HB: Silvester zum Knast 2020
“Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen!”
Am Silvesterabend, den 31.12.2020, versammelten sich etwa 80 Personen vor dem Knast in Bremen-Oslebshausen und forderten u.a. eine Gesellschaft ohne Knäste. Die Leute spazierten um die JVA herum und es wurden an mehreren Stellen Redebeiträge gehalten. Dabei wurde sich mit den Gefangenen solidarisiert und darauf aufmerksam gemacht, dass Knäste und Strafen nicht zur Lösung von Problemen und Konflikten beitragen. Es waren auch immer wieder Applaus und Danksagungen von Gefangenen zu vernehmen, die offensichtlich von den Redebeiträgen, der anwesenden Aktionstrommel-Gruppe und den gerufenen Parolen erreicht wurden.
Für eine Gesellschaft ohne Knäste!
Redebeitrag
Hier sind wir wieder.
Wie im letzten Jahr. Und im Jahr davor. Und in dem Jahr daaavor. Und so weiter, und so fort.
Wir kommen immer wieder, auch wenn sich an der Situation verdammt wenig ändert. In den Knästen sehen wir deutlich die Denkweise einer brutalen Gesellschaft. Eine Gesellschaft in der Gewalt Struktur hat. Knäste sind in Mauern und Gitter gegossene Gewalt.
In diesem Jahr ist einiges anders und dies auch für die Menschen in den Knästen: Wir schützen uns heute Abend vor Corona mit Masken und Abstand. In den Gefängnissen dieser Welt sind die Menschen dem Infektionsrisiko aber nochmal ganz anders ausgesetzt. Anders als den meisten von uns steht es Ihnen nicht frei zu wählen, wie sie sich schützen, wen sie unter welchen Bedingungen treffen, mit wem sie z.B. in welchen Räumen essen. Sie haben keine Handhabe gegen Beamt*innen, die sich nicht an die Maskenpflicht halten.
Während im Frühjahr Haftstrafen noch wegen des Infektionsrisikos in den Knästen frühzeitig beendet wurden, werden die Menschen mittlerweile nicht mehr frei gelassen, sonder isoliert. Ihre Rechte wurden weiter beschnitten. Möglichkeiten für Therapie, Sport, Ausbildung, Arbeit, Hofgang, Ausgang wurden ihnen genommen. Absolute Besuchsverbote wurden erlassen. Hier, in der JVA Bremen sind z.B. Besuche mittlerweile wieder erlaubt – aber die eh schon knappen Zeiten dafür sind nochmal drastisch eingeschränkt: 1 Stunde pro Monat! Das ist nur noch ein Drittel der sonst üblichen Zeit, für Jugendliche nur noch ein Viertel.
Schluss mit den Isolationspraktiken, Schluss mit dem Beschneiden der Grundrechte von Gefangenen! Für ein menschenwürdiges Leben für alle, für eine Gesellschaft ohne Knäste!
Knäste sind ein Teil eines Systems von Strafen. Konflikte werden dabei nicht als Konflikte in unserer Gesellschaft angesehen. Egal wie oft sie auftreten, werden sie immer wieder als persönliches Problem von einzelnen Menschen behandelt – die dann über Strafen auf den vermeintlich richtigen Weg gezwungen werden müssten. Was der richtige Weg sein soll, wird aber durch die bestehenden Machtverhältnisse vorgegeben. Wer dagegen verstößt, wird als “kriminell” gebrandmarkt und in vielen Fällen weggesperrt. Knast löst keine gesellschaftlichen Konflikte, im Gegenteil: durch das Knastsystem können die gesellschaftlichen Konflikte ausgeblendet werden, ohne sie zu lösen. Die gesellschaftlichen Konflikte bleiben somit unbearbeitet.
Gefängnisse stehen seit ihrer Einführung dafür, unliebsame Teile aus der Gemeinschaft zu isolieren und verschwinden zu lassen. Abweichendes, nicht den Regeln entsprechendes Verhalten konnte so auf eine Gruppe projiziert werden, die dann nicht mehr zu sehen war: die Kriminellen. Das waren vor allem Menschen, die nicht dem Typ arbeitsamer Mensch entsprachen. Es wurde vorgegeben, sie durch Zwangsarbeit im Zuchthaus zu einem “besseren Lebenswandel” zu führen, was aber nie funktionierte. Schnell standen dann auch wirtschaftliche Interesse hinter diesen Einrichtungen. Bis heute gibt es viele Bundesländer in denen es Pflicht ist, im Knast einer Arbeit nachzugehen. Wer sich weigert für in der Regel 1-2 €/Stunde zu arbeiten, bekommt Unterbringungskosten in Rechnung gestellt.
Wer wahrscheinlich im Knast landet und wer nicht, wird aber immer auch durch strukturelle Macht- und Gewaltverhältnisse bestimmt, wie Alter, Herkunft, Geschlecht oder eben auch soziale Schicht und damit verbunden: Armut. Wer sowieso kein Geld hat, verschuldet sich durch den Zwangsaufenthalt im Knast noch weiter.
Gegen Zwangsarbeit! Für faire und angepasste Löhne! Für die Gründung von Gefangenengewerkschaften!
Mit der wachsenden Wichtigkeit des Privateigentums wuchs das Interesse des Bürgertums daran, dieses sichern zu wollen. So landeten im Laufe der Zeit immer mehr Menschen auf Grund von Eigentumsdelikten in den Gefängnissen. Heutzutage machen Delikte, die direkt oder indirekt mit Eigentumsverhältnissen zu tun haben, einen großen Teil der Inhaftierungsgründe aus.
Dazu gehört auch, dass viele Menschen einfach nicht genügend Geld haben, um sich Fahrkarten leisten können und dann ohne Karte fahren – was im Wiederholungsfalle als Betrug gewertet wird und Knast bedeutet.
Eigentumsdelikte sind Folge der ungerechten Reichtumsverteilung und unserer Art der Wirtschaft. Zum Beispiel wird den Menschen ein Wohlstandsideal vorgehalten, das ein Großteil von ihnen niemals erreichen kann. Denn weder wäre so viel Geld da, um dies allen zu ermöglichen, noch würde die Erde das ökologisch überstehen. Am Ende bedeutet der Reichtum der Einen daher immer die Armut der Anderen.
Für die gesellschaftliche Umverteilung von Reichtum! Für kostenlosen Nahverkehr! Eine gerechte Welt geht nur ohne Kapitalismus!
Unbearbeitet und ausgeblendet werden z.B. auch die Folgen der Drogenverbotspolitik. Im Bremer Knast sitzen über die Hälfte aller Inhaftierten wegen Straftaten im Zusammenhang mit Drogen. Dabei gibt es keinen vernünftigen Grund, warum manche Drogen legal sind, andere aber illegal gehalten werden. Weltweit sitzen Millionen Menschen im Zusammenhang mit illegalisierten Drogen hinter Gittern. Dabei ist sicher: der Knast hilft abhängigen Menschen nicht bei der Bekämpfung von Suchtursachen. Im Gegenteil – die Knäste sind voll von Drogen. Zugängliche und billige Alternativen, derzeit ‚Spice‘, sind zudem häufig deutlich gesundheitsschädlicher als die herkömmlichen Drogen der Inhaftierten. Insofern erhält der Knast auch hier die Verhältnisse aufrecht, die er vorgibt zu bekämpfen.
Suchtursachen bekämpfen, nicht die Süchtigen! Verantwortungsvollen Umgang mit Drogen ermöglichen statt strafen! Legalisieren und Abhängige unterstützen, anstatt sie zu kriminalisieren!
Wer nicht in der EU geboren ist, kann erleben, dass die schon bloße Existenz in der EU dazu führt, in den Knast gesteckt zu werden. Menschen aus anderen Gegenden der Welt können hier per Knast ausgesondert und eingesperrt werden, alleine aufgrund ihrer Herkunft. Rassistisch sind die damit verbundenen Gesetze, die diese Menschen zu Ausgeschlossenen machen, bei denen es gebilligt wird sie einzusperren und abzuschieben.
Wer zudem wegen einer Straftat verurteilt wird ohne einen EU-Pass zu besitzen, kann gegebenenfalls zusätzlich zur Strafe des Urteils noch abgeschoben werden. Menschen ohne EU-Pass werden so oft doppelt bestraft. Unter rassistischen Gesetzen sind eben nicht “alle gleich”.
Für die Auflösung aller Knäste! Auch der Abschiebeknäste! Hoch die internationale Solidarität!
Gewaltverbrechen sind in der Diskussion über Knäste ein zentrales Element. Hier präsentiert sich der Staat als Verteidiger der Interessen der eigenen Bevölkerung. Als der Beschützer, der für Ordnung und Sicherheit sorgt. Dabei ist es egal, dass ein Großteil der Menschen aus anderen Gründen im Knast sitzt. Gewalt ist das Element mit dem der Knast legitimiert wird, und das obwohl er die Gewalt selbst aufrechterhält.
„Gefängnisse gefährden unsere Sicherheit“, sagt sogar der ehemalige Leiter der sächsischen JVA Zeithain, Thomas Galli. Potentielle Opfer von Gewalt können geschützt werden, solange Täter weggesperrt sind. Aber die Konflikte bleiben, die aus Menschen Täter*innen werden lassen. Und diese Konflikte schaffen wiederum die nächsten Täter*innen und damit auch die nächsten Opfer. Knast schafft daher keine allgemeine Sicherheit – er täuscht sie höchstens vor und lässt die Probleme bestehen, die zu der Gewalt führen.
Am Punkt der Gewalt kommen die Interessen der breiten Bevölkerung zusammen mit anderen Repressionsinteressen zur Aufrechterhaltung des Knastsystems, und damit der gewalttätigen Verhältnisse. Knast kann keine Probleme lösen und keine Konflikte lösen. Knäste als System werden keine Gewalt abschaffen.
Allgemeine Verantwortung für Gewalttaten! Für die Schaffung einer gewaltfreien Gesellschaft!
Eine weitere Legitimation erfahren Knäste über ihren Auftrag der Resozialisierung von Gefangenen. Allein der Begriff „Resozialisierung“ spiegelt bereits wider, dass hier von einer Norm ausgegangen wird in die einige Menschen nicht passen. Daher müssen sie angepasst und somit wieder sozialisiert, wieder in die Norm gepresst werden.
Es lässt sich wohl sagen, dass Knäste sozialisieren, aber sie scheitern daran einen Menschen auf die Zeit nach der Haft und ein straffreies Leben vorzubereiten. Knast ist eine kleine Insel mit seinen eigenen Regeln, den offiziellen sowie den inoffiziellen, und die Insassen werden gezwungen sich an diese anzupassen. Isoliert von der Außenwelt hat es wenig mit dem zu tun, was ein Mensch braucht, um nach der Haft ein gesellschaftlich normiertes Leben zu führen.
Hinzu kommt, dass die Haft häufig zu Verlust von Wohnung, Arbeitsstelle und Freund*innen und Familie führt. Wer einmal straffällig war, trägt für den Rest seines Lebens einen Stempel, der ihn oder sie benachteiligt. Es wird nicht Resozialisiert oder Reintegriert, sondern weggeguckt und ausgestossen.
Insgesamt stellt sich die Frage: Wie soll durch ein so gewaltvolles System wie dem Knast ein gewaltfreier Umgang mit Mitmenschen gelehrt werden? Das ist ein Widerspruch in sich!
Wer also eine bessere Welt will, muss eine grundsätzliche Kritik am Knast entwickeln und auf seine Abschaffung zielen. Wir müssen Antworten finden auf die Fragen, die dabei entstehen, damit der Knast als stabilisierendes Element der bestehenden Verhältnisse angegangen werden kann.
Für eine herrschaftsfreie Welt, ohne Ausbeutung und Unterdrückung!
Für eine Gesellschaft ohne Knäste!