Köln: Wohnen in Zeiten von HartzIV

agenturschluss 31.03.2006 13:02 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe
Seit dem 4. März halten mittlerweile über 80 Leute die Häuser des Barmer Blocks in Köln Deutz samt großflächigem Innenhof besetzt, um den plan- und sinnlosen Abbruch zu verhindern. Der Zulauf wächst stetig. Neben einem Sozialen Zentrum beherbergt der Barmer Block nun auch einen Möbelladen der Sozialistischen Selbsthilfe Köln (SSK), Cafe und Veranstaltungsräume.
Wohnen in Zeiten von Hartz IV

1,2 Mio. Menschen in 700.000 Arbeitslosengeld II-Haushalten wohnen nach den Kriterien von Hartz IV „unangemessen“ und wurden bzw. werden noch mit Überprüfungsverfahren überzogen.
Wer trotz Umzugsaufforderung durch das Arbeitsamt in seiner alten Wohnung bleibt, zahlt nach einer Frist von 2-6 Monaten die Mehrkosten seiner "überteuerten" Miete selbst. Das führt in der Folge zur Aushungerung, zum Ansammeln von Miet- und Energieschulden, zum Zwangsumzug oder gar zum zwangsweisen Auszug wegen einer Räumungsklage des Vermieters.
Bei allen Schwierigkeiten der Datenlage werden voraussichtlich am Ende 300-500.000 „stille“ oder „offene“ Zwangsumzüge in der Republik stehen, sollte es nicht gelingen, die Große Koalition, die Länder und Kommunen sowie die Bundesagentur für Arbeit zu einer Revision ihrer sozialen Enteignungspolitik zu bringen. Es geht nicht um Geld, sondern um ein neues Kapitel sozialer Zurichtung und Disziplinierung. Das Hartzsche Verarmungsprogramm billigt für Nahrung und Getränke täglich nur 4,23 Euro zu, und vertreibt Menschen aus ihren Wohnungen, wenn sie 50 Euro über den Mietobergrenzen liegen. Gerade weil die Zwangsumzüge so individualisiert und lautlos verhängt werden, ist gezielter Widerstand dringlich.



Besetzung gegen Wohnraumvernichtung

Auch in Köln schickt die ARGE solche Aufforderungen zur Senkung der Unterkunftskosten raus. Gleichzeitig praktiziert die Stadt gigantische Vernichtung von preiswertem Wohnraum zugunsten von unausgegorenen Bürohaus-Planungen. So auch beim Barmer Viertel in Deutz. Obwohl das ehemalige Bauvorhaben geplatzt ist, hält die Stadt am Abriss der 381 völlig intakten Wohnungen fest.
Ein nicht hinnehmbarer Widerspruch angesichts des überteuerten und knappen Wohnungsmarktes in Köln. Darüber hinaus bedeutet der Abriss des Barmer Viertels städtebaulich die endgültige Ghettoisierung des gesamten Areals Deutzer Bahnhof - inklusive Messegelände ein lebloser Büro und Verwaltungskern umgeben von einem unbewohnten Dienstleistungs- und Servicegürtel.

Schluss mit Lustig: Seit dem 4. März halten mittlerweile über 80 Leute die Häuser der zentralen Wohnanlage samt großflächigem Innenhof besetzt, um den plan- und sinnlosen Abbruch zu verhindern. Der Zulauf wächst stetig und die Unterstützung durch die DeutzerInnen ist gut. Neben einem Sozialen Zentrum beherbergt der Barmer Block nun auch einen Möbelladen der Sozialistischen Selbsthilfe Köln (SSK), Cafe und Veranstaltungsräume. Die Grüne Jugend Köln hat ihrer (den Abriss befürwortenden) Fraktionsvorsitzenden die Gefolgschaft verwehrt und beteiligt sich demonstrativ an der Besetzung. Auch die JuSos haben hier Räumlichkeiten bezogen. Das Sudierendenparlament spricht sich für eine dauerhafte Nutzung der Häuser als studentischen Wohnraum ergänzt durch sozialen Wohn- und
Projektraum aus. Das Studentenwerk ist interessiert, sofern es mehrjährige Planungssicherheit erhält.



stiller Widerstand und laute Mieterunruhen

Ohne viel Aufhebens von dieser Form der Aneignung zu machen, zahlen derzeit fast die Hälfte der MieterInnen von drei älteren Wohnanlagen in Berlin Neukölln keine Miete mehr. Der zuständige Immobilienmakler beklagt, dass er seit 9 Monaten keine Mietzahlungen mehr erhalten hat. Er habe darüberhinaus nich einmal mehr Zugang zu einem Teil der Anlagen, weil die Leute sich selber Schliessanlagen für Außentüren eingebaut haben. Eine Massenräumung komme nicht in Frage, da ihn eine einzelne Räumung zwischen 7000 und 9000 Euro koste, so der Makler.

Anfang der dreißiger Jahre begannen arbeitlose Männer und Frauen in den USA sich gegen lokale Autoritäten und gegen die von ihnen gesetzten Regeln aufzulehnen, die sie für Ihre Probleme verantwortlich machten. Dies wurde unter anderem im massiven Widerstand gegen Wohnungsräumungen deutlich. Bei steigender Arbeitslosigkeit konnte vielerorts eine große Zahl von Familien ihre Miete nicht mehr bezahlen, woraufhin die Zahl der verfügten Zwangsräumungen täglich anstieg. In kleinen Stadtteilzentren versammelten sich Arbeitslose und wenn die Nachricht ankam, dass einige Blocks entfernt gerade Leute aus ihrer Wohnung gewiesen wurden, dann machten sie sich gemeinsam auf den Weg. Gleichgesinnte und Neugierige schlossen sich ihnen an und wenn die Menge am Ort der Räumung angelangt war, hatte nicht nur ihre Zahl sondern auch ihr Zorn beträchtlich zugenommen. Man brachte die Möbel der betroffenen Familie (teils trotz Polizeipräsenz) in die Wohnung zurück, und nach und nach löste sich die von ihrem Erfolg begeisterte Menge wieder in kleine Gruppen auf.
Derartige Selbsthilfe erreichte in einigen Sädten ein beträchtliches Ausmaß und verwandelte sie in regelrechte Mieterunruhen. In Chicago geriet der Bürgermeister in Panik und ordnete eine Aussetzung der Zwangsräumungen an. In New York wurden durch den Widerstand 77ooo angewiese Räumungen verhindert bzw. ganz praktisch rückgängig gemacht. In vielen Orten organisierten sich "gas squads" deren Aufgabe es war, das Gas in den Wohnungen wieder anzustellen. "Electric squads" überbrückten die Stromzähler, nachdem sie von den Elektrizitätswerken abgestellt worden waren. (eindrucksvoll beschrieben in Frances F. Piven, Richard A. Cloward, Aufstand der Armen, Frankfurt 1986)

Eine bundesweite Initiative zur Verhinderung von Zwangsumzügen bietet auf der Internetplattform www.labournet.de Nottelefone, anwaltliche Beratung und gegebenenfalls regional praktische Unterstützung bei Bedrohung durch Zwangsumzüge an. Für den Raum Köln-Bonn steht das Infotelefon des Erwerbslosenforums unter der Nummer 0228 / 2495594 zur Verfügung.

Lutz Wehring [agenturschluss]
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Ergänzungen

Köln: Demo am Samstag 1.4.

Deutzerin 31.03.2006 - 14:14
Demo mit anschließender Besichtigung des Barmer Blocks

Samstag, 1. April, 11 Uhr
Deutzer Freiheit / St.Heribert-Kirche

die rtl kurzberichte auch bei google video

verniedel 01.04.2006 - 17:37
die gar nicht mal so schlechten kurzberichte von rtl über die hausbesetzer sind auch bei google zu finden:

 http://video.google.com/videosearch?q=hausbesetzer

Ex-Steffi Räumung

Günther Mülltonne 06.04.2006 - 10:51
Das linke Wohn- und Kulturzentrum Ex-Steffi in Karlsruhe wird seit den frühen Morgenstunden geräumt.

18 UHR KUNDGEBUNG MARKTPLATZ KARLSRUHE

siehe:
 http://www.de.indymedia.org/2006/04/143453.shtml