scheiben, die armen verletzten Polizisten.
Meint ihr das ernst!?
Die Aufständischen einsperren, die Rote Flora rausschmeißen, St. Pauli schleifen…
Vergessen…
Weitermachen, als sei nichts gewesen…
Die Anstandslosigkeit einer tödlichen, atemlosen Zivilisation.
Was haben sie sich gedacht?
Sich in einer Großstadt treffen, in nur fünfhundert Metern Entfernung eines der wenigen Stadtteile, die eine Identität und eine politische Geschichte für sich beanspruchen… Grenzenlose Arroganz: eine Provokation, zu groß, um nicht zu versuchen, ihre Feier mit alle Mitteln zu ruinieren.
« Mit allen Mitteln » – wir beschränken uns nicht auf eine einzige Wahrheit und eine einzige Modalität: wir waren enthusiastisch unter Tausenden (relativ) friedlich demonstrierenden Schüler_innen; wir haben uns unter die Pazifisten gemischt, die die Konvois der offiziellen Limousinen blockierten; lachend haben wir die Mütter St. Paulis die Bullen, die ihr Viertel verwüsten, beschimpfen hören; und wir haben es geliebt, bis in die frühen Morgenstunden auf der Reeperbahn zu tanzen, mit hunderten Unbekannten, die oft gar nicht wussten, dass sie an einer Blockadeaktion teilnahmen. Ganz einfach: wir können auch Autos anstecken, Scheiben einschlagen und Bullen angreifen, und genau das haben wir gemacht. Wir wollten verhindern, dass das Bild, das von diesem G20-Gipfel bleibt, der Handschlag der Bastarde Trump und Putin ist. Und das haben wir erreicht!
Das Licht schafft das Volk, die Nacht bringt den Plebs hervor
Wir sind also « Terroristen », die Autos vebrannt und Supermärkte geplündert haben. Wir sind die « potentielle Mörder », die die Bullen zwei Tage und zwei Nächte lang angegriffen haben. Wir sind Angestellte, Arbeiter und Arbeitslose, Teilzeitler. Wir sind Kinder Eingewanderter und Kinder der Mittelklasse, die niemals den Komfort ihrer Eltern erreichen werden. Wir sind Analphabeten und Dichter, Tagger und Straßenreiniger. Wir sind Studierende und Schüler, mit oder ohne Geld. Wir sind die mit der Milch des Konsumismus groß gezogene Jugend dieser Welt und wir sind Frauen, die sich den sexistischen Verhaltensweisen, welche sie ständig erdulden müssen, entgegenstellen. Wir sind die Generation, die weiß, was diese Zeit für sie bereithält. Wir haben keine Zukunft, aber Träume, die aus dem Rauch unserer Joints oder unserer in Flammen stehenden Barrikaden aufsteigen.
Wir sind der Plebs, enteignete Wesen, die sich zusammenfinden und sich organisieren, um die Ursachen ihrer Enteignung anzugreifen, jenseits jeglicher Legalität – um gegen das zu kämpfen, was sie schwächt, jenseits jeglicher Legitimität, als unendlicher Versuch, andere Welten hervorzubringen…
Es tut uns leid für euch, aber ihr werdet euch daran gewöhnen müssen…
Einige verantwortliche Aktivisten beschuldigen uns der Vergehen: des Schweigens, der Inkohärenz, des Angriffs auf die moralische Ordnung, infiltriert und instrumentalisiert zu sein, zur Legitimation der freiheitsraubender Gesetzgebung. Man muss blind und taub gegenüber der Zeit, gegenüber der Geschichte sein, um uns eine solche Bedeutung beizumessen. Wir sind nur die auf der Rechnung dieser Welt Vergessenen, der Abschaum, die Reservearmee, aber wir sind zahllos.
Die Modalität unseres Auftauchens ist ganz einfach die passende Antwort auf eine Welt, die uns den Atem nimmt, uns vergiftet und uns einsperrt. Wir leugnen nicht, unregierbar und unkontrollierbar zu sein, wenn es die Situation erlaubt. Aber worauf hofft ihr?
Zu wollen, dass die Revolution absolut vegan, antisexistisch, umweltbewusst, respektvoll gegenüber allen Schwachen und Minderheiten, ohne jeglichen Ausbruch – in anderen Worten: zu wollen, dass sie überwacht, diszipliniert, kontrolliert abläuft, bedeutet, überhaupt keine Revolution zu wollen. Wir streiten nicht ab, dass es im Verlauf dieser Tage und Nächte unglückliche Ausbrüche gab und wir haben diese auch nicht akzeptiert. Es ist vorgekommen, dass wir untereinander in körperliche Auseinandersetzungen gerieten, nachdem wir gerade gemeinsam einen Vorstoß der Bullen zurückgeschlagen hatten. Aber: sich auf diese Ausbrüche zu konzentrieren, sie zu benutzen, um die guten von den schlechten Aufständischen zu trennen, oder, noch radikaler, um sich von den Ereignissen in Hamburg zu distanzieren – das bedeutet, sich in eine medial bestimmte und dogmatische Logik zurückzuziehen, und vor allem: sich auf die andere Seite der Barrikade zu schlagen.
Wir ziehen es vor, die zwischen uns geteilte Aufmerksamkeit des Furors im Kopf zu behalten, eine Aufmerksamkeit gegenüber den Gelegenheiten, kaputt zu machen, zu plündern, Bullen anzugreifen, aber auch eine sanfte Aufmerksamkeit gegenüber Unbekannten: zusammenhalten, jeder Person am Boden helfen, Wissen teilen, miteinander reden, sich zuhören.
Einige der Moralisten und (selbsternannten) Verwalter der Kämpfe kritisieren die blinde und apolitische Gewalt der Hamburger Tage. In erster Linie hätten wir eines unserer « eigenen » Viertel zerstört. Es stimmt, dass unser langes Durchhalten der impliziten oder expliziten Unterstützung zahlreicher Bewohner zu verdanken ist, die für einen ständigen Nachschub an Steinen gesorgt oder sich einfach in den Straßen aufgehalten haben. Wir waren auf einem Gebiet, das weniger feindselig als andere ist. Aber seien wir nicht naiv: wer kann sich die derzeitigen Mieten im Schanzenviertel, in Kreuzberg oder Friedrichshain leisten? Sind diese Viertel von staatlicher Kontrolle, von der Warenherrschaft, von der Polizeipräsenz befreit? In Wirklichkeit handelt es sich hier um ein Schlachtfeld wie jedes andere, lediglich ein bisschen wohlgesinnter; Supermärkte und Apple-Läden ändern sich kein bisschen mit dem geographischen Umfeld, in dem sie stehen… Dann gibt es auch zahlreiche Stimmen, die das Abfackeln von Autos « unterer Preisklasse » verurteilen. Der deutsche Staat hat sich diesem grauenvollen Angriff auf ein Grundrecht seiner Bürger – das Recht auf Auto für alle – angenommen: Vierzig Millionen Euro sind für die Opfer der « terroristischen » Gewalt von Hamburg bereitgestellt worden, verglichen mit neunhunderttausend Euro für die Familien der zehn Opfer des NSU… Auch wenn wir es bei unseren Aktionen immer auf Luxuskarren abgesehen haben, werden wir nicht in eine Logik der Dissoziation eintreten. Diese teilweise wahllose Gewalt ist politischen Moment inhärent, seien es die Riots von London, die Gegengipfel von Straßburg und Vichy, oder den Revolten in französischen oder schwedischen Vororten.
Sicher, wir haben es nicht geschafft, dauerhaft die Repression aufzulösen, das Territorium an uns zu reißen, Freiräume zu etablieren. Genauso, wie wir im Dezember 2008 und den darauffolgenden Jahren in Griechenland, in der Kommune von Oaxaca oder in der Widerstandsbewegung gegen das Loi Travail (Arbeitsgesetz) in Frankreich gescheitert sind. So viele leuchtende und missglückte Versuche… Wir bereuen nichts, wir folgen weder einem Generalplan noch einem Aktivistenkalender. Die Möglichkeiten, die diese Momente eröffnen, hängen von der kollektiven Intelligenz ab, die dort entsteht – wir können sie lediglich mit Aufmerksamkeit, Entschlossenheit und Erfahrungen nähren…
In die Gegenwart einbrechen.
Es versuchen. Scheitern. Es nochmal versuchen. Besser scheitern.
Sich anketten. Angreifen. Bauen.
Vielleicht gewinnen.
In jedem Fall: überwinden.
Die Zukunft ist offen…
Aus der Nekropolis in den Taumel des Lebens
Hamburg, Paris, Kairo, Frankfurt, Mailand, Tunis, London, Athen, Thessaloniki, Rom, Istanbul, Nantes, Teheran, Barcelona… In den letzten zehn Jahren haben alle diese normalisierten, neutralisierten und oft für den Fall der Fälle militarisierten Städte Situationen erlebt, die für Stunden oder Tage außer Kontrolle waren. Welche Metropole kann heute von sich behaupten, vor dieser Art Ereignis gefeit zu sein?
Keine.
Mit solchen Ausnahmesituationen experimentieren, sie mit unseren Leben verbinden, mit unseren Wesen. Dafür sorgen, dass diese Intensitäten auf unseren Alltag überspringen, uns verändern, uns ausbrechen lassen und uns vervielfachen. Unsere Träume, Freuden und Verrücktheiten darauf übertragen. Daraus lernen, sorgfältig mit einander zu umzugehen, sich bewegen, sich rühren. Sich organisieren, damit die Rückkehr zum Normalzustand immer schwieriger und schließlich unmöglich wird.
Auf die Anschläge von Paris und die Erklärung des Ausnahmezustands in Frankreich folgte eine politische Phase, die länger und konfliktreicher als alles in den vergangenen vierzig Jahren war. Niemand kann einen Aufstand, eine Revolte oder eine Revolution vorhersehen. Wir wissen weder ob noch wann es passieren wird, aber wir wissen, dass wir da sein werden, und dass wir Tausende sein werden.
« Was ich euch vorschlage ist eine gefährliche, unbequeme, verrückte Welt! Eine Welt, in der es keine Regeln außer den von uns selbst geschaffenen gibt! Eine vielfältige, zerborstene, bunte Welt ohne Regierung, denn sie ist von Herrschern gemacht! Eine Welt von Pionier_innen, Forscher_innen, Abenteurer_innen! Eine Welt der Erfinder_innen neuer Möglichkeiten des Spielens, des Fühlens und des Sehens, in der es keine Angst davor gibt, zu versuchen und zu scheitern! Eine Welt, in der man lernen muss, in der Leere zu atmen, wo man einen Ziegel auf den anderen setzen und Tomaten im Sand züchten können muss!
– Eine Welt, in der die Paarbeziehung nicht mehr die endgültige und unantastbare Form des gesellschaftlichen Gewebes ist. Wo die Liebe aus dem Gefängnis ausbricht ! Es gibt kein Gut, kein Recht und keine Pflicht mehr, nur ein Angebot, nur ein Geschenk…
– Eine Welt ohne Richter, ohne Bullen, ohne Spitzel!
– Eine Welt, in der die Kinder in den stillen Straßen weinen können, da es keine stillen Straßen mehr gibt!
– Eine Welt, verbunden und verwoben, direkt, ohne Medien, ohne Werbung, aber mit öffentlichen Räumen, Agoras wo immer wir wollen.
– Diese Welt wird das sein, was ihr daraus macht. Nicht mehr und nicht weniger. Aber ich weiß, dass sie schön sein wird, denn sie wird handgemacht sein, und sie wird den Taumel des Lebens spüren… »