Repression gegen Indymedia - Ein Ende der Meinungsfreiheit?
Zu Indymedia gibt es viele unterschiedliche Positionen. In Europa entstand die Plattform Anfang des 3. Jahrtausends und stellte eine Revolution in der Berichterstattung dar.
Das Konzept von Indymedia wurde später von vielen kopiert und verkommerzialisiert - ein klarer Gegensatz zu Indymedia, dass sich immer klar als nichtkommerzielle Plattform positionierte und bei der die Meinungsfreiheit an obersterer Stelle stand.
"Indymedia ist ein dezentral organisiertes, weltweites Netzwerk sozialer Bewegungen. Die Plattform indymedia.org soll diesen Bewegungen die Möglichkeit bieten, frei von staatlichen Kontrollen und kapitalistischen Interessen Berichte, Erfahrungen, Analysen, Träume und Meinungen zu verbreiten, um Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Durch Indymedia können wir unsere Geschichte selbst schreiben: Bewegungen müssen Spuren ihrer Leidenschaft für zukünftige Generationen hinterlassen, denn vergessene Kämpfe sind verlorene Kämpfe."
aus: THE REAL CRIME INC: Auf nach Europa! Die geheimnisvollen Fälle des Inspektors Zwezlers und seines Partners Moik, :: bahoe books, Wien 2016
Das Thema Meinungsfreiheit ist abhängig von der Perspektive. Wer darf welche Meinung verteten? Welche Meinung ist genehm, passt ins Konzept? Indymedia verfolgt einen emanzipatorischen Ansatz: Kein Forum für Diskriminierung jeglicher Art zu sein. Die Frage wo Diskriminierung beginnt und wo sie endet ist nicht immer einfach zu beantworten, ebenso verhält es sich damit bei der Meinungsfreiheit. Denn eine Meinung, die andere Menschen in ihrer Freiheit einschränkt, ist keine Meinungsfreiheit.
Alle Projekte von Indymedia, die gemeinsam ein globales Netzwerk bilden, standen und stehen vor dieser Herausforderung. Und jedes der weit mehr als 100 über den Erdball verteilten IMCs (Independent Media Centers bzw. Unabhängige Medienzentren), geht dabei einen eigenen Weg. Dass ist eine der Grundlagen des Netzwerkes.
Die Moderation der Beiträge geschieht anhand der Editorial Policy (Readktionskriterien), die jedes IMC selbst entwickeln muss, um als Teil des Netzwerkes aufgenommen zu werden; am besten in Form eines Diskussionsprozesses der Beteiligten.
Grundlagen, die gewährleistet werden müssen, sind das Prinzip des Open Publishing sowie die globalen Principals of Unity. Wobei letztere selbst einen Diskussionsprozess unterliegen und dadurch veränderbar bzw. erweiterbar sind. Um dies konkreter zu fassen, seien hier ein paar Eckpunkte genannt:
Hierarchiefreiheit, Nein zu Diskriminierung, nicht-Kommerzialität, kein Copyright (Copyleft), die Möglichkeit der anonymen Veröffentlichung, kein Speichern von IP-Adressen, Unabhängigkeit von politischen Parteien, die Förderung von individueller Berichterstattung und somit das Infragestellen der Meinungsbildung durch kommerzielle Medien(häuser bzw. -konzerne).
Jetzt werden wohl viele meinen, dass sog. "soziale Medien" ebenfalls diese Möglichkeiten bieten. Doch gibt es hier gravierende Unterschiede. Bei Indymedia können sich alle einbringen, die mit dem Open Publishing Prinzip und der jeweiligen Editorial Policy übereinstimmen. Entscheidungen werden transparent und nachvollziehbar getroffen. Und selbst bei versteckten Beiträgen gibt es meist Möglichkeiten, diese einzusehen. Bei Facebook und anderen Plattformen geht das nicht. Wenn ein User_innen-Account den Boss_innen, die nich nur klar hierarchisch agieren, sondern auch Geld damit machen, ein Beitrag nicht genehm ist, wird er dem Zugriff der Öffentlichkeit entzogen. Schluss und Basta. Die Inhalte sind weg und es gibt keine Möglichkeit mehr, darauf zuzugreifen.
Indymedia mast sich im Gegensatz zu den meisten (kommerziellen) "sozialen Medien" nicht an, aus der - unbezahlten - Medienarbeit der Userinnen Kapital zu schlagen.
Doch zurück zur Meinungsfreiheit und zu Linksunten. Wie bereits erwähnt obliegt es den einzelnen IMCs, ihre eigene Editorial Policy festzulegen. Linksunten entschied sich von Anfang an dazu, auch eine Plattform zum Outing von (Neo)Nazis zu sein. Und gerade dies scheint einer der Gründe zu sein, warum sich die deutschen Innenbehörden zum Verbot der Seite entschieden haben (vgl. dazu die diversen :: Stellungnahmen zum Verbot).
Doch wesentlich entscheidender dürfte gewesen sein, dass Linksunten nicht nur als Plattform für Bekener_innenschreiben und militante Aktionen genutzt wurde, sondern auch zur Dokumentation von gewalttätigen Übergriffe von Rassist_innen, Neonazis oder eben staatlicher Behörden. Wie eben rund um die Proteste gegen die G8 in Hamburg.
"Wir haben zuletzt beim G20 Gipfel erlebt, dass unsere Erfahrungen durch die Medien wegdefiniert wurden. Tausende Menschen hatten massive Polizeigewalt erlebt und sahen sich danach mit Berichten konfrontiert, die diese Erfahrungen negierten, leugneten, das Gegenteil behaupteten. In großen Teilen unwidersprochen konnte sich sogar Hamburgs Oberbürgermeister hinstellen und behaupten, es habe keine Polizeigewalt gegeben. Gerade für die Erfahrungen mit Pfefferspray, Wasserwerfern und Faustschlägen wie in Hamburg ist es von herausragender Bedeutung, dass es indymedia gibt. Erfahrungsberichte, die sonst niemals an die Öffentlichkeit gelangen würden, Aktionen, von denen kein Mensch erfahren würde und Perspektiven, die in Mainstreammedien untergehen finden auf indymedia einen Platz."
:: Einige wütende solidarische Aktivist_innen auf de.indymedia.org
Schon vor den ersten Demonstrationen fanden sich auf Linksunten Berichte über das repressive Vorgehen der Polizei, u.a. bei der gesetzlich nicht gedeckten - und somit illegalen - Räumung eines Camps von Aktivist_innen, ebenso wie über die alltägliche Polizeigewalt, die mensch rund um den G8-Gipfel in Hamburg erlebte.
Während in den kommerziellen Medien die Darstellung der Polizei von den "gewalttätigen Protesten" in den Mittelpunkt gerückt wurde, berichteten Leute direkt vor Ort über ihhre Erlebnisse - und dies ohne jegliche Zensur.
Immer dann, wenn das repressive Vorgehen der Staatsgewalt zu sehr in den Blickpunkt gerät, antworten die Behörden mit Einschüchterungsversuchen und (staatlicher) Gewalt. Doch Linksunten ließ sich davon nicht beeindrucken, was letztendlich zum Verbot am 25. August 2017 durch das deutsche Bundesinnenministerium führte. Dass dieses auf rechtlich sehr wackligen Beinen steht, ist mittlerweile bekannt.
Und bekannt sind das Vorgehen und die Gewalt und Behörden und Polizei vor allem rund um :: Gipfelproteste, insbesondere jenen gegen die G8, seit langen. Erinnern wir uns an das Jahr 2001 in Genua. Auch damals wurde bereits im Vorfeld massiv gegen Aktivist_innen gehetzt, die Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt und ein quasi Ausnahmezustand über die Stadt verhängt. Die Höhepunkte der Gewalt in Genua, die sich in das Gedächtnis vieler Menschen einbrannten, waren der Mord an Carlo Giuliano, die Stürmung der Scuola Diaz durch faschistische Polizeieinheiten (im Rahmen derer auch das IMC gestürmt wurde) und die Folterungen in den Polizeigefängnissen. Ohne die Arbeit der unabhängigen Medienaktivist_innen wäre all dies wohl nie aufgeklärt worden.
Meinungsfreiheit ist seit jeher ein stark umkämpftes Thema. Zensur als Mittel, um kritische Nachrichten zu unterdrücken, ist vor allem in antidemokratischen Regimen gang und gäbe. Nun rühmt sich Deutschland, so wie die EU und ihre Mitgliedsstaaten, demokratisch zu sein und Meinungsfreiheit zu respektieren. Am 25. August 2017 bewies das Deutsche Innenministerium jedoch, wie wenig ihr Meinungsfreiheit bedeutet.
Dies war nicht der erste Angriff auf Indymedia. Immer wieder wurden Leute, die sich bei diesem Projekt beteiligten, kriminalisiert und verfolgt oder Server beschlagnahmt. Doch immer wieder wurden Wege gefunden, die Berichterstattung weiter zu führen.
Dazu am Ende dieses Beitrag noch ein passender :: Aufruf einiger von de.indymedia.org, die den Leuten von Linksunten ihre vollste Solidarität erklären und klarstellen, dass sie jetzt erst Recht weiter machen: Schafft ein, zwei, viele Indymedias!