Polizei blockiert stilliegenden Bahnübergang

Spaziergänger 17.07.2003 00:17 Themen: Atom Repression
'Fährmann, hol über' / Hundertschaft gegen dreißig Demonstranten

'Jetzt sind sie wohl völlig durchgeknallt!' war am vergangenen Sonntagnachmittag der Kommentar eines Anwohners des wendländischen Kleinstädchens Hitzacker, angesichts des Polizeiaufgebots am Bahnübergang an der CASTOR-Strecke. Die BI Umweltschutz hatte zur Mahnwache gerufen - nicht auf den Schienen, sondern auf dem Teil der Straße, der die Gleise kreuzt. Seit Freitag vormittag ist der öffentliche Schienenverkehr zwischen Lüneburg und Dannenberg eingestellt, da von der Deutschen Bahn AG für 20 Mio. Euro 36 der insgesamt 53 km Schienenstrang ausgewechselt werden.
Fast ist zu vermuten, daß Dannenberg demnächst mit einer ICE-Anbindung rechnen könnte, werden doch die an sich noch völlig ausreichenden Schienen durch hochgeschwindigketsgeeigneten neuen Stahl in ICE-Qualität ersetzt - Vorbereitungen für den nächsten CASTOR-Transport im Herbst.

Die Schranken am Übergang Hitzacker sind mit blauen Mülltüten eingewickelt, ein Papierzettel singnalisiert: 'Außer Betrieb'. Nicht so die Polizei. Dicht an dicht stehen die Damen und Herren in Grün, lassen niemanden auf die Asphaltfläche zwischen den Andreaskreuzen. 'Hier kommt keine durch, Demonstrationen auf Gleisen sind nicht gestattet', so wiederholt der Lüchower Einsatzleiter stereotyp wie eine Schallplatte seine Meinung, geht auf keine Argumente der widerständischen Damen und Herren ein. Passieren dürfen Menschen nur einzeln, jeweils individuell von einem Beamten auf dem fünf Meter langen Weg begleitet. 'Fährmann, hol über!', so wird der nächste Wunsch nach dem Wechsel auf die andere Seite lachend angekündigt, wenn mal wieder ein Fußball per Luftbrücke über die Köpfe der Polizisten die blockierten Gleise passiert hat.

Plötzlich ein durchdringender Pfiff aus Richtung des Bahnhofs. Da kommt doch an diesem Sonntagnachmittag tatsächlich eine blaue Rangierlok angefahren - langsamer als im Schrittempo. Da müssen also zwei Bahner in brütender Hitze ihren Job machen, nur weil es der Polizeiargumentation von möglichem Schienenverkehr dient. Wenige Hundert Meter hinter dem kaffetrinkenden und ballspielenden Wendländern stoppt die Lok, und fährt wieder zurück zum Bahnhof. 'Na, wart Ihr Zigaretten holen?', so die Frage an die Lokführer. Statt einer Antwort ein breites Lachen auf den Gesichtern, eine Faust - mit nach oben gestrecktem Daumen.

Wenig später leert sich der Straßenraum vor den dichten Polizeiketten. Die Mahnwache aufgelöst, die BeamtInnen können sich entspannen - für einige Minuten. Denn plötzlich geraten sie in übersteigerte Hektik, sprinten die Schienen entlang, springen in ihre Wannen, werden in Richtung Bahnhof gehetzt. Die Mahnwache wurde einfach verlegt, auf den nächsten Übergang, und wie es sich gehört, dort auf die Schienen.

'Geländespiele' mit Witz, aber ohne Verständnis bei den Grüngekleideten. Ohne daß vorher die Versammlung als beendet erklärt wirde, erfolgt die erste, dann die zweite und dritte Aufforderung zum Räumen. Na und? Wozu unnötig Streß auf der Straß' an diesem Sonntagnachmittag. Lediglich ein Widersetzer wird vom Asphalt getragen, für dieses Wochenende hatt das 'Spiel' ein Ende. Spiel? 'Uns ist es bitter Ernst, auch wenn wir unseren Spaß dabei haben!' so kommentiert ein Demonstrant die unpassenden Bemerkungen des Staatsapparats.

So bitter ernst, daß diese Mahnwache wiederholt wird: Am kommenden Sonntag (20. 7. 03) wiederum um 16:00 Uhr auf dem Bahnübergang an der 'Freien Schule' in Hitzacker. Wieder mit Kaffee, Kuchen, Kind und Kegeln, Bällen, Drachen, und sicher wieder neuen Aktiönchen. Mensch stellt sich eben quer im Wendland - selbt wenn derzeit kein 'öffentlicher Verkehr' auf den abgeschraubten Schienen stattfinden kann.
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Ergänzungen

Lok hatte tatsächlich Sinn

Kundiger 17.07.2003 - 10:07
Die Lok war tatsächlich n i c h t nur zu Provokation gefahren.
bei Pisselberg hatte sie noch am Abend ca 30! Wagen mit alten Betonschwellen und sog. Kleineisenteilen abgeholt und die dann über Lüneburg nach Maschen gebracht. Da hat sich die Spur dann verloren.
Es werden noch viele solcher Schienenbau-transporte fahren....

Verstehe ich nich`

Fragender 17.07.2003 - 11:12
Wenn DIESE Lok-fahrt keine Provokation war, bzw. Demonstration (seht her, ihr Dummerle, hier fahren doch Züge), was war das dann?

Denn DIESE Fahrt hatte offensichtlich ja kein anderes erkennbares Ziel.

Und Deine Ausführung erklärt ja nur, dass die polizeiliche Haltung in ihrem Kontext nachvollziehbar war ("hier findet grundsätzlich Zugverkehr statt, also "können wir keine Gleisdemo dulden").

schlechtes Omen.

nachdenklicher 17.07.2003 - 13:33
Wenn die Staatsmacht jetzt schon mit solch einem Aufgebot auf eine Handvoll normalBürger reagiert wiesoll es denn erst werden wenn Ende des Jahres wieder der große Castor nach Gorleben kommt - und der kommt auf jeden Fall??? Ich befürchte ein hartes Vorgehehen gegen Demonstranten - denn die Vorbereitungen laufen ja schon wie Gesetzesänderungen und die Bestellung der Gefangenen-Hunde-Zwinger.

Lokführer Meik hat Recht

Kundiger 17.07.2003 - 20:44
Ich noch mal:
Lokführer Meik hat mein Antwortposting auf "Fragender" vorweggenommen.
Wir sehen daran, mit welchen Hochdruck an dem Ausbau der Stecke für Schwerlastverkehr gearbeitet wird.

Es wird nicht nur der ganze "Oberbau" (Schotter, Schienen, Schwellen, Kleineisenteile) ersetzt, sondern die Schienen werden mit dem für Nebenstrecken völlig überdimensionierten Schienen-Profil "UIC 60" ersetzt.
Dieses UIC 60 Profil wird nur für Hochgeschwindigkeits-Strecken (ICE) oder für Strecken verwendet, auf denen überwiegend besonders schwere Güterzüge verkehren.
Der Ausbau ist eine weitere Salami-Scheibe für ein Nuleares Entsorgungszentrum Gorleben.

Mahnwache heute in Hitzacker (20. 07. 03)

... 20.07.2003 - 18:02
Es sind heute ca. 15- 20 Demonstranten am Bahnübergang Freie Schule anwesend, gibt was zu Essen (glaub ich), der Bahnübergang ist von der Polizei gesperrt, wie der in Bahnhofsnähe, es ist wohl eine Hundertschaft Polizisten anwesend, die sich an den beiden besagten Bahnübergängen verteilt haben. Am Bahnübergang Freie Schule stehen ca. 20- 30 Beamten in Ketten an den Schienen, 8 Wannen (große Fahrzeuge) und 5 Sixpacks (6- Personen Fahrzeug der Polizei) beidseitig des Bahnübergangs, am anderen in Bahnhofsnähe 1 Wanne, 3 Sixpacks auf der gegenüber dem Bahnhof, 1 Sixpack am Bahnhof und ein Fahrzeug auf dem Feldweg zwischen dem Bahnübergängen.

Die Mahnwache dauert noch an.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Erklärung der Lokfahrt — Lokführer Meik

Tolle Aktion! — Schiddi