Leipzig: Gedenken an Oury Jalloh

Event Datum: 
Donnerstag, Januar 7, 2021 - 18:00
Stadt/Region: 
Oury Jalloh, ein Asylsuchender, der aus dem Bürgerkrieg in Sierra Leone nach Deutschland geflüchtet war, wurde am 7. Januar 2005 nach gerichtsfest rechtswidriger Festnahme durch Polizeibeamte in Dessau (Sachsen-Anhalt) in einer gefliesten Gewahrsamszelle auf eine feuerfeste Matratze 4-Punkt-fixiert und dort bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Die Polizei – die ihn vor dem Fixieren durchsuchte und wegen seiner Fixierung eine besondere Aufsichtspflicht hatte – behauptete unmittelbar nach der tödlichen Feuersbrunst, dass Oury Jalloh das Feuer selbst entzündet haben soll. Bei der Tatortuntersuchung durch das LKA Sachsen-Anhalt wurde am Tattag kein Feuerzeug gefunden. Trotz des Todes eines Menschen und fehlender Fachkenntnis der Ermittler wurde kein Brandsachverständiger hinzugezogen. Eine unmittelbare technische oder Spürhundsuche nach Brandbeschleunigern fand nicht statt. Der Brandschutt wurde nur selektiv gesichert und der Rest im Hausmüll des Reviers entsorgt. Eine regelgerechte Foto- und Videodokumentation der Tatortuntersuchung erfolgte entweder nicht oder wurde manipuliert bzw. gelöscht. 3 Tage später präsentierte das LKA dann ein verschmortes Feuerzeug, dass sich angeblich in einer der Brandschutttüten gefunden haben soll, an dem aber erst 7 Jahre später keinerlei Tatortspuren – dafür tatortfremde Spuren – nachgewiesen wurden.

Die Staatsanwaltschaft als vermeintlich „unabhängige“ Herrin des Ermittlungsverfahrens, schloss sich der These der verantwortlichen Polizei von der „Selbstentzündung“ an und schloss eine Beteiligung Dritter am Tatgeschehen bereits auf der ersten Pressekonferenz Anfang Februar 2005 kategorisch aus. Sie befragte Polizeibeamte ausschließlich als Zeugen und nie als Tatverdächtige und schloss in den Ermittlungsaufträgen zum Brandgeschehen Untersuchungen zur Brandentstehung oder zu den Befunden des brutalen Brandergebnisses bis 2016 grundsätzlich aus. Anträge der Rechtsbeistände der Familie zu maßgeblichen Untersuchungen wurden immer wieder kategorisch abgelehnt. Sie begrenzte die (aufgrund unabhängig organisierter Untersuchungen und
des öffentlichen Druckes) unvermeidliche Anklage von Polizeibeamten auf „unterlassene Hilfeleistung“. Erst nach Vorlage zweier, durch die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh per Spenden finanzierter Gutachten (2013 | 2015) leitete die Staatsanwaltschaft Dessau nach eigenem Brandgutachten im April 2017 Mordermittlungen gegen Polizeibeamte ein – und wurde umgehend von den Ermittlungen suspendiert. Der Generalstaatsanwalt entzog Dessau die Ermittlungen und wies die Staatsanwaltschaft Halle zur Übernahme an – nach nur 3-monatiger „Prüfung“ der Aktenlage stellte diese dann das Ermittlungsverfahren „ohne tatsächliche Anhaltspunkte“ im Oktober 2017 einfach ganz ein.


Bezüglich einer Strafanzeige wegen Mordes beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe aus dem Dezember 2017 lehnte dieser seine Zuständigkeit für den Todeskomplex dreier ungeklärter Todesfälle im Dessauer Polizeirevier (Hans-Jürgen Rose 1997 – Mario Bichtemann 2002 – Oury Jalloh 2005) ab: Das seien allesamt „Einzelfälle“ mit „lokalem Charakter“ in einem „einzelnen Polizeirevier“ und daher nicht geeignet, dass sie „Staatsschutzbelange, namentlich die innere Sicherheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit des Staates, ernsthaft beeinträchtigen könnten.“ Im Oktober 2018 hat die Internationalen Unabhängigen Kommission zur Aufklärung des Todes von Oury Jalloh zwei weitere Mordfälle in die unabhängigen Untersuchungen mit aufgenommen: Hans-Jürgen Rose (1997 RIP) und Mario Bichtemann (2002 RIP) wurden beide in Polizeiobhut in Dessau zu Tode gefoltert. Deshalb wird vom OURY-JALLOH-KOMPLEX gesprochen.

Durch unabhängige Gutachten und Aufklärungsarbeit der letzten 15 Jahre konnte die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh mit faktischen Beweisen aufzeigen, dass er in Dessau ermordet und verbrannt wurde. Die deutsche Justiz verweigert sich weiterhin die Taten aufzuklären und verleumdet, dass Oury sich nicht selbst angezündet haben kann. Nicht zuletzt verkündete im August 2020 die Sonderberater des Landtages Sachsen-Anhalts, dass sie weiterhin an der Täterversion der Selbstanzündungsthese festhalten.

Am 7. Januar 2021 wird die Initiative wie jedes Jahr an ihren Bruder Oury Jalloh in Dessau gedenken. Auch an Alberto Adriano (2000 RIP), der von Neonazis im Dessauer Stadtpark zu Tode geprügelt wurde. Sowie Yangjie Li (2016 RIP), die von einem Dessauer Polizistensohn und dessen Freundin vergewaltigt und umgebracht wurde.

„Wir wollen auch all unseren Geschwistern gedenken, die in Deutschland, Europa und auf der ganzen Welt durch rassistisch motivierte Gewalt von Polizei und Nazis umgebracht worden, von Justiz und Staat entehrt und unterdrückt und von einer schweigenden Masse an Zivilbürger:innen in Deutschland vergessen werden. Wir werden sie niemals vergessen! Wir werden nicht schweigen! Wir werden weiter kämpfen für Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen!
Wir rufen deutschlandweit und international zu einem dezentralen Gedenken am 07.01.2021 auf, an dem mit lokalen, selbstorganisierten Aktionen – kollektiv oder einzeln – je nach Umständen und Möglichkeiten unter #WeNeverForgetOuryJalloh wir alle gemeinsam unserem ermordeten Bruder Oury Jalloh und unseren Geschwistern gedenken.“ (Initiative in Gedenken an Oury Jallohn (https://initiativeouryjalloh.wordpress.com)
Diesem Aufruf möchten wir uns in Leipzig anschließen und rufen für den 7. Januar, 18:00 zu einer Kundgebung vor dem Polizeiposten in Connewitz auf.

Was hat der Polizeiposten in Connewitz mit Dessau zu tun?

Unsere Kritik richtet sich an der Institution Polizei als solche, das Wappen auf der Uniform ist daher unerheblich. Die Mechanismen und Abläufe, ob in Dessau, in Hamburg oder sind ähnlich. Es gibt im Polizeiapparat ein strukturelles Rassismusproblem, das beweisen zahlreiche Vorfälle und Verbindungen von auch sächsischen Polizeibeamt*innen in rechte Milieus. Zu den Aufgaben, die der Polizei als Teil der Exekutive zugewiesen sind, gehört nicht zuletzt auch das Exekutieren von staatlichem Rassismus. Die Polizei ist nicht einfach nur ein Spiegel der Gesellschaft – autoritäre, konservative und diskriminierende Einstellungen finden sich hier verdichtet wieder. In Leipzig zeigt sich dies auch immer wieder in rassistischen Kontrollen.

Ob in Sachsen oder Sachsen-Anhalt, eine Kontrolle von polizeilichem Handeln ist schwer bis gar nicht möglich und kommt es doch zu Verfahren gegen Polizeibeamt*innen, zeigt sich immer wieder, dass es sich lohnt vor Gericht eine Uniform zu tragen. Von 308 Strafanzeigen wegen (fahrlässiger) Körperverletzung wurden im Jahr 2019 in Sachsen 305 ergebnislos eingestellt (vgl. https://www.kgp-sachsen.org/2020/12/18/korperverletzung-im-amt-durch-sac...).

Racial profiling gibt es laut Aussagen der politisch Verantwortlichen nicht, weil dies ja „verboten sei“. Es existieren in Sachsen keinerlei Regularien, die rassistische Kontrollpraxen auch nur reglementieren oder zu dokumentieren helfen, im Gegenteil stellen die im hiesigen Polizeivollzugsdienstgesetz vorgesehenen verdachts- und anlasslosen Kontrollen an bestimmten Orten das Einfallstor für rassistisch motiviertes Handeln von Polizist*innen dar - allen voran dabei die Waffenverbotszone um die Leipziger Eisenbahnstraße.

Es ist nicht neu: Täter*innen in Uniform können ohne Sanktionen befürchten zu müssen  Gewalt anwenden und dabei systematisch selbst staatlich gesetzte Grenzen überschreiten. Dabei werden sie immer wieder von ihren Vorgesetzten und einer parteilichen Öffentlichkeitsarbeit gedeckt.
Dies zeigen auch die Ereignisse im April 2016 als vier Jugendliche in Connewitz verhaftet wurden, die nach Darstellung der Polizei angeblich Graffiti mit politischen Parolen gesprüht haben sollen (https://de.indymedia.org/node/21847). Schon bei der Festnahme ging die Polizei mit Pfefferspray gegen die Jugendlichen vor, sie wurden unter Bedrohungen und Beleidigungen in Bauch, Rippen und auf den Kopf geschlagen. Einem Gefesselten wurde sein Tascheninhalt – Geldscheine und ein Feuerzeug – unter dem Ruf „FRISS! FRISS! FRISS!“ in den Mund gestopft. Im Polizeiposten musste einer der Betroffenen gefesselt auf dem Boden vor einem leeren Stuhl knien, er wurde von da aus im Genick gepackt und hochgezogen. Auf Beschwerden, Einsprüche und Fragen nach Dienstnummern regierten die Polizeibeamt*innen mit weiteren Gewaltandrohungen und Beleidigungen. Nach einer Identitätsfeststellung ohne Benachrichtigung der Eltern und den geschilderten Misshandlungen konnten die Jugendlichen nach zwei Stunden Ingewahrsamnahme die Wache wieder verlassen. Die Anzeigen gegen die Polizist*innen wurden natürlich eingestellt, während die Jugendlichen vor Gericht landeten.

Während derartige Vorfälle ungesühnt bleiben, schicken sich Teile der Lokalpresse und Politik an den Polizeiposten und die dort arbeitenden Beamt*innen immer wieder als Ziel von Anschlägen und Bedrohungen zu stilisieren. So wurde der Polizeiposten, für den im übrigen die Stadt Leipzig die Miete finanziert (https://www.inventati.org/leipzig/?p=1832) für fast eine halbe Million Euro „anschlagssicher“ umgebaut. Dabei fand der wohl  schwerste Angriff auf Beamt*innen Im März 2014 im Polizeiposten selbst statt und es brauchte anders als zum Jahreswechsel 2019/20 tatsächlich eine Notoperation (https://linksunten.indymedia.org/de/node/141612/). Der Täter, ein Polizist, ein „Kollege“.

Wir meinen: Egal über welches Polizeirevier in Deutschland wir sprechen, es sind Orte in denen Menschen erniedrigt, angegriffen und sogar getötet werden können. Konsequenzen brauchen die Täter*innen dabei kaum fürchten, sie werden vom Staat gedeckt und geschützt. Für ein Ende dieser Gewalt.

Kommt am 7. Januar 2021 zur Kundgebung in Connewitz, gedenken wir gemeinsam Oury Jalloh und allen Ermordeten in Revieren und Knästen.
Überall ist Polizei, nirgendwo Gerechtigkeit!


 

Kundgebung am 7. Januar um 18 Uhr Auerbachstraße / Biedermannstraße

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